Pfersmann_Die Missionare.pdf
- Texte
-
Die (Missionare.
Von
Friedrich Gerstäcßer.
Neu durchgesehen und herausgegeken
von
Or. Lark Dörmg.
K e r k in 8 ^ .
(Verlag von (Neufekd L Henius.
«WWMWMWM
1.
Schloß Schölfenstein.
An den Ausläufern des Erzgebirges, unmittelbar
über einem breiten, prächtigen Bergwasser, das sprudelnd
von den bewaldeten Höhen herunterkam und lustig über
die bräunlich blitzenden Kiesel hinwegsprang, lag ein
altes Waldschloß, der Schölfenstein genannt, das man von
weitem und das T al herauskommend recht gut hätte sch
eine Ruine vergangener Zeiten halten können. Ein halb
verfallener Turm überragte nämlich das Ganze, und links
davon lag eine ebenfalls eingestürzte Kapelle, die, von
Efeu überwuchert, einen höchst malerischen Anblick bot.
Das Schloß selber aber, aus dicken, gewaltigen Mauern
aufgeführt, war im In n ern noch vollkommen gut er
halten, ja sogar wohnlich eingerichtet, und dabei der Lieblingsausenthalt des alten Barons von Schölfe, der hier
wenigstens acht Monate vom Jahre mit seiner einzigen
Tochter verbrachte.
Der alte Baron war eigentlich noch ein echtes Stück
aus der alten Zeit und mit so wunderlich gemischtem
Charakter, wie man sie jetzt Wohl nur selten findet;
allerdings ein Edelmann von „altem Schrot und Korn",
grundehrlich, schlicht und recht, ein vortrefflicher Reiter
und ausgezeichneter Schütze wie leidenschaftlicher Jäger,
und dabei derb und geradeaus, aber auch zugleich einer
entschieden frommen, ja fast bigotten Richtung ange
hörend, die sich, da ihm kein besonderer Einfluß nach
außen zu Gebote stand, mit desto größerem Eifer auf
seine eigenen Untertanen und Bauern warf.
1*
I n seiner Jugend sollte er anders gewesen sein, nnd
aus dieser rührte noch einer seiner Jäger, der alte Klans,
her; aber er heiratete in eine sehr fromme Familie, und
mit jener doch schon in ihm schlummernden Neigung zur
Schwärmerei, mit der er sich z. B. besonders für die
Kreuzfahrer begeistert hatte und stolz war, einen seiner
Ahnen zu ihnen zu zählen, wuchs dies Gefühl von J a h r
zu Jah r.
.
^
.
Seine sämtliche Dienerschaft mußte jeden L-onntag
regelmäßig den Gottesdienst besuchen, und zwar abwech
selnd, an einem Sonntag ein Teil den Morgen-, ein an
derer den Nachmittags-Gottesdienst, und wer sich da
säumig zeigte, konnte nur gleich sein Bündel schnüren.
J a , als die gnädige Frau noch lebte, las diese nach echt
patriarchalischer S itte den Leuten abends selber fast eine
Stunde lang aus der Bibel vor, und konnte ernstlich böse
werden, wenn einer oder der andere dabei eipmal aus
Versehen einnickte.
Den Leuten war damit natürlich nicht gedient, und
sie hätten sich lieber in einer anderen Weise unterhalten;
einige kündigten sogar, aber die meisten fügten sich doch,
denn der Dienst war ein vorzüglicher, und der Herr be
sonders so gut mit den Leuten, daß sie sich keinen besseren
wünschen konnten.
Der Baron hatte eine einzige Tochter, dre er, Ver
alten deutschen Zeit anhängend, B e r c h t a genannt.
Das Kind bekam eine wunderlich gemischte Erziehung,
der ähnlich, wie sie der Charakter des Vaters abstrahlte,
halb ritterlich, halb religiös, und als die Mutter, da
Berchta kaum vierzehn Jahre zählen mochte, starb, und
der Vater jetzt den größten Teil seiner Zeit auf dem
Schölfenstein verbrachte, fast mehr das erstere als das
letztere. S ie mußte vor allen Dingen reiten lernen, um
ihn auf seinen Spazierritten zu begleiten, und wie sie
kaum sechzehn Jahre alt war, übte er sie sogar ini
Pistolen- und Gewehr-schießen, und nahm sie dann niit
hinaus auf die Jagd.
5
Berchta wuchs heran, und ein lieblicheres Wesen ließ
sich kaum auf der Welt denken. Von schlanker, fast zarter,
anmutiger Gestalt, ganz das Ebenbild ihrer seligen
Mutter, konnten ihre Züge wirklich schön genannt wer
den. Die Nase war edel geformt, der kleine Mund fein
geschnitten, und wenn sie lachte, zeigte sie zwei Reihen
perlengleicher Zähne und ein tiefes Grübchen in jeder
Wange. Volles, lockiges, kastanienbraunes Haar um
wallte ihr Haupt, und sonderbar stachen dagegen die
wunderbar schönen, b l a u e n Augen ab, die sich so selten
zugleich mit dunklen Haaren finden. Die unweibliche
Beschäftigung der Jagd hatte aber keinen nachteiligen
Einfluß auf ihr Benehmen ausgeübt. Sie glich in keiner
Weise jenen sogenannten „emanzipierten" Frauen
zimmern, die gerade darin etwas suchen, ihre schönste
Zierde — schüchterne Weiblichkeit — abzustreifen. Sie
war frei und offen in ihrem ganzen Wesen, ohne je auch
nur um eines Haares Breite die Grenzen zu überschreiten,
welche zarte S itte um ihr Geschlecht gezogen.
Aber in den blauen Augen lag auch eine tiefe
Schwärmerei, ein Erbteil der M utter, uud zwar ein ge
fährliches, das allerdings in den vielen einsamen S tu n
den, die sie hier verleben mußten, reichliche Nahrung
fand.
Berchta war tief religiös, aber ihr gesunder, klarer
Geist bewahrte sie doch vor einer Übertreibung dieser
Tugend, die so leicht in ein bigottes Formenweseu aus
artet. Der Tod der M utter ergriff furchtbar ihr weiches
Gemüt und nährte nur den schon in ihr Herz gelegten
Keim, der ihr die ganze Seele bald mit eineni uner
klärlichen Sehnen erfüllte.
Die Erziehung des Vaters, der sie fortwährend mit
hinaus in Feld und Wald nahm, diente allerdings dazu,
sie in etwas davon ab- und der Erde wieder mehr zuzu
wenden, aber ganz unterdrücken konnte er diese geistige
Anspannung nicht, ja er gab ihr auf der anderen Seite
— selbst bei dieser Erholung — frische Nahrung.
6
Die Kreuzzüge waren, wie schor: erwähnt, sein Lieb
lingsthema, ja er hatte sogar einmal seinen Vorfahr,
der eine Streitaxt in Form eines Kreuzes geführt haben
sollte, poetisch besungen und das Gedicht dann, da keine
größere Zeitung veranlaßt werden konnte es aufzu
nehmen, in das Kreisblatt einrücken lassen. Von diesen
Kreuzzügen erzählte er auch am liebsten, und hatte sich
in der T at eine ganze Bibliothek darüber angeschafft,
in der auch Berchta natürlich fleißig lesen mußte.
Dadurch bekam ihre Schwärmerei ein bestimmtes
Ziel. S ie konnte sich dafür begeistern, daß es Menschen
gegeben hatte, die ihr Leben einsetzten, um das Grab des
Heilands den Bekennern des Isla m nicht allein zu ent
reißen, sondern auch dadurch wieder das Christentum
auf jenen Boden zu pflanzen, von dem es ausgegangen
war, und sein Licht über die ganze Erde verbreitet hatte.
Warum war sie kein Mann geworden — warum nicht
in einer Zeit geboren, in der sie selber teil an solchen
Gefahren nehmen konnte! Ach, wie gern hätte sie freudig
ihr Leben hingegeben, um ein so hohes, so seliges Ziel
erreichen zu helfen!
Ein wenn nicht täglicher, doch s e h r häufiger Gast
im Schlosse war der Diakonus des Ortes.
Unter dem Schölfenstein, und kaum ein halbes
Stündchen davon entfernt, lag das kleine Städtchen
Rothenkirchen. Der Pastor aber, der schon seit längerer
Zeit kränkelte, hatte einen Diakonus beibekommen, um
ihn in seinen Predigten zu unterstützen, und dieser erwies
sich denn auch bald für den Baron als ein wahrer Schatz
in seiner Einsamkeit. Kästner, wie der Diakonus hieß,
war ein durchaus gebildeter, tüchtiger junger Mann, der
zugleich mit einem bedeutenden musikalischen Talent
einen Lieblingswunsch des alten Herrn von Schöffe er
füllen und Berchta in der Musik unterrichten konnte. Aber
dabei blieb es nicht; das junge, damals kaum der Schule
entwachsene Mädchen, dessen reger Geist eine entsprechende
Beschäftigung verlangte, sehnte sich selber nach einer sol-
7
chen, und ihr Vater bewilligte gern, daß der Diakonus
auch noch einen Kursus von Literatur und Kirchenge
rich te — inklusive „Kreuzzüge" — hinzufügte. Gehörte
der Diakonus doch einer streng orthodoxen Richtung an,
und es war deshalb nicht zu fürchten, daß er schädliche
Lehren in die Brust des noch halben Kindes pflanzen
würde.
Aber Diakonus Kästner war auch noch in anderer
Weise im Schlosse willkommen, denn er spielte nicht allein
sehr gut Klavier, sondern auch ebenso fertig Schach und
Pikett und zeigte sich dadurch also nach allen Seiten
nützlich, ja fast unentbehrlich. Übrigens war er in
seinem ganzen Wesen gerade das Gegenteil von dem
alten Baron, der eben derb und rauh, seinen geraden
Weg durchs Leben ging und ohne Scheu herauspolterte,
was und wie er's meinte. Kästner dagegen, obgleich
wahrscheinlich ebenso rechtschaffen in seinen moralischen
Ansichten und dabei, was der alte Baron n ic h t war,
gründlich gebildet und belesen, hatte — in sehr gedrückten
Verhältnissen erzogen — das Gefühl der Freiheit und
Ungebundenheit, das jenem eine so große Sicherheit ver
lieh, nie kennen gelernt. Er war, solange er denken
konnte, immer von anderen, fremden Menschen abhängig,
und der erste Lichtblick in seinem Leben eigentlich der
gewesen, als er die Stellung als Diakonus in Rothenkirchen bekam.
Aber Kästner war ehrgeizig, und der Umgang mit
dem Baron schmeichelte zuerst seiner darin allerdings
unschuldigen Eitelkeit, während es ihm Freude machte,
das noch blutjunge, aber bildhübsche Mädchen, dessen
reiche Fähigkeiten er bald erkannte, heranzubilden und
zu unterrichten.
Doch die Jahre vergingen; Berchta wurde älter, und
während sie in allem, worin sie Kästner unterrichten
konnte, erstaunlich rasche Fortschritte machte, erwachte in
dem Diakonus selber allmählich und unbewußt ein Gefühl
für die Jungfrau, vor dem er, als er es entdeckte, erschrak,
8
Allerdings kämpfte er ernstlich dagegen an; er suchte
sich klarzumachen, wie wahnsinnig eine solche Leiden
schaft für ihn, den armen Diakonus, sein müsse; aber
was richtet überhaupt Vernunft gegen Liebe aus? Nach
einiger Zeit begann er schon in seinem Herzen das Für
und Wider solcher aufkeimenden Hoffnungen zu erwägen,
bei denen das W i d e r freilich sehr das F ü r überwog.
Wenn der alte Baron überhaupt auf etwas stolz genannt
werden konnte, so war er das auf seine Ahnen und sein
Kind, und trotzdem baute Kästner auf dessen streng
frommes Gemüt seine Hoffnung. Er wußte auch, wie
der alte Herr an seinem Kinde hing, und sah er wirklich,
daß sich Berchta auch unter bescheidenen Verhältnissen
glücklich fühlen würde, hätte er da nicht doch vielleicht
feinen alten Ahnenstolz vergessen?
Aber das alles mußte ja doch der Zeit überlassen
bleiben, und Diakonus Kästner war auch der Mann dazu,
um diese geduldig abzuwarten. Selber ziemlich heftiger
Gemütsart, hatte er solche mit zäher Willenskraft zu
bändigen gewußt und sich, schon von der Liebe zu Berchta
dabei getrieben, den Launen des alten Herrn so ange
schmiegt, daß sich dieser wirklich keinen besseren Gesell
schafter wünschen konnte. Ein S treit fiel zwischen ihnen
in ihrer Unterhaltung niemals vor. Über Religion waren
sie fast vollständig einerlei Meinung, das Thema also
zu monoton, um es weiter zu behandeln, und über
Politik wurde, nach stillschweigendem Übereinkommen,
wenig oder gar nichts gesprochen, da der alte Herr, wenn
er auch in s e i n e n Kreisen einer sehr freisinnigen Rich
tung angehörte, doch in seinen Ansichten mit dem weit
radikaleren Diakonus noch ziemlich auseinanderging.
Dafür aber hatten sie ein anderes Thema, auf welchem
sie sich desto ungestörter und harmonischer bewegen konn
ten: die Forstwissenschaft.
Kästner, der mit der ihm eigenen Gewandtheit alles
ergriff, was ihn interessierte, war bei seinen tüchtigen
Vorkenntnissen in Naturwissenschaften und mit der Ge°
9
legenheit umher ein ganz tüchtiger Forstmann geworden,
nnd dabei — allerdings nicht zufällig — auf die Lieb
lingsbeschäftigung des Barons geraten. Dieser bedauerte
auch in der T at nichts weiter, als daß der junge Geist
liche nicht auch Jäger und Schütze wäre, um ihn manchmal
mit auf die Jagd hinaus zu nehmen. Dafür hatte aber
Kästner keinen Sinn, und wenn er auch anfangs, dem
alten Herrn zuliebe, ein paarmal mitfuhr, so hätte das
doch beinahe ein böses Ende genommen und der Diakonus
einen der Treiber erschossen. Die Kugel ging dem armen
Teufel wenigstens zwischen Hemd und Haut durch, und
es kostete dem Baron damals viel Geld, um die Sache
zu vertuschen, damit sie nicht dem Konsistorium zu
Ohren kam.
Von da ab lud er ihn nie wieder mit zur Jagd ein,
ging aber desto öfter mit ihm im Walde spazieren, um die
neuen Kulturen anzusehen oder frische Anlagen zu be
sprechen. So, mit seiner Partie am Abend und dem
Unterricht der Tochter, war Kästner nicht allein ein gern
gesehener, nein, unentbehrlicher Gast im Schlosse gewor
den, und selbst Berchta fühlte sich einsam, wenn sie ihn
einmal einen Tag entbehren mußte.
Und Berchta wuchs heran; sie wurde achtzehn und
zwanzig Fahre, und mit ihr wuchs in Kästners Brust
die Leidenschaft für das junge, wunderschöne und so
liebliche Mädchen. Wohl sagte er sich oft, wie unmöglich
es sein würde, den alten, adelsstolzen Baron zu einer
Einwilligung zu vermögen, und dann auch wieder, wenn
er mit diesem und Berchta manchen Abend über altvergangene Szenen sprach, und der Baron nicht aufhören
konnte, die alles opfernde Liebe der Kreuzfahrer zu schil
dern, und Berchta ihm zustimmte, wie es ein seliges Ge
fühl sein müsse, für eine gute und edle Sache a l l e m
zu entsagen, an dem bisher unsere Seele gehangen, —
kehrte frische Hoffnung in sein Herz ein.
Von jetzt an suchte er in seinen Geschichtsstunden die
Beispiele edler Frauen vor, die allem Glanz, aller Hoheit
10
Lehren mn nur zu empfängliches Herz, einen nur zu
begierig horchenden Geist. Besonders waren es Erzäh
lungen aus der Missionsgeschichte, die für Berchta inso
fern doppeltes Interesse hatten, als sie den Reiz der Neuheit und des Fremdartigen mit all' dem verbanden,
^ bisher ihr Herz in Mitgefühl geschlagen.
Selbst der alte Baron sing zuletzt an, sich für die
Sache zu begeistern. Er schaffte einige der Reisewerke
empfahl, hielt die verschiedenen
Mlsstonsschrlsten und bedauerte nur immer, daß er selber
zu alt sei, um all' die Herrlichkeiten jener fremden
Welt und die Wunder, die dort der liebe Gott durch
fromme Diener seines Wortes geschehen lasse, mit eige
nen Augen zu schauen.
-'
hörbar schlug dem jungen Manne aber das Herz
in der Brust, als Berchta einst mit leuchtenden Blicken
jagte, daß es doch gewiß ein großes, herrliches Wagnis,
das größte eigentlich, was eine F r a u unternehmen
tonne, sein müsse, dort hinaus in die Fremde zu ziehen
um wilden barbarischen Völkern, die in dem Fluch der
Frnsternis lebten, den Segen und das Licht des wahren
Glaubens zu bringen, und sie könne ein solches Los nur
als ein von Gott bevorzugtes betrachten.
„Aber, gnädiges Fräulein," warf da Kästner ein,
nur um Liese Gesinnung in Gegenwart des alten Barons
auf die Probe zu stellen, „Sie, die Tochter eines altadligen Geschlechts, würden sich nicht davor scheuen, als
die Frau eines armen, niedrig geborenen Missions
Priesters I h r Leben zu beschließen?"
„Und adelt ihn nicht sein Stand?" rief da Berchta
begeistert aus. „Denn was haben die alten Kreuzfahrer
mehr getan, von denen Vaters Bücher so viel erzählen?
J a , Wohl je so viel? Diese zogen nur in großen Heeren
und Mit allem ausgerüstet in ein feindliches Land, das
Schwert an der Seite, während jene frommen Männer,
11
bloß ihre Bibel in der Hand und auf Gottes Schutz ver^ mitten hinein zwischen Kannibalen und
blutdürstige Heidenstämme wagten, und freudig unter
tausend Entbehrungen der guten Sache ihr Leben zum
Opfer brachten. D a s sind Helden, und was wiegt selbst
dagegen ein alter Stammbaum und Name, was ein edles
Geschlecht?"
Kästner sah den Baron an. Es schien fast, als ob
dieser etwas darauf erwidern, dagegen einwenden wolle;
aber im P r i n z i p war er mit der Sache vollkommen
einverstanden, und da es sich hier nur um ausgesprochene
Gefühle handelte, durfte er seinen früher geäußerten
Grundsätzen nicht untreu werden. Er war mit seinen
eigenen Waffen geschlagen worden.
Von diesem Abend an schöpfte Kästner neue Hoff
nung, er sah eine Möglichkeit vor sich, den Adelsstolz des
alten Yarons zu besiegen, wenn er sich nur erst einmal
das Herz der Tochter gewinnen und sichern konnte. Er
statte Berchta wirklich recht von Herzen lieb und die feste
Überzeugung, daß er sie einst als Gattin glücklich machen
werde. Er strebte auch nicht nach dem Geld und Gut
des Vaters, o, wie gern hätte er alledem entsagt, wenn
er nur hoffen durfte, daß Berchta an seiner Seite sich
mit einer bescheidenen Existenz begnügen würde; aber
er bemerkte auch nicht, daß er in ihren Augen irgend
einen Fortschritt mache, und kein einziges, selbst kleines
Zeichen verriet ihm, daß die geringste Liebe zu ihm in
ihrem Herzen keime.
Sie nahm alle die Aufmerksamkeiten, die er ihr
bewies, so unbefangen hin, daß er dadurch stets in seinen
eigenen Schranken gehalten wurde. Sie war immer
freundlich, ja herzlich mit ihm, ohne aber nur je mit
einer Miene, mit dem Zucken einer Wimper zu verraten,
daß er ihr mehr sei, als ein geachteter Lehrer und Freund.
J a selbst bei den Liedern, die er sie lehrte, und die sie
mit ihrer glockenreinen Stimme so wunderbar zum Her
zen redend sang, sprach sich wohl ein tiefes Gefühl aus,
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das aber, wie sich Kästner nicht verhehlen konnte, noch
keinem bestimmten Ziel entgegenstrebte. Es lebte Wohl,
von einem inneren Fener genährt, in ihrem Herzen, aber
es konnte noch keinen Weg ins Freie gefunden haben.
Aber Kästner, von Jugend auf an Entsagung ge
wöhnt, hatte auch dabei gelernt, Geduld zu üben. Er
war sich in feiner Liebe zu Berchta keiner unrechten
Handlung bewußt, denn er sah darin nur ein rein mensch
liches Gefühl. So hoch stand das gnädige Fräulein vom
Schölfenstein ja doch auch nicht über ihm, daß ein braver,
rechtschaffener Mann — wenn er auch dem Bürgerstand
angehörte — hätte zurückschrecken müssen, um ihre Hand
zu werben. Er hoffte auf die Zeit und tat indessen Vater
wie Tochter, was er ihnen an den Augen absehen konnte.
Alle hatten ihn auch gern; nur eine Person im
Schlosse gab es, die ihn nicht leiden konnte, und das war
der alte Klaus, das Faktotum des Barons, der dessen
Pferde überwachte, seine Hunde fütterte, seine Gewehre
in Ordnung hielt, seine Patronen füllte und so ziemlich
alles im Schloß besorgte, was eben in derlei Dingen zu
besorgen vorkam.
Der alte Klaus war ein Erbstück im Hause, eigent
lich mit dem alten Baron auch aufgewachsen, und galt
bei diesem viel. So lieb er aber den Baron hatte, recht
fromm war er, trotz der Kirchenzucht in: Hause, doch nicht
geworden. Er ging allerdings jeden Sonntag in die
Predigt — weil er eben mußte, aber er Profitierte wenig
davon, denn er schlief die meiste Zeit, und wenn er nicht
in Gegenwart seines Herrn manchmal fluchte, weil dieser
das unter keiner Bedingung gestattete, so machte er dafür
draußen im Walde desto öfter seinem Herzen Luft und
meinte dann immer, so ein „Heiliges-Kreuz-Donnerwetter" könne einem der liebe Herrgott nicht übelnehmen,
denn wenn man das immer hinunterschlucken müßte, so
sei es gerade so, als ob einer niesen wolle und dürfe nicht.
Der alte Baron, dem das natürlich kein Geheimnis
blieb, machte ihn deshalb auch oft herunter und nannte
/
—
13
^
ihn einen schweren Sünder nnd Heiden nach dem anderen,
drohte auch, ihn fortzuschicken, weil er keinen so unchristlichen Charakter in seinem Hause dulden wolle. Er aber
hätte so wenig ohne Klaus leben können, wie dieser ohne
ihn, und das „gnädige Fräulein", das er liebte, als ob
es sein eigenes Kind gewesen wäre.
Klaus hatte eine Abneigung gegen den Diakonus
— weshalb, wußte er selber nicht. Wie oft finden wir
ja das im Leben, daß wir uns zu diesem hingezogen, von
anderem abgestoßen fühlen, ohne imstande zu sein, einen
wirklichen Grund dafür anzugeben. Aber dies Gefühl
wurde ihm zuletzt unbehaglich; er mußte sich darüber
gegen irgend jemanden aussprechen und tat das gegen
den alten Baron, als er einst mit ihm draußen im Walde
war. Bei dem aber kam er an den Unrechten, denn dieser
wußte die guten Eigenschaften des jungen Geistlichen
wohl zu schätzen und duldete überhaupt nicht, daß sich
irgend wer von der Dienerschaft über jemanden ausge
halten hätte, mit dem er verkehrte.
„Weißt du etwas B e s t i m m t e s
gegen den
Herrn?" schnauzte er Klaus mit einer Miene an, die
diesen schon bereuen ließ, auch nur ein Wort gesagt zu
haben.
„Bestimmtes — nein," stotterte e r; „ich — ich meinte
nur, daß er in seinem ganzen Wesen —"
„Dann halte künftig dein Maul," fuhr der Frei
herr fort, „und untersteh' dich nicht, mir je wieder mit
so etwas unter die Augen zu kommen, oder — wir sind
die längste Zeit Freunde gewesen!"
Damit mußte Klaus abziehen, und daß ihn der Ver
weis nicht günstiger gegen den Geistlichen stimmte, läßt
sich denken. So sehr er aber auch von da ab aufpaßte, um
irgend etwas gegen ihn aufzufinden und seinem Herrn
einen Beweis bringen zu können, es war nicht möglich;
denn Kästner, wenn auch Wohl ohne Ahnung, daß er
scharf beobachtet wurde, tat ruhig seine Pflicht, verkehrte
mit dem Baron und dem gnädigen Fräulein nach wie vor
14
und zeigte sich dabei in seiner Gemeinde, besonders gegen
die ärmeren Familien, stets so teilnehmend und freund
lich, und suchte, wo er das irgend konnte, ihre Not zu
lindern oder ihnen wenigstens Trost zuzusprechen, daß
er schon lange der Liebling des ganzen Städtchens ge
worden war. Die Leute sprachen es auch ganz offen und
unumwunden aus, daß sie einen besseren Geistlichen in
ihrem ganzen Leben nicht verlangten.
2.
Der Missionsprediger.
I n diese Zeit fiel es, daß ein Protestantischer Mis
sionsprediger jenen Teil Deutschlands bereiste. Dieser
hielt nicht allein in den größeren Städten seine Vor
trage über das Missionswesen und dessen Erfolge, son
dern suchte selbst die kleinsten Ortschaften auf, ja sprach
sogar von größeren Dorfkanzeln herab zu den aufmerk
sam lauschenden Zuhörern und forderte sie zur Unter
stützung des großen Werkes auf, das den Heiden und
Götzenanbetern in fernen Welten den Segen des Christen
tums und der Zivilisation bringen sollte.
Schon viele Wochen vorher hatten sich die Zeitungen
mrt dem merkwürdigen Manne beschäftigt und von seiner
glühenden Beredsamkeit sowohl wie von den Schicksalen
gesprochen, die ihn selber in jenen wilden Ländern und
unter den noch wilderen Stämmen betroffen. Wie oft
war er in Lebensgefahr gewesen, wie unzählige Male
hatte schon die Kriegskeule des Wilden oder Las Opfer
messer über seinem Haupte geschwebt! Aber allen den
Gefahren bot er ruhig, von Gott beschützt, die S tirn , allen
war er entgangen, und kühn und unerschrocken schmetterte
er dem Rachegeschrei der Feinde gegenüber die Götzen-
15
bilder zur Erde nieder und pflanzte an deren S ta tt das
Kreuz des Erlösers auf. So wenigstens lauteten die
Berichte.
Der alte Baron von Schölfe hatte die Artikel auch
gelesen und sich dadurch in eine ganz eigene Aufregung
versetzt gefühlt. Das war einer der alten Kreuzfahrer,
wie er sich selber sagte; das war ein Mann, wie sie nur
vorige Jahrhunderte gesehen, voll M ut und Ausdauer,
allen Entbehrungen, allen Gefahren trotzend und stets
bereit, sein Leben dem zu weihen, dem er seine ganze
Seele schon so lange zu eigen gegeben. Es gewährte ihm
deshalb eine ganz entschiedene Befriedigung, als er noch
an dem nämlichen Abend von dem Diakonus erfuhr,
daß der ehrwürdige M r. Johnson, ein Engländer von
Geburt, der aber auch einen ganz vortrefflichen deutschen
Bries schrieb, dem Geistlichen in Rothenkirchen die Mel
dung gemacht habe, daß er selber in den nächsten Tagen
dorthin kommen und einen Vortrag über das Missions
wesen halten würde. Gastfrei überhaupt im höchsten
Grade, erklärte er dem Diakonus denn auch augen
blicklich, daß der Mann hier bei ihm aus dem Schlosse
wohnen müsse.
Ganz g e g e n sein Erwarten schien sich aber Kästner
keineswegs über das Eintreffen des Geistlichen so zu
freuen, wie er nach seinen früheren Reden erwartet haben
mochte. J a , er machte sogar einige Einwendungen: man
wisse doch nicht, mit was für einen Mann man es zu tun
bekomme. I n den Zeitungen würde viel geschrieben —
es wäre vielleicht besser, ihn vorher kennen zu lernen,
und anderes Derartiges mehr. Wenn sich aber der alte
Baron einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, so war
er auch nicht so leicht wieder davon abzubringen.
Und was konnte der M ann nicht alles von seinen
Reisen erzählen; was hatte er nicht erlebt, und welchen
tiefen Einblick mußte er durch ihn in das Missionswesen
selber bekommen! Es blieb unfehlbar dabei, was er
gesagt, und er setzte sich sogar augenblicklich hin, um
—
16
einen Brief an den ehrwürdigen M r. Johnson zu schrei
ben, in welchem er ihn auf das freundlichste und herz
lichste einlud, für die Dauer seines Aufenthaltes in
Rothenkirchen den Schölfenstein zu seinem Absteige
quartier zu benutzen; ja der Diakonus mußte versprechen,
den Brief gleich am nächsten Morgen mit der richtigen
Adresse zu versehen und zu befördern.
Der Baron erhielt allerdings keine direkte Antwort
auf sein Einladungsschreiben; aber vier Tage später kam
plötzlich ein Junge aus dem Dorfe heraufgelaufen und
brachte eine Karte von dem indessen eingetroffenen
Missionar. Auf dieser zeigte ihm Mr. Johnson nur mit
wenigen Worten an, daß er Rothenkirchen erreicht, noch
einiges mit dem Geistlichen unten im O rt zu besprechen
habe und dann unverzüglich dem Boten nachfolgen werde.
Der alte Herr fand das auch ganz in der Ordnung.
Es gefiel ihm sogar, daß der Fremde keine weiteren Um
stände machte und das freundliche Anerbieten ebenso un
umwunden annahm, wie es geboten worden. Er war
selber kein Freund von langen Weitläufigkeiten, und
dieser Herr Johnson hatte draußen in anderen Weltteilen
auch wohl ebenso oft Gastfreundschaft geboten, wie sie von
anderen empfangen. Dann betrachtet man etwas der
artiges eben als selbstverständlich, ohne weiter ein Auf
heben davon zu machen. Was wußte der Missionar, der
vielleicht die Stammbäume von zahllosen indianischen
Königen im Kopfe hatte, auch von dem uralten Geschlecht
derer von Schölfe — er hätte sonst seinen kurzen Brief
jedenfalls etwas anders abgefaßt.
So vergingen noch mehrere Stunden, und der alte
Baron hatte allerdings schon nach einem vorfahrenden
Wagen aufgehorcht, als es plötzlich an seine T ür klopfte
und diese sich auf sein etwas erstauntes „Herein" auch
unmittelbar öffnete. Auf der Schwelle aber stand Mr.
Johnson, eine lange, hagere Gestalt mit vorstehenden
Backenknochen, kleinen, grauen, aber lebendig umherfahrenden Augen, etwas bleicher Farbe und fest zusammen-
17
—
gekniffenen Lippen, aber mit einem unzweifelhaft aus
drucksvollen und intelligenten Gesicht, einfach, aber na
türlich schwarz gekleidet, den runden Hut in der Hand,
und sagte mit tiefer, klangvoller Stimme:
„Ich weiß nicht, ob ich die Ehre habe, den Freihcrrn
von Schölfe in Ihnen zu begrüßen?"
„Mein Name ist von Schölfe," sagte der Baron, sich
unwillkürlich von seinem S tuhl erhebend.
„Dann erlauben Sie mir," erwiderte der Fremde,
„mich Ihnen als Josua Johnson, den MissionsPrediger,
vorzustellen, den S ie so freundlich waren in I h r gastliches
Haus zu laden. Ich hoffe, ich falle Ihnen hier nicht zur
Last — "
„Mein lieber Herr," sagte der Baron herzlich, „Sie
sind uns so willkommen, wie die Blumen im Mai. Wo
haben S ie Ih re Sachen? Die Zimmer für Sie stehen
schon seit einigen Tagen bereit."
„Es ist sehr wenig, was ich bei mir führe," lächelte
der Fremde, „denn immer auf Reisen, gewöhnt man sich
an Einschränkungen und betrachtet eigentlich jedes Haus
nur als ein flüchtiges Biwak. Ich werde Ihnen auch nicht
lange beschwerlich fallen, denn mein Weg ist noch weit,
und ich darf darauf nicht rasten."
„Von Beschwerlichfallen kann gar keine Rede sein,"
lächelte der alte Herr, „wir haben sehr viel Raum im
Schlosse und genügend in Küche und Keller, also bitte,
tun Sie, als ob S ie zu Hause wären."
Damit reichte er ihm in seiner offenen Weise die
Hand, die der MissionsPrediger mich nahm und herzlich
schüttelte. Er hatte Menschenkenntnis genug, um im
Augenblick zu sehen, daß der alte Baron jedes Wort, das
er sprach, auch ebenso meinte. Das weitere nahm auch
keine lange Zeit in Anspruch -, ein Diener wurde gerufen,
um den Gast in sein Zimmer zu führen; sein Gepäck —
ein einziger kleiner Lederkofser — war schon hinübergeschafft worden, und er wurde dort sich selber überlassen,
2
F r. G crstäck er, Die Missionare.
18
um erst wieder gerufen zu werden, wenn das Mittagessen
bereit sein würde. Aber er brauchte, wie es schien, zu
seiner Toilette nicht besonders lange Zeit, denn kaum eine
Viertelstunde später zeigte er sich schon wieder unten im
Garten, wo er sich auf das eifrigste mit den dort blühen
den Pflanzen beschäftigte, und den Gärtner auch nach
manchem in einer Weise fragte, die deutlich verriet, daß er
selber etwas davon verstand.
Noch war er damit beschäftigt, als er Schritte auf
dem Kies hörte und, aufschauend, sich einer allerdings
ungewöhnlichen, wenn auch sehr lieblichen Erscheinung
gegenübersah. Es war Berchta, die eben mit Klaus, ihrem
steten Begleiter, aus dem Wald zurückkehrte und den
näheren Weg durch den Garten eingeschlagen hatte, um
zum Schlosse zu gelangen. Natürlich vermutete sie kei
nen Fremden darin zu finden.
S ie trug ein leichtgeschürztes, hellgraues Kleid, dar
über eine ebensolche joppenartige Jacke mit grünen Auf
schlägen und Kragen, einen grauen, kleinen Hut mit ein
paar Birkhahnfedern darauf, und über der Schulter eine
leichte und sehr zierlich gearbeitete Doppelflinte, wäh
rend Klaus, der hinter ihr herkam, einen alten Jagd
ranzen umhängen hatte, aus welchem als heutige Sieges
trophäe die rote buschige Lunte eines erlegten Fuchses
herausschaute.
Berchta sah wirklich bildhübsch aus; von dem schar
fen Gang war ihr Gesicht gerötet; der gute Schuß, den
sie heute morgen getan, gab dabei ihrem Auge einen
eigentümlich lebendigen Glanz, und unter dem kleinen,
kecken Jagdhut quoll die Fülle der dunklen Locken reich
hervor. Johnson, der Missionsprediger, war auch in
der T at frappiert von der plötzlich vor ihm stehenden
Gestalt der Jungfrau, und grüßte befangener, als es
sonst Wohl seine S itte war. Berchta aber, die ja wußte,
welcher Gast erwartet wurde, und schon aus dem Schnitt
des dunklen Rockes den Geistlichen erkannte, hatte rasch
erraten, wen sie vor sich sah.
19
„Ehrwürdiger Herr," sagte sie freundlich, „ich ver
mute in Ihnen den schon seit einigen Tagen erwarteten
Herrn Johnson zu sehen. Habe ich recht?"
„Allerdings, mein — gnädiges Fräulein," sagte der
Geistliche fast verlegen.
„Dann erlauben S ie mir, daß ich mich Ihnen selber
vorstelle. Ich bin die Tochter vom Haus, Berchta mit
Namen, und fürchte fast, ich habe durch mein etwas län
geres Ausbleiben heute das Diner verzögert, aber der
Bursche da drin, der Fuchs, machte uns so viel zu schaf
fen, bis wir ihn aus dem Bau bekommen, und ohne
meinen kleinen, wackeren Waldmann da, den Teckel, wäre
es uns auch gar nicht gelungen."
„Ich habe gar nicht gewußt," sagte Johnson wirklich
etwas verlegen, „daß in Deutschland auch Damen der
Jagd obliegen."
Berchta errötete leicht. „Es geschieht auch nicht so
häufig," erwiderte sie lächelnd, „aber hier in unserer Ab
geschiedenheit bin ich von meinem Vater, da ich die M ut
ter so früh verloren, fast wie ein Knabe erzogen worden.
Doch" — setzte sie rasch hinzu — „ich vertrödle durch mein
Plaudern nur noch immer mehr Zeit; aber S ie sollen
sehen, daß ich rasch Toilette machen kann. Ich werde
Ih re Geduld nicht zu sehr auf die Probe stellen."
„Mein gnädiges Fräulein — "
Berchta wendete sich schon ab. „Bring den Fuchs in
den Hof, Klaus," rief sie dem Jäger zu, „nach Tisch
wollen wir dann die jungen Teckel daran lassen und
sehen, wie sie sich benehmen," und mit freundlichem Gruß
gegen den fremden Geistlichen eilte sie leichten Schrittes
durch den Garten hin, dem Schlosse zu.
Berchta hatte in der T at nicht zu viel versprochen,
wenn sie gesagt, daß sie zu ihrer Toilette nicht übermäßig
lange Zeit brauche, denn kaum war eine halbe Stunde
vergangen, als schon ein Diener in den Garten kam, um
den Gast in das Speisezimmer einzuladen.
2*
20
Der Freiherr war übrigens, wie er stets ging, in
der Joppe, Diakonus Kästner aber, nach dem er rasch
hinunter ins Städtchen geschickt, um mit ihnen zu speisen,
im schwarzen Frack und weißer Halsbinde. Berchtas Blick,
als sie den Speisesaal betrat, flog unwillkürlich von
einem zum anderen der beiden Geistlichen, denn obgleich
e i n e m Berufe angehörend, schien es doch kaum mög
lich, sich zwei verschiedenere Menschen zu denken.
Kästner war wirklich ein schöner Mann, kaum in den
dreißigen, mit offenem und ehrlichem Gesicht und vollem,
lockigem Haar. Er trug ein glattrasiertes Kinn, das
allerdings einen Ansatz zur Fülle zeigte, und einen star
ken, sorgfältig gepflegten Backenbart; nur hatte er etwas
Zartes, Weichliches in seinen Zügen, und eine Angewohn
heit, die Unterlippe leicht mit den oberen Zähnen zu
fassen, was ihm, besonders, wenn er manchmal die Augen
niederschlug, ein fast verlegenes Aussehen gab. Auch die
Weiße Halsbinde machte ihn vielleicht förmlicher erschei
nen, als er wirklich war. Er hatte dabei außerordentlich
weiße und zarte, fast frauenhafte Hände und ebensolche
Füße, und trug bei festlichen Gelegenheiten, z. B. heute,
auch glanzlederne, sehr eng anschließende Stiefel.
Der Missionsprediger war das gerade Gegenteil von
ihm. Er ging allerdings auch schwarz gekleidet, aber in
einen zugeknöpften Rock mit Stehkragen, aus dem nur
ein schmaler Streifen weißer Wäsche hervorsah. Er trug
dabei derbe, rindslederne Stiefel, und seine Hände wie
auch sein Antlitz waren sonngebräunt und knochig. Kästners hellbraunes Auge war schwimmend und weich;
s e i n e kleinen, grauen Augen blitzten lebhaft, oft fast
stechend, umher, wenn er jemanden scharf ansah. Seine
hohe, gewölbte S tirn , von spärlichen, schon graugemifchten Haaren eingefaßt, fing an, eine Glatze zu bilden, und
zeigte deutlich an der linken Seite eine breite, etwas röter
gefärbte und lange Narbe. Sein Gesicht war vollkommen
glatt rasiert, selbst ohne den geringsten Backenbart, und
die buschigen Augenbrauen gaben ihm manchmal, wenn
21
er sinnend vor sich niedersah, etwas Finsteres. Aber im
ganzen schien das seine Natur gar nicht zu sein; er war,
wie sich bald im Gespräch zeigte, lebhaft und mitteilend,
und nur um seine Lippen zog es sich manchmal wie ein
tiefer Schmerz, der aber in seinen übrigen Zügen nie
zum Ausdruck kam.
Der Diakonus hatte Johnson schon unten im S tä d t
chen, wenn auch nur flüchtig, begrüßt, und die beiden
Männer kannten sich also. M it innigem Wohlgefallen
ruhte aber des Missionspredigers Blick auf der reizen
den Gestalt Berchtas, als sie im Saale erschien. Die
Amazone von vorhin war verschwunden, und an ihrer
S ta tt ein echt weibliches, züchtig ehrbares Wesen
erschienen, das mit wahrhaft bezaubernder Liebenswür
digkeit den Platz der Hausfrau an der Tafel versah
Und dabei nur Auge für das Wohlbefinden ihrer Gäste
zu haben schien. .
Anfangs wollte das Gespräch nicht so recht in Fluß
kommen; es waren zu heterogene Elemente hier zusam
mengewürfelt, und es mußte erst ein gemeinsamer An
knüpfungspunkt gefunden werden, ehe man sich darüber
hinwegsetzen konnte. Aber Johnson selber lieferte ihn
durch die Mission, die ihn hierher geführt, durch seine
vielen Reisen, die er gemacht, das Wunderbare, Fremd
artige, das er dort gesehen, und der Baron begann end
lich das, was er hauptsächlich zu wissen wünschte, mit
einigen allgemeinen Fragen einzuleiten.
Wo Johnson hauptsächlich seinen Aufenthalt gehabt?
Der Missionsprediger zuckte mit den Achseln. „Mein
werter Herr," sagte er, „ich bin in meiner ganzen Lebens
zeit wie ein vom Winde umhergewehtes und getragenes
B latt gewesen, — ohne Ruhe, ohne Rast. Von jenem
Augenblick an, wo ich meine Studien in einem englischen
Missionskollegium beendete, — und das sind jetzt volle
dreißig Jahre — bis zu diesem, der einen Lichtblick in
meinem Leben bildet," fetzte er hinzu, und fast unwill
kürlich, ja vielleicht unbewußt, streifte sein Auge Berchtas
22
Gestalt, „war es mir selten, sehr selten vergönnt, von
mühevollen Wanderungen und Beschwerden auszuruhen.
Bald sah ich mich der heißen Sonne der Tropen, bald
dem Eis und den Schneestllrmen der kalten Zone aus
gesetzt, aber immer nur mit dem einen Ziel vor Augen:
die Lehre des Heilands zu verbreiten."
„Und waren S ie vielen Gefahren dabei ausgesetzt?"
fragte Berchta teilnahmsvoll, indem ihr Auge unwillkür
lich nach der Narbe auf seiner S tirn flog.
„Gott hat seine Hand wunderbar über mir gehalten,"
erwiderte der Missionar.
„Das muß ein tüchtiger Hieb über den Kopf gewesen
sein," bemerkte der alte Freiherr, der dem nämlichen Ge
dankengang der Tochter folgte, „und ist damals gewiß
hart am Leben vorbeigegangen."
„Es war ein blutiger Tag," sagte der Missionar,
wre in sich selbst zusammenschaudernd. „Ich erhielt den
Schlag von einem Wilden in Neuseeland mit einer Kriegs
keule. Aber nicht solche trübe Bilder möchte ich an so
freundlichem Tage vor Ihnen heraufbeschwören," brach
er kurz ab; „es sind die S c h a t t e n s e i t e n unseres
Lebens, das aber doch auch wieder viel, viel des Freu
digen und Erhebenden dafür bietet."
„Sie haben gewiß so schöne Länder gesehen," sagte
Berchta, die kein Thema länger berühren wollte, das
dem Gaste selber peinlich schien, „jene wunderherrlichs
Inselwelt. O, welch ein Zauber muß darüber liegen!"
„Allerdings ein Zauber," nickte der Missionar, dessen
Züge sich bei diesen Worten wieder aufhellten. „O, mein
gnädiges Fräulein, wenn es Ihnen je vom Himmel beschieden wäre, jenes wunderbare, herrliche Land zu sehen!
Worte sind da nicht imstande, das auszudrücken, was man
empfindet; aber noch weiß ich mich der Zeit zu erinnern,
wenn auch viele, viele Jahre seitdem verrannen, wo ich
zum erstenmal jenes Pardies erblickte und keinen anderen
Ausdruck dafür hatte, als Tränen, Tränen des innigsten
23
Dankes, daß mich Gott vor Tausenden so bevorzugt, seine
schönsten und herrlichsten Wunder anzustaunen."
„Und sind jene Länder wirklich so herrlich in ihrer
Szenerie, wie wir es so oft in Reisebeschreibungen lesen?"
fragte der Freiherr. „Ich habe immer geglaubt, daß die
guten Leute, unter dem Eindruck von etwas ganz Frem
dem und Ungewohntem, da ein wenig übertreiben oder
doch ihren eigenen Gefühlen zu viel Rechnung tragen."
„Ich weiß nicht," sagte der Missionsprediger, „auf
welche Reisebeschreibungen S ie sich beziehen, aber ich be
zweifle von ganzer Seele, daß irgend eine Feder der
Welt imstande wäre, d a s wiederzugeben, was dort
Gottes Hand verschwenderisch ausgebreitet. Es ist nicht
möglich! Ein Mensch kann die palmengekrönten Küsten,
die donnernde Brandung der Riffe, die kühn geschnittenen
Bergkuppen, den grünen Wald und den blauen Himmel,
die lauschigen Wohnungen, die Fruchthaine und tausend
andere Dinge auf das genaueste und gewissenhafteste
schildern; aber den Duft, der über dem Ganzen liegt, die
blitzenden Farben, das Aroma, von dem die Lüste durch
drungen sind, vermag er nicht wiederzugeben. Es ist
gerade so, als ob ich auf einem Stück Leinwand einen
Chimborasso oder Himalaja malen wolle; ich bin viel
leicht imstande, dem Beschauer einen annähernden Be
griff von der riesenhaften Größe jener Bergkolosse zu
geben, aber ein richtiges Bild? — nie im Leben."
„ In der Tat," nickte der Herr von Schölfe — „und
wenn S i e das sagen, der S ie doch ein ruhiger, nicht
eben exzentrischer Mann scheinen, muß das wirklich etwas
Absonderliches sein. Aber wie ist es auf jenen Inseln
mit der Jagd?"
Der Missionsprediger lächelte. „Ich muß wirklich
gestehen, verehrter Herr," sagte er, „daß ich selber kein
Jäger bin und mich also auch nie der Jagd in jenen
Bergen zugewendet habe; doch weiß ich bestimmt, daß
es auf sehr vielen wilde Rinder, Ziegen und Schweine
gibt, die von früheren Seefahrern dort ausgesetzt wurden
und dann, was ihre Wildheit betrifft, allerdings nichts
zu wünschen übriglassen. Die Jagd selber ist aber in
solchen tropischen Wäldern außerordentlich beschwerlich
und uns Volkslehrern blieb wirklich keine Stunde rleit'
um sie daraus zu verwenden."
„Und was sind die dortigen Insulaner für Menschen?"
fragte der Freiherr.
„Mein werter Herr," sagte der Missionsprediger,
^d r e Frage ist allerdings so allgemein gehalten, daß sie
^hnen kein Mensch direkt beantworten könnte. Die Ein
geborenen jeder Inselgruppe, von denen es eine große
Menge gibt, haben nicht allein andere Sitten und Ge
brauche eine andere Religion, einen anderen Charakter
wndern selbst auch nicht selten verschiedene Farbe. Im
ganzen kann inan aber doch nur ein günstiges Urteil über
^llen, die sich sehr häufig
Z ^ r g t haben und auf manchen Inseln mit
Begierde die Religion ergriffen, ja selber mit weiter
verbreiten halfen. Auf anderen ist es uns schwerer geworden, und verschiedene Gruppen existieren noch,
selbst bis auf die heutige Stunde, wo die Bevölkerung
sich hartnäckig weigert, den Segen des Christentums an
zunehmen. Aber wir dürfen nicht nachlassen im guten
Werke: Gehet m alle Welt und lehret alle Heiden! Das
ist das Motto, das Gott uns aus das Schild geschrieben,
und um das schwere und edle Werk zu fördern, mache ich
jetzt die Rundreise durch Deutschland. Unsere Missionare
setzen wohl ihre Gesundheit, ja ihr Leben für die gute
Sache ein, sie entbehren da draußen alles, was hier dcr
Mensch zum täglichen Leben fast unentbehrlich hält- ober
ste sind arm wie die Jünger Jesu, die damals in die
Welt zogen. Wir brauchen Druckschriften und Drucker
pressen, ja selbst den Bedarf für das tägliche Brot; wir
müssen kleine Fahrzeuge unterhalten, die unsere Missio
nare von einer Insel zur anderen führen, um unsere
Filiale zu revidieren oder neue zu gründen. Wir brau
chen Tauschartikel, um dadurch das Notwendige zum
25
Leben von den Eingeborenen selber zu erhalten, da man
auf sehr vielen Inseln nicht einmal den Begriff des
Geldes kennt. Und selbst die Reise dorthin macht viele
Kosten, nicht allein für die Missionare selber, sondern
auch für ihre Familien. Zu entschieden hat sich da näm
lich die Notwendigkeit herausgestellt, in den Frauen der
selben den Frauen der Eingeborenen Lehrerinnen zu
gebeu, die sie auf ein zivilisiertes, christliches Leben nicht
allein vorbereiten können, sondern ihnen auch durch ihren
Wandel als gute und Nachahmungswerte Beispiele vorleuchten. Doch das sind alles Sachen, verehrter Herr, die
ich in meiner morgigen Predigt näher und ausführlicher
entwickeln werde; es würde S ie hier nur ermüden, wollte
ich jetzt weitläufig daraus eingehen."
„Und fallen selbst jetzt noch Kämpfe unter den Ein
geborenen vor?" fragte Berchta, die mit der gespanntesten
Aufmerksamkeit den Worten des fremden Mannes ge
lauscht hatte.
„Allerdings, mein gnädiges Fräulein," erwiderte der
Missionar, „aber weit weniger in den Distrikten, welche
wir unserem Glauben gewonnen haben, als in denen, in
welchen noch blinder Aberglaube herrscht. Manche Insel
gruppen, z. B. den Archipel von Hawaii haben wir —
ich kann wohl mit Recht sagen, vollkommen zivilisiert,
und seit Jahren ist dort keine Streitaxt erhoben, kein
Schuß abgefeuert worden."
„Welche Wohltat für die armen Menschen!" flüsterte
Berchta.
„Wohl eine solche — in der T at!" nickte der Missions
Prediger, „aber kein Mensch weiß auch, was jene wackeren
Leute, die sich einer solchen Unternehmung widmeten,
auszustehen hatten; ja sie werden noch von vielen Seiten
angefeindet und verdächtigt. Wie traurig ist allein ihr
häusliches Leben, wenn sie nicht glücklich genug waren,
von daheim ihre eigene Frau, ihre Familie mitzu
bringen!"
26
„Aber warum heiraten sie da nicht eine von den
Landestöchtern?" fragte der Freiherr.
„Es soll ein
schöner Menschenschlag sein."
„Das geht nicht," schüttelte der Missionar mit dem
Kops. „Es ist uns auch von dem Kollegium selber, wenn
auch nicht gerade untersagt, doch angedeutet worden,
welche fatale Konsequenzen das nach anderer Richtung
haben könnte; und die Herren waren da in ihrem vollen
Recht," setzte er nach kurzer Pause hinzu. „Die Frau des
Mrssionars soll Mitlehrerin, nicht Schülerin sein, und
gerade in dem Nimbus, den wir uns dadurch bewahren,
sichern wir uns einen großen Teil unserer Erfolge."
„Dann müssen also die Missionare, die ohne Frau
hinubergehen, unverehelicht bleiben?" fragte der Freiherr.
„Nicht immer," erwiderte der Missionar. „Mit
einigem Erfolg haben wir doch bewirkt, daß dann und
wann brave und gottesfürchtige Jungfrauen den aller
dings kühnen Schritt wagten und hinaus zu einem solchen
einsamen Bruder zogen, um seine treue Hausfrau zu wer
den und seine schweren Pflichten mit ihm zu teilen."
„Ohne ihn zu kennen?" rief Berchta erstaunt.
„Allerdings, ohne ihn zu kennen," erwiderte John
son; „es erfordert freilich vielen Mut. Fast immer ge
hören jedoch diese, wenn auch tugendhaften Wesen, den
unteren Ständen an — Töchter von Handwerkern zum
großen Teil, die auch solch ein Los als eine Art von
Versorgung betrachten, und der arme Missionar muß
trotzdem noch froh sein, daß er wenigstens eine Lands
männin gefunden hat, die — wenn sie auch nicht auf dem
nämlichen Bildungsgrad mit ihm steht — doch in Freud'
und Leid bei ihm ausharren will."
„Welch ein eigentümliches Verhältnis!" sagte Berchta
sinnend. „Und ganz allein zogen sie in die Welt hinaus,
fern von ihrer Heimat fort, ohne Eltern und Geschwister,
nur um dort ihre Hand in die eines vollkommen fremden
Mannes zu legen? Es ist kaum denkbar!"
27
„Und weshalb nicht?" sagte der Missionsprediger
freundlich. Weshalb sollen Frauen nicht den nämlichen
M ut zeigen wie Männer, wenn es gilt, einer Sache zu
dienen, die man erst einmal für gut und edel erkannt
hat? Und welcher schöne, herrliche Wirkungskreis blüht
ihnen nicht da drüben unter den Töchtern des Landes,
auf welche der Missionar selber nur durch die Männer
des Stammes seinen Einfluß ausüben könnte, und mit
denen sie dann direkt Verkehren und glückliche Familien
um sich emporwachsen sehen! Sie, mein gnädiges Fräu
lein, sind allerdings in anderen Verhältnissen erzogen;
S ie ahnen noch gar nicht, welchen Segen ein weibliches
Herz über seine Umgebung ausgießen kann, wenn es sich
opferfreudig selbst dem schwersten unterzieht.
„Und wie leben überhaupt die Frauen dort?" fragte
der alte Freiherr, den diese wunderlichen Ehestandsver
hältnisse nicht besonders interessierten, und der gern mehr
von den Eingeborenen des Landes hören wollte. John
son ging auch gern darauf ein, und erzählte jetzt auf
so einfache, aber wirklich höchst anziehende Weise von
den Eigentümlichkeiten der dort lebenden verschiedenen
Stämme, daß sie ihm alle gespannt lauschten, und das
Gespräch erst zum Schlüsse allgemein wurde, wo ver
schiedene Fragen und Bemerkungen herüber und hin
über wechselten.
Diakonus Kästner hatte im Ansang fast gar keinen
Anteil an der Unterhaltung genommen, sondern nur mit
großer Aufmerksamkeit die Erzählung des Missionars
verfolgt und dann und wann durch eine geschickt einge
worfene Frage dessen Erklärungen bald auf diesen, bald
auf jenen Punkt gelenkt. Zigarren wurden jetzt herum
gereicht, aber der Missionsprediger rauchte nicht, er trank
auch fast keinen Wein oder doch nur mit Wasser verdünnt,
und schien überhaupt an ein sehr mäßiges Leben ge
wöhnt —- Wohl die natürliche Folge eines langen Auf
enthaltes in wilden Ländern und unter daraus folgen
den Entbehrungen aller Art.
28
Bald nach Tisch empfahl er sich aber, da er noch
hinunter m das Städtchen wollte, um mit dem durch
Unwohlsein an sein Zimmer gefesselten Geistlichen man
ches zu bereden. Die kleine Gesellschaft blieb jedoch in,
salo n , denn zu viel neue und fremdartige Eindrücke
ivaren ihr geboten worden, um diese nicht, wo sie noch so
frisch^rn ihrem Gedächtnis lagen, weiter zu verfolgen.
So saßen sie noch beisammen, als drunten im Hof
klappernde Husschläge gehört wurden; der Freiherr drehte
den Kopf danach um, und Klaus, der mit im Zimmer
ferviert hatte und jetzt eben damit beschäftigt war, eine
frische ^laiche Bordeaux aus den Lisch zu stellen, trat zum
Fenster, um zu sehen, wer da gekommen wäre. Sein
ganzes Gesicht leuchtete aber aus in demselben Augenblick
und schmunzelnd sagte er:
„Der junge Herr Baron! Das ist gescheit!"
.
Franz?" rief der alte Freiherr, beide Arme aus
den Tisch stemmend.
„Gewiß! auf emem Prächtigen Rappen!" rief Klaus
„Und wie er geritten sein muß! Schade, daß er nicht ein
bißchen früher gekommen ist," setzte er dann halblaut
und mehr zu sich selber redend hinzu.
„Ei, wo kommt der Wetterjunge her?" rief der alte
Baron, erfreut von seinem S tuhl aufspringend; aber es
blieb ihm kaum Zeit, zum Fenster zu gehen, als die T ür
schon^aufgerisssn wurde, denn Franz, wie er nur einem
der Stallknechte den Zügel zugeworfen, war in wenigen
Sätzen die Treppe hinausgeflogen und wurde jetzt mit
Jubel von dem Onkel und Berchta empfangen.
Franz war der älteste von seines Bruders Söhnen,
eine edle, männliche Gestalt, dabei immer heiter, oft aus
gelassen, ja wild, aber seelengut von Herzen und eigent
lich der Liebling des alten Barons, der ihn auch als
Kind oft jahrelang in seinem eigenen Hause gehabt und
Mit erzogen. Franz und Berchta waren deshalb auch
überdies ja schon Geschwisterkinder — wie Bruder
und Schwester mitsammen ausgewachsen.
29
„Junge," rief ihm der Alte entgegen, indem er ihn
in die Arme schloß, „du triffst gerade zur rechten Zeit ein,
um zu spät zu kommen. Wir sind eben mit dem Essen
fertig."
„Tut nichts, Onkel," lachte Franz, „für mich wird
schon noch em kalter Im biß da sein. Berchta, mein
Schatz, wie geht es dir? Aber ich brauche nicht zu fragen:
frisch und blühend wie eine Rose!" bind seinen Arm nur
ihre Taille legend, drückte er einen Kuß auf ihre Lippen
die sie ihm willig bot. I n dem Augenblick sah er den'
Diakonus, gegen den er sich aber nur förmlich
neigte.
„Also den Braten noch einmal heraus, Klaus, aber
ein wemg schnell und ein frisches Glas hierher!"
„Hallo, Klaus, mein alter Bursche, wie geht's?"
rief Franz, ihm die Hand entgegenstreckend.
„Danke untertänigst, Herr Baron," schmunzelte der
alte ^äger, „famos geht's, solange die alten Knochen
eben noch aushalten."
„Alte Knochen?" lachte Franz. „Wer weiß, ob du
uns nicht noch alle zu Grabe trägst!"
„Das verhüte Gott!" sagte der Alte ernst, „ich
möchte es ^zhnen und m i r ebensowenig wünschen!"
„Aber was führt dich so Plötzlich her, Franz?" rief
der alte Baron, während Klaus das Zimmer verließ,
„komm, setz dich, Junge, und schenke dir einmal vor allen
Dingen ein. Dort neben dir steht noch ein reines Glas.
Unser Herr Johnson hat getrunken, als ob er Vorsteher
irgend eines Mäßigkeitsvereins wäre."
„Was mich herführt?" sagte der junge Mann, der
Einladung ohne weiteres Folge leistend, indem sein Blick
aber doch, halb unbewußt, nach dem Diakonus hinüber
flog, „reine Familienangelegenheit, Onkel, die wir nach
her besprechen. Vorderhand werde ich einmal einen
Schluck Wein trinken, denn ich bin durch den R itt wirk
lich durstig geworden."
30
Diaconus Ä'ästner hatte den Blick aufgefangen,
so flüchtig er gewesen, und die nachherige Andeutung
daß eine Familienangelegenheit zu besprechen wäre, ge
nügte ihm vollkommen. Er wendete sich gegen den FreiHerrn und sagte dabei freundlich:
„Sie entschuldigen mich wohl, Herr Baron, wenn ich
unserem Herrn Johnson hinuntersolge. Es ist aus mor
gen noch manches zu besprechen, wobei meine Gegenwart
notwendig sein könnte."
„Mein lieber Kästner," rief der Baron, „machen Sie
llmstänöe. ^Die Missen, üaA S ie bei mir Mie zu
Hause sind."
Der Diakonus nahm seinen Hut, sprach noch leise
einige Worte mit Berchta, und verließ dann mit ehr
furchtsvollem Gruß das Zimmer, während ihm Baron
Franz wohl vornehm höflich dankte, seiner Gestalt aber
mit eben nicht freundlichen Blicken folgte.
" ^ " 6 einmal, Onkel," begann er auch, wie jener
die T ür hinter sich zugezogen hatte, „du hast dir wohl
ern ganzes Nest von solchen Schwarzröcken eingeladen?
Schlosse begegnete ich ebenfalls einem
ältlichen Herrn, der ganz in das Fach zu schlagen
schien."
„Es war ein Missionsprediger, der morgen früh hier
Predigen will," erwiderte der Freiherr. „Aber was ist
das für eine Familienangelegenheit, die dich hierher ge
führt? Doch nichts Unangenehmes, wie ich hoffe?"
„Ich denke nicht," lachte Franz von Schöffe, bei d e r
Frage alles andere vergessend. „Ich bin glücklicher Bräu
tigam, Berchta!"
„ I n der T at?" rief diese, „und mit wem?"
„M it Selma von Hohenstein, euren Nachbarn fast."
„M it Selma von Hohenstein?" rief Berchta er
staunt aus.
„Nun sage mir um Gottes willen, Franz, wie kommst
du d a z u ? "
31
„Das möchte ich auch fragen/' schüttelte der Baron
mit dem Kopf. „Höre. Junge, ich fürchte fast, ihr beiden
paßt nicht recht zueinander. Du bist ein halber Heide
und sie ein tief religiöses, fast schwärmerisches Wesen.
Ich begreife auch, aufrichtig gestanden, gar nicht, daß sie
dir nur ihr Jaw ort gegeben hat."
„Ist es nicht ein prächtiges Mädchen?" lachte Franz.
„Das ist sie," bestätigte der Onkel, „aus guter
Familie, dabei reich, hübsch, klug und auch gut von Her
zen; ich kenne sie ja von klein auf. Doch in euren An
sichten geht ihr weit auseinander."
„Sage mir nur, Franz," bat Berchta, „wie ihr euch
habt kennen lernen, und daß selbst wir, die nächsten Nach
barn, nichts davon erfuhren."
„Die Sache ist sehr einfach, mein schönes Bäschen.
Hohensteins waren Loch kürzlich in Berlin, nicht wahr?"
„Allerdings."
„Schön. Dort trafen wir einander, denn bekannt
sind wir ja schon als Kinder miteinander gewesen, und
da zufällig einmal das Gespräch auf Religion kam, und
ich dabei vielleicht einige Ansichten entwickelte, die ihr
Besorgnis für mein künftiges Seelenheil einflößten, so
ging sie scharf an die Arbeit, um mich zu bekehren."
„Und ist ihr das gelungen?" fragte der Baron
trocken.
„Leider nicht," seufzte Franz. „Mit dem regen
Interesse für mich aber geweckt, und da sie doch wohl
einsehen mochte, daß der kurze Aufenthalt in der Residenz
kaum ausreichen würde, um ihr Liebeswerk zu beenden,
scheint sie beschlossen zu haben, die Sache radikal anzu
greifen und mich zu heiraten."
„Du spottest, Franz," sagte Berchta ernst.
„Wahrhaftig nicht, Schatz!" rief ihr Vetter. „Dort
erklärten wir uns allerdings noch nicht, aber das liebe
Ding wollte mir nicht wieder aus dem Kopf. Gar so
herzlich hatte sie zu mir gesprochen, und eine solche Sorge,
32
solche Angst um mich gezeigt, daß ich von der Zeit an
gar nichts weiter denken konnte, als nur eben an s i e ,
und da der Vater außerdem in mich drängte, mir nun
endlich einen Hausstand zu gründen, packte ich gestern
aus, reiste in einem Strich nach Hohenstein und habe
gestern abend um ihre Hand angehalten und sie be
kommen."
„Alle Wetter, das ging rasch — "
„Heute morgen litt es mich nun nicht länger, euch
wenigstens hier zu sehen und die srohe Kunde mitzuteilen,
und da Selm a überdies aus Besuch zu einer Tante mußte
und zwei Tage ausbleiben wird, benutzte ich die Zeit und
ritt herüber. Voüa tont!"
„Und glaubst du wirklich, Franz," sagte Berchta
bewegt, „daß ihr beide zusammen passen werdet?"
„Und warum nicht, Schatz?" lachte der leichtherzige
junge Mann. „Entweder sie bekehrt mich, oder ich sie.
Wenn wir nur einander lieb haben, das andere findet
sich nachher schon von selber, und ich bin fest überzeugt,
glücklich mit ihr zu werden."
„Das gebe Gott!" nickte Berchta.
„Und meinen Segen hast du auch, Franz," sagte der
alte Freiherr, „wenn ich auch Berchtas Befürchtung halb
und halb teile. Aber das ist d e i n e Sache; du mußt
sehen, wie du mit ihr fertig wirst. Übrigens, wenn deine
Verlobte aus Besuch ist, bleibst du doch Wohl kurze Zeit
bei uns?"
„Wenn I h r mich haben wollt, heute und morgen.
Übermorgen früh muß ich aber wieder nach Hohenstein
zurück."
„Schön, mein Junge; dann soll dir Berchta dem
Zimmer gleich in Ordnung bringen lassen," nickte der
Onkel; „du wirst wieder in deiner alten Stube ein
quartiert."
33
3.
Die MissioiiSpredigt.
Der nächste Morgen brach an, und mit ihm kam ein
ganz eigenes, reges Leben in das sonst so stille Rothenkirchen, denn Johnson, der Missionsprediger, war noch
am vorigen Tage außerordentlich tätig gewesen und hatte
Boten nach allen benachbarten Dörfern ausgeschickt, um
seinem Vortrug über jene „Heimat über dem Meer", wie
er es nannte, die weiteste Verbreitung zu geben. Er
schien auch damit einen ganz außerordentlichen Erfolg zu
erzielen, denn wenn sich viele Menschen vielleicht —- so
bald sie erst genau erfuhren, um w a s es sich hier han
delt — wohl nicht besonders für die Missionen inter
essiert haben würden, so lockten die große Mehrzahl
doch schon die Worte an: „Die Heimat über dem Meere."
Viele von ihnen hatten Söhne oder nahe Verwandte
in Amerika, andere trugen sich selber mit stillen Gedan
ken einer möglichen Auswanderung, wenn sie es auch noch
gegen niemanden eingestanden hatten. S ie wollten wenig
stens einmal h ö r e n , wie es da drüben aussehe, und
das konnte ihnen natürlich kein Mensch besser sagen, als
ein solcher Mann, der lange selber in jenen Ländern
gelebt und dann natürlich die Verhältnisse doch auch
genau kannte.
S ie zogen deshalb scharenweise nach Rothenkirchen
hinüber, und die ziemlich geräumige Kirche dort faßte
kaum die Zahl der Zuhörer, die sich Kopf an Kopf in dem
weiten Raum drängten.
Und dahinein trat Johnson, in seinem schlichten
schwarzen Rock, mit der hohen S tirn und den klugen
Augen, die ganze Gestalt edel und von dem Gefühl ge
tragen, ein Werk zu fördern, dem er sein ganzes Leben
gewidmet, für das er alles geopfert, was er sein nannte.
Konnte man es ih m gerade da verdenken, wenn er
k l e i n e , unbedeutende Opfer von anderen forderte?
F r . G ersiLcker, Die Missionare.
3
34
J a , konnte man solche Unterstützung selbst nur ein
O p f e r nennen?
Als er mit seiner ruhigen, klangvollen Stimme, die
den ganzen Raum vollständig ausfüllte, begann, herrschte
Totenstille in dem Gebäude. Er schilderte jene herrliche
Welt der Südsee, jene stillen, von Korallenriffen um
gürteten, von brandenden Wogen umschäumten Palmenhaine und Fruchtgärten, jenes blaue Meer und die mäch
tigen, bewaldeten Kuppen der Berge — ein Paradies
auf Erden, aber mit der H ö l l e in ihrem Herzen und
der Fluch blinden Heidentums schwer und verderblich aus
dem Paradiese lastend.
Er beschrieb mit grellen, furchtbaren Farben die
Menschenopfer, die man hölzernen Götzen schlachtete; er
schilderte mit einer Wahrheit, die seine Zuhörer schaudern
machte, die Kindesmorde, die von unnatürlichen M üttern
verübt wurden, weil das heidnische Gesetz sie dazu zwang.
Er sprach von den Tausenden und Tausenden unschuldiger
Kinderseelen, die dort selbst jetzt noch in jenen unheil
vollen Gebräuchen auferzogen würden, und selbst je tz t
noch gerettet werden könnten, wenn eben christliche
Prediger ihre Pflicht erfüllten und den Heiden das wahre
Wort brächten. Und nun ging er aus die Missionen
selber über, auf den kühnen M ut, mit dem sie in ein
fernes, unbekanntes Meer, zwischen wilde, kriegerische,
grausame Volksstämme ausgezogen wären, um nach des
Heilands Vorschriften seine Lehre zu verkündigen. M it
welchen Gefahren und Entbehrungen sie dort zu kämpfen
gehabt, wie sie oft allein, nur unter dem Schutz des
Höchsten, dagestanden hätten zwischen erhobenen Opfer
beilen und geschwungenen Keulen; wie viele dabei auch
den fremden Boden, dem sie ja nur den Frieden und das
Heil bringen wollten, mit ihrem Blute gedüngt hätten.
J a selbst zu Opfern waren sie selber verwendet und ihre
zerstückten Glieder von den Kannibalen gebraten und ver
zehrt worden. Aber dennoch folgten ihnen andere; keine
Schrecken konnten sie zurückhalten. Mutig gingen sie
36
allem entgegen, und wie die Wahrheit überall doch zuletzt
siegen muß, so ruhten sie auch nicht eher, bis sie selbst
auf s e n e m Boden Wurzel faßten.
Nun ging er zu der Wirksamkeit der Missionare
über, wie sie nach und nach doch einen kleinen Teil der
Wilden ihrem Glauben gewonnen und mit deren Hilfe
sich weiter auszubreiten suchten; wie sie Kirchen bauten
und Schulen errichteten, wie sie die Insulaner nützliche
Gewerbe lehrten und die Taten des Friedens verbrei
teten. Aber ihre Kämpfe waren deshalb noch lange
nicht vorüber. Feindliche und heidnische Horden, in der
wahnsinnigen Meinung, ihre gestürzten Götzen zu rächen,
überfielen die jetzt wehrlosen christlichen Stämme, so daß
diese in ihrer Verzweiflung, und nur um ihr Leben und
das ihrer Familien zu retten, zu den Waffen greifen
mußten — aber die Wahrheit siegte dennoch. Der Glaube
hatte Wurzeln gefaßt auf den Inseln und konnte nicht
wieder ausgerottet werden, und jetzt lag es an Europa,
an der alten Welt, die neue in ihren Bemühungen zu
unterstützen und da nur hilfreich die Hand zu reichen,
wo kühne und fromme Männer schon Leib und Leben
gewagt hatten, um ihr schönes Ziel zu erreichen.
Von jetzt ab schilderte er nur die stille Tätigkeit
in den kleinen, von den Missionaren angelegten Kolonien,
ihren Fleiß und ihr Streben, aber auch den Mangel, dem
die Eingeborenen anheimgegeben wären. Auf nichts
waren sie ja vorbereitet, um jetzt auf einmal in ein
gesittetes Leben überzutreten. Ih re Tracht stand im
Widerspruch mit den Gesetzen der Sittlichkeit; Kennt
nisse besaßen sie gar keine; wie Kinder mußten sie her
angezogen und gekleidet werden, wie hilflose Kinder, die
sie, wenn auch nicht an Körper, doch sicher an Geist waren.
Aber lernbegierig hatten sie sich gezeigt, und bei der
Masse der Zuströmenden, die Belehrung verlangten, fehlte
es noch immer an Lehrern, besonders an Lehrerinnen;
waren ja doch auch fast nur junge Missionare all' diesen
Gefahren begegnet, da sie, wenn sie anch ihr eigenes
3*
36
Leben nicht achten wollten, doch nicht wagen durften,
mit Frauen und Kindern in ein Land zu ziehen, wo jede
Nacht das Schlachtgeheul der Wilden ihre Hütte umtoben
und feine Opfer fordern konnte. Um aber Lehrer und
Lehrerinnen dort hinüber zu senden, brauchte man Geld,
denn diese mußten auch mit allem Nötigen ausgestattet
werden. Selbst das kleinste Scherflein war deshalb will
kommen, und wo einzelne nicht imstande seien, wirklich
bares Geld zu missen, da erbot sich die Missionsgesellschast, auch andere Liebesgaben zu übernehmen und sicher
an den O rt ihrer Bestimmung zu befördern. Wenn noch
irgend jemand nähere Auskunft über die Art dieser
Sammlungen haben wolle, so sei er selber gern erbötig,
sie ihnen heute nachmittag in Rothenkirchen zu geben.
Der Schluß der Predigt klang, gegen den glühenden
Anfang und die begeisterte Schilderung der dortigen Zu
stände, da er fast nur von Geschäftssachen handelte, ein
wenig nüchtern; aber es ließ sich das auch eben nicht
vermeiden. Er konnte ja das nicht unerwähnt lassen,
was der Hauptzweck seiner ganzen Reise und Wanderung
war: Propaganda für die Mission zu machen und ihre
Zwecke durch Sammlungen zu fördern.
Wenn sich nun Johnson auch nicht gerade rühmen
durfte, auf die M ä n n e r , die noch dazu größtenteils
einen anderen In h a lt der Predigt erwartet hatten, einen
besonders tiefen Eindruck hervorgebracht zu haben, so
war das dafür um so entschiedener mit den Frauen der
Fall, die bei der ganzen Rede fast zu Tränen zerflossen
und mit oft peinlicher Spannung gerade d e n Schilde
rungen folgten, die über das Familienleben der Indianer,
über die armen und nur zu oft hingemordeten Kinder
handelten. Ih re weichen Herzen faßten das Schreckliche
solcher Zustände nicht allein auf das lebendigste auf, son
dern malten es sich auch vielleicht noch in übergrellen
Farben aus, und o, wie gern hätten sie da geholfen, wenn
es nur in ihrer Macht gestanden! Aber w a s sie tun
k o n n t e n , — dazu waren sie fest entschlossen — woll-
37
ten sie auch sicher tun, und als die Predigt zu Ende war,
sammelten sich die Frauen (während die Männer in die
Taschen griffen und manchen harten Taler in das für
die Mission aufgestellte Becken warfen) vor der Kirche
auf dem freien Plan und besprachen in lebendigen Grup
pen das eben Gehörte, ja warteten ungeduldig auf den
Moment, wo sie den fremden Geistlichen sprechen und
seinen Rat hören konnten, wie sie es am besten anfangen
sollten, seinen Wunsch zu erfüllen und sich an der Mission
zu beteiligen.
I n dem besonders abgeteilten „Stuhl" in der Kirche
— ein großer, logenartiger Raum, in welchem Wohl
zehn Personen Platz fanden und der nach Schloß Schölfenstein gehörte — hatte sich denn auch die freiherrlich
Schölfesche Familie eingefunden. Selbst Franz war mit
gekommen, um den berühmten Missionsprediger zu hören,
dessen Lob schon in den verschiedensten Zeitungen gestan
den, und von dessen Tüchtigkeit er sich selber gern über
zeugen wollte. Und selbst Franz war von der Beredsam
keit des Mannes hingerissen worden, denn er schilderte
wirklich mit einer Lebendigkeit, die das, wovon er sprach,
wie vor den Augen der Hörer heraufzauberte.
Als sie aus der Kirche traten, kam Johnson auf sie
zu und bat sie, ihn heute zu entschuldigen, wenn er nicht
oben beim Diner erschiene. Er habe jetzt so viel hier
unten zu tun, so viel Fragen von oft weit hergekommenen
Leuten zu beantworten, daß er nicht gut abkommen könne.
Er mischte sich dann auch augenblicklich unter die
Leute, die ihn von allen Seiten umdrängten, und freund
lich mit ihnen redend, schritt er langsam dabei der großen
Linde zu, unter welcher er den Sammelplatz bestimmt
hatte.
„Hör' einmal, Berchta," sagte Franz, als sie zu
sammen den Schloßberg Hinaufschritten und er dabei der
Base den Arm gereicht hatte, „weißt du Wohl, daß ich
sehr froh darüber bin, daß Selm a heute morgen nicht bei
uns war und die Predigt mit angehört hat?"
38
„Und weshalb, Franz?" fragte das fange Mädchen,
indem sie die Angen voll zu ihm aufschlug. Berchta war
überhaupt recht still geworden und schritt, eine lange
Strecke sinnend und ihren eigenen Gedanken nachhängend,
neben Franz her.
„Das will ich dir sagen," erwiderte Franz, „wer! sie
überdies schon Feuer und Flamme für dies Missionswesen
ist und nach der Rede heute morgen ihr Herz ganz daran
hängen würde. Das ist ein famoser Bursche, dieser alte
Prediger, und hat die Gabe der Rede in hohem Grade.
Wenn ich etwas im Staate zu sagen hätte, ließe ich den
auch bei Gott nicht herumziehen, denn er k a n n Unheil
anrichten."
„Unheil, Franz?"
„Allerdings," nickte dieser; „denke dir nur, wenn ern
leicht exaltiertes und überhaupt schwärmerisches Wesen,
wie Selma solche Dinge mit solcher Beredsamkeit vor
führen hört, so sind die Folgen ganz unberechenbar, und
wenn sie auch nicht gerade selber aufpackt und als Misstonärin hinauszieht, so wird sie doch aus Jahre nichts
weiter im Kopfe haben, als Strümpfe für barfüßige
Heidenkinder zu stricken, Röcke zu nähen oder Sam m lun
gen zu veranstalten, und damit eine ganze Nachbarschaft
unbehaglich machen."
„Und täte sie damit nicht ein gutes Werk, Franz?
„Bah, fang du nicht etwa auch noch an, Bäschen,"
sagte der Vetter; „meine Meinung ist, daß wir jenen
sogenannten „blinden Heiden" einen viel größeren Ge
fallen täten, wenn wir sie ruhig und zufrieden ließen;
eingeladen haben sie uns wahrhaftig nicht, um zu ihnen
zu kommen."
„Alle Wetter, Kinder," sagte in diesem Augenblick
der Freiherr, der eine kurze Strecke mit dem Verwalter
zurückgeblieben war, um einiges mit ihm zu besprechen,
und sich jetzt den beiden jungen Leuten wieder anschloß,
„hat unser geistlicher Herr von der Mission aber ein
Mundwerk am Kopfe. Allen Respekt; der kann wahrlich
39
das Blaue vom Himmel Herunterreden, und nur ist ein
paarmal selber, wie er von den Kindermorden sprach und
sie beschrieb, siedendheiß dabei geworden. Es geht doch
eigentlich wunderlich in der Welt zu, und wir, die wir
hier in vollkommen geregelten Verhältnissen sitzen und
darin aufgezogen sind, merken gar nichts davon und
wissen noch viel weniger darüber."
„Ich bin fest davon überzeugt, daß er furchtbar über
trieben hat," sagte Franz.
„Ich weiß nicht," meinte der Freiherr achselzuckend;
„weshalb sollen solche Sachen nicht vorgekommen sein
und vielleicht noch vorkommen? Möglich ist's immer,
und es bleibt nur die Frage, ob die Missionare das än
dern können. Das Land ist weit, und überall können
sie doch nicht sein. Heute abend muß er uns übrigens
erzählen, bei welcher Gelegenheit er den Hieb über den
Kopf bekommen hat. Er scheint freilich nicht gern davon
zu sprechen."
„Weshalb bist du denn so still, Berchta?" fragte
Franz seine schöne Begleiterin. „Fehlt dir etwas?"
„M ir? nein," sagte das junge Mädchen, wie aus
tiefen Gedanken auffahrend, „ich dachte nur eben über
so manches nach, was der Missionar heute gesprochen.
Es ist doch eine vollkommen neue Welt, die uns da er
schlossen wird, und in die wir uns eigentlich erst hinein
leben müssen."
„Ich sehe dafür die Notwendigkeit gar nicht ein,
mein schönes Bäschen," erwiderte Franz; „wir alle haben
dort gar nichts zu tun und zu suchen, und wenn wir
uns mit der Verbesserung und Veredelung unserer M it
menschen ernstlich beschäftigen wollten, glaube ich, fänden
wir daheim hinreichende Arbeit. Zehn gegen eins, unser
Missionar zieht durch seine heutige Predigt aus Rothenkirchen und der Nachbarschaft ein Kapital heraus, das
u n s e r e n Armen hier weit besser zu statten gekommen
wäre und jetzt zu einer Verwendung, über die wir gar
keine Kontrolle haben, in fremde Länder wandert."
40
„Du könntest recht haben, mein Junge," sagte der
alte Freiherr, „denn ich selber bin willens, dafür zu zeich
nen; aber wer weiß denn, welchem armen Teufel mit
brauner Haut die Sache zugute kommt, und ob sie's dort
nicht ebenso notwendig und vielleicht noch viel notwen
diger gebrauchen, als wir hier. — Aber da sind wir, und
ich muß dir gestehen, daß ich hungrig geworden bin.
Johnson wird wahrscheinlich unten beim Geistlichen essen."
„Der sieht mir gar nicht danach aus," meinte Franz,
„als ob er heute mittag überhaupt etwas essen würde.
Wie der Jäger auf feine Beute, ist er hinter seinen
Opfern her, und was er aus ihnen zum Besten seiner
braunhäutigen Pflegekinder herausdrücken k a n n , tut
er gewiß."
Die Unterhaltung war damit für jetzt abgebrochen,
drehte sich aber später bei Tisch doch nur wieder einzig
und allein um den Gegenstand der Missionen — ein
Beweis mehr, wie gewaltig der fremde Geistliche ver
standen hatte, das Interesse der Zuhörer zu fesseln und
ihre Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Berchta
aber blieb ziemlich einsilbig und schützte bald darauf
Kopfschmerzen vor, mit denen sie sich auf ihr Zimmer
zurückzog.
Johnson kehrte übrigens an dem Abend gar nicht
wieder nach dem Schlosse zurück und hatte nur einen
Boten hinaufgesendet, um sich zu entschuldigen. Er war
so von den Leuten unten in Anspruch genommen, daß er
sich nicht losreißen konnte oder wollte. Was lag d e m
Manne auch an häuslichen Bequemlichkeiten, der nur
mit eiserner Konsequenz sein einmal vorgestecktes Ziel
verfolgte!
Und der Erfolg war wirklich für einen fo kleinen
O rt ein außerordentlicher; denn nicht allein, daß seine
dort gleich auf dem Platz angestellte Sammlung reicher
ausfiel, als in mancher großen S tadt, nein, es gelang
ihm auch, einen „Frauenverein" zu gründen, der diese
Sammlung sowohl fortzusetzen versprach, als sich auch
41
bereit erklärte, dafür zu sorgen, daß nur alle erdenk
lichen Bedürfnisse für die Eingeborenen angefertigt oder
von anderen Orten erbeten würden. Später sollten sie
dann an eine von Johnson aufzugebende Adresse be
fördert und den „armen Heiden" zugesendet werden, und
man beschloß zuletzt noch, das „gnädige Fräulein" zu
ersuchen, die Präsidentenstelle in diesem Verein zu über
nehmen.
Am nächsten Morgen suchte sie Johnson selber auf,
um sie darum zu bitten, und fand sie, als er sich bei
ihr anmelden ließ, allein in ihrem Zimmer. Berchta
versprach auch mit Freuden, seinen Wunsch zu erfüllen,
und konnte ihm dabei nicht verhehlen, wie tief sie von
seiner gestrigen Rede ergriffen sei, und wie sehr ihr am
Herzen liege, das wenige, was sie selber imstande sei zu
leisten, zur Förderung des schönen Werkes beizutragen."
„Mein gnädiges Fräulein," erwiderte der Missionar,
und ein eigener, wenn auch unmerkbarer Zug von Bitter
keit umzuckte seine Lippen, „wir a l l e sind wirklich im
stande, das H Lchste zu leisten, wenn wir nur auch den
festen Willen dazu haben; aber wir finden es gewöhnlich
weit bequemer, uns mit der Unmöglichkeit zu entschul
digen. Viele werden freilich berufen, aber wenige sind
auserwählt, und den wenigen Auserwählten gehört dann
das Himmelreich."
„Ich verstehe Sie nicht," sagte Berchta scheu.
„Es ist schon dankenswert, mein gnädiges Fräulein,"
wich aber der Geistliche aus, „daß S ie sich in Ih re r
Stellung so weit herablassen, an der Sache armer, freundloser Missionare in fremden Weltteilen durch eine Form,
wie hier der Vorsitz eines Frauenvereins ist, oder selber
durch freundliche Gaben sich zu beteiligen. Wir k ö n n
t e n wirklich gar nicht mehr von Ihnen verlangen."
, „Und ist das I h r voller Ernst?" sagte Berchta, und
sah dabei den Geistlichen fest und forschend an. „Sprechen
S ie jetzt — wie S ie es gewohnt sein m ü s s e n —
die reine, lautere Wahrheit?"
42
„Wir d ü r f e n wenigstens nicht mehr verlangen,"
erwiderte Johnson, „wenn Ihnen das aufrichtiger klingt."
„Und weshalb nicht?" rief Berchta rasch. „Trauen
S ie mir weniger Mut, weniger Aufopferungsfreudigkeit
zu, als sie andere Frauen bewiesen haben?"
„Mein gnädiges Fräulein," sagte der Missionar,
„wir selber wissen nie, w a s wir uns zutrauen dürfen
oder können, bis wir es nicht auch an uns selber erprobt
haben. Oft ist der G e i st Wohl willig, aber das Fleisch
schwach, und mancher selbst starke Geist sinkt nachher unter
der Wucht der Wirklichkeit zu Boden und verzagt."
„Und trauen S ie mir das zu?"
„Möge Sie Gott nie auf so harte Probe stellen,"
sagte der Missionar, leicht und wehmütig das Haupt
neigend,„und nicht alleinJhret- sondern auch der Ihrigen
wegen, denn es ist schwerer fast, d a Z e u g e zu sein, als
es selber zu tragen."
„Und w a r e n S ie einst Zeuge eines solchen Leides?"
fragte Berchta bewegt, denn der sonst so ruhige Mann
mit den eisernen Zügen schien heftig erschüttert.
„Ja," flüsterte Johnson, fast mehr mit sich selber als
zu der Jungfrau sprechend, „ich war Zeuge, wie ein
junges, liebes Leben langsam dahinwelkte, und — mußte
dann später trotzdem noch Gott danken, daß er sie früher
zu sich genommen, ehe sie das Furchtbarste erlebte."
„Das Furchtbarste?"
„Sie sollen es hören, mein gnädiges Fräulein," sagte
der Missionar, „es sind wenige Menschen, denen ich das
anvertraut habe, was schon länger als ein Vierteljahr
hundert hinter mir liegt, — aber," setzte er leise hinzu,
„es mag Ihnen auch beweisen, daß ich nicht nur für die
Mission werbe, sondern auch eine Warnung für die habe,
die vielleicht zu fest auf sich vertrauen und dann der guten
Sache nichts nützen, sondern selber zugrunde gehen wür
den, — und in I h r e n Augen gerade liegt etwas, das
mich ähnliches fürchten läßt."
„Ich verstehe S ie wirklich nicht."
43
„Lassen Sie mich Ihnen eine kurze Skizze aus
meinem Leben geben," wich der Missionar aus, „ich werde
Ih re Zeit nur für wenige Minuten in Anspruch nehmen,
und dann betrifft es gerade jenen Tag, an welchem ich
diese Wunde erhielt, nach der mich I h r Herr Vater schon
fragte. Es ist gerade, als ob mir der Allmächtige selber
ein Erinnerungszeichen gegeben habe, damit ich nie —
nie jene Zeit und alles, was damit zusammenhing, ver
gessen möge."
„Es sind jetzt dreiunddreißig Jahre," fuhr er nach
kurzer Pause fort, „daß ich meine erste Missionsreife
antrat. Der Verkehr mit jener wilden Welt war da
mals noch sehr unbedeutend, und das Leben, besonders
auf den Inseln, um vieles wilder, als es gegenwärtig ist.
Ich hatte eine junge Frau, die mich begleitete; sie war
aus guter Familie — reich und wunderbar schön —
ich war selber damals noch jung — wenigstens in meinen
besten Jahren. Ich wollte das Amt eines Missionars
nicht annehmen, weil ich eben für meine Frau fürchtete;
sie selber drängte mich dazu. Wir gingen damals nach
Neuseeland — es lebte dort — und lebt noch — ein
Wildes Volk, das sich der Kultur uur schwer zugänglich
zeigte, ja so wild und gehässig gegen uns auftrat, daß
wir mehrmals in Lebensgefahr schwebten, von diesen
überfallen zu werden. Meine arme Frau zeigte sich dieser
ewigen Furcht und Aufregung nicht gewachsen; sie sollte
jetzt nach Europa zurückkehren, aber nun konnte i ch den
übernommenen Posten nicht verlassen, ohne mich einer
Pflichtverletzung schuldig zu machen. Was früher freier
Wille bei ihr gewesen, wurde nun zum Z w a n g und
rieb ihre Kräfte auf. Sie siechte dahin und — starb —"
„Armer M ann!" sagte Berchta tiefbewegt.
„Ich glaubte damals, daß Gott das schwerste über
mich verhängt habe, was möglich sei," fuhr der Missionar
nach kurzer Pause fort; „ich wußte noch nicht, was eine
Menschenseele imstande wäre, zu tragen. Acht Tage
später überfielen die M aoris meine Hütte — meine selige
44
Frau hatte mir zwei liebe, engelgleiche Kinder hrnterlassen — zwei Mädchen — ich verteidigte — weniger wem
Leben als das ihrige, mit der Kraft der Verzweiflung
— ein Keulenschlag streckte mich zu Boden — meine ärm
liche Heimat war in den Händen der blutdürstigen Wil
den, und sie — machten Gebrauch davon. Eine Abteilung
englischer Marinesoldaten war in der Nähe und vertrieb
sie endlich, aber sie konnten das Schlimmste nicht von mir
abwehren, denn sie retteten nur mein Leben. Als ich
wieder zum Bewußtsein erwachte — und zu welch' furcht
barem Bewußtsein — sah ich meine beiden Kinder t o t
— erschlagen an meiner Seite. Von da ab wurde unsere
Mission verlegt, ich kam, aus Rücksicht vielleicht auf das,
was ich in Neuseeland gelitten, nach einer der Stationen
in der Südsee — nach den Tonga-Inseln — von dort
aus besuchte ich die Marquesas-, die Gesellschafts-Jnseln,
die Gruppe der Freundlichen Eilande und viele andere.
Ich hatte keine Ruhe mehr, ich führte ein rastloses Leben,
aber das ganze Ziel desselben war nur dem einen Streben
geweiht, jenen unglücklichen Menschen das Licht der Re
ligion zu bringen und sie von dem Verderben zu retten,
dem sie so unwiderruflich entgegengingen."
„Und trotzdem," rief Berchta, die der kurzen, aber
ergreifenden Schilderung mit dem gespanntesten Interesse
gelauscht, und deren Wangen Leichenblässe deckte — „und
trotzdem beharrten Sie in Ihrem Liebeswerk? Trotz
dem Ihnen jene entsetzlichen Menschen alles genommen
hatten, was uns ja hier auf Erden als höchstes Gut nur
gelten kann?"
^
„Hat nicht unser Heiland selbst am Kreuz für ferne
Richter gebeten und gerufen: Herr, vergib ihnen, denn
sie wissen nicht, was sie tun? Jene Wilden wußten rn
der T at nicht, daß sie das irdische Glück eines Mannes
zerstörten, der nur allein zu ihnen gekommen war, um
das Heil ihrer Seelen zu retten und ihnen zu zeigen,
wie man auch friedlich und im Glück zusammen auf der
Erde leben könne. Doch ich ermüde Sie, mein gnädiges
46
Fräulein," brach er plötzlich ab, „zu lange schon habe ich
S ie von mir selber unterhalten, wenn auch freilich nur
zu dem Zweck, um Ihnen zu zeigen, we l c h e n Gefahren
einzelne von uns ausgesetzt waren, um ihren hohen
Zweck, ihre Sendung zu erfüllen. Unsere Herzen müssen
stark, unsere Glieder zäh sein, kein weichliches Leben
darf sie entkräftet haben, und nur in dem Beruf selber
müssen wir unsere Erholung, unseren Lohn suchen und
finden, oder — er würde eine untragbare Last und Bürde
werden."
„Und schildern S ie Ih ren Beruf da nicht zu ernst
und mit zu schwarzen Farben?" fragte Berchta; „hat er
nicht auch glückliche Augenblicke, glückliche Stunden und
Tage, wenn S ie Ih re Arbeiten mit Erfolg gekrönt und
dann glückliche, gute Menschen um sich sehen?"
„Gott verhüte, daß ich das Gegenteil behaupten
wollte," rief der Missionar rasch. „Besonders auf den
Südsee-Jnseln haben sich diese in froher und erhebender
Weise gezeigt. J a , wir würden deren sicher noch mehr
aufzählen können, hätten alle, die sich dem schönen Werk
gewidmet haben, weniger Hast bewiesen, um ihr Ziel zu
erreichen, mehr Nachsicht mit den unwissenden Bewohnern
gehabt, und weniger starr an der F o r m als an dem
eigentlichen Wesen des Christentums gehangen. Aber sie
sind auch darin vielleicht zu entschuldigen," setzte er mild
hinzu, „denn der Charakter des Mannes ist an sich starr
und zäh. Nur zu häufig glaubt er fälschlicherweise, daß
er alles das, was er von sich selber fordert, auch von an
deren fordern könne — und Gott hat doch nicht allen
Menschen gleiche M ittel gegeben. Es fehlt uns da häufig
das versöhnende Element der Frauen, die mit weit mehr
Geduld und Milde oft viel größere Ziele erreichen."
„Und so sind wirklich nicht alle protestantischen
Missionare verheiratet?" fragte Berchta.
„Kaum die Hälfte von ihnen."
„Aber sie sollten gar nicht ohne Frau in ein so fernes
Land ziehen."
46
—
„Das würde im Anfang ihre Bewegungen M Mw
hemmen " erwiderte der Missionar, „und ihre Familie
dock zu qroßen Gefahren aussetzen. S ie haben ia da
mein'eigenes Beispiel. Nein. erst wenn sie sich euren
festen Wirkungskreis gebildet, oder genau wissen, daß s
ihren Aufenthalt wenigstens auf einer
nen wo ihr Leben nicht fortwährend bedroht ist, schreiben
sie an die Missionsgesellschaft und bitten diese, ihnen eine
Frau ^uauszuftiidem ^
^twas derartiges
geschieht«" rief Berchta. „Sie deuteten es schon neulich
an, aber ich glaube fast, ich müßte S ie falsch verstanden
^ ^ Ä lle r d in g s , und noch dazu sehr häufig." versicherte
Johnson. „Sie finden sogar derartige Bitten m unseren
Missionsblättern, daß ein dort emsan^ wohnender
Missionar sein Los mit einer achtbaren ^ungsrau zu
teilen wünscht. Die Missionsgesellschaft übernimmt daher
etwaige Anerbieten, um zuerst Erkundigungen über ren
Charakter der Gemeldeten einzuziehen, und befördert diese
dann nach dem gewünschten Punkt, was nicht immer leich
ist. da ja eine regelmäßige Verbindung zwischen reu
^ M im d E x O ^
sagte Berchta und sah den
Missionsprediger staunend an, „und so von Haus um
Leimat ziehen sie fort? Schwache Frauen nur. um
einem fremden, wilden Volk zu seinem Seelenheil zu ver^ M o h l gehört M ut und Entschlossenheit dazu " nickte
der Missionar, „doch Leute, die daheim schon m gedruckten
Verhältnissen leben, finden sich auch .^ch^r da hmem M
manchmal sogar eine Verbesserung ^ ^ r ^ a g e m e„^n
solchen Schritt. Ich weiß auch noch kein Beispiel daß
eine Jungfrau aus vornehmer und reicher Familie em
derartiges Opfer gebracht hätte Die Bande welche sie
an die alten, gewohnten Umgebungen knüpfen, sind ^u
stark, und das Bewußtsein, den Himmel zu gewinnen,
—
47
wirkt bei ihnen nicht überzeugend genug, um dafür alle
irdischen Freuden und Vorteile zu opfern. Und es ist
vielleicht gut so," setzte er, das Haupt neigend, hinzu,
„denn aller Wahrscheinlichkeit nach würden sie sich in die
neuen Verhältnisse nicht einleben können und sich dann
unglücklich fühlen. Der Herr aber verlangt nur f r e u
d i g e Herzen, die ihm mit Lust und Liebe dienen. Doch,
mein gnädiges Fräulein," brach er ab, ich mißbrauche,
wie mir scheint, Ih re Geduld und möchte die kurze, mir
noch vergönnte Zeit auch benutzen, Ihnen die nötigen
Adressen zurückzulassen, welche S ie haben müssen, um als
Vorsteherin Ih re s kleinen Vereins die eingegangenen und
eingehenden Geschenke an den O rt ihrer Bestimmung zu
befördern. S ie finden alles, was Sie darüber fragen
könnten, in diesem kleinen, besonders zu dem Zweck ge
druckten Büchelchen. Außerdem habe ich mir erlaubt,
Ihnen die Hefte unseres Vereinsblattes aus dem letzten
Vierteljahr mit beizulegen, damit S ie doch einen Über
blick über unsere Tätigkeit gewinnen. Die Blätter ent
halten auch einige recht gut geschriebene Artikel über
manche jener, noch wenig oder gar nicht bekannten I n
seln, mit genauer Angabe der Fortschritte, welche die
Mission dort gemacht hat, wie viel sie dem wahren Glau
ben gewonnen, wie viel noch übrigbleibt, um sie zu neuer,
rastloser Tätigkeit anzuspornen. S ie werden überhaupt
mancher interessanten Notiz darin begegnen, und nun
möchte ich Sie nur noch ersuchen, mich bei Ihrem Herrn
Vater anmelden zu lassen, denn meine Zeit ist beschränkt,
und ich muß Schölsenstein, so gern ich hier weilte, noch
selbst diesen Morgen wieder verlassen."
„Sie wollen schon fort?"
„Ich muß, uni einer Einladung zu folgen und in der
benachbarten S tadt Hausburg einen Vertrag zu halten.
Für mich gibt es keine Ruhe, mein gnädiges Fräulein,
und solange mir Gott nur die K r a f t läßt, will ich ja
auch gern seiner Sache dienen. Is t I h r Herr Vater jetzt
zu sprechen?"
48
„Mein Vater ist mit meinem Vetter heute morgen
in den Wald geritten. Sie werden kaum vor dem Diner
zurückkehren. Können S ie denn nicht wenigstens solange
noch bleiben?"
„Ich kann und darf nicht," sagte der Missionar;
„vielleicht ist es mir später einmal gestattet, dem Freiherrn von Schelfe meinen persönlichen Dank für seine
Gastfreundschaft zu sagen; für heute ersuche ich Sie, das
für mich zu übernehmen. Auch Ihnen, mein gnädiges
Fräulein, danke ich nicht allein herzlich für die Teilnahme,
die S ie der guten Sache gezeigt, sondern auch für das
freundliche Wohlwollen, das Sie mir selber bewiesen.
Leben S ie glücklich, und möge nie eine Wolke des Leides
diese klare und reine S tirn trüben!"
Damit reichte er ihr seine Hand, in welche Berchta
schüchtern die ihrige legte, drehte sich dann um und ver
ließ das Zimmer.
Er säumte auch in der T at nicht länger im Schlosse.
Kaum eine Viertelstunde später schritt er mit einem der
Tagelöhner, der seinen kleinen, leichten Koffer trug, nach
Rothenkirchen hinab, und bald darauf rollte er in einem
Einspänner die Chaussee entlang, um den Samen der
Mission weiter und weiter auszustreuen und Propaganda
für eine ihm heilige Sache zu machen.
4.
Die Entscheidung.
Als der Freiherr am M ittag mit Franz zurückkehrte,
tat es ihm eigentlich leid, den Missionar nicht mehr zu
finden, denn der Mann hatte ihm durch sein offenes und
zugleich begeistertes Wesen gefallen. Franz dagegen schien
vollkommen damit zufrieden.
49
„Ich will dir etwas sagen, Onkel/' meinte er. „Daß
d e r Mann es aufrichtig mit allem meint, was er hier
erstrebt, glaube ich ihm auf sein Gesicht, und aus allen
seinen Worten spricht es ebenfalls heraus, aber — ich
habe einmal eine Antipathie gegen alle Leute, die aus
der Religion ein „Geschäft" machen, und so sehr m i ch
selbst, was ich gar nicht etwa leugnen will, seine Rede
gestern über die sittlichen und moralischen Zustände jener
fernen Länder ergriff, und so warm ich dabei wurde, so
gänzlich abgekühlt fühlte ich mich, als er zuletzt in das
„Geschäftliche" der Sache einging und auf Kattun, Bücher,
Druckerpressen, Tauschartikel und andere derartige Dinge
überging. Es war das genau dasselbe, als wenn mitten
in der Predigt der Klingelbeutel in der Kirche herumgeht
eine der trostlosesten Einrichtungen unserer aufge
klärten Zeit, die jede möglicherweise von feiten des P re
digers erzielte Andacht rettungslos totschlägt. Der Kirchgänger, der sich doch, allem Vermuten nach, in den Text
der Predigt vertieft hat und dem Jdeengang mit I n
teresse folgt, muß plötzlich in die Tasche greifen und nach
einem Stück kleiner Münze suchen, und bis er die ge
sunden, hat er auch sicherlich den Faden der Predigt ver
loren."
„Aber du wirst mir zugestehen, Franz, daß die Mis
stonen nicht ohne Unterstützung bestehen könnten."
„Es mag sein; aber deshalb berührt es mich doch
peinlich, und ich hätte es des Mannes selber wegen ge
wünscht, daß es nicht nötig gewesen wäre. Wir finden
auch nirgends in der Heiligen Schrift, daß die Jünger
des Heilandes, als sie sich später ausbreiteten, Kollekten
gemacht haben "
„Du bist unverbesserlich, Franz," sagte der alte Herr,
vielleicht selbst darüber ärgerlich, Laß er ihm nicht gut
etwas entgegnen konnte, oder ihm wenigstens in der Ge
schwindigkeit nichts beifiel. „M it dir ist auch darüber
nicht zu streiten, und Jugend hat einmal keine Tugend."
„Mein lieber, guter Onkel," lachte Franz, „ d i e
F r. G erstäck er, Die Mission»».
4
80
Tugend, die erst das Alter notgedrungen bringt, wäre
auch nichts besonders Rühmenswertes; aber du hast recht,
wir wollen uns nicht mit religiösen Streitfragen befassen,
wenn auch der Klingelbeutel eigentlich nichts mit der
Religion selbst zu tun hat. — Wo steckt denn nur mein
schönes Bäschen? S ie vernachlässigt ihren Vetter, der
morgen schon wieder fort muß, ausfallend."
„Weißt du, Klaus, wo meine Tochter ist?" sagte der
Freiherr.
„Das gnädige Fräulein," erwiderte der Alte, „sitzt
oben in ihrem Zimmer und liest Zeitungen."
„Zeitungen?" rief Franz verwundert, „beschäftigt sie
sich denn auch mit Politik?"
„Das weiß ich nicht," meinte Klaus; „aber der fremde
Herr Prediger hat ihr ein ganzes Paket dagelassen, und
in denen studiert sie jetzt."
„Missionsschriften! Gott soll uns bewahren!" lachte
Franz. „Aber das leid' ich nicht, Onkel. Die paar S tu n
den, die ich noch bei Euch bin, möchte ich auch mit Euch
verleben. Ich hole sie. Zu d e r Lektüre hat sie noch
immer genügend Zeit, wenn ich erst einmal wieder
fort bin."
Er machte auch in der T at fein Wort wahr, und
Berchta willfahrte gern feinem Wunsch, die Zeitungen
beiseitezulegen. S ie hatte, wie sie sagte, nur darin ge
blättert. Es wurde aber auch an dem Tage kein Wort
mehr weder über Religion noch Missionswesen gesprochen,
was sehr natürlich war, da Franz nur sein holdes Bräutchen im Kopfe hatte, und Onkel wie Base ihm willig in
diesem Jdeengang folgten. War doch Selm a selber ihrer
beider Liebling, als daß sie sich nicht hätten über das
augenscheinliche Glück des lieben Verwandten freuen und
herzlichen Anteil daran nehmen sollen.
Die Hochzeit war, wie er ihnen sagte, auf über vier
Monate angesetzt, und daß sie der beiwohnten, verstand
sich doch natürlich von selbst. Bis dahin hatte er aber
noch alle Hände voll zu tun, denn daß er sich selber seinen
81
kleinen Hausstand auch neu und wohnlich einrichten
wollte, konnte ihm niemand verdenken, und es war unglaublich, wie viel da noch anzuordnen und zu bestellen
blieb Berchta versprach übrigens, Selma in der aller
nächsten Zeit zu besuchen und zu begrüßen, und Franz
dankte ihr schon im voraus dafür.
Die wenigen Stunden, die Franz noch bei ihnen
blieb, vergingen ihnen auch in der T at fast zu rasch, und
als er das alte Schloß am nächsten Morgen wieder ver
lassen, lag es so still und öde als nur je. Berchta aber
behielt von da ab volle Muße, sich in die Hefte, die ihr
der Missionar zurückgelassen, zu vertiefen oder unten in
Rothenkirchen, in der Pastorswohnung, die Angelegenheit
der begonnenen Sammlung mit den verschiedenen dabei
Beteiligten zu besprechen.
S o sehr beschäftigt sie auch zeitweise damit war, ver
säumte sie doch auch ihre sonstigen Studien nicht, wie
der alte Baron ebensowenig den Diakonus abends ent
e h re n mochte: es wäre ihm sonst gar zu einsam auf dem
Scholfenstem gewesen.
Musik und Literaturgeschichte wurden deshalb wie
der vorgenommen: aber Berchta schien sich jetzt mehr als
je für Geographie und Reisebeschreibungen zu inter
essieren, und besonders bat sie Kästner — und jeder ihrer
Wünsche war für ihn ja ein Befehl — ihr alles zu ver
schaffen, was er imstande sei, über die Südsee-Jnseln
und ihre Bewohner auszutreiben. „Sie wolle alles dar
über lesen," sagte sie lächelnd, „da sie sich als Vorsteherin
ernes, wenn auch noch so kleinen, Missionsvereins doch
auch genau mit den Verhältnissen jener Länder bekannt
machen müsse."
I n dieser Zeit führte Berchta ihren Vorsatz aus
und besuchte Selma, sah sich aber in ihren Erwartungen
etwas getäuscht. S ie hatte gehofft, sich mit dieser, deren
tiefreligiösen S inn sie kannte, über manches, was ihr aus
dem Herzen lag, recht ordentlich aussprechen zu können,
fand aber wunderbarerweise. Laß sie sich geirrt, denn
4'
52
Selma schien ihre ganze Natur verändert zu haben. Andere würden es freilich natürlich gefunden haben, Laß
ein junges Mädchen, wenige Monate vor ihrer Verbin
dung mit dem Geliebten, nicht gerade besondere Lust
zeigte, sich mit Missionen in fremden Weltteilen zu be
schäftigen, sondern weit mehr an ihre Aussteuer und die
Liebe atmenden Briese des Bräutigams Lachte. Und
trotzdem fühlte sich Berchta davon verletzt.
S ie gehörte wahrlich nicht zu jenen bigotten Wesen,
die schon das Heiligste beleidigt glauben, wenn nicht jeder
äußeren Form genügt wird, und denen der Ausdruck in
nerer Zerknirschung unablässig in den Zügen liegt. S ie
war im Gegenteil stets mehr heiterer als ernster Natur
gewesen, und fromm nur aus innerer Überzeugung, nie
zum Schein für andere, so daß sie sich auch fast stets bei
anderen ihrem fröhlich sinnigen Charakter überließ und
ihre Andacht für stille, unbewachte Stunden aussparte.
Aber es verletzte sie, daß die Freundin nicht mehr teil
an einer Sache nahm, die ihre ganze Seele erfüllte, und
als sie nach einigen Tagen allein wieder zurück nach dem
Schölfenstein fuhr, murmelte sie leise vor sich hin:
„Der Missionar hatte recht — wie selten, o, wie selten
findet man in unseren Kreisen ein Herz, das imstande ist,
der Prüfung zu widerstehen, die ihm Rang und Reichtum
auferlegen! Und ist das wahre Frömmigkeit, die sich so
leicht — so entsetzlich leicht von ihrer Bahn ablenken
läßt? Bedarf es denn nur eines einzigen verlockenden
Schimmers dieser Welt, um uns alle in den breiten Strom
des Gewöhnlichen hineinzureißen, und bin ich selber nicht
vielleicht genau so wie die Freundin, in der ich mich
jetzt getäuscht zu haben glaube? Nein — ich n i c h t , "
setzte sie fest entschlossen hinzu, „ich will dem Manne mit
dem eisernen Charakter beweisen, daß sein Urteil zu rasch
— wenigstens zu allgemein war. Es gibt Ausnahmen,
und möge mich Gott stärken, daß ich das, was ich mir vor
genommen, auch mit frischem und entschlossenem Mute
durchführe. — Er wird dann weiterhelfen."
63
Von dem Tage an war Berchta eine andere. Heiter
wie sonst und freundlich gegen alle, schien ein gewisser
Ernst über sie gekommen zu sein, der selbst ihrem Vater
mcht entgehen konnte.
„Was hast du nur in aller Welt, Kind?" fragte er
eines Tages, indem er sie bewegt betrachtet hatte; denn
noch nie war sie ihm der verstorbenen M utter so ähnlich
vorgekommen, wie gerade heute. „Du siehst immer so
froh und glücklich aus, und doch hab' ich schon ein paar
mal bemerkt, daß dir plötzlich eine Träne ins Auge steigt,
und du dich dann abwendest, um sie zu verbergen. Fehlt
dir etwas, Herz? Drückt dich ein Kummer? S ag ' m ir's
und wenn's in meinen Kräften steht — du weißt ja'
daß ich a l l e s tue, was ich kann."
„Ich weiß es, mein lieber, guter Vater," sagte
Berchta herzlich, „ich bin es fest und innig überzeugt
Aber mir f e h l t in der T at nichts; ja ich habe mich
im Gegenteil Wohl noch nie so Wohl, so mit mir selbst zufrreden gefühlt, wie gerade jetzt."
„Manchmal siehst du so aus, ja," nickte der alte
Mann, „manchmal aber auch wieder nicht, und dann
kommt mir oft unwillkürlich der Gedanke, daß dich irgend
ein tiefer, kaum verhaltener Schmerz drücke, wenn ich
auch keine Ahnung habe, was es sein könne. Q uält dich
wirklich ein Kummer, Berchta? Oder bist du krank?"
„Du irrst dich, Vater," sagte die Jungfrau aus
weichend; „mir fehlt nichts, und ich wüßte auch keinen
Kummer, den ich haben könnte, ohne ihn dir mitzuteilen.
Aber haben wir nicht manchmal eine Zeit, in der wir Wohl
ernster, weicher gestimmt sind als sonst? Denk nur an
den heutigen Tag — es ist der Geburtstag meiner seligen
Mutter."
„Du hast recht, Kind," sagte der alte Herr, indem ihm
selber eine Träne ins Auge stieg, „arme Agnes, daß wir
sie verlieren mußten!" und sich im Lehnstuhl an das
Fenster setzend, stützte er den Kops in die Hand und
54
schaute, ganz seinen eigenen Gedanken nachhängend, hin
aus ins Leere.
S o vergingen wieder Wochen, und Diakonus Kästner
kam fleißiger auf das Schloß denn je; denn so weich, so
herzlich hatte sich Berchta noch nie gegen ihn gezeigt. Sie
war immer freundlich gewesen, ja, aber nie so wie jetzt,
und manchmal, wenn er ihr Auge traf, wie es mit innigem
Anteil auf ihm ruhte, und sie erst halb verlegen oder er
schreckt den Blick abwendete, sobald ihn der seine traf,
zuckte es ihm durch alle Fibern seines Körpers, und er
fühlte nur zu deutlich, daß die Leidenschaft zu dem be
zaubernden Wesen mit jedem Tage wuchs und kaum mehr
zurückgedämmt werden konnte.
Aber ihr Vater? — Würde der adelsstolze Baron je
seine Einwilligung gegeben haben, daß er, der bürger
liche Geistliche, die Tochter des Schölfensteins zum Altar
führe? Aber liebte er Berchta nicht wirklich mit voller
Seele, und war es denkbar, daß er ein altes Vorurteil
höher achten würde, als das Glück der Tochter — des
einzigen Kindes? Wieder und wieder zuckten ihm diese
Gedanken durch das Herz, und er wagte deshalb keinen
entscheidenden Schritt, wenn ihn auch selbst Berchtas
Unterhaltung mehr und mehr darin bestärkte, daß sie selber
ein Entgegenkommen von seiner Seite wünsche und er
warte. Schon mehrmals hatte sie ihn nach der häuslichen
Einrichtung eines Geistlichen gefragt, der, weit abgelegen
von irgend einem Weltverkehr, nur seinen Studien und
der Erziehung seiner Gemeinde lebe, — ob der Beruf
schwer sei, — ob er nicht auch viele, viele Freuden mit
sich bringe, — ob er selber sich Wohl in dem seinigen
fühle — lauter Fragen, die den jungen Mann mehr und
mehr in dem Glauben bestärken mußten, daß Berchta die
selben nicht ohne eigenes Interesse tue. Und wie be
geistert antwortete er ihr darauf — wie glücklich schilderte
er den Zustand derer, die vielleicht einen höheren Rang
in der Gesellschaft bekleidet haben könnten, aber dennoch
nur in dem Gefühl der Liebe gegen Gott und die Men-
66
schon das Schwere auf sich genommen hatten, um ein an
deres, sonst freundloses Wesen glücklich zu machen.
Berchtas Augen leuchteten, während er sprach, aber
sie erwiderte ihm kein Wort. Es war, als ob ihr Blick
in weiter Ferne schweife und Raum und Zeit Lurchflöge,
ihren Tagen voraus. Dann wendete sie sich plötzlich zu
ihm, reichte ihm die Hand, sah ihn fest an und sagte herz
lich, mit tiefbewegter Stim me:
„Ich danke Ihnen, lieber Freund — ich wußte vor
her, daß S ie so sprechen würden — so sprechen müßten.
Überlassen S ie mir das weitere. Nein, nicht jetzt" —
unterbrach sie ihn abwehrend, als er, das Herz zum Über
laufen voll, darauf erwidern wollte. „Der Kopf wirbelt
mir — nicht hastig darf ein solcher Schritt beschlossen
werden, der dann ja bindend und entscheidend für ein
ganzes Leben ist, sondern wohlüberlegt und mit kaltem,
ruhigem Blute -— nur in Gemeinsamkeit mit Gott. Lassen
S ie mir Zeit dazu — berühren S ie Las Thema nicht
eher wieder, bis ich selber davon beginne — versprechen
Sie mir das. Ich will nicht dazu getrieben werden — ich
will aus eigenen, freien Stücken darin handeln."
„Ich gebe Ihnen mein Wort, Berchta!" rief Kästner,
kaun: seiner Sinne mächtig, indem er ihre Hand ergriff
und sie an seine Lippen hob. Aber er wagte kaum einen
Kuß darauf zu hauchen, so überraschend schnell war alles
gekommen, so betäubt fühlte er sich von dem Glück, das,
wie er glaubte, über ihn hereingebrochen.
Berchta achtete gar nicht mehr auf ihn — sie hörte
nicht die vertrauliche Anrede, die er noch nie gewagt.
S ie fühlte kaum den leisen Kuß aus ihrer Hand, oder
wenn so, schrieb sie es vielleicht dem Erstaunen zu, das ihn
erfaßt haben mußte, wenn er ihr Geheimnis erraten.
S till und schweigend wendete sie sich ab und schritt
hinunter in den Garten, wo sie allein stundenlang die
einsamen Gänge durchwandelte.
Aber dieser träumerische Zustand dauerte nicht lange.
Berchta besaß keinen Charakter, der sich jahrelang un-
56
schlüssig im Kreise bewegte. War sie früher schon fast
mit sich einig gewesen, so hatte die Unterredung mit dem
Diakonus, der ihr in allen Dingen beistimmte, den über
haupt schon gefaßten Entschluß nur noch mehr gekräftigt,
und wenige Tage später fühlte sie sich so weit mit sich ini
reinen, daß sie an die Ausführung desselben gehen konnte.
Allerdings drängte es sie, vorher mit ihrem Vater
darüber zu sprechen — hatte sie denn einen besseren
Freund auf der weiten Welt? Aber sie fürchtete auch
dessen Einwürfe, denn jedenfalls würde er versucht haben,
sie in ihrem Entschluß wankend zu machen, und das mußte
sie verhindern.
Von der Zeit an korrespondierte sie sehr viel mit der
Missionsgesellschaft, was auch dem Vater nicht auffiel,
da er ja recht gut wußte, daß sie Vorsteherin des Vereins
fei, und sich darüber sogar sehr gefreut hatte. S ie be
kam auch außerordentlich rasche und freundliche Ant
worten, und endlich traf, nach verschiedenen Anfragen von
feiten jener Gesellschaft, das entscheidende Schriftstück ein,
dem sie ebenso bestimmt und zusagend erwiderte. Jetzt
war der Schritt geschehen, und nun auch der Zeitpunkt
gekommen, wo sie mit ihrem Vater sprechen m u ß t e , - —
als er aber herannahte, wagte sie es nicht. Das Herz
klopfte ihr schon bei dem Gedanken hörbar in der Brust,
und sie beschloß endlich, den Diakonus Kästner rufen zu
lassen und ihn zu bitten, das erste Eis zu brechen. Er
hatte sie ja verstanden; er kannte ihr ganzes Herz, und
mit dem Vater, der ihn achtete und liebte, eng befreundet,
konnte es ihm auch ein leichtes sein, ihn zu überzeugen,
daß sie selber nicht anders handeln durfte, und nur einem
h ö h e r e n Dränge folgte, um das H öchste damit zu
erreichen.
Der alte Baron war hinaus auf das Feld geritten,
um mit seinem Verwalter irgend eine wirtschaftliche An
gelegenheit zu besprechen. Indessen eilte Kästner, den
der Bote zu Hause getroffen, fast atemlos auf das Schloß
hinauf, denn feit drei Tagen hatte er Berchta nicht ge-
57
sehen, und sein Herz sagte ihm, daß sich sein Schicksal
jetzt entscheiden müsse. Er wurde auch ohne weiteres zu
Berchta hinaufbeschieden, sie hatte schon ihr Mädchen
unten an das Tor gestellt, um ihn zu erwarten, und
erst, als er die Treppe hinaufstieg, gewann er wieder so
viel Macht über sich selber, um mit ruhigem Blute vor der
Jungfrau zu erscheinen. Er glaubte, daß er sich nichts
vergeben dürfte, denn wenn sie ihn auch mit dem Geständ
nis ihrer Liebe zum glücklichsten Menschen machte, fühlte
er doch seinen eigenen Wert und wußte, daß er sie ver
diene. Er bot ihr das Herz eines braven Mannes, der
in einem ehrenvollen Berufe stand. Und daß er nicht
von Adel war? Ei, sein Stand adelte ihn, und Berchta
sollte wahrlich nie bereuen, ihre Hand in die seinige gelegt
zu haben.
Er fand das junge Mädchen, ihn erwartend, mitten
in der Stube stehen; sie hatte schon seinen Schritt drau
ßen gehört, und als er aus ihr rasches „Herein!" die Tür
öffnete, streckte sie ihm die Hand entgegen und sagte
herzlich:
„Wie danke ich Ihnen, daß S ie meine Bitte erfüllt
haben — wie gut ist es von Ihnen und wie rücksichts
voll—"
„Aber, mein gnädiges Fräulein — "
„So hören Sie mich denn," fuhr Berchta fort, „denn
ich habe eine Bitte — eine recht große Bitte an Sie."
„Und ich brauche Ihnen doch wahrlich nicht zu sagen,
wie gern ich sie erfülle."
„Versprechen S ie nicht zu viel," mahnte aber Berchta,
„denn es gilt meinen Vater zu etwas zu bereden, gegen
das sich sein Herz und seine ganze Seele sträuben
wird — "
„Aber doch sicher nicht sein Herz," sagte Kästner
weich.
„Nicht sein Herz?" rief Berchta erstaunt, „glauben
Sie, daß er sich so leicht dahinein finden wird, mich zu
verlieren?"
58
„Und muß das sein, Berchta?"
„Es muß sein," hauchte die Jungfrau, „und S i e
haben recht, mich bei meinem einfachen Namen zu nennen;
denn ich lege in diesem Augenblick das Glück, den Seelen
frieden meines ganzen Lebens in Ih re Hände."
„Und wüßten Sie Hände, in denen es besser aufge
hoben wäre? — die es heiliger hegen und Pflegen
würden?"
„D a ß ich Ihnen vertraue, mag Ihnen beweisen, wie
ich S ie achte," sagte das junge Mädchen ernst. „Sie er
innern sich doch noch, was wir neulich miteinander be
sprochen?"
„Jedes Wort, das Sie sagten, ist mir mit feurigen
Buchstaben in die Seele geschrieben."
„Auch das, was S i e sprachen," erwiderte Berchta
leise, „hatte einen lebendigen Widerklang in meinem
Herzen gefunden, und nächtelang habe ich über die Worte
nachgedacht. Jetzt ist mein Geist im klaren —- ich zweifle
und schwanke nicht mehr, wie ich handeln soll — ich
w e i ß es, und nur die Bitte habe ich an Sie, bei meinem
Vater den ersten, schweren Schritt vorzubereiten."
„Und Sie gestatten es mir?" rief Kästner emporfahrend.
„Ich erbitte es von Ih re r Freundschaft," erwiderte
Berchta, „denn ich fürchte, es wird den alten Mann schwer,
recht schwer treffen, mich so weit, so entsetzlich weit von
sich hinweg zu lassen.."
„So weit, Berchta?" sagte Kästner erstaunt.
„Liegt denn nicht gerade darin," sagte die Jungfrau,
„das ganze, gewaltige Opfer, das ich im Begriff bin, jener
heiligen Sache zu bringen? — Aber ich habe einmal den
scheinbar unweiblichen Schritt als meinen Beruf erkannt
und mich ihm gebeugt, und alles, was mir jetzt noch zu
tun übrigbleibt, ist, den Vater zu versöhnen und ihm den
Abschied weniger schmerzlich zu machen."
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„Den Abschied?" sagte Kästner mit leiser, fast ton
loser Stimme, „ich verstehe S ie nicht — welchen Ab
schied?"
„Sie verstehen mich nicht?" sagte Berchta, erstaunt
zu ihm aufschauend, „aber Sie sagten mir doch noch eben
erst, daß Sie sich deutlich dessen erinnerten, was wir neu
lich miteinander besprachen. Die Missionsgesellschaft hat
mein Anerbieten angenommen, und am fünfzehnten näch
sten Monats ist der späteste Termin, der für meine Ab
reise von hier festgesetzt wurde."
„Und wohin?" hauchte Kästner, der wie ein T run
kener, halb taumelnd vor ihr stand; denn wo er geglaubt
hatte, den Fuß auf eiu Blumenbeet zu setzen, öffnete sich
dicht vor ihm ein furchtbarer Abgrund und drohte ihn
zu verschlingen.
„Wohin?" wiederholte mit einem lächelnden Zug um
die Lippen die Jungfrau, „ich selber weiß es ja noch nicht.
Ganz in die Hände jener frommen M änner habe ich mein
Schicksal gelegt, und nur die Bitte dabei ausgesprochen,
nach einer der Südsee-Jnseln gehen zu dürfen, von wo
der Ruf eines einsamen — den Lasten feiner Arbeit fast
erliegenden Missionars zu mir herausgedrungen."
„Berchta!" rief Kästner, dem in diesem Augenblick
eine Ahnung des furchtbaren Entschlusses dämmerte.
„Berchta! Um Gottes — um Ih re s Vaters willen, was
gedenken Sie zu tun? Welcher wahnwitzige Traum hat
Ih re Seele umspannt?"
„Wahnwitziger Traum ? Ich begreife S ie nicht,"
sagte das Mädchen, ihn erstaunt betrachtend, „und haben
S i e mich denn nicht erst selber darin bestärkt und den
noch schwankenden Entschluß zur vollen Reife gebracht?
Von was sprachen S i e , als S ie mir das Glück solchen
stillen Wirkens mit freundlichen Farben ausmalten, so
daß I h r Auge funkelte, I h r Antlitz glühte und ich mich
selber von der Begeisterung hingerissen fühlte?"
„Von w a s ich sprach?" sagte Kästner mit dumpfer,
bitter klingeuder Stimme, indem er düster vor sich hin-
60
starrte, „von einem z e r s t ö r t e n Glück — einem zer
trümmerten Paradies, von weiter nichts —"
„Von einem zertrümmerten Paradies?" wiederholte
Berchta, ihn fest und forschend ansehend, als ob auch sie
jetzt ahne, was die Worte deuteten.
„Berchta," sagte da der Diakonus, dessen Antlitz jeder
Blutstropfen verlassen hatte, „ein furchtbares Mißver
ständnis muß sich zwischen uns gelegt haben, lassen S ie
uns das um Gottes willen heben. Wir müssen klar und
deutlich sehen, nur so können wir dann der richtigen Bahn
folgen. Sagen Sie mir mit einfachen, ruhigen Worten,
w a s S ie von mir verlangen, was ich mit Ihrem Vater
besprechen soll — lassen S ie uns selber erst darüber einig
werden. Ich begreife heute so schwer," setzte er dann
scheu hinzu, „der Kops wirbelt mir, daß ich fast gar nicht
denken kann. Ich habe S ie deshalb auch gewiß falsch
verstanden; bitte, wiederholen S ie es mir, aber so, daß
kein Irrtu m möglich ist."
„,Jch begreife nicht, wie Las jetzt nur sein kann,"
erwiderte Berchta, ihren eigenen Gedanken wieder nach
hängend, „aber S ie haben recht — ich fühle selber, daß
es notwendig sei, Ihnen auch nicht den geringsten Zweifel
an meinem Entschluß zu lassen — also hören Sie. Nach
dem ich lange mit mir gekämpft, hat sich mein Schicksal
endlich bestimmt entschieden. Die Missionsgesellschaft hat
mir freundliche Briefe darüber geschrieben und mich er
muntert, auf der guten Bahn zu verharren. S ie selber,
mit dem ich neulich darüber sprach, bestärkten mich in
allem, und jetzt ist eine Änderung nicht mehr möglich. Ich
habe zugesagt, das Weib eines der fernen Missionare zu
werden, die dort auf ihren, im weiten Ozean gelegenen
Inseln ein einsames, trostloses Leben nur des Glaubens
wegen führen und Unterstützung und treue Hilfe brau
chen, wenn sie nicht ihrem schweren, mühsamen Beruf
erliegen sollen. So will ich denn als Lehrerin nach jenen
wunderbar schönen Inseln gehen, die uns ja schon jener
Missionsprediger mit so glühenden Farben geschildert.
61
Die Missionare sollen nicht sagen können, daß nur Armut
und Not Frauen dahin treiben könne, um das zu tun,
was gut und edel ist — daß nur der Mann einer solchen
Aufopferung fähig wäre, Gut und Stand in der Gesell
schaft von sich zu werfen, um die Lehre des Heilandes
weiter zu tragen und jenen armen, unwissenden Kindern
des schönen Landes Belehrung und Trost zu bringen."
Kästner hatte sie mit keiner Silbe unterbrochen, aber
sein Herz hörte fast auf zu schlagen, als er sich im Geiste
das Bild ausmalte, wie Berchta allein und freundlos
in die weite Welt — aber es war ja nicht denkbar. Die
hier von jedem Luxus umgeben, als das einzige, ver
hätschelte Kind eines sie fast abgöttisch liebenden Vaters
aufgezogen, s i e wollte sich von der Mission einem frem
den unbekannten Mann auf einer fernen Insel in der
Südsee als F rau zusenden lassen? Der Gedanke schien
zu wahnsinnig, um ihn nur auszudeuten. Und doch, wenn
er ihr jetzt ins Auge sah, wie sie da begeistert, fast jubelnd
über das Opfer, das sie brachte, vor ihm stand — !
„Berchta!" rief er da aus, „das darf nicht sein. Lassen
S ie mich als Lehrer, als Freund zu Ihnen reden; lassen
S ie mich glauben, daß S ie jetzt noch ein zwar edler, aber
gefährlicher Wahn befangen hat, der aber I h r Verderben
rettungslos herbeiführen m ü ß t e , wenn Sie ihm, rück
sichtslos um alles, was Ihnen hier lieb und teuer ist,
folgen wollten. Ich leugne nicht den edlen Zweck der
Missionen, aber S ie —- S i e dürfen sich nicht in ein
Leben hinauswagen, das Ihnen mehr Täuschungen als
Erfolge bieten wird. I h r Vater k a n n S ie nicht be
gleiten, er ist einesteils zu alt dazu, und dann darf er
auch nicht seinen ganzen ausgedehnten Grundbesitz in
j e t z i g e r Zeit veräußern, und allein — schon der Ge
danke ist Wahnsinn, daß S ie allein eine wilde Insel auf
der anderen Halbkugel der Erde aufsuchen wollten, von
wo Ihnen der Rückweg für alle Zeiten abgeschnitten bliebe.
Ein s o l c h e s Opfer kann Gott — wie auch kein Mensch
oder keine Gemeinschaft von Ihnen fordern, denn es wäre
62
—
die G e w i ß h e i t , daß Si e elend für I h r ganzes Leben
würden."
„Ich begreife Sie nicht," sagte Berchta, die ihm stau
nend zugehört und leise dabei den Kopf schüttelte; „woher
jetzt auf einmal diese Schreckbilder, die S ie mir vor der
Seele heraufbeschwören wollen, während S ie noch vor
ganz kurzer Zeit — vor wenigen Wochen nur — mit be
geisterten Worten von jenem Leben, jenem stillen Frieden
sprachen?"
„Berchta," sagte da Kästner mit fast heiserer, scheuer
Stimme, „Sie zwingen mich zu reden, nicht meiner selbst,
nein Ihretwegen, um S ie vom gewissen Verderben zu
retten. Was ich zu jener Zeit sagte? Ein furchtbares
Mißverständnis, wie ich jetzt entdeckt, lag zwischen uns.
Ein trauriger, wenn auch so wunderbar schöner Wahn
hatte mich besangen. Zürnen Sie mir nicht des Geständ
nisses wegen, das ich jetzt g e z w u n g e n bin, Ihnen
zu machen: ich liebte Sie, Berchta, liebte Sie mit jener
Leidenschaft, deren ein Menschenherz fähig ist, und glaubte
in Ih re n dunklen Worten zu lesen, daß S ie mich ver
standen und bereit wären, ein Opfer, das Opfer Ih re s
Standes und Ranges zu bringen, um mich glücklich zu
machen. D as war es, was damals meine Seele mit Jubel
erfüllte, deshalb malte ich Ihnen das Leben in stiller
Häuslichkeit mit freundlichen Farben, weil ich mir bewußt
war, daß ich Ih ren Pfad ebnen und S ie auf den Händen
tragen würde für alle Zeit; deshalb sagte ich Ihnen, daß
ich die frohe Hoffnung hege, die Zustimmung Ih res
Vaters zu erlangen. Ich- wollte ihm ja nicht sein Kind
rauben, ich wollte es nur glücklich machen, wenn es selber
imstande war, in einem bescheidenen Lose sein Glück zu
finden. Das war der traurige Irrtu m , der mich erfaßt
hatte. Während I h r Geist in jenen fernen Landen
weilte, sann der meine in der Heimat Glück und Frieden,
und jetzt erst, wo ich sehe, daß ich mich getäuscht, muß
ich das falsche Zeugnis zurücknehmen, das ich, I h r e r
Meinung nach, für eine Sache abgab, an die meine Seele
63
damals nicht dachte und auch in diesem Augenblick nicht
denkt — die Wirksamkeit der Missionare auf den Inseln."
Berchta hatte, während er sprach, kein Auge von ihm
verwandt, aber sie unterbrach ihn auch mit keiner Silbe.
Sie war bleich geworden, bleich zum Erschrecken, und
ihre ganze Gestalt zitterte; aber fest und aufrecht hielt
sie sich ihm gegenüber, und nur ein weher, recht schmerz
licher Zug legte sich um ihre Lippen.
„Also das?" sagte sie leise, als er geendet, „das war
es, was S ie so beredt machte? Die eigene Leidenschaft —
nur um das eigene Glück zu sichern. Armer Freund! Da
müßten wir uns freilich falsch verstehen, denn an etwas
derartiges dachte ich nicht."
„Aber, Berchta," rief da Kästner bewegt, „es ist ja
vielleicht noch nicht zu spät! Noch können S ie —
„Halten S ie ein, Herr Diakonus!" unterbrach ihn
aber kalt und streng die Jungfrau. „Gehen S ie nicht
weiter, als S ie schon gegangen sind; es ist weit genug
und darf nicht länger zwischen uns erörtert werden. Es
w a r ein Mißverständnis, und ich will S ie darin gern
entschuldigen. Ich habe vielleicht selber unrecht getan,
nicht deutlicher mit Ihnen zu reden, aber da m i r die
Sache so mein ganzes Herz erfüllte, glaubte ich, wie ich
sehe irrtümlich, daß auch andere nur für das eine schöne,
hohe Ziel begeistert sein könnten."
„Aber das werden S ie mir doch gestatten, mein gnä
diges Fräulein," sagte der Diakonus, von dem strengen
Ton in innerster Seele verletzt, „daß ich S ie vor etwas
warnen darf, was ich, wie ich es auch wenden mag, als
I h r Unglück und Verderben betrachten muß."
„Es ist zu spät!" sagte Berchta ruhig. „Möglich,
daß eine entschiedene Mißbilligung von Ih re r Seite früher
meinen Entschluß erschüttert haben könnte, wie gerade
Ih re Billigung des Schrittes, was ich damals dar
unter verstand, dazu diente, ihn zu festigen, aber jetzt ist
es nicht mehr möglich, das Geschehene rückgängig zu
64
machen. Ich habe mein Wort gegeben und bin daran für
Lebenszeit gebunden."
„Und I h r Vater?"
„Mein armer Vater," sagte Berchta wehmutrg, „es
mag "ihm einen harten Kampf kosten und ihm im Anfang
auch vielleicht vielen Schmerz bereiten, aber er wrrd sich
damit trösten, sein Kind glücklich und einem schonen und
edlen Ziel — ja dem edelsten, das sich der Mensch gesteckt
hat — entgegenstehend zu wissen."
Und treibt S ie da I h r gutes, warmfühlendes Herz
nicht'zu weit?" rief Kästner, der den Gedanken noch nutzt
fassen konnte, Berchta einem solchen Schicksal entgegen
gehen zu sehen. „Gibt es denn nicht in unserer eigenen
Heimat viele Unglückliche zu trösten und ihre Not zu
lindern, daß wir so weit, so entsetzlich weit danach suchen
müssen?"
.
„Früher," erwiderte Berchta, während ern bittere»
Lächeln um ihre Lippen spielte, „und als jener Herr
Johnson hier war, äußerten Sie keine solche Bedenken.
„Weil mir das ganze Betragen des Mannes Achtung
einflößte," erwiderte der Diakonus, „weil ich fühlte, daß
e r wirklich sein ganzes Leben geopfert hatte, um das
zu erreichen, was er für gut hielt.
„Und m i r wollen S ie es verargen?"
^ ^
„Aber e r ist ein M a n n , schon vom SchickM be
stimmt, dem Leben trotzig die S tirn zu bieten."
„Und trauen S ie mir nicht dieselbe Kraft zu?"
"Ach, daß S ie nie auf die Probe gestellt werden, sie
in dieser'Weise zu versuchen," sagte Kästner; „aber rch
fürchte fast, jener Johnson hat in seiner schwarmerrsch
begeisterten Weise eine große, eine furchtbare Verant
wortung auf sich geladen, daß er S i e zu emem solchen
Entschlüsse verleitete."
„Und wie unrecht Sie ihm da wieder tun!" sagte
Berchta bitter; „er, gerade e r war es, nicht Sie, der
mich vor einem derartigen Schritte zurückschrecken wollte,
denn e r verstand, was in meinem Herzen vorging, und
66
um mir auch die schweren Schattenseiten jener Welt zu
zeigen, erzählte er mir die Geschichte seines eigenen
Lebens, seiner eigenen Familie, und das schreckliche
Schicksal, das diese betroffen."
„Tat er das wirklich?"
„Das tat er wirklich. Wie er selber bereit war,
a l l e s zu opfern und zu wagen, warnte er auch andere,
ihm nicht in der gefährlichen Bahn zu folgen, wenn ihr
Herz nicht stark und geprüft sei."
„Und doch folgen S ie der Warnung nicht!"
„ We i l ich mich selber für stark genug halte, ein
gleiches zu wagen. Doch es ist unnütz, darüber auch nur
noch ein Wort zu verlieren, und ich sehe, daß ich das,
was ich von I h n e n erbitten wollte, jetzt auch selber
werde ausführen müssen: meinen Vater auf den be
schlossenen Schritt vorzubereiten."
„O, verlangen S ie nicht von m i r , selber etwas
dazu beizutragen," rief Kästner erregt aus, „was, wie
ich fest üferzeugt bin, nur zu Ihrem Unglück führen
müßte!"
„Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich es nicht ver
lange,"' erwiderte Berchta kalt. „Wo ich entschlossen bin,
eine ferne Welt allein auszusuchen und mir dort eine
Heimat zu gründen, werde ich auch noch diesen Schritt
tun können. — Es ist ja mein Vater."
„Wie ein böser Traum liegt es auf meiner Seele,
rief Kästner, „wenn ich mir nur die Möglichkeit denke,
daß er seine Einwilligung geben könnte; aber er d a r f
und w i r d es nicht."
„Er d a r f und w i r d es," sagte Berchta scharf.
„Lassen Sie uns jetzt davon schweigen; der Würfel rollt,
und ehe die Sonne untergeht, will ich Gewißheit haben
über das Kommende."
Damit drehte sie sich ab und wollte das Zimmerverlässen, aber es war in dem Moment, als ob ein besseres
Gefühl sie zurückhielte. Noch einmal wendete sie sich
gegen Kästner, sah ihn fest, aber nicht unfreundlich an,
L
F r. G erstäck cr, Die Missionare.
66
und dann, zu ihm zurückschreitend, reichte sie ihm mit
einem gar so lieben Ausdruck in den Zügen die Hand.
„Denken S ie nicht im Bösen an mich," sagte sie
herzlich, „wenn uns das Schicksal einmal in unsere ver
schiedenen Bahnen geworfen hat. Glauben S ie mir,
daß ich erkenne, wie gut Sie es mit mir meinen, daß
ich Ihnen dafür danke. Ich k a n n nicht anders han
deln." Und ihre Hand rasch aus der seinen ziehend, eilte
sie aus dem Zimmer.
5.
Der Abschied.
Berchta, das Herz zum Zerspringen voll, aber trotz
dem und ganz von ihrem frommen Wahn und einer
Opfer-freudigkeit erfüllt, die an Begeisterung grenzte,
eilte hinüber in das Zimmer ihres eben zurückgekehrten
Vaters und hatte mit diesem eine lange, ernste Unter
redung, während welcher nicht einmal einer der Diener
das Gemach betreten durfte. Dann ging sie zurück in
ihr eigenes kleines Boudoir, wo sie sich einschloß und
auch an dem Abend nicht mehr zum Vorschein kam.
Es war acht Uhr abends, als der Baron noch hin
unter nach Rothenkirchen einen Boten sandte, um den
Diakonus Kästner zu bitten, zu ihm zu kommen. Bis
dahin hatte er vergebens auf ihn gewartet.
Der alte Herr saß in seinem Lehnstuhl am offenen
Fenster und schaute der untergehenden Sonne nach, die
ihre rosigen Tinten über die einzelnen leichten Wolken
warf und die ganze liebliche Landschaft mit ihrem Farbenzauber übergoß. Es war in der T at ein freundliches
Bild, das da vor ihm lag, und Wohl geeignet, das Auge
eines Menschen zu fesseln und zu erfreuen.
67
Dicht unter dem Schlosse breitete sich, nach Westen zu,
der Park aus und zog sich auf einer kleinen Hochebene
weit hin, bis er an seiner äußersten Grenze, gegen Las
Städtchen zu, abdachte und diesem nur noch ein mur
melndes Bergwasser zuschickte, das seinen Weg hindurchgenommen.
Vor oder unter dem Fenster lag eine mit kurzge
schorenem und gutgehaltenem Grase bedeckte Wiese, aber
mit lauter anscheinend ordnungslosen, doch künstlerisch
berechneten einzelnen Baumgruppen überstreut. Wahr
haft prachtvoll und wie die Königin des Parkes stand,
nicht in der Mitte, sondern etwas rechts zur Seite, eine
alte, mächtige Linde, die mit ihren hellgrünen Blättern
und wie mit Perlen überdeckten Blütendolden gar so
freundlich gegen das dunkle Laub einer kleinen Eichengruppe abstach, während zu dieser, etwa vierzig oder
fünfzig Schritt zurück, eine lichtere Dickung von Weimuts
kiefern den Hintergrund bildete. Links, ebenfalls ein
zeln, standen ein paar riesige Exemplare von Edel
tannen, mit bis zu Boden schleifenden Zweigen, daß
auch kein Schimmer des Stammes an ihnen zu erkennen
war und sie wie stolze, vornehm geputzte Damen aus
sahen, die ihre Schleppe auf der Wiese schleiften.
Dicht dazwischen lag, halb versteckt in den: hell
grünen Schilf und in überhängenden Weiden und
Trauereschen, der bräunlich funkelnde Teich, auf dem ein
paar Schwäne majestätisch ihre Bahn zogen, und wäh
rend ein mit gelbgrünem Ahorn und dunklen Fichten
gemischtes Wäldchen den Mittelgrund bildete und da
zwischen überall die roten Stämme und Zweige der Wei
mutskiefern hindurchschimmerten, sah man durch eine
kleine Lichtung nur eben die Turmspitze des im Tale
liegenden kleinen Städtchens Rothenkirchen; dicht da
hinter aber hoben sich die bewaldeten und oft pittoresk
geschnittenen Hänge des Erzgebirges hervor.
Des alten Mannes Blick hing jedoch nicht an den
Schönheiten, die ihm die Erde, sein eigenes Besitztum,
5 "
68
boten, sondern gedankenschwer schweifte er darüber hin
aus, an den fernen Wolken im Westen haftend, deren
Schimmer mehr und mehr erblich, als die Sonne tiefer
sank, bis sich endlich eine graue Dämmerung erst über
den Park und die Baumschatten lagerte und sich dann
langsam weiter und weiter über die Höhen breitete.
Der alte Freiherr sah es nicht — er saß noch in der
nämlichen Stellung, und sein Auge haftete jetzt ebenso
unbewußt als vorher an den Wolken, an dem bleigrauen
Horizont des westlichen Himmels, an dem schon hier und
da einzelne der größeren Sterne herauszublitzen be
gannen, als er plötzlich eine Stimme hinter sich hörte
und wie aus einem schweren Traum erschreckt emporfuhr.
Es war der Diakonus, der geräuschlos in das schon
in tiefer Dämmerung liegende Zimmer trat und in dem
helleren Fenster den Baron bemerkte.
„Sie haben mich rufen lassen, Herr Baron?"
„Ich?" fuhr der alte M ann empor, „doch ja — S ie
sind es, lieber Kästner. Ich hatte — immer erwartet,
daß Sie selber kommen würden; aber Sie kamen mcht,
und da ließ ich Sie bitten. S ie wissen, weshalb?"
„Ich kann es mir denken, Herr Baron; es war der
nämliche Grund, weshalb ich S ie heute nicht stören
wollte."
^
^ ,
„Stören?" sagte der alte Mann schmerzlich, „als ob
mich noch etwas s t ö r e n könnte! Meine Tochter hat
mit Ihnen gesprochen?"
„Ja."
„Und was sagen Sie dazu?"
„Großer Gott," erwiderte der Diakonus, „was ich
dazu sagen k ö n n t e , habe ich ihr selber gesagt, aber
wie sie von strengem, energischem Charakter ist, waren
meine Worte in den Wind gesprochen — sie blieben
n u tz lo s ^
schlE-g Prüfung, die mir der Herr auf
erlegt hat," seufzte der alte Mann, „eine schwere P rü
fung — Gott weiß es."
69
„Und was wollen Sie tun?"
„Was ich tun w i l I? Was k a n n ich tun? Darf
ich meine väterliche Autorität gegeu sie in die Wagschale
werfen, wenn sie mir sagt, daß der Himmel sie selber
dazu berufen habe und sie so mit einem k l e i n e n Opfer
Tausende von Seelen glücklich machen und dem ewigen
Heil gewinnen könne?"
„Und wenn sie darüber zugrunde geht?"
Der alte Mann schwieg und barg sein Antlitz eine
lange Weile in den Händen; endlich sagte er leise:
„Wir stehen alle unter Gottes Schutz, hier wie da,
und wenn mich der Herr so schwer für meine Sünden
strafen sollte — ich müßte stillhalten und mein Haupt
ihm beugen."
„Und so wollen S ie Ih re Zustimmung wirklich zu
einem Schritt geben," rief Kästner erstaunt, ja fast er
schreckt, „den ein Verzweifelnder Wohl wagen kann, wenn
ihm keine Aussicht weiter in diesem Leben geboten wäre,
der aber an Ih re r Tochter S ta tt an Wahnsinn grenzte — "
„Und d a r f ich sie hindern, ihrem Herzen zu
folgen?"
„Sie d ü r f e n es," bestätigte der junge Mann,
„ja, Sie müssen es sogar, wo ein so zartes, jugendliches
Wesen im Begriff steht, seinem Verderben blindlings ent
gegenzugehen."
„Seinem Verderben?"
„Allerdings," fuhr Kästner fort. „Was wissen wir
denn hier von den Missionen weiter, als was die Mis
sionsgesellschaften selber darüber verbreiten? Kennen
wir ihre Wirksamkeit? Können wir wirklich mit Be
stimmtheit behaupten, daß durch sie so viele Menschen
das ewige Heil erworben haben, oder lauert nicht am
Ende, wenn auch eine fromme S e l b s t t ä u s c h u n g da
hinter, die das Erstrebte für das Gewonnene ansieht?"
„Es wäre furchtbar," nickte der alte M ann; „aber
nein," fuhr er plötzlich empor, „jener Geistliche, der uns
neulich besuchte, gab uns doch wenigstens den Trost, daß
70
der Segen Gottes auf den Missionen ruhe und die E r
folge, die sie dort errungen, nach Taufenden zählten."
„Hätte er diese Schwelle nie betreten," sagte Kästner
finster, „das Unglück folgt ihm wenigstens auf den
Fersen."
„Ich begreife Sie nicht," sagte der Freiherr, erstaunt
zu ihm aufsehend, „noch vor wenigen Wochen waren Sie
Feuer und Flamme für jenes Institut, und jetzt auf ein
mal zweifeln Sie sogar an seinen doch bekannten E r
folgen. Trost wollte ich von Ihnen, Trost und Erhebung
in dem Unvermeidlichen, was mir bevorsteht, und statt
dessen bohren Sie den giftigen Pfeil des Zweifels nur
noch tiefer in mein Herz hinein."
„Aber ich begreife S i e nicht," rief der Diakonus
erstaunt. „Sie reden von der entsetzlichen Idee Ih re r
Tochter wie von einer bestimmten und abgeschlossenen
Tatsache. Es versteht sich von selbst, daß nur die edelsten
Motive sie zu einem solchen Schritt antrieben, ihr
wackeres Herz ist Bürge dafür; aber Sie k ö n n e n doch
gar nicht daran denken, ihr darin ihren freien Willen zu
lassen? I n die Südsee — als das Weib eines der dor
tigen unbekannten Missionare, die Tochter des Schlosses
Schölfenstein! — Wenn mir ein Mensch dem ähnliches
erzählte, ich würde ihn für wahnsinnig halten."
„Der liebe Gott will es so haben," sagte der alte
Mann resigniert, „ im T r a u m ist i h r d i e K ö
n i g i n j e n es E i l a n d e s e r s c h i e n e n u n d h a t
f l e h e n d d i e H ä n d e nach i h r a u s g e s t r e c k t .
— Si e g e h t und hat mein Wort, und zweifeln S ie
je t z t noch an der Wirklichkeit des eben Gehörten?"
„Nein," sagte Kästner fast tonlos, „dann kann Ihnen
auch kein Trost mehr von Menschenlippen kommen. Han
delt Ih re Tochter nach einer wirklichen oder nur getrimm
ten Inspiration, dann muß sie auch zu dem aufblicken, der
ihr dieselbe gesendet; wir Menschen sind alle schwach und
irren, und unser Herz selber führt uns ab vorn rechten
71
Wege. Ich h a b e keinen Trost für Sie." Und lang
sam sich abwendend, verließ er ohne weiteren Gruß das
Zimmer und schritt still und schweigend wieder in die
S tad t zurück.
Am nächsten Tage lies die Kunde von Mund zu
Mund, daß Fräulein Berchta von Schöffe in nächster Zeit
nach der Südsee abreisen würde, um sich dort dem Mis
sionswesen zu widmen. Berchta selber hatte schon am
anderen Morgen eine Versammlung ihres kleinen Ver
eins einberufen und machte dort die Mitteilung, die von
den Damen und Frauen natürlich mit ungeteilter, wenn
auch staunender Bewunderung aufgenommen wurde. Die
meisten glaubten es aber trotzdem noch nicht; denn es war
zu undenkbar, daß sich eine Dame von ihrem Stand und
ihren Lebensverhältnissen zu einem solchen Schritt ent
schließen könne. Die vornehme Welt aber, der es zu
Ohren kam, schüttelte den Kopf und war mit ihrem Urteil
rasch fertig: religiöse Überspanntheit, die endlich in einem
Experiment ihren Ausdruck fand. Prahlerische Fröm
melei, um eine Reise über See zu entschuldigen, und dann
nach einem Jahre, völlig geheilt, wieder zurückzukehren
— wenn die ganze Sache nicht überhaupt eine allerdings
ganz hübsche Reklame für den neuen Missionsverein
war. Daß wirklich reine Frömmigkeit die Jungfrau zu
diesem Schritte trieb, daß sie sich des zu bringenden
Opfers völlig bewußt war und trotzdem allen ihr drohen
den Gefahren mutig, ja freudig entgegenging, nur allein
in dem Bewußtsein ihren Lohn findend, ein Gott ge
fälliges Werk zu tun und, durch den eigenen Verzicht auf
alles irdische Glück, Heil und Frieden Tausenden zu brin
gen, glaubten nur wenige. Die Welt urteilt ja zu leicht
nur nach sich selber, und selbst das Gute, was in vielen
schlummert, mögen sie nicht — so lange sie es verhin
dern können —- an anderen in so viel höherem Grad ent
wickelt sehen.
Berchta aber ging von da an ruhig ihren Weg, still
und heiter, niit dem freudigen Bewußtsein, ihre Pflicht
72
zu erfüllen, und selbst der alte Freiherr schien sich hinein
zufinden, zeigte wenigstens nach außen nicht mehr, daß
ihm noch heimlich ein herber Schmerz die Seele drückte:
der bevorstehende Abschied von dem einzigen Kinde.
Das einzige, w a s ihm unbequem schien, war, daß
der Diakonus nicht mehr abends ins Schloß kam und
seine gewöhnliche Partie niit ihm machte, und ein paar
mal wollte er schon nach ihm schicken, aber er bezwäng
sich doch. L as ging nicht. Wenn der Diakonus i h n
entbehren konnte, e r konnte es ebenfalls und wollte es
ihm beweisen. Übrigens war er fest entschlossen, den
Schölfenstein und das dazu gehörige Gut, sobald Berchta
denselben wirklich verlassen habe, zu verpachten und wie
der in die Residenz zu ziehen. Nur seine eigene Wohnung
behielt er sich dann vor, um vielleicht ein paar Sommer
monate dort zu verbringen.
Briese flogen indes nach allen Richtungen aus und
kamen von verschiedenen Seiten, aber am dringendsten
von des Freiherrn Bruder, der außer sich über den Ge
danken schien, seine Nichte Berchta einem solchen Leben
entgegengehen zu sehen. Der General von Schölfe ge
hörte nämlich mit seinen Söhnen keineswegs einer soge
nannten „frommen" Richtung an. Es war eine rein
praktische, aber derb ehrliche Natur, und als seine schrift
lichen Abmahnungen sämtlich nichts halfen, hatte er sich
selber aufgemacht, um, mit Franz vereint, einen Schritt
zu hintertreiben, den er für ein Unglück Berchtas hielt
und den deshalb ihr Vater unter keinen Umständen dul
den, am wenigsten aber noch gar unterstützen dürfe.
Es folgte da allerdings eine heftige Szene im Schloß,
und während die beiden Brüder auf das lebhafteste mit
einander argumentierten, suchte Franz fein Bäschen auf
und gab sich die größte Mühe, ihr den, wie er sich aus
drückte, „unglückseligen Gedanken" auszureden. Aber
beide bemühten sich umsonst. Was Vernunft und Liebe
eingeben konnten, um das Ungerechtfertigte einer solchen
Handlung ins rechte Licht zu stellen und den Gegenpart
73
zu überzeugen, wurde vorgesucht, aber vergebens, denn
dieser stand auf einem Boden, auf welchem der alte Ge
neral keinen Fuß fassen konnte: auf seinem G l a u b e n
und einer E i n g e b u n g G o t t e s , und dagegen ließ
sich eben mit den bloßen Waffen der Vernunft — wie ja
alle theologischen Schriftsteller auch behaupten — nicht
ankämpfen.
Berchta, mit dem nämlichen Charakter ihres Vaters,
der gleich den Tempelherren alter Zeit eine merkwürdige
Mischung von aufs höchste gesteigerter Frömmigkeit und
daneben auch wieder alter Ritterlichkeit zeigte, erklärte
freundlich, aber fest, sie habe den Kampf einmal aufge
nommen und wolle und müsse ihn nun auch unter Gottes
Beistand durchführen. Franz möge sich auch nicht um
sie sorgen; sie wisse genau, w e l c h e n Schritt sie tue,
denn sie tue ihn nicht blind und in kindischem Trotz, son
dern eine höhere Hand leite sie und habe ihr sogar die
Bahn vorgezeichnet, der sie zu folgen habe — und sie
w e r d e ihr folgen.
Dagegen war eben nicht anzustreiten, und Berchta
bezog sich dabei in der T at auf einen jedenfalls sehr leb
haftem Traum, den sie zwei Nächte hintereinander gehabt
und der ihr, was ja ihr Vater auch dem Diakonus er
zählt, die Königin jener Insel zeigte, wie sie, um Hilfe
flehend, die Hände nach ihr ausstreckte und lautlos, aber
mit tiefem Schmerz zu ihr aufschaute.
Der Traum wäre auch vielleicht sehr natürlich zu
erklären gewesen, denn Berchta brütete in jener Zeit ja
unablässig über dem Gedanken eines solchen Opfers und
hörte nicht auf, wo sie ging und stand, sich das Leben
jener Inseln und ihrer Bewohner auszumalen. Es war
dabei nichts Außerordentliches, daß ihr einzelne jener
Figuren, die ihr selbst wachend vor der Seele standen,
auch im Traum erschienen; aber nicht aus den Gedanken
brachte sie trotzdem das junge, wunderbar schöne Weib
mit der dunklen Haut, das, ganz in die phantastische
Tracht jenes Landes gekleidet, mit einfarbigem Tapa-
74
schürz, aber mit frischen Blumen in den Haaren, die
Hände nach ihr ausstreckte und sie um Hilfe anflehte.
E s ist viel darüber gestritten und mit Recht auch
Wohl bezweifelt worden, daß der Traum des Menschen
mit seinem inneren Leben in irgend einer Verbindung
stehe. Viel wahrscheinlicher bleibt es, daß die Bilder
desselben willkürlich und bunt durcheinander wechseln,
und doch, wie oft finden wir, daß sonst geistig reichbegabte
Menschen gerade einem solchen Traum großen Einfluß
auf ihr ganzes Leben und Handeln gestatten und sich
beunruhigt fühlen, wenn er ihnen Böses — glücklich, wenn
er dagegen Gutes kündet. Inwieweit ein Ahnungsver
mögen selbst in den Traum hineinreicht, wissen wir aller
dings nicht, wie uns denn überhaupt unser eigenes geisti
ges Leben noch ein Rätsel ist; aber wir sollten uns auch
Wohl hüten, einem solchen Spiel unserer Phantasie
irgend welchen Wert beizulegen, denn selbst eine einfache
Täuschung schmerzt uns später und verwischt sich schwer.
Gefährlich wird aber ein solches Vertrauen, wenn sich
religiöse Schwärmerei mit ihm mischt, denn es läßt sich
dann nicht mehr berechnen, auf welche Bahnen es uns
führen kann — zum Guten oder zum Bösen.
Eine solche Gefahr existierte allerdings nicht für
Berchta, denn ihr Herz war so gut und rein, ihr Geist
so wahrhaft keusch und fromm, daß sie Wohl irren, aber
nie fehlen konnte. M it diesem unerschütterlichen Ver
trauen auf Gottes Führung hielt sie den einmal ge
faßten Entschluß denn auch treulich fest, und keine Macht
der Überredung war imstande, sie wieder davon abzu
bringen.
Der alte General von Schölfe fand deshalb bei seinem
Bruder nur passiven, Franz bei seinem Bäschen aktiven
Widerstand, denn sie bestritt ihm die Fähigkeit, über eine
Sache zu urteilen und ihr zu raten, die zu heilig sei, um
S pott damit zu treiben, und zu hoch stehe, als daß nicht
selbst die Höchsten der Erde es für eine Ehre ansehen
müßten, ihr anzugehören und für sie zu kämpfen. Und
73
was war s i e? Ein armes, schwaches Weib, nur in dem
Bewußtsein stark, baß auch der Herr mit den Schwachen
und in ihnen mächtig sei.
Damit waren alle Unterhandlungen gründlich ab
gebrochen, und die Zeit rückte auch jetzt heran, wo Berchta
an ihre Reise denken mußte. Manchmal freilich, wenn
sie morgens erwachte und ihr der Gedanke kam, daß sie
nun in wenigen Wochen allein draußen auf dem Ozean
einer fremden Welt, einem fremden Gatten entgegen
fahren solle, deuchte es sie selber wie ein wilder Trauni,
von dem sie noch im hellen Sonnenschein befangen sei.
Aber alle etwa in ihr aufsteigenden trüben Gedanken
schüttelte sie energisch ab; sie wußte, sie durfte nicht
schwanken sie konnte es nicht, und in den Vorbereitungen
zu ihrer Reise vergaß sie denn auch bald alles, was ihr
den klaren Blick hätte trüben, das Herz mit Gram er
füllen können.
Es war eine schwere Stunde, als der Tag der Ab
reise heranrückte — schwer und bitter. Berchta hielt
ihren Vater krampfhaft umfaßt und barg ihr Antlitz,
ohne ein Wort zu sagen, an seiner Schulter, und der alte
M ann'beugte sein Haupt auf ihre Locken und netzte sie
mit seinen Tränen.
Er hatte sie bis zur Hafenstadt begleiten wollen,
aber sie duldete es nicht. Ahnte sie doch, wie ihr der
Abschied weniger Minuten das Herz bedrücken würde —
sie wollte ihn nicht auf Tage oder gar Wochen ausdehnen.
S ie hatte ja auch einen Brief erhalten, daß dort der
Vorstand der Missionsgesellschaft sie erwarten und für
sie sorgen würde — dem konnte sie sich mit gutem Ge
wissen anvertrauen. S ie selber fürchtete dabei sich
schwach zu zeigen und durfte ihren Geist, ihr Herz nicht
auf eine zu schwere Probe stellen. Nur aus eins be
stand der alte Mann, und was Berchta auch dagegen reden
konnte, brachte ihn nicht davon ab, und das war, daß
Klaus, der alte, treue Diener, sie begleiten solle. D e r
wußte in der Welt Bescheid und hatte sie lieb, wie sein
76
eigen Kind. Berchta wußte dabei, wie ihr Vater selber
an dem alten Diener hing, wie schwer er ihn entbehren
würde, aber umsonst blieben alle Gegenvorstellungen, die
sie machen konnte, und sie mußte sich endlich, wenigstens
darin, seinem Willen fügen.
„Meine Berchta — mein einziges, liebes Kind! Und
du willst fort? Auf immer fort von mir?"
„Wir sehen uns wieder, Vater," flüsterte die Ju n g
frau, „wir sehen uns wieder — ich fühle es — ich weiß es.
Diese Stimme in meinem In n ern trügt mich nicht."
„Wie lange werde ich noch leben, wenn du mir ge
nommen bist? O, es ist ein schweres Opfer, das der Herr
von mir fordert. Wie Abraham hebe ich die Hand zum
Todesstoß, und er hält sie nicht zurück — der Stoß
fällt."
„Wir sehen uns wieder, Vater, glaube mir, und
glücklich dann in dem Bewußtsein erfüllter Pflicht."
„Gott gebe es, Gott gebe es," nickte der alte Mann,
dem aber doch der Zweifel an die Möglichkeit eines solchen
Glückes das Herz zerquälte, „aber nun fort — ich halt'
es nicht länger aus. Die Zeit vergeht auch; der Wagen
bringt dich sonst nicht mehr zur Bahn. Wenn ich dich
nur wenigstens bis dahin geleitet hätte — "
„Nein, Vater — kein Abschied vor fremden Menschen.
Franz hat ja versprochen dort zu sein; vielleicht ist auch
Selm a herübergekommen, und Klaus weiß ja ebenfalls
damit Bescheid. Da unten steht er schon."
„So geh denn mit Gott, mein Kind — er nehme
dich in seinen Schutz, und meinen heißen Segen auf Lein
Haupt."
„Vater — mein lieber Vater I"
Noch einmal hielten sich Vater und Tochter fest um
schlossen, dann riß sich Berchta aus seinen Armen und
eilte hinaus und die Treppe hinab.
Unten standen die Mägde — alle schluchzend, denn
allen war das „gnädige Fräulein" ja immer mehr eine
Freundin als eine Herrin gewesen; aber nur flüchtigen
77
Gruß warf sie ihnen noch zu — dort stand der Wagen —
Klaus sprang auf den Bock, und wie noch einmal das
Weiße Tuch aus dem Wagen wehte, als letzter Tränengruß dem Vater, zogen die Pferde an, und das Fuhrwerk
rollte rasch am Park hin, der vorbeiführenden Chaussee
zu und dann den Hügelhang hinab zu Tal.
Dicht vor Rothenkirchen stand der Diakonus Kästner,
etwas abseits vom Wege. Er wußte, in welcher Stunde
Berchta hier vorbeipassieren mußte — er wollte sie noch
einmal sehen. Hinter einer Hecke hatte er seinen Platz
gesucht, so daß er von dem Kutscher nicht bemerkt werden
konnte. Gerade an dieser Stelle mußte der aber auch zu
viel auf seine Pferde achten, um sich nach etwas umzu
schauen, was außerhalb der Straße lag. Nur dem alten
Klaus war die dort halb zurückgezogene Gestalt nicht ent
gangen, denn das Auge eines Jägers schweift eben, selbst
unbewußt, überall umher.
Kästner sah aber auch ihn nicht, denn sein Blick hing,
in dem raschen Moment des Vorüberfliegens, an der
Gestalt im Wagen — an Berchta, die setzt erst, wie sie
sich allein und unbemerkt glaubte, ihrem Schmerz freien
und ungehinderten Lauf ließ. Das Antlitz in ihrem
Tuche bergend, saß sie im Wagen, und ihre Tränen flössen
dem Vater — der Heimat. — Armer Kästner — keiner
von ihren Gedanken weilte bei dir, und als der Wagen
vorübergerasselt war, schritt der Diakonus, bleich und
still, seiner eigenen einsamen Wohnung wieder zu.
6.
Die Ankunft.
Sonniger Himmel und blaues Meer! I n den leicht
gefiederten Wipfeln der Kokospalme flüstert die Brise,
und draußen an den Korallenriffen donnert die weiß-
78
schäumende Brandung ihren ewigen Schlachtgesang. O,
wer dich schauen konnte, du wunderbar herrliche Welt da
draußen, der wird dich nie vergessen!
Wie das funkelt und blitzt von Milliarden T au
tropfen und dem feuchten Schmelz der zitternden breiten
B lätter; wie, wehenden Schleiern gleich, duftige Nebel
um die hohen, kühn gerissenen, aber bis in die höchsten
Gipfel hinan bewaldeten Kuppen ziehen, und am Strand
unten, in das Laub der Fruchtbäume hineingeschmiegt,
kleine lauschige Bambushütten halbversteckt liegen, um
die es von Kindern und buntgekleideten Frauen
schwärmt.
Ein Zauber ruht auf dem ganzen Lande, und wenn
es ein Paradies aus Erden gibt, so ist es dort.
Aber welch ein eigenes Leben herrschte heute an
dem dicht von Menschen gedrängten Strande, wo sonst
vielleicht nur ein paar Frauen am Wasser kauerten, um
in der Flut und mit dem klaren Korallensand die Schalen
noch junger Kokosnüsse zu Trinkbechern abzuschleifen,
oder ein einzelner Fischer auf dem stillen Biunenwasser
der Riffe auf seinem Kanoach schaukelte oder auch plötz
lich mit seinem Netz über Bord sprang, um einen Schwärm
kleiner Fische an den Strand zu scheuchen und dort in
sein Garn zu treiben. Etwas Außergewöhnliches mußte
da vorgehen, denn wunderlich geputzt, mit sonderbar
geformten, altmodischen Strohhüten auf, schaarten sich die
Frauen zusammen, während die Männer, ebenfalls in
Kattun gekleidet, rastlos umherliefen, und eine lebhafte
Unterhaltung dabei mit einem in dem Wipfel einer
Kokospalme kauernden Knaben gehalten wurde, der
augenscheinlich als Ausguck da oben hineinpostiert War,
um den unten Befindlichen mitzuteilen, was er von
dort aus sähe.
Wie alle diese Inseln, umgab nämlich auf etwa acht
hundert Schritt Entfernung ein Gürtel von Korallen*) Kanoe — sprich Kanu.
79
rissen das feste, bergige Land, und an diesem bäumten
ununterbrochen und eine der anderen folgend die mäch
tigen Schwellungen des Ozeans so hoch empor, daß eine
Aussicht auf das dahinter befindliche Meer, vom niederen
Strand aus, unmöglich wurde. Nur der Stelle fast ge
rade gegenüber, an welcher sich die Menschen sammelten,
und wo ein breiter, aber nicht tiefer Bergbach aus den
Höhen sprudelte und das Seewasser mit seiner süßen
Flut mischte, hatte sich dieses Wasser, das die Koralle,
wie es scheint, nicht vertragen kann oder wenigstens
meidet, eine Öffnung, ein sogenanntes inlet, in den
Riffen gebildet und dadurch eine vortreffliche Einfahrt in
das Binnenwasser derselben geschaffen. Erst dort konnte
deshalb auch sichtbar werden, was etwa von draußen
hereinwollte, und in der T at war auch schon gestern
abend von den Höhen aus ein Fahrzeug bemerkt worden,
das auf die Insel zuhielt, sie aber mit der schwachen
Brise nicht erreichen konnte und deshalb die Nacht da
draußen kreuzen mußte. M it Tagesanbruch hielt es
aber wieder darauf zu, und unter lautem Jubel wurde
endlich, als es näherkam, ein längst erwartetes Fahrzeug,
der Missionsschoner, darin erkannt, der in Tahiti seine
S tation gehabt und von dort aus die von Europa eingetroffenen Passagiere und Güter herüberbrachte.
„Sie kommen! S ie kommen!" schallte der Ruf des
Knaben von der Palme nieder, und: „Sie kommen!"
jauchzten die Eingeborenen am Strande, als plötzlich,
mitten zwischen den sich gegenüberstehenden Brandungs
wellen, die Weißen, geblähten Segel des Schoners sichtbar
wurden und gleich darauf der scharfe Bug desselben, ge
wandt und flüchtig, in die Einfahrt bog. Dort floppten
allerdings die unteren Segel, weil ihnen durch die hohe
Brandung plötzlich der Wind entzogen wurde, die oberen
aber faßten ihn noch, und zwar langsamer als vorher,
aber doch unaufgehalten, glitt das Schiff über die spiegel
glatte Binnensee dem jedenfalls schon bekannten Lan
dungsplatz entgegen.
80
,B oten waren indessen aber auch nach einer der unter
den Fruchtbäumen fast versteckten Hütten abgesendet, und
nicht lange danach, während der Schoner noch langsam
und jetzt fast nur durch die Flut hereingeführt seinem
Ankerplatz entgegenstrebte, bewegte sich plötzlich eine kleine
Gruppe von Gestalten dem Versammlungsort zu, die in
ihrer Tracht allerdings bedeutend von ihrer Umgebung
abstachen.
Es waren vier Missionare in ihren schwarzen Tuch
kleidern, und ganz wie sie daheim in ihrem eigenen Vater
land gegangen wären, so wandelten sie hier, unter P a l
men, zwischen dem bunten Volk dieser Inseln, ernst und
ehrbar und mit gemessenen Schritten. Aber auch eine
europäisch gekleidete Frau war zwischen ihnen — eine
ältere Dame, die aber nicht mehr gegen die Indiane
rinnen abstach, als sie daheim in irgend einer volkreichen
S tad t mit ihrer Tracht gegen die dort jetzt gebräuchlichen
Moden aufgefallen wäre.
S ie trug ein dunkelbraunes Kattunkleid mit etwas
sehr hoher Taille, nicht die S p u r einer Krinoline oder
gesteifter Unterkleider, was ihr bei ihrer langen, hageren
Gestalt gar nicht zum Vorteil gereichte, und einen jener
unförmlichen Basthüte auf dem Kopf, der wirklich eher
einem umgedrehten Kohlenkasten als einer Kopfbedeckung
glich und in jetziger Zeit in Europa jedenfalls einen
Straßenauflauf verursacht haben würde, wenn es je
mand gewagt hätte, sich öffentlich damit zu zeigen. Dort
aber fand natürlich niemand etwas Auffälliges darin,
und M rs. Löwe, wie die Dame hieß, war dabei auch eine
so geachtete, ja vielleicht sogar gefürchtete Persönlichkeit,
paß — seihst mit anderen Anschauungen europäischer
Trachten — doch sicherlich keiner der Eingeborenen auch
nur daran gedacht haben würde, über sie zu lachen.
Jetzt hatte der Schoner seinen Ankerplatz erreicht
und war so nahe herangekommen, daß man schon deut
lich die einzelnen Persönlichkeiten an Deck unterscheiden
konnte Nun rasselte der Anker auf den Korallengrund
—
81
nieder, und der Hintere Teil des Fahrzeuges schwang
herum, den Bug der noch einkommenden Flut entgegenkehrend. Dadurch wurden die Passagiere auf dem Hin
terdeck sichtbar, und man konnte schon genau drei Herren
in schwarzer Kleidung, die sich scharf von den Seeleuten
durch ihre hohen Hüte abzeichneten, und zwei Frauen
darauf erkennen.
Vom Strand aus waren indessen drei oder vier ziem
lich große Kanoes mit Auslegern oder Luvbäumen, die
diesen schwanken Fahrzeugen große Sicherheit gewähren,
abgestoßen, um die Passagiere und den Kapitän des
Missionsschoners ans Land zu holen, und eine Treppen
leiter wurde jetzt von Bord niedergelegt, um den Damen
das Niedersteigen zu erleichtern.
Am Lande hatte sich indes ein dünnes, kleines M änn
chen, ein Eingeborener, der aber merkwürdigerweise eben
falls wie die Missionare einen Frack und Seidenhut, dar
unter aber das farbige Lendentuch und bloße Beine trug,
die größte Mühe gegeben, einige Ordnung in die Zu
schauer zu bringen, was ihm auch endlich gelang, wenn
auch mit nicht geringer Schwierigkeit, da die Frauen
immer Vordringen wollten, um einen besseren Blick auf
die Neueintreffenden zu bekommen
Wie sich die Kanoes jetzt dem Lande näherten, be
gannen die Eingeborenen einen Psalm, aber so melodisch,
so rein in den verschiedenen Stimmen, daß die Fremden
erstaunt und überrascht zu ihnen hinüberschauten.. Jeden
falls besitzen alle diese Stämme außerordentlich viel Ge
hör und einen feinen S in n für Musik, und selbst ihre
einfachen Sangesweisen zeigen weit mehr Melodie, als
sie unter den Indianern des amerikanischen Kontinents
gefunden wird.
Es war in der T at ein feierlicher Moment, als die
Kanoes mit den Fremden den Korallensand des Ufers
scheuerten und die Ruderer jetzt ebenfalls, ohne Miene
zu machen, gleich an Land zu springen, an ihren Plätzen
F r, G erstL cker, Die Missionare.
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kauern blieben und in den Psalm mit einstimmten. Nicht
eher rührten sie sich auch, bis er beendet worden; dann
aber sprangen sie auch augenblicklich auf und über Bord,
während vom Ufer selber eine Menge junges Volk herbeiflog und mit anfaßte, so Laß sie die Kanoes jetzt in
wenigen Minuten so weit über den hier seichten Boden
gezogen hatten, daß die Passagiere beim Aussteigen den
Fuß auf trockenes Land setzen konnten.
M it ihnen war einer der ältesten Missionare dieser
Inselgruppen, ein M r. Rosbane, gekommen, ein breit
schulteriger, aber sehr magerer alter Herr mit einem
ernsten und strengen Gesicht, der auch von den übrigen,
wie sich später zeigte, mit großer Ehrfurcht behandelt
wurde. I n der T at bekleidete er eine höhere Stellung
in der Mission und hatte auch über deren Schoner zu
bestimmen, mit welchem er von Zeit zu Zeit Inspektions
reisen nach den verschiedenen Inselgruppen machte und
dann oft lange Zeit zur See war. Sehr leicht ließ sich
nämlich von den östlich gelegenen Inseln die Reise nach
den westlichen zurücklegen, denn der Passat wie die S trö
mung helfen da zu gleicher Zeit; ungleich schwieriger
wurde es aber, gegen beide zurückzukreuzen; und er mußte
deshalb oft wochenlang auf einer der Inseln bleiben, bis
einmal — was zuweilen auf kurze Zeit geschieht — ein
temporärer Westwind eintrat und ihn wieder ein Stück
nach Osten hinaufbrachte.
Jetzt begann die formelle Begrüßung, bei der eine
gewisse steife Etikette vorzuherrschen schien, aber die
Form mußte auch eben beobachtet werden, denn M r.
Rosbane war darin außerordentlich strikt.
M r. Löwe, am Ufer der älteste der dort Befindlichen,
trat vor und begrüßte die Neuangekommenen feierlich,
aber in etwas langgedehnter Rede, worin er die frommen
„Brüder" und „Schwestern", die sich dem Dienste der
guten Sache weihen wollten, willkommen hieß. Dann
erwiderte M r. Rosbane kurz und gedrängt, in scharf ab-
—
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gebrochenen Sätzen, daß er hoffe und e r w a r t e , die
alten Bruder würden mit den neuen auf dem Fuße der
Liebe und Achtung Verkehren und ebenso die beiden
Schwestern aufnehmen, die „des Glückes teilhaftig ge
worden wären, an den heiligen Bau mit die Hand anzu
legen, den sie hier errichtet hätten".
Damit war die nötige Form beseitigt, und eine herz
lichere Begrüßung fand jetzt durch gegenseitiges Handfchütteln statt, dem sich keiner der Neuangekommenen ent
ziehen konnte.
Und Berchta? — M it zum Zerspringen vollem, aber
auch ängstlich klopfendem Herzen sah sie das Land vor
sich auftauchen, das ihrer langen, ach, so entsetzlich langen
und bösen Seefahrt ein Ende machen sollte. Wie ganz
anders hatte sie sich diese Reise gedacht, besonders noch,
als sie hörte, daß sie eine Mitgefährtin haben würde,
die mit ihr denselben Weg, denselben Zweck verfolgte.
Allerdings fand sie auch an Bord ein junges Mädchen,
ein anspruchsloses und bescheidenes Wesen, das ver
trauensvoll ihrem fernerem Geschick entgegenging; aber
welcher Verkehr war mit ihr möglich? Im m er freund
lich allerdings, immer gefällig, wo sie nützen konnte, ja
demütig fast in ihrem ganzen Benehmen, saß sie aber
auch den ganzen langen Tag, wo sie nicht ernstlich durch
irgend etwas anderes abgehalten wurde, hinter ihrem Ge
betbuch, in dem sie mit halblauter Stimme ununterbrochen
las und oft nicht einmal hörte, wenn man sie anredete.
Es war ein junges Geschöpf von vielleicht neunzehn
Jahren, mit hellblonden Haaren und Augenbrauen und
lichtblauen, guten Augen, aber beschränkt bis zum Äußer
sten. S ie kannte allerdings die biblische Geschichte bis
auf die kleinste Kleinigkeit hinab und wußte sämtliche
Psalmen mit zahllosen Sprüchen auswendig, verstand
auch zu nähen und zu stricken — aber weiter nichts.
W a s nach der Beendigung des Neuen Testaments in
der Welt geschehen sei — die Reformation Luthers aus
genommen, war ihr ein verschlossenes Buch — was noch
6*
—
84
geschah, so weit es nicht die Missionen betraf, sie wußte
es nicht, und wenn ihr Berchta unterwegs davon erzählen
wollte, schweiften ihre blauen Augen in die weite Ferne
hinaus, und ihre Lippen murmelten indes leise Gebete,
damit sie nicht zu lange und durch profane Dinge von
ihrem Gebet abgehalten wurde.
Der einzige Trost, den Berchta überhaupt au Bord
fand, war ein nach den Inseln zurückkehrender Missions
prediger, der mit einem Auftrag nach Europa gesendet
worden. Ein ältlicher Herr schon, dessen Familie auf
den Inseln lebte, zeigte sich Bruder Howard, wie er hreß,
immer freundlich gegen Berchta, schien auch selber an dem
zu vielen Beten kein Wohlgefallen zu haben, sondern gab
sich mit den jungen Mädchen viel Mühe, um ihnen die
Sprache jener Inseln verständlich zu machen. Anfangs
hatte nun Berchta allerdings keinen rechten S inn dafür,
denn zu viel war ihr in den letzten Wochen verloren
gegangen, zu viel des Neuen umgab sie hier; als aber
Woche nach Woche, Monat nach Monat verging, und dw
Monotonie des Seelebens endlich drückend wurde, sah
sie eben in dem Erlernen der fremden Sprache dre ein
zige Rettung vor allerlei trüben Gedanken, die m rhr
manchmal selbst gegen ihren Willen auftauchen wollten
S ie d u r f t e sich diesen nicht hingeben und lernte letzt
mit einem Fleiße, der sie, noch dazu unter einem so
tüchtigen Lehrer, mit Leichtigkeit das Schwerste über
winden ließ. Noch waren sie nicht m Srcht des Landes,
als sie sich schon mit Mr. Howard in der Sprache jener
Inseln unterhielt und dadurch allerdings eine bedeutende
Schwierigkeit ihres künftigen Berufes beseitigt sah.
Und nun tauchte der erste blaue Streifen Land vor
ihnen auf uud hob sich von Stunde zu Stunde an höher
und höher, bis die mächtige Kuppe des tahitischen Berges
vor ihnen lag und ihr zum erstenmal im Leben die
Wunder der Tropenwelt erschlossen werden sollten. Aber
Tahiti war für sie nur eine Station, auf der sie wenige
Tage verweilen durfte, und wo sie allerdings auf das
85
freundlichste von einem der dort ansässigen Missionare
eingeladen wurde, die kurze Zeit ihres Aufenthalts in
seiner Familie zuzubringen.
Was sie aber hier störte, war der Komfort, der das
ganze Leben der dortigen Missionare umgab. S ie hatte
sich das anders gedacht und bis jetzt nach allem, was sie
darüber gehört, nur geglaubt, daß die frommen Männer
hier auf diesen Inseln mit Entbehrungen und Trübsal
schwer zu kämpfen hätten. S ta tt dessen fand sie dieselben
m eleganten, luftig gebauten Häusern mit grünen J a
lousien und inwendig allerdings einfach, aber doch mit
jeder nur erdenklichen Bequemlichkeit des Lebens aus
gestattet. Gefahren schienen ihnen hier ebensowenig zn
drohen; denn die Eingeborenen zeigten sich überall
so freundlich nnd gefällig, und mußten außerdem unter
einer strengen Kontrolle stehen, denn sie hatte ein Zahl
von ihnen bemerkt, die, wie ihnen der Führer sagte, Ge
fangene waren, ^oder wenigstens irgend eines Vergehens
wegen zu einer Strafarbeit am Straßenbau geführt wur
den. Der Zug bestand aus Männern und Frauen und
Mädchen, bunt untereinander gemischt. Auch das war
ihr peinlich — was hatten die Armen nur verbrochen?
und daß sie es so geduldig trugen!
Aber in Tahiti selber blieb ihr nicht lange Zeit,
darüber nachzudenken oder nähere Erkundigungen ein
zuziehen, denn der Missionsschoner, der schon fast vier
zehn Tage auf die Ankunft des Schiffes gewartet hatte,
beeilte sich soviel als irgend möglich, die für ihn be
stimmte Fracht an Bord zu bekommen, um seinen noch
ziemlich langen Weg anzutreten. Er mußte ja ver
schiedene Inselgruppen anlaufen, und durfte dabei die
günstige Jahreszeit nicht versäumen, um wieder dann
und wann Westwind bei seiner Rückfahrt zu haben.
Schon am zweiten Tage bekamen deshalb die Passa
giere Nachricht, an Bord einzutreffen, und noch an dem
selben M ittag schaukelte das kleine Fahrzeug wieder auf
der blauen Tiefe und glitt zwischen den beiden reizenden
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Inseln Tahiti und Eimeo oder Morea hin, in die offene
See hinaus.
Jetzt endlich hatten sie ihr Ziel erreicht; über ihnen
wiegten die wundervollen Kokospalmen ihre rauschenden
Wipfel, um sie her standen die fremden Kinder dieser
Zone mit ihren gutmütig dunklen Gesichtern, und dort
zwischen den schwarzgekleideten Männern — hörbar fast
schlug ihr das Herz in der Brust, wenn sie gedachte, was
sie hergeführt, und jetzt zum erstenmal schrak sie vor dem
Schritt zurück, den sie Wohl mit frommem, engelremem
S in n gewagt, aber dessen Schwere, dessen Bedeutung
sie nie so gefühlt, wie in diesem Augenblick.
Hätte sie in d e m Moment wieder zurückgekonnt
und das Geschehene ungeschehen machen, sie würde es
wahrscheinlich getan haben — aber es war zu spät, der
Würfel unabänderlich, unwiderruflich gefallen, und mit
dem Bewußtsein kehrte auch rasch ihre ganze Seelenstärke
zurück. Noch wagte sie nicht die Augen zu erheben, noch
war es ihr, als ob der Boden unter ihren Füßen schwanke,
und vor ihren Ohren klang es von einem wirren Ge
misch von Stimmen, ohne daß sie imstande gewesen
wäre, einzelne Worte oder eine Bedeutung derselben
zu unterscheiden. Aber sie fühlte, daß ihr die Kraft zu
rückkehre, und ihr Stolz empörte sich dagegen, daß erner
der hier Anwesenden sie schwach sehen solle.
„Liebe Schwester," sagte da der mit von Tahrtr
herübergekommene Bruder Rosbane — und sie fühlte
mehr, daß er mit ihr sprach, als daß sie es hörte; auch
die Augen schlug sie nicht zu ihm auf, — „wir haben
nun endlich mit des Herrn gnädiger Hilfe unser Zrel
erreicht, und der Augenblick ist gekommen, wo ich im
stande bin, den heißen Wunsch zweier unserer würdigen
Brüder zu erfüllen und ihnen eine Heimat zu geben.
Freilich keine Heimat in Glanz und Überfluß wie
müßigem Leben, nein, eine Heimat voll Mühe und Arbeit,
voll Entbehrungen und Prüfungen, von Schmerz und
Sorge oft — aber auch wieder von reichem Lohn, wenn
87
I h r denselben in der übernommenen Pflicht findet, von
lauter Dankbarkeit gegen Gott, wenn I h r Euch der
Erfolge freuen könnt, die Euer redliches Streben krönen.
So frage ich Sie denn fetzt noch einmal, öffentlich vor
allen versammelten Freunden, Schwester Berchta, wollen
Sie dem Mann, dessen Bitte um ein häusliches Glück
S ie weit über das Meer gefolgt sind, Ih re Hand reichen,
ihm in seine neue Heimat folgen, und ihm eine treue,
liebende Gattin werden?"
Berchta schwieg. Luft fehlte ihr und Atem, es war
ihr, als ob ein Eisenring ihre Kehle zusammenschnüre.
S ie vermochte auch nicht gleich zu antworten, denn die
Palmen drehten sich mit ihr im Kreise, und das Donnern
der fernen Brandung schien sie plötzlich in betäubender
Gewalt zu umtoben. Fast unwillkürlich streckte sie die
Hand aus und ergriff den Arm ihrer neben ihr stehenden
Begleiterin, die ihr freundliche ermutigende Worte zu
flüsterte. Aber so rasch wie dieser Zustand gekommen,
ging er auch vorüber. Gewaltsam schüttelte sie die
Schwäche ab, und ihr Herz mit der rechten Hand fassend
und haltend, sagte sie, nicht laut, doch vollkommen
deutlich:
» Ja — ich will es."
»Dann, Bruder Fremar," sagte der Geistliche, „bitte,
treten S ie vor, begrüßen S ie Ih re B raut und führen
S ie dieselbe nachher mit uns in die Kirche, damit die
heilige Handlung noch in dieser Stunde vollzogen werden
könne. Auch Sie frage ich aber, ob Sie gewillt sind,
diesem jungen Wesen, das ihrem Glauben und ihre Zu
versicht ein großes, sehr großes Opfer gebracht hat, indem
sie sich allein dem Schutz vollkommen fremder Menschen
anvertraute und eine weite, gefahrvolle Reise zurücklegte,
ein treuer und liebender Gatte zu sein, und sie zu hegen
und zu Pflegen und in der rechten Bahn zu halten I h r
ganzes Leben lang?"
„Ja," erwiderte eine wohlklingende männliche
Stimme, und als Berchta scheu, ja erschreckt die Augen
88
der Richtung zu aufschlug, sah sie sich zum erstenmal dem
bestimmten Bräutigam gegenüber.
Bruder Fremar war gerade nicht, was man einen
s c h ö n e n Mann nennen konnte; er war schlank, aber
etwas mager, seine Haut auch von der Sonne der heißen
Tropen gebräunt, sein Kinn etwas breit und sehr glatt
rasiert, und das volle, braune Haar beschattete eine
etwas zu tiefe S tirn , aber sonst ließ sich ein vorherrschend
gutmütiger Ausdruck in seinen Zügen nicht verkennen,
seine dunkelbraunen Augen blickten Berchta ehrlich und
offen an, und um die feingeschnittenen Lippen, zu denen
nur das etwas zu breite Kinn nicht paßte, zog sich ein
freundliches Lächeln.
Aber diese dunkelbraunen Augen hafteten auch in
freudigem, bewunderndem Staunen an der lieblichen Er
scheinung, die hier die wilde Küste betreten und sein
— auf ewig sein werden sollte. War es denn möglich,
war es denkbar, daß ihm der Himmel ein solches Glück
gesendet?
Berchta begegnete dem Blick. Das war der Mann,
den ihr der Himmel beschieden, um mit ihm Freud' und
Leid zu tragen und Gefahren und Lasten zusammen zu
begegnen. Er hatte sein ganzes Leben der Sache geweiht,
die sie von ihrer frühesten Jugend an gewohnt war als
eine heilige zu verehren, s i e sich entschlossen, an seiner
Seite zu stehen. Jetzt half es nichts mehr, scheu zurück
zuhalten, und plötzlich, mit einem raschen Entschluß die
Hand gegen ihn ausstreckend, sagte sie:
„Mit Gott habe ich das Werk begonnen, mit Gott
will ich es zu Ende führen. Hilf du mir dabei mit allen
Kräften und sei meine Stütze und mein Stab, wenn
ich wankend werden sollte."
„Das will ich von Herzen," rief der junge Missionar,
indem er auf sie zutrat und ihre Hand ergriff, und in
Gegenwart aller zog er sie langsam an sich und küßte ihre
S tirn , und vor Berchtas Augen stand der Schölfenstein,
stand ihr alter Vater und der Vetter Franz, stand der
89
Diakonus und der fremde Missionar, und das Licht, das
über alle floß, ging von der Gestalt ihrer seligen M utter
aus, die segnend ihre Hände über sie breitete.
Von da ab wußte sie wenig mehr, was mit ihr noch
geschah. Sie sah, daß eine ähnliche Zeremonie mit ihrer
Begleiterin durchgemacht wurde, deren Hand ein anderer,
noch ziemlich junger Missionar ergriff, dann setzte sich
der Zug in Bewegung, und zwischen Pandanus- und
Guiavenbüschen durch und unter den Wipfeln schlanker
Palmen hin schritt er der geräumigen, aber nur aus
Holzpfeilern, Bambusstäben und Palmenblättern errich
teten Kirche zu, in welcher jetzt die heilige Handlung
der Doppeltrauung verrichtet werden sollte.
Es war ein eigentümliches Gebäude, und sogar
Berchta, von anderen Gefühlen bewegt, konnte nicht um
hin, einen Blick um sich her zu werfen, denn so fremd,
so außergewöhnlich kam ihr alles vor.
Diese Kirche — wie man das sür den Gottesdienst
bestimmte und dazu besonders hergerichtete Haus immer
hin nennen mußte — war oval gebaut, ähnlich wie die
meisten der aus Bambusstäben aufgestellten Wohnungen
der Eingeborenen. Ih re Höhe mochte etwa zwanzig Fuß
betragen. Starke Bohlen einer dunklen, außerordentlich
harten Holzart stützten sie und bildeten auch ihre Außen
wände, standen aber dort immer in zehn Schritt Ent
fernung voneinander, während man die Zwischenräume
mit gespaltenem Bambus, künstlich ineinander geflochten,
ausgefüllt hatte. Das Dach bestand aus einer Masse fest
zusammengeschnürter Blätter einer Fächerpalmenart und
wurde von roten Schnüren durchwebt. Überhaupt hatten
es sich die Eingeborenen nicht versagen können, hier und
da buntfarbige Verzierungen anzubringen. Die Balken
waren an ihren oberen Enden blau und rot bemalt und
mit kleinen Büscheln des Arrowroot-Bastes geschmückt
und selbst einzelne Bambusstreifen der Mittelwände ge
färbt, so daß sie durch das Flechtwerk eine Art von
Muster darstellten.
90
Merkwürdig und eigentümlich aber war, daß man
das ganze Gebäude gerade über dem hier niederplät
schernden Bergbach aufgestellt, der jetzt seine klare Flut
mitten durch das Gotteshaus trieb und es dadurch ge
wissermaßen in zwei Teile schied. I m Ansang machte es
auch einen sonderbaren Eindruck auf den unvorbereiteten
Fremden, — er war dergleichen aus der Heimat nicht ge
wöhnt -— aber er versöhnte sich bald damit, wenn der
Gottesdienst begann und zu dem Singen der einfachen
Hymnen und der feierlichen Rede des Geistlichen der
Waldbach seine freundlichen Akkorde murmelte. Und
wie brünstig beteten hier die Indianer zu dem n e u e n
Gott, da sie schon gewohnt waren, die alten, jetzt Ver
bannten Götter in der Nähe des Wassers zu verehren.
Es war in der T at noch ein Überbleibsel aus der Heiden
zeit, ohne daß es die Missionare vielleicht ahnten — aber
auch gewiß ein völlig unschuldiges, wie das Rauschen der
Palmen über dem Blätterdach, oder das Donnern der
Brandung an den Riffen draußen.
Die innere Ausstattung der Kirche zeigte sich dabei
einfach, aber dem Zweck entsprechend. Die Bänke, die
rechts und links in zwei langen Reihen standen, mußten
aus dem nämlichen Holz gezimmert sein, aus welchem
die Balken bestanden, und an der einen Seite, genau
in der Mitte des Ovals, erhob sich die etwa zehn Fuß
hohe Kanzel aus dem gleichen M aterial, an dem sogar
ein eingeborener Bildschnitzer — früher vielleicht ein be
rühmter Fabrikant entsetzlicher und schreckenerregender
Götzenbilder — den Versuch gemacht hatte, Engelsköpfe
anzubringen.
Es war ihm aber dabei ergangen wie jenem Schil
dermaler, von dem ja Wohl H. Heine erzählt, daß er
sagte: „Nachbar, laßt mich auf Euer Schild einen roten
Löwen und keinen goldenen Engel malen. Ich bin 'mal
dran gewöhnt, und wenn ich Euch auch einen goldenen
Engel male, so wird er doch wie ein roter Löwe aussehen."
Er hatte auch Engel schnitzen wollen und gewissenhaft
91
die kleinen, ziemlich gelungenen Flügel an beiden Seiten
ihrer Bausbacken angebracht, aber sie schnitten entsetzliche
Fratzen, und manchmal ließ sich kaum ein menschliches
Gesicht an ihnen erkennen. Doch was tat es; die Ein
geborenen wußten ja, was sie bedeuten sollten, und damit
war allen Zwecken auf das vollständigste genügt.
Wie die Bienen schwärmten die Eingeborenen her
ein, um Zeuge der seltenen Feierlichkeit zu sein, und
Berchta fühlte, wie ihr das Herz wieder ängstlich klopfte.
Jetzt hätte sie auch gern um einen Aufschub der Trauung
gebeten; auf eine so rasche und summarische Abmachung
der Sache war sie nicht vorbereitet gewesen. Ängstlich
sah sie sich nach Hilfe um, aber wohin sie blickte, fiel ihr
Auge nur auf die ernsten, feierlichen Gesichter der Mis
sionare, und M rs. Löwe, die zwischen ihr und ihrer Reise
gefährtin stand, blickte so streng und feierlich nach oben
und schien sich so wenig in diesem Moment mit irdischen
Dingen zu besassen, daß das arme Mädchen gar nicht
wagte, sie anzureden. Und die Zeit verging, die Vor
bereitungen wurden getroffen, und die nächste Minute
schon konnte es vielleicht zu spät sein.
„Madame," flüsterte sie da, sich ein Herz fassend,
„Madame!"
Die alte Dame hörte nicht; sie schaute, wie in stillem
Gebet, über alles Volk hinweg, starr nach der Decke
hinauf.
„Madame — teure Madame!"
Ih re Stim me hatte sich jetzt so gehoben, daß die
Töne zu dem Ohr ihrer Nachbarin dringen m u ß t e n .
Außerdem berührte sie aber auch noch mit der Hand
ihren Arm, um sich darin völlig sicher zu stellen.
M rs. Löwe drehte wie erstaunt den Kopf nach ihr
nieder und sagte mit ziemlich lauter Stim m e: „Was
wünschen Sie, Schwester?" Aber ihr Blick haftete dabei
nicht auf ihr, sondern immer wieder, über den Köpfen
der Eingeborenen fort, an der Wand des Gebäudes.
92
„Sprechen S ie rasch, denn die heilige Handlung wird
gleich beginnen!"
„Ist es nicht möglich, flüsterte Berchta, und sie
mußte sich gewaltsam zwingen, daß die Worte nur hör
bar über ihre Lippen kamen, „daß die heilige Handlung
bis morgen oder übermorgen aufgeschoben wird? Ich
bin noch so angegriffen von der Reise — so erregt — "
„Nein," sagte die alte, würdige Dame, indem sie
langsam und leise mit dem Kops schüttelte, ohne aber
ihre Stellung im mindesten zu verändern, „denn ihr
werdet heute abend noch beide die Insel verlassen, um
eure Gatten, Sie nach Motua, S a ra nach Lahina, zu
begleiten. Der Schoner nimmt setzt schon frisches Wasser
und Früchte wie anderen Proviant an Bord."
„Noch heute abend?"
„Ja, mein Kind. Bis Motua, wo S ie aussteigen,
fahrt ihr beide zusammen und behaltet eure alte Kajüte,
wie auch eure sämtlichen Sachen noch an Bord sind. Dort
ist eure neue Station. Von Motua aus setzt S a ra
allein mit ihrem Gatten den Weg fort."
„So bleiben wir nicht zusammen?"
„Nein — ; aber ruhig jetzt! Die heilige Handlung
beginnt; wir dürfen sie nicht unterbrechen."
Berchta seufzte tief und angstvoll auf. Es war zu
spät. Aber was lag auch daran, wenn sie den heiligen
Akt auf einen Tag, auf wenige Stunden hinausschob.
I h r Wort hatte sie gegeben und mußte es halten, war
auch fest entschlossen dazu, was nützte da längeres und
törichtes Sträuben!
Jetzt bestieg Mr. Löwe die Kanzel, und während
Totenstille in dem weiten Raum herrschte, begann er
nach einer kaum minutenlangen Pause eins der dort
schon genugsam bekannten Gesangbuchslieder, in das die
Gemeinde aber schon beim zweiten Takt und ohne ein
Buch zu haben, gleichzeitig und melodisch einfiel, und
sechs oder acht Verse wurden so gewissenhaft durchgenommen. Jetzt endlich war der Gesang beendet, und
—
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die Predigt begann in der Sprache der Eingeborenen.
Aber so melodisch und besonders vokalreich sie auch sein
mochte, die scharf abgerissenen, ja fast abgehackten Sätze,
mit einer schnarrenden, unangenehm lauten Stimme
gesprochen, klangen nicht so, und den S inn, obgleich sie
sich des Idiom s mächtig geglaubt, verstand Berchta trotz
dem nicht. S ie konnte ihren Geist nicht dazu sammeln.
Und der wackere alte Herr wurde dabei nicht fertig.
Im m er wieder von neuem, wenn er manchmal seine
Stimme gesenkt und frisch Atem geholt hatte, setzte er
ein, und die übrigen Missionare schienen selber unge
duldig zu werden — nur M rs. Löwe stand wie aus Stein
gehauen.
D a plötzlich, und noch eben in voller Begeisterung,
brach er ab, und in seine gewöhnliche Redeweise zurück
fallend, sagte er vollkommen ruhig:
„Und nun laßt uns daran gehen, geliebte Brüder
und Schwestern, das Band zu knüpfen, das vier glückliche
Menschen machen und diesen Inseln Heil und Segen
bringen soll. Bruder Rosbaue, ich dürfte S ie Wohl
bitten, die heilige Handlung, die wir dann wieder mit
einem Lied beschließen wollen, vorzunehmen?"
I n der Kirche entstand jetzt große Unruhe; die Ein
geborenen, denen die Sache auch etwas lauge gedauert
haben mochte, räusperten sich, flüsterten miteinander und
standen meist von ihren Sitzen auf. M r. Löwe kam lang
sam von der Kanzel herunter, und Bruder Rosbane über
nahm die Leitung des Ganzen, das allerdings feierlich,
aber doch wie eine Art von Geschäftssache, nach d,er vor
geschriebenen Form beendet wurde. Berchta folgte dabei
wie ein Opferlamm zur Schlachtbank. S ie hatte keinen
Willen mehr, und das ganze Fremdartige der Umgebung
betäubte sie, ja schüchterte sie ein. Der Aktus wurde
natürlich in englischer Sprache gehalten und ging ver
hältnismäßig rasch von statten. Wie es schien, war schon
alles, was dazu gehörte, vorher in der Sprache der Ein
geborenen von der Kanzel gesagt worden, und freilich
hatte Berchta von dem nur sehr wenig, S a ra gar nichts
verstanden. Darauf konnte aber natürlich in diesem Falle
keine Rücksicht genommen werden, und das entscheidende
„ Ja" tra t an die beiden Bräute heran, ehe sie sich dessen
nur klar bewußt waren. Aber es wurde gesprochen, leise
zwar und kaum hörbar, aber doch verständlich für die
Zunächststehenden; dann segnete der Geistliche die beiden
Paare ein, und unmittelbar danach begann Bruder Löwe
den schon vorher angekündigten Gesang, in welchen jetzt
die Gemeinde laut und mit gutem Willen einstimmte.
Der Missionar Fremar tra t jetzt wieder zu seiner
jungen Frau, küßte sie leicht, aber freundlich auf die
S tirn und wendete sich dann zu den übrigen, um ihnen
ringsum die Hand zu schütteln.
Berchta stand allein; die alte M rs. Löwe hatte sich
zu ihr gewendet und ihr ein paar weit mehr ermahnende
als herzliche Worte gesagt, deren S in n sie nicht einmal
verstanden. S ie reichte ihr dabei die Hand, und das
arme, junge Wesen, in seiner furchtbaren Aufregung,
wollte sie an sich ziehen. M rs. Löwe wußte aber viel
leicht besser, was sich schickte.
„Mein liebes Kind," sagte sie ernst, indem sie ihr
die Hand entzog, „fassen S ie sich; bedenken Sie, wo S ie
sind. Nur kein Aufsehen hier in Gottes Haus erregen!"
Und sich von ihr wendend, schritt sie hinüber zu S a ra,
die still und demütig, mit niedergeschlagenen Augen, noch
immer auf der nämlichen Stelle stand.
Berchta rang nach Lust, die schwül und drückend auf
ihr lag. Es war ihr in diesem Augenblick, als ob sie
von allen Menschen verlassen sei und allein und einsam
auf der weiten Welt stehe. Und war denn niemand da,
der ihr nur ein einziges herzliches Wort hätte sagen
können? Angstvoll suchte ihr Blick umher, da fiel ihr
Auge auf den treuen, alten Klaus, der hinter ihr etwas
zur Seite stand und mitleidsvoll! nach ihr herüberschaute
— das war ein Gruß aus der Heimat — mit Blitzes
schnelle tauchte das alte Schloß und die gramgebeugte
—
95
—
Gestalt ihres Vaters dort vor ihr auf, und ehe sie selber
wußte, was sie tat, schwankte sie auf den alten, treuen
Diener zu, lehnte ihr Haupt an seine Brust und jetzt —
jetzt zum erstenmal flössen die zurückgehaltenen Tränen
und losten den Schmerz in ihrem lindernden Strome auf
S ie sah nicht das Erstaunen der Missionare oder
den entrüsteten Blick, den M rs. Löwe nach ihr hinüberschleuderte; sie fühlte nur, daß sie hier — hier ein Herz
hatte, das noch mit treuer Liebe an ihr hing, und alles
andere war in dem Moment vergessen.
Am meisten in Verlegenheit geriet freilich Klaus
selber; er war blutrot geworden, aber das Mitleiden mit
dem armen, wie er glaubte, verlassenen Kinde gewann
doch rasch bei ihm die Oberhand.
„O mein gütiger Gott!" flüsterte er leise vor sich,
indem er die zitternde Gestalt der Armen mit seiner
sehnigen Hand unterstützte, „ob ich es mir nicht gedacht
habe — ob ich es mir nicht gedacht habe. Und jetzt
sitzen wir mitten im Wasser und können nicht wieder fort.
O das Unglück, das Unglück!"
Die Worte brachten Berchta wieder zu sich selber.
Klaus durfte einen solchen Verdacht nicht fassen. Es war
ihr freier Wille gewesen, hierherzukommen. Sie hatte
gewußt, was sie hier erwartete; sie durfte sich jetzt, da
es geschehen, nicht schwach und kindisch zeigen.
„Nein, Klaus," flüsterte sie, sich emporrichtend, „kein
Unglück — nur der Gedanke an das Vaterhaus überkam
mich. Jetzt ist es vorbei. Es ist gut — alles ist gut,
oder — wird noch gut werden — habe nur keine Furcht
— ich werde glücklich — glücklich schon in dem Bewußt
sein, ein gutes Werk vollbringen zu helfen, und dann
auch andere glücklich machen. Ich weiß nur nicht, was
mich für einen Augenblick überkam; jetzt ist es vorbei."
Und mit den Worten schüttelte sie die Tränen von den
Wimpern und wendete sich wieder gegen ihren Gatten,
der jetzt von allen übrigen die Glückwünsche angenommen
hatte und auf sie zukam,.
96
—
„Ja," brummte Klaus leise vor sich hiu, indem er
ihr mit düsterem Blick nachsah. „Jetzt ist es vorbei —
alles vorbei. Wenn uns Loch der — " er zerbiß ein hartes
Wort zwischen den Lippen, denn er mochte Wohl selber
fühlen, daß es an den O rt nicht so recht paßte.
7.
Nach der Trauung.
Jetzt kam aber auch reges Leben in die Versamm
lung', die Zeremonie war nicht allein vorüber, sondern
die Gemeinde auch hungrig geworden, und alles drängte
nun hinaus ins Freie, um teils die eigene Wohnung auf
zusuchen, teils aber auch die Vorbereitungen zu der ge
meinschaftlichen Mahlzeit zu treffen, welche heute aus
Anlaß der feierlichen Gelegenheit von den Missionarfamilien gehalten werden sollte.
Ein paar von den Eingeborenen waren sogar wäh
rend der Kirche schon mit der Hauptsache zu Ende ge
kommen, nämlich einige junge Spanferkel auf die ihnen
eigentümliche und vortreffliche Weise zu backen, und in
der dicht neben der Kirche befindlichen Wohnung des ehr
würdigen Mr. Löwe, die sich geräumig genug zeigte,
sämtliche Gäste zu fassen, war ein großer Tisch aufge
stellt. Da aber die Sessel doch nicht zureichten, hatte
man rasch einige lange Bambusbänke konstruiert, und
dort wurde jetzt gedeckt.
S o viel des Neuen war den Eingeborenen freilich
lange nicht geboten worden, als gerade heute, und ein
ewiges Flüstern ging durch ihre Reihen, während ein
zelne, was man ihnen gut genug ansehen konnte, am
liebsten geradeheraus gelacht hätten, — wenn sie nur
eben gedurft. Aber die Scheu und Ehrfurcht vor den
97
Mitonares, wie sie die Missionare nannten, war doch zu
groß und ließ eine laute Fröhlichkeit, wenigstens in ihrer
Gegenwart, nicht zum Ausbruch kommen.
Am meisten interessierte sie jedenfalls der „grüne
Mann", welchen Namen Klaus augenblicklich bekam, so
wie er nur den Boden dieser Inseln betrat; ja selbst
in Tahiti war er noch — natürlich ohne es selber zu
wissen — unter dieser Bezeichnung in der Erinnerung
des fröhlichen, leichtherzigen Volkes geblieben. Männer
mit s c h w a r z e n Kleidern hatten sie in Menge ge
sehen — sehr viele — auch in roten und blauen, wenn
die Matrosen der dort zuzeiten anlegenden Walfischsänger manchmal in ihren roten oder blauen Hemden
aus Land kamen; aber ein Weißer in einem solchen ent
schieden g r ü n e n Rock war ihnen denn doch noch nicht
vorgekommen, und sie konnten sich nicht satt an ihm
sehen. Ebenso aber fiel ihnen S a ra mit ihren ganz
hellblonden, fast Weißen Haaren und ebenso merkwürdig
hellblauen Augen auf. Wenn man hineinsah, war es
gerade, als ob man im Sonnenschein, draußen außerhalb
der Riffe, in die tiefe See hinabschaute.
Und wer war denn der Alte überhaupt? Der frem
den Weißen Frau Vater? Aber das sah ihnen auch nicht
so aus, denn da betrug er sich zu ehrfurchtsvoll gegen
sie. Der Gedanke, daß er ein Diener sein könne, kam
ihnen nicht; die Weißen machten ja keine Gefangenen,
und die nur dursten dienen und Sklavenarbeit verrichten.
Jedenfalls war es ein armer Verwandter, und damit
beruhigten sie sich endlich, denn das kam ja auch bei
ihnen fast in jedem Haushalt vor, daß solche „arme Ver
wandte" mit durchs Leben geschleppt wurden und gegen
ihre Wohltäter sich dann selbstverständlich auch ehrfurchts
voll betragen mußten.
Das Essen war indessen bereitet, und Berchta bekani
zum erstenmal Gelegenheit, mit ihrem Gatten ein PaarWorte zu wechseln und ihn aufmerksamer als bisher zu
betrachten. Er sprach lieb und gut mit ihr. Er hatte
Kr. Gerstäc ker, Die Missionare.
—
98
—
ihre Hand ergriffen und war mit ihr an den Strand
hinabgegangen, wo er ihr sagte, wie glücklich es ihn
mache, daß s ie gerade seiner Bitte gefolgt fei und
ihm hier die Lasten und Mühen der Mission wolle ge
treulich tragen helfen. S ie solle es auch nie bereuen;
er wolle alles tun, was in seinen Kräften stehe, um ihr
das einsame Leben auf Motua, wohin ihr Ziel läge, er
träglich zu machen. Sie solle sich auch nicht vor dein
wilden Lande fürchten; das Volk sei gut und brav, mir
leider noch von blindem Heidentum befangen, und ihnen
wäre deshalb das Glück vorbehalten, es davon zu be
freien und der ewigen Seligkeit zu gewinnen. Könne es
ein schöneres Los auf der Welt geben? Er wisse freilich
nicht, wie e r solch ein Glück verdient habe, sie gerade
die Seinigs zu nennen, und er wolle sich ihr gewiß ewig
dankbar dafür zeigen.
Sein dunkelbraunes, gutes Auge glänzte, während
er so sprach, was dem sonst eigentlich zu ruhigen Gesicht
Leben und Ausdruck verlieh.
Thomas Fremar mochte ungefähr vierzig Jahre
zählen, vielleicht war er noch nicht einmal so alt, und
der längere Aufenthalt in einem heißen Klima hatte
nur dazu beigetragen, ihn älter aussehen zu machen.
S c h ö n konnte an ihm eigentlich nichts genannt werden
als seine Augen und die beiden Reihen tadelloser Zähne,
weiß wie Elfenbein, und doch war er nicht häßlich, nur
etwas weichlich in seinem ganzen Wesen, wie sich auch
der Druck seiner Hand anfühlte. Man traute dem Mann
auf den ersten Blick kaum zu, daß er irgend welche Energie
entwickeln könne.
Indessen hatten die Missionare in ihrem Hause eine
Beratung über eine höchst eigentümliche Sache, und
zwar die, ob man dem mitgekommenen Begleiter der
fetzigen Schwester B e r t a — wie sie von den Missionaren
genannt wurde — gestatten solle, mit an dem Tisch zu
essen, oder ob er seinen Platz besser bei den Eingeborenen
erhielte. Daß es ein früherer D i e n e r des Hauses sei,
99
wußte man. S a ra hatte das auch bestätigt, und Bruder
Rosbane gestand aufrichtig, daß ihm d i e s e Beigabe
eines „Weißen Mannes" in der Mission nicht besonders
angenehm sei, da man nie voraus wissen könne, wie er
sich betragen werde. Traurige Beispiele hatten sie da
genug an weglaufenden Matrosen anlegender Schiffe ge
habt, und es war bis jetzt überhaupt unerhört gewesen,
daß sich die F rau eines Missionars einen männlichen
Diener mitgebracht. Der von der Missionsgesellschaft er
haltene Brief ging aber über die Ursache des Tatbestandes
leicht hinweg und autorisierte nur den besagten Klans
Vetter, wie der Mann hieß, bei seiner Gebieterin zu
bleiben, wobei man die Hoffnung aussprach, daß er sich
allen auf den Inseln bestehenden Gesetzen auf das strik
teste fügen würde. Aber in welches Verhältnis, tra t er
jetzt auf der Mission? Denn daß er als Diener hier
weiter existieren könne, schien undenkbar, und das
schlimmste dabei war, daß gerade dieser Tag, sein
erster Empfang von feiten der Missionare auf den Inseln,
darüber entscheiden müsse, ob er als gleichberechtigter
oder untergeordneter Weißer behandelt werden könne.
Die Meinungen schienen geteilt, und Bruder Fremar,
dem darin eigentlich eine entscheidende Stimme zustand,
da er ja mit dem Mann besonders verkehren sollte, war
abwesend. Da entschied endlich Bruder Rosbane, indem
er erklärte, es sei ihm nicht recht, daß der alte M ann mit
herübergekommen wäre, wie aber die Sache einmal
stünde, würde es große Schwierigkeiten haben, den Ein
geborenen den wahren Tatbestand zu erklären, und viel
besser sei es da, sie nicht glauben zu machen, daß sie mit
dem Missionsschiffe auch solche Leute herübergeschickt be
kämen, die nicht mit der Mission in genauester Beziehung
stünden. Der Mann sei schon in den Jahren und scheine
von harmlosem Charakter; die Missionsgesellschaft drüben
würde sich außerdem jedenfalls genau nach ihm erkundigt
haben, ehe sie. ihm die Erlaubnis erteilte, mitzureisen,
und es wäre ja möglich, ihn vielleicht später, wenn er
7*
100
sich erst richtig eingewohnt, auch in passender Weise zu
verwenden. Das ginge indes nicht an, wenn sie ihn hier
als untergeordneten Diener eingeführt, und da sich die
meisten Missionare, selbst M rs. Löwe, dieser Ansicht an
schlössen, bestimmte man endlich, daß er mit am großen
Tische speisen solle. Außerdem wurde der Vorschlag ge
macht, den Mann zu veranlassen, wenigstens während
des Essens seinen etwas auffallend grünen Rock auszu
ziehen und einen schwarzen Frack anzulegen. BruderLöwe hatte noch, wie er erklärte, einen alten, der ihm
etwa passen würde, und es sah doch etwas anständiger aus.
Hierin hatten sie indessen die Rechnung ohne den
W irt gemacht. S a ra mußte dolmetschen, Klaus verstand
aber kaum, um was es sich handle, als er auf das be
stimmteste erklärte, er werde unter keiner Bedingung eine
solche „schwarze Jacke" anziehen und sich lächerlich machen.
Er habe es nicht einmal bei seiner Konfirmation getan,
und jetzt stecke er in seinem grünen Rock und bleibe drin.
Am Tisch brauche er überhaupt nicht mitzuspeisen; sie
sollten ihm nur etwas zu essen geben, denn er wäre
mordsmäßig hungrig geworden, nachher wolle er sich mit
Vergnügen dazu unter einen grünen Baum setzen. Es
sei überdies eine so lange Zeit vergangen, seit er keine
grünen Bäume gesehen habe — er sehne sich danach.
M it dem alten Burschen war nichts anzufangen, und
es blieb also nichts anderes übrig, als ihn zu nehmen,
wie er eben war, das heißt im grünen Jagdrock.
Klaus hatte indessen, als ihn S a ra verließ, mit
nicht geringem Erstaunen eine Anzahl von Eingeborenen
beobachtet, die mit kleinen hölzernen Spaten einen nie
drigen Erdhügel umzugraben begannen. Er zerbrach
sich dabei den Kopf, was sie damit bezweckten. Steckte
vielleicht irgend ein fremdländisches Tier — irgend eine
südseeländische Hamsterart — darunter, das sie auszugraben gedachten? Aber war es Lenkbar, daß der sich
so nahe zwischen die Wohnungen der Menschen wagen
würde? Er sollte nicht lange im Zweifel bleiben, und
101
sein Erstaunen wuchs, als er gleich darauf nicht etwa die
Röhren eines unterirdischen Baues, sondern grüne, etwas
verwelkte Blätter und dazwischen ein äußerst angenehm
duftendes und braungebratenes Spanferkel entdeckte, dem
gleich darauf ein zweites und drittes folgte.
Das war ein Kochofen? — Und wo um des Himmels
willen machten sie da das Feuer an, um das Fleisch gar
zu bekommen? Denn auch nicht die S p u r von Kohlen
war zu erkennen. Aber die Eingeborenen faßten lachend
die Spanferkel bei Kopf und Schwanz an und hoben
sie in die Höhe, und da fielen eine Menge runder Bachkiesel heraus, die selbst jetzt noch heiß waren, und damit
deutlich genug verrieten, wie die kleinen Schweinchen ge
braten worden waren.
Jetzt aber begann auch die Mahlzeit, denn damit
durfte nun nicht mehr gezögert werden. Von allen
Seiten kamen junge Mädchen herbei, von denen die einen
Früchte, andere geröstete Brotfrucht, andere Fische trugen.
Schüsseln gab es dabei nicht. Sämtliche Speisen auf
dem Tisch wurden auf grünen, breiten Blättern serviert,
die allerdings den nämlichen Dienst verrichteten, und nur
Teller schienen vorhanden, um alle Gäste damit zu ver
sehen. Ebensowenig fehlte es an Messern, Gabeln und
Löffeln, und bei jedem Kuvert stand eine geöffnete grüne
Kokosnuß als Getränk, denn Wein oder Branntwein war
bei den Missionaren streng verboten und durste nicht
einmal von irgend welchem Schiff an Land gebracht
werden.
Vor Tisch hielt Mr. Rosbane ein allerdings etwas
sehr langes Tischgebet, das die heutige Predigt noch
einmal rekapitulierte und einige andere Gedanken daran
knüpfte, und Klaus, der sich überhaupt nicht wohl an
e i n e m Tische mit dem „gnädigen Fräulein" fühlte,
griff wohl zehnmal indessen ganz in Gedanken nach
Messer und Gabel und ließ sie, immer erschreckt, wieder
los, wenn der neben ihm sitzende Missionar langsam,
aber ernst den Kopf nach ihm umdrehte.
102
Endlich fand sich auch hier der Schluß, und die
delikaten Speisen, denen er wacker zusprach, ließen in der
T at nichts zu wünschen übrig.
Selbst Berchta war heiterer geworden. S ie saß
neben ihrem Gatten, und während sie sich deS frugalen,
echt landesüblichen Mahles freute, sprach Fremar mit
ihr in seiner gewöhnlichen milden Weise, erklärte ihr
manches, das sie noch nicht kannte, und erzählte ihr von
dem künftigen Leben, das sie da drüben aus Motua
führen würden, und das er ihr dabei mit den freund
lichsten Farben ausmalte. Berchta fühlte auch, daß sie
das Schlimmste überstanden habe; der erste Moment des
Eintreffens war vorüber, und wenn sie hier sah, wie
freundlich und gesittet sich selbst die „Wilden" betrugen,
was sie jedoch nur dem wohltätigen Einfluß zuschreiben
konnte, den die Missionare aus sie ausgeübt, so ging ihr
das Herz in den: Bewußtsein auf, jetzt bald selber tätig
und heilbringend in die Verhältnisse einer anderen Insel
eingreifen zu können und dort das nämliche Resultat her
vorzurufen.
Auch alle übrigen Missionare waren gut mit ihr und
schienen sich Mühe zu geben, ihr die erste Stunde oder
doch den ersten Tag auf dem Boden, der von jetzt an ihre
Heimat bilden sollte, angenehm zu machen. Nur die alte
M rs. Löwe — oder Schwester Löwe, wie sie genannt
wurde — wich davon ab. Wenn sie wirklich ein Wort
zu ihr sprach, so war es immer nur eine Ermahnung
oder irgend eine, wenn auch noch so versteckte Rüge über
etwas, was sie getan oder nicht getan, und ein Lächeln
hatte sie noch nicht auf ihren Lippen gesehen. Die I n
sulaner schienen sie auch in der T at mehr zu fürchten,
als einen der Missionare selber, und wie sie nur den
Kopf bei Tisch halb zur Seite drehte, flogen schon drei
oder vier herbei, um zu erfahren, was sie etwa wünsche.
Allerdings hatte sich nun Berchta auf der Reise von
Tahiti hierher vorgenommen gehabt, sowie sie die erste
Mission erreiche, sich selber bei den Eingeborenen nach
103
ihrem Leben, der Art, wie sie lernten, und manchem an
deren zu erkundigen; aber wie wäre daS in den wenigen
Stunden, die ihr hier blieben, möglich gewesen? Sie
vergingen ihr in ungeahnter Schnelle, und sie hatte das
Neue hier noch nicht einmal in seinen größeren Umrissen
erfaßt, als Mr. Rosbane schon wieder die beiden jungen
Paare ermähnte, sich zum Aufbruch bereitzuhalten, da der
Schoner in etwa einer Stunde, und zwar ehe die Ebbe
vollständig ausgelaufen war, seinen Anker lichten sollte,
um die Ausfahrt mit günstiger Ström ung zu gewinnen.
T at er das nicht, so mußte er bis morgen früh hier
liegen bleiben, denn in dunkler Nacht durfte er nicht
wagen, zwischen den eng zusammenliegende,: Brandungs
wellen durchzustellen,.
Das war freilich nur eine kurze Rast gewesen, aber
es ersparte auch eine Menge Mühe, denn die Sachen
der Passagiere brauchten gar nicht an Land geschafft zu
werden, und überdies bekamen sie ja doch auch — je
früher sie dort eintrafen, desto eher eine Heimat, und
das blieb vor allem die Hauptsache.
„Und wohnten schon Weiße auf Motua?"
„Nein. Früher hatten die Missionare einmal eine
Station dort errichtet, waren aber, obwohl man ihnen
sonst kein Leid zufügte, von den Wilden nicht geduldet
worden. Die fremden Männer glaubten es mit Geduld
zu erzwingen, aber eines Tages wurden sie von einen,
Trupp Eingeborener überfallen, mit ihren sämtlichen
Sachen in Kanoes gepackt und hier nach Laua geschafft,
wo man sie an einem Felsenvorsprung aussetzte. I n
Laua zeigten sich die Eingeborenen freundlicher, und es
gelang ihnen endlich, das Oberhaupt des Stammes von
der wahren Lehre zu überzeugen. S eit der Zeit hatten
sie rasche Fortschritte gemacht und jetzt schon wenigstens
den dritten Teil der Insel ihrem Glauben gewonnen."
„Und jetzt soll in Motua der Versuch erneuert wer
den?" fragte Berchta, doch von dem eben Gehörten etwas
—
104
eingeschüchtert, denn auf einen freundlichen Empfang
durften sie in diesem Fall nicht rechnen.
„Nein, mein Kind," sagte der alte Mr. Rosbane
freundlich, „haben S ie keine Furcht. Wir sind diesmal
von dem König, der auf Motua herrscht, selber gebeten
worden, Weiße Männer hinüberzusenden, und dieser hat
auch schon Wohnungen für sie Herrichten lassen, und ihnen
einen Distrikt Land und viele Kokospalmen angewiesen.
J a , so ungeduldig war er, sie drüben zu sehen, daß erst
vor wenigen Tagen ein Kanoe von dort herüberkam,
um anzufragen, ob man denn seiner Einladung nicht
Folge leisten wolle."
„Der König sendete es selbst?"
„Der König und die Königin I"
„Die Königin?" hauchte Berchta, und aufs neue stieg
vor ihrem Geist jenes Traumbild empor, wo Las junge,
wunderbar schöne indianische Weib flehend die Arme nach
ihr ausstreckte,^ als ob sie bei ihr nur Hilfe suche.
„Dann mit Gott!" murmelte sie leise. „O, wie
gern will ich ja alles ertragen, alles dulden, wenn ich
nur jener stillen Welt den wahren Frieden bringen
kann."
!
.i > l^
!
„Und das wird geschehen," sagte Rosbane freund
lich. „Haben Sie guten Mut, der Ansang wird schwer
sein; S ie werden manches entbehren müssen, was Sie
daheim vielleicht gewohnt gewesen; aber der Lohn ist
ja auch dafür desto reicher; das eigene Bewußtsein schon,
dem Himmel so viele Seelen gerettet zu haben, zahlt das
alles hundert- und tausendfach."
Von jetzt an war es, als ob eine eigene stille Heiter
keit in ihr Herz eingekehrt sei. Sie schaute in das liebend
und vertrauend zu ihr erhobene Antlitz des Gatten und
war sich in dem Augenblick bewußt, daß nichts als der
Tod sie hindern könne, das Begonnene auch wacker durchzuführen.
Aber jetzt lies die Zeit auch ab, die ihnen noch auf
Laua gestattet worden. Die Kanoes lagen schon bereit,
105
üie sie wieder an Bord führen sollten, und die Missionare
singen schon an, von den jungen Paaren Abschied zu
nehmen. Da schritt M rs. Löwe feierlich und mit der ihr
innewohnenden Würde aus Berchta zu, und diese sah über.
rascht zu ihr auf, denn in ihren Händen trug sie einen
IMer wunderlich geformten Kohlenkastenhüte, aus groben,
strotz ziemlich roh geflochten. War das ein Geschenk
für s ie ? "
„Schwester Berta," sagte die alte, ehrwürdige Dame
dabei und warf ihr einen strengen Blick zu, denn sie hatte
vielleicht den fast mutwilligen Zug bemerkt, der um
Berchtüs Lippen zuckte, „ich habe Ihnen hier ein Muster
mitgebracht, wie Sie auf Motua die Hüte für alle solche
der eingeborenen Frauen herzurichten haben werden,
welche sich dein wahren Glauben erschließen, da ihr heid
nischer Kopfschmuck und andere abgöttische Zeichen und
Zieraten natürlich nicht mehr geduldet werden können."
„Aber, beste Schwester Löwe," sagte Berchta mit
ihrer lieben, gewinnenden Stimme, „als M u s t e r ist
der Hut doch eigentlich nicht hübsch genug. Wollen Sie
das nicht m i r überlassen?"
„Nein, erwiderte M rs. Löwe, durch die Zwischenfrage nicht eben freundlicher gestimmt. „Bruder Fremar
hat schon seine vollen Instruktionen, in denen die übliche
Tracht für alle c h r i s t l i c h e n Frauen fest bestimmt
ist. S ie werden sich daran gewöhnen müssen, daß wir
,n d i e s e m Teil der Welt n ic h t mit den Moden jeden
Monat wechseln, wie Sie es vielleicht daheim gewohnt
gewesen."
„Ich will mich ja gern jeder hier üblichen Anord
nung fügen," sagte Berchta scheu, denn es lag ihr nichts
ferner, als die alte Dame zu reizen.
„Das haben wir auch von Ihnen erwartet," nickte
M rs. Löwe, etwas freundlicher: „die Kunst, das Stroh
für die Hute zu bereiten, kennen fast alle diese Stämme:
das einzige, was S i e dabei zu tun haben werden, ist,'
ihnen die richtige F o r m zu geben, und gerade zu dem
106
Zweck brauchen Sie das Muster notwendig. Übrigens
wird Sie Bruder Frcmar schon in allem Nötigen unter
weisen."
Gerade, als sie zusammen sprachen, liefen ein Paarjunge eingeborene Mädchen auf sie zu, erschraken aber,
als sie die allgefürchtete M rs. Löwe Plötzlich entdeckten,
und schritten jetzt steif und langsam an ihnen vorüber.
Diese trugen die Hüte, und Berchta konnte wirklich
kaum ein Lächeln unterdrücken, als sie den wunderlichen
Kopfputz näher betrachtete, der, nach oben hoch ausge
schweift, hinten einer stumpf abgeschnittenen Kanone glich
und selbst nach den Schultern hinab ein paar Flügel
sendete. Und darunter die nur dünn bekleideten, schlan
ken und gewandten Gestalten der Mädchen; es sah wirk
lich zu lächerlich aus.
„Alles übrige," fuhr die alte Dame fort, „kann ich
Ihnen Wohl vorderhand und unter Bruder Fremars
Leitung allein überlassen, denn von Zeit zu Zeit kommt
doch Bruder Nosbane und mein Mann einmal hinüber,
um den Stand der Mission zu revidieren."
„Ich werde mir gewiß Mühe geben, alle meine
Pflichten getreulich zu erfüllen," sagte Berchta gedrückt.
Die F rau hatte in der T at nichts Zutrauenerweckendes
für sie. Wozu diese Strenge, selbst mit den Eingeborenen?
Hätte sich das alles nicht viel besser durch Liebe und
Freundlichkeit erreichen lassen? Aber ihr Gatte selber
sah nicht so aus, als ob er rauh und barsch mit ihnen
verfahren würde, und ihnen mußte es ja doch überlassen
bleiben, wenigstens die ihnen anvertrauten Insulaner
auch nach ihrer Art zu unterrichten. Und daß sie sich
die dann schon zu Freunden machen wollte, davon war
Berchta fest überzeugt.
Fremar hatte indessen noch viel mit den übrigen
Missionaren, besonders mit Bruder Rosbane, zu be
sprechen, denn das jetzige Ziel ihrer Reise war ein be
sonders wichtiges, da es sich hier um die Hauptinsel einer
107
größeren Eilandsgruppe handelte, und der Erfolg auch
jedenfalls all die übrigen abhängigen Inseln nachziehen
mußte: aber der Kapitän des Schoners drängte zur Ab
fahrt, und in der T at hatte er nicht mehr viel Zeit zu
verlieren. Die Ebbe ging scharf aus, und ebenso neigte
sich auch die Sonne ihrem Untergang. I n einer halben
Stunde wäre es zu spät gewesen.
Jetzt kam der Abschied, wobei wieder ringsum die
Hände geschüttelt wurden, und die beiden jungen Paare
stiegen in ein Kanoe, das den sie begleitenden Klaus und
noch einige Eingeborene aufnahm. M an wollte diese
letzteren, als besonders gottesfürchtig, mit hinüber nach
Motua senden, um den dortigen Eingeborenen gleich ein
gutes Beispiel zu geben. Bruder Löwe begann dann
wieder seinen Gesang, in welchen, als Abschiedsgruß, die
Indianer sofort einstimmten. Wenige M inuten später
waren die Passagiere an Bord des kleinen Fahrzeuges,
dessen Anker in der nämlichen Zeit heraufkam. Noch
blieb ihnen die Ström ung günstig, und die leise Brise
strich am Land hin, so daß sie mit halbem Wind ihre
Segel füllen konnten. Bruder Fremar und Adam wink
ten noch einmal mit ihren Weißen Taschentüchern, und
ein lanter Gruß schallte vom Lande zurück, dann schoß
der scharfgebaute Schoner zwischen die Brandungswellen
hinein und darum hin nach Westen, und von den Abend
nebeln überzogen lag Laua bald nur noch wie ein Schat
ten hinter ihnen.
8.
M o t u a .
Und dunkler und dunkler wurde es auf dem Wasser,
die Sterne funkelten aus, und in seinem Zenit stand
aufgerichtet das südliche Kreuz am Himmel. Dort drun-
108
—
ten aber glühte und leuchtete das Meer, und durch die
iiu Feuerschein blitzende Woge glitt der Schoner seine
stille Bahn dahin, die Neuvermählten ihrer Heimat entgegentragend.
Auf dem Verdeck aber saßen die beiden lungen
Frauen neben ihren Gatten und sprachen von den zu
künftigen Tagen und bauten Pläne in die linde Lust
hinein — liebe, freundliche Pläne von häuslichem Glück
und einem frohen Wirkungskreis, von einem glücklichen
Volk, dem sie das Heil bringen wollten, während es jetzt,
von blinder Leidenschaft erregt, noch feinen Götzen Men
schenopfer brachte.
So faßen sie bis fast um Mitternacht, wonach die
jungen Frauen ihre gemeinschaftliche Koje suchten, wäh
rend die beiden Männer noch lange an Deck oben auf und
ab gingen und mitsammen plauderten. Der alte Klaus
aber lehnte unter ihnen an der Schanzkleidung des Decks,
beide Arme auf diese gelehnt, und schaute träumend aus
die phosphoreszierenden Quallen nieder, die dann und
wann mit einem matten Feuerschein am Schiff vorüberglitten.
Das heute Erlebte ging dem alten, treuen Klaus
im Kopf herum und — gefiel ihm nicht. Was hatte
sein „gnädiges Fräulein" nicht alles daheim geopfert, um
hierher zu kommen und die Heiden mit zum Christentum
bekehren zu helfen, und wie gleichgültig war sie eigentlich
von allen empfangen und begrüßt worden, selbst von
ihrem jetzigen Gatten. Und d e r gefiel ihm auch nicht-,
er schien gutmütig zu fein, ja; aber daß er gar nichts
Männliches in feinem ganzen Wesen hatte, wollte ihm
nicht behagen. Er sah weichlich aus wie ein Frauen
zimmer, und das süße Lächeln dann manchmal! Das
war kein Mann, wie e r ihn sich für das gnädige F räu
lein gedacht, denn wenn er so manchmal daheim bei
Tische aufgewartet, und der alte Baron von den Mis
sionaren erzählt hatte und diese mit den Kreuzfahrern
verglich, die heldenmütig den Kampf gegen die heid-
109
—
Nischen Götzen aufgenommen, dann zuckte es ihm wohl
A ^ r d " rc h die Adern, und er wünschte sich, dabei zu sein.
Missionare, die er hier gesehen, waren nicht solche
Gestalten, wie er sie sich gedacht. Ebensowenig paßten
aber auch die Insulaner, sowohl die auf Tahiti wie auf
^aua, zu dem Bild, das er sich von solchen „Wilden"
früher entworfen. Das war ja komisches und ganz
zahmes Volk, und sie sangen Gesangbuchverse besser als
die Bauern daheim. An denen war doch wahrhaftig
nichts weiter zu belehren, daß sie deshalb den entsetz
lichen,Weg von Schölfenstein hierher machen mußten.
Und sein armes Fräulein! — Wie bleich sie heilte
ausgesehen, wie schrecklich bleich und niedergeschlagen
und wtzt war sie da an einen M ann so Knall und Fall
verheiratet, den sie im Leben früher nie gekannt oder
d/m sie überhaupt etwas gewußt, eine Tochter des
Schölfenstein! Es war ihm manchmal, wenn er dar
über nachdachte, als ob das gar nicht möglich sein könne,
als ob das alles ein wilder, wüster Traum sein müsse.
Und Was der alte Herr jetzt wohl daheim machte? Wie
er an sie denken, und wie traurig er sein würde! Lieber
Gott, er hatte alle Ursache dazu, den» glücklich war sein
Ämd nicht geworden, das glaubte Klaus nun und nimmermehr; aber von jeher zeigte sie ja einen starken
Charakter, und deshalb würde sie auch wohl alles fest
ei-tragen. Ein Glück nur, daß e r wenigstens mit her
übergekommen, denn daß sie hier niemand kränken soUdafur wollte e r schon einstehen.
S o grübelte Klaus vor sich hin, und wenn er auch
dort stand und über Bord schaute und die Wunder der
Tiefe in ihrem glühenden Feuerschein an ihm vorüberglitten — er sah nichts mehr davon, denn seine Gedanken
weilten im alten Schölfenstein, seiner eigenen Heimat,
und bei dem seiner Sorge anvertrauten Kind, „dem gnä
digen Fräulein Berchta".
Endlich mußte auch er das Lager suchen; der Himmel
hatte sich umwölkt, die Brise aufgefrischt, und der Schoner
110
—
schäumte vor günstigem Wind durch die Wogen; aber der
Regen goß auch in Strömen nieder, und Klaus kroch
endlich in seine Kose.
Am nächsten Morgen war kein Land in Sicht; der
Schoner lag Nordnordwest, die Segel alle zum Zer
springen gefüllt, und das Meer war durch den stetig
wehenden Wind zu ziemlich hohen Wellen aufgewühlt.
Aber das wackere Fahrzeug schoß leicht hindurch, seine
Bahn entlang, bis sie gegen Abend, freilich noch in weiter
Ferne, Land sichteten. Jetzt wurden einzelne Segel ein
genommen, um nicht zu raschen Fortgang zu machen
und das Land zu früh anzulaufen, denn bei Nacht konnte
man ja doch nicht die Einfahrt finden; aber lange vor
Tag waren die Passagiere wieder an Deck, um den erstell
Anblick der Küste nicht zu versäumen und zu sehen, wie
die noch ziemlich ferne Insel mehr und mehr, je näher
das Fahrzeug kam, aus der See herauswuchs.
Landbewohner stellen sich das erste Erblicken eines
solchen Landes auch gewöhnlich ganz anders vor, als sie
es später wirklich finden, und kommt es zuerst in Sicht,
so sucht ihr Blick vergebens danach, denn sie glauben,
sie müssen gleich Berge und Täler unterscheiden. Is t es
ein Kontinent, dem man sich nähert, so zieht sich am
fernen Horizont als e r s t e s Zeichen ein schmaler, dunk
ler Streifen hin, so schmal in der T at wie ein dünner
Strich und nur von einem geübten Auge zu unterscheiden;
eine bergige Insel aber, besonders wenn sie aus einem
einzigen hohen Kegel besteht, zeigt zuerst nichts als einen
dunklen Punkt auf dem Wasser, der aber höher wird, je
näher man kommt, und endlich die Umrisse eines Hügels
annimmt. Zwischen diesen Inseln nun, wo stets ein
breiter Streifen Palmenland die Gebirge umgibt und
an ihrem Fuße ausläuft, kann man sich fest darauf ver
lassen, daß man noch weit davon entfernt ist, so lange
dieser nach rechts und links von dem Berg auslaufende
Strich nicht sichtbar wird. Kann man ihn endlich er
kennen, lind bilden die Wipfel der Palmen noch eine
111
glatte, dunkle Fläche, so beträgt die Entfernung zum
Land etwa acht bis zehn englische M eilen; treten sie aber
so hoch heraus, daß die Brandung, also mit ihr der
eigentliche Strand, sichtbar wird, so ist man noch höch
stens vier bis fünf Meilen von der Küste ab.
Als der Tag im Osten dämmerte, erblickten die
Reisenden denn auch hohe, dunkle, oft kühn gerissene
Kuppen, die sich dichtgedrängt nebeneinander aus dem
Meere hoben, aber auch noch steil in dasselbe abfielen
und an keiner Seite das flache und fast stets durch Korallenbodeu gebildete Palmenland zeigten. Näher und
näher rückten sie aber der Insel. Jetzt kamen die ersten
Palmenwipfel, wie aus der See auftauchend, zu beiden
Seiten des hohen Landes zum Vorschein, und bald dar
auf, während der Schoner rüstig seine Bahn verfolgte,
zeigte sich der Weiße Kranz der Brandungswellen, die
auf dieser wie allen übrigen Inseln der Südsee die ein
zelnen Eilande umgeben. Jetzt dauerte es auch nicht
mehr lange, so ließen sich schon einzelne lichte Wohnungen
am Ufer erkennen.
Und das sollte ihre Heimat sein? O, wie wunderbar
schön das waldige Land dort vor ihnen ausgebreitet lag,
und welch entzückenden Einblick sie da und dort in die
einzelnen Täler gewannen!
Die Insel mußte ziemlich groß seiu. Ein ganzer
Gebirgszug türmte sich hinter den ersten Hügeln auf,
und besonders nach links hinüber konnten sie deutlich
erkennen, daß sich breite Höhenzüge weit ausdehnten.
Und dort überall wohnten noch wirklich wilde Menschen,
die an keinen Gott glaubten und ihre selbstgemachten
Götzen für heilig hielten? Dort wurden noch Menschen
geschlachtet, Kinder geopfert, und unaufhörliche Kriege
verwüsteten das Land! Welch ein Feld für ihren from
men Eifer! Und wie freudig schlug Berchtas Herz, als
sie die Gewißheit vor sich sah, da selbst mit eingreifen
zn dürfen und einen ganzen Volksstamm glücklich zn
machen.
112
Die Brise hatte aufgefrischt, und der Schoner glitt
rasch voran, denn der Kapitän desselben kannte genau
die Einfahrt in die Binnenrisse, die sich hier auch wenig
stens um das Dreifache breiter zeigte als in Laua. Ein
tüchtiger Bergstrom kam nämlich aus den Höhen gerade
an dieser Stelle herab und mündete in die See, so daß
selbst große Schiffe dort hätten einlaufen und in dem
ruhigen Binnenwasser liegen können.
Der kleine Missionsschoner verfolgte aber ganz keck
seine Bahn. Vorn am Bug standen allerdings zwei
Matrosen mit dem Senkblei, um damit die Fadentiefe
zu messen, wie zugleich nach vielleicht schroff aufsteigen
den Korallenriffen auszuschauen, aber er schien ent
schlossen, so dicht an Las feste Land als irgend möglich
anzulaufen, und erst, als die Entfernung bis zur Küste
kaum noch zweihundert Schritt betragen mochte und
dort voraus die zackigen Korallenblumen schon dicht an
der Oberfläche sichtbar wurden, schallte der Befehl, bei
dem Anker zu stehen, über Deck, und gleich darauf rasselte
die Kette durch die Klüsen und das Fahrzeug schwang
herum.
Am Lande lagen zahlreiche Kanoes, und seit sich der
Schoner im Binnenwasser gezeigt, waren eine Menge von
Eingeborenen zum Strand heruntergekommen und standen augenscheinlich bereit, an Bord zu rudern, sobald
ihnen dazu das Zeichen gegeben würde. Jetzt kam oben
aus dem einen Hause ein ganzer Schwärm von Menschen,
der sich dem Strande näherte, und im Nu waren auch
die Kanoes bemannt, aber nur immer vier in jedem, also
keineswegs in feindseliger Absicht, wo sie so viele Krieger
in ein solches Fahrzeug nehmen, als es möglicherweise
fassen kann. I n dem größten schien der Häuptling oder
König zu sitzen, und vor ihm kauerte ein Mann, der
einen hohen Palmenwedel in der Hand aufrecht trug
und ihn fortwährend nach vorn neigte. Jedenfalls als
ein Zeichen der Freundschaft, wozu fast alle wilden Völker
grüne Büsche nehmen, und dann nur in Ausnahmsfällen
-
11Z
Verrat dahinter bergen. Es würde sie in den Augeü
ihrer eigenen Gefährten herabsetzen.
Die Leiden Missionare fürchteten auch nichts der
gleichen, und selbst der Kapitän des Schoners machte sich
^ Eingeborenen an Bord zu empfangen.
Es schien aber vorderhand noch nicht in ihrer Absicht zu
liegen, das Fahrzeug gleich von vornherein zu betreten
und die kleine Flotte nur deshalb hier herausgekommen
zu sein, um die fremden und erwarteten Gäste zu empfangen wie an das Ufer zu geleiten. Durch Rufe derstandigte man sich auch bald, und während zwei Kanoes,
N,r die Weißen bestimmt, dicht an der Seite des Schoners
anlegten, ließ der Kapitän ebenfalls seine Jolle aussetzen
um den Zug zu begleiten. Es sollte wenigstens keine
t^orni der Höflichkeit verabsäumt werden.
Noch weniger Furcht zeigten die Leiden jungen
Frauen, denn sie kannten den rauhen Empfang nicht,
der schon oft auf diesen Inseln landenden Booten durch
Keule und Schleuder zuteil geworden. Sie wollten den
Eingeborenen doch auch nur Gutes tun, und diese mußten
M Wohl freundlich gegen sie sein. Auch an die Kanoes
waren sie von Laua aus schon gewöhnt, und hatten dort
daß ihnen die Ausleger oder Luvbäume große
Sicherheit verliehen, und sorgsam von den Missionaren
geleitet, erreichten sie die schwanken Fahrzeuge, die sie
jetzt vielleicht für eine lange Zeit dem fremden und doch
heimischen Boden entgegenführen sollten.
Dicht um sie her scharten sich nun die Kanoes der
Eingeborenen: aber nicht mit einem frommen Psalm
wurden sie empfangen, als die runden Buge den Sand
scheuerten, Wohl aber mit einem lauten, donnernden
Jubel, in den Frauen und Kinder wacker mit einstimm
ten, und alles schien hier auch an Land schon wirklich
darauf vorbereitet, um ein ordentliches Fest zu Ehren
ihrer Ankunft zu feiern.
Aber wie verschieden waren die Bewohner dieser
,,pisel von Laua! — Berchta konnte nicht umhin, beide
F r. Gerstiicker, Die Missionare.
8
114
miteinander zu vergleichen, tvie sie nur zwischen sie trat,
und der Vergleich fiel sonderbarerweise n ic h t zugunsten
der Bewohner von Laua aus.
Dort zeigten sich die Bewohner scheu und ehrfurchts
voll — jedenfalls durch die Gegenwart der Missionare
eingeschüchtert, die Frauen waren auch durch die riesigen
Hüte und steife, anschließende Gewänder entstellt, wäh
rend die Männer Lurch manche Stücke europäischer
Tracht, die sie angenommen, weit mehr komisch als
würdig aussahen.
Die Kleidung hier war allerdings fast ein wenig
zu paradiesisch. Die Männer gingen, mit einem Stück
Tapa um die Lenden, das ihnen bis zum Knie nieder
reichte, nackt, die Frauen trugen einen ähnlichen Schurz
und außerdem nur noch ein kurzes Schultertuch von dem
selben Stoff, das über der rechten Schulter zusammen
geheftet wurde und den rechten Arm ebenfalls bloß ließ,
aber die dunklen, wallenden Locken mit bunten, duften
den Blumen prächtig geschmückt, Blumen auch hinter den
Ohren. J a , selbst viele der jungen Männer hatte»
Kränze von buntfarbigen Lianen auf dem Kopf, was
ihnen zu ihren hellbraunen Gesichtern ganz vortrefflich
stand. Und wie heiter das junge Volk war, wie sie lachten
und miteinander plauderten, und wie sich die Kinder
in tollem Mutwillen mitten zwischen dem Menschenschwarm hindurch am Strand herumhetztenl Es war
jedenfalls ein munteres, gutmütiges Volk.
Aber es blieb ihr nicht viel Zeit zu solchen Betrach
tungen, denn der Empfang begann. Mr. Fremar flüsterte
ihr zu, daß sie jetzt der König selber begrüßen wolle,
und daß sie ihm freundlich die Hand reichen möge, da
er allein es in seiner Gewalt habe, ihnen das Leben aus
der Insel angenehm zu machen. Aber nur deshalb?
O, Berchta drängte es so, den Mann zu begrüßen, der
den für einen Wilden doch gewiß großen Entschluß ge
faßt, dem Unglauben seiner Väter zu entsagen. Und
dann die Königin — wieder stieg vor ihrem inneren
116
Auge jenes liebliche Frauenbild herauf, das sie in ihrem
Trauni gesehen, und das so flehend die Hände nach ihr
ausgestreckt, als ob sie, um Hilfe bittend, ihr Nahen
erflehe. Ob sie ihr h i e r Wohl — j e t z t begegnen
sollte?
„Seine Majestät!" flüsterte Fremar ihr in englischer
Sprache zu, und als sie rasch und fast erschreckt den Kops
dorthin wendete, sah sie sich einem großen, breitschulte
rigen Eingeborenen gegenüber, der vielleicht zu seiner
Tracht etwas feineres Gnatu oder Zeug genommen hatte,
sich aber sonst in nichts von den übrigen Insulanern
unterschied, als vielleicht durch einen kleinen Handspiegel,
den er an einer Schnur von roten Glasperlen um den
Hals trug und von Zeit zu Zeit danach faßte, wie um
sich zu überzeugen, daß er ihn auch nicht verloren hätte
— und neben ihm? — die kleine, kugelrunde Frau, mit
dem dicken, gutmütigen, braunen Gesicht? — das war
doch nicht etwa die Königin der Insel?"
„Seid willkommen, Freunde," sagte da das Ober
haupt der Eingeborenen, indem er dem Missionar freund
lich die Hand entgegenstreckte, „ich bin froh, daß ihr ge
kommen seid, und ihr hättet nur noch viel — recht viel
Weiße Männer mitbringen sollen. Böse Leute leben hier
aus Motua — sehr böse Leute — aber wenn mir die
Weißen beistehen wollen, hoffe ich, daß wir sie zum
Frieden zwingen.
Sie sollen schon ihre S trafe be
kommen."
„Ich hoffe gewiß," sagte Fremar herzlich, „daß wie
der Insel hier den wahren Frieden bringen werden. Was
hilft menschliche Bosheit gegen die Hand und Gewalt
des Höchsten? S ie ist wie ein welkes Blatt, das der
S turm mit sich hinwcgführt."
„Das ist recht," nickte die Majestät vergnügt vor sich
hin, „so soll es ihnen gehen; wie vorn S tu rm sollen sie
weggefegt werden von der Insel. Aber mehr von euch
müssen kommen, immer mehr, und Schießgewehre mit8*
116
bringen. Damit kann man sie treffen, wenn sie sich widerfetzen wollen."
„Wir kämpfen nicht mit Waffen," fagte Fremar
freundlich, „unfere Wehr ist das Wort Gottes, vor dem
sie in den Staub sinken müssen."
„Auch recht," nickte der König, der den Missionar
jedenfalls verstanden hatte, vergnügt vor sich hin. „Ganz
einerlei mit was, wenn sie nur totgeschlagen werden."
Während die beiden Männer miteinander sprachen,
war die kleine, dicke Frau zu Berchta herangegangen,
und sie mit dem freundlichsten Gesicht von der Welt be
trachtend, fing sie zugleich an, ihre Kleidung zu befühlen
und ihre Haare, Tuch, Hut, Band und was sie sonst an
sich trug, zu betasten. Dabei murmelte sie unterdrückte
Ausrufe der Bewunderung, und als sie an die Handschuhe
kam, die Berchta trug, und von denen sie jedenfalls
glaubte, daß sie mit zur Haut gehörten, stieß sie einen
leisen Angstschrei aus und zeigte mit stierem Blick auf
die Stelle hin, wo der Handschuh aufhörte. S ie hatte
das jedenfalls für eine schreckliche Wunde gehalten.
Die kleine, dicke Frau war übrigens noch mehr aus
geputzt als alle übrigen miteinander. Sie trug einen
Gnatu-Überwurf, der unten herum mit roten Wollfasern besetzt war, augenscheinliche Überreste eines alten,
roten europäischen Wollenhemdes — dann das Haar
dicht gelockt und glänzend mit Kokosnußöl getränkt, aber
auch von Blumen und dem silberblinkenden Bast der
Arrowroot durchflochten, um den Hals aber eine Kette
von messingenen Nagelköpfen, wie sie bei uns die Tape
zierer gebrauchen, um Möbel damit zu beschlagen. Um
die Hüfte hatte sie ein großes Stück äußerst feinen, rot
gefärbten Gnatus geschlagen, sonst aber ging sie natür
lich, wie alle Insulaner, ohne Strümpfe und Schuhe,
und es hingen nur noch an Knöchel und Handgelenken
dicke Schnüre von Glasperlen, die, wenn sie ging oder
sich bewegte, ein klapperndes Geräusch machten. Der
freie Arm zeigte übrigens auch die Spuren von Täto-
117
wicrungen, wie auch viele Männer auf ähnliche Weise
gezeichnet waren. Doch schien die S itte nicht allgemein,
und wie sich später auswies, wurde das Eintätowieren
bestimmter Zeichen in die Haut auch wirklich als eine
Art von Auszeichnung betrachtet, die der König oder
die Priester bestimmten, und die nicht willkürlich an
genommen werden konnte.
Der König, Ramara Toa, wie er genannt wurde,
stellte den Missionaren setzt seine Frau vor, und Berchta
gab es einen eigenen Stich durchs Herz. — Es war die
e r s t e Täuschung, die sie empfand, und gleich um so
schmerzlicher, als sie ein Ideal vernichtete, das ihr bis
dahin immer vorgeschwebt und — wenn sie sich das
selbe auch nicht gestehen mochte — doch viel, sehr viel
dazu beigetragen hatte, sie für den jetzt getanen Schritt
zu begeistern. D i e s e Figur sah wahrlich nicht so aus,
als ob sie in Seelenangst nach dem wahren Glauben
schmachte und elend in der Nacht des Götzendienstes sei.
Sie schien sich im Gegenteil außerordentlich Wohl darin
zu befinden und zeigte auch weit mehr Interesse an den,
Anzug der Fremden als an ihrer sonstigen Erscheinung.
Für den Moment nahm aber doch die Gegenwart
ihre Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch, denn Ramara
Toa erklärte plötzlich, daß er sie jetzt vor allen Dingen
zu ihrer neuen Wohnung führen wolle, damit sie ihre
Sachen an Land schassen könnten. Dorthin bewegte sich
auch der ganze Zug, und zwar eine Strecke am Strand
hinauf, wo sich das Land etwas hob. Die Ausläufer des
Gebirges reichten bis hier hinab, und besonders an der
einen Stelle bildete das letzte hohe Land einen schmalen
Felsenvorsprung, der steil und schroff gegen die See
hinabsiel.
Oben auf dem Vorsprung lag eine kleine Hochebene,
Kokospalmen wuchsen überall, und dort war das Haus
für die Missionarfamilie an einer Stelle errichtet, die
man sich nicht entzückender hätte denken können. I n der
T at erfuhr Fremar auch später, daß Ramara Toa den
118
—
Punkt einmal früher, als den schönsten der Insel, selber
bewohnt habe, nur war er ihm zu unbequem gewesen,
da er, wie er meinte, dicht an der See wohnte und doch
nicht so leicht zu seinem Kanoe hinab konnte. Die Wei
ßen brauchten aber die Kanoes nicht so oft, denn den
Fischfang verstanden sie doch nicht, und deshalb war
auch der Platz für sie geeigneter als für einen der Ein
geborenen.
Allerdings hatte es auch hier etwas größere Schwie
rigkeit, die mitgebrachten Sachen hinauszuschaffen, denn
wie sich herausstellte, waren der Mission eine Anzahl von
Kisten Leigegeben worden, in denen sich Handelsartikel
für die Eingeborenen befanden. Aber darin zeigten sich
diese sehr bereit, die fremden Weißen zu unterstützen.
Der Schoner ließ deshalb bald darauf sämtliche für
Motua bestimmte Gegenstände, wie auch das Gepäck
Fremars und seiner jungen Frau herüberschasfen. Klaus
half ebenfalls dabei, und in kaum zwei Stunden war
alles gelandet und auch von ein paar hundert Eingebore
nen, die Ram ara Toa dazu beorderte, in das Bambus
haus hinausgeschafft, wo es dann freilich dem Missionar
überlassen blieb, es in der nächsten Zeit auszupacken und
so zu ordnen, wie er es für gut hielt.
Dicht hinter dem Missionshause standen aber auch
noch, im Busch halb versteckt, eine Anzahl kleinerer Hüt
ten, von denen jetzt Klaus die eine angewiesen bekam,
während in den übrigen die von Laua mitgekommenen
Eingeborenen verteilt wurden.
Fremar fühlte sich sehr glücklich über diese ganz be
sondere Aufmerksamkeit von feiten des Häuptlings, in
der T at war es aber nur eigentlich eine Vorsichtsmaß
regel, die dieser ergriffen hatte, um die Fremden besser
im Auge behalten zu können und sie zu verhindern, die
Insel einmal heimlich zu verlassen. Wohnten sie dicht
am Strand, so konnten sie das in jeder dunklen Nacht
ermöglichen; von dort aus aber mußten sie, sowohl nach
rechts als nach links hinab, jedesmal drei oder vier
11»
Hütten der Eingeborenen passieren, ehe sie imstande
waren, das Ufer zu erreichen, und das wäre, ohne bemerkt
zu werden, nicht gut möglich gewesen.
Fremar fühlte sich nun allerdings nicht so ganz sicher,
ob auch die Eingeborenen einen genauen Begriff von
dem „Mein und Dein" hätten. Als aber der Transport
beendet war, und Ramara Toa bemerkte, daß er den
Eingang zu der allerdings luftigen Wohnung zu ver
schließen suche, sagte er kopfschüttelnd:
„Habt I h r unter den Papalangis*) so viele schlechte
Menschen und Diebe, und es sind doch Christen? Du wirst
hier können alles offen stehen lassen und es wird niemand
zu dir eintreten und dich berauben. Die Götter verbieten
das, und wir handeln nie gegen ihren Willen. Hab'
keine Furcht, du bist hier sicher."
Fremar wußte nicht gleich, was er darauf erwidern
sollte. Daß es unter den Christen sehr viel Diebe gab,
ließ sich eben nicht gut leugnen, und der Gedanke, hier
unter dem Schutz der Götter von Motua zu stehen, war
ihm auch gerade nicht angenehm. Ramara Toa schien
aber gar keine Antwort zu erwarten oder für nötig zu
halten. Auf ein von ihm gegebenes Zeichen blies einer
der Indianer in ein Muschelhorn, und wie ein Weiter
fuhr jetzt der ganze Schwärm den Hügelhang hinab,
denn es war das Zeichen für die Mahlzeit gewesen, die
jetzt am Ufer des Bergstroms selber abgehalten werden
sollte.
Bruder Adam mit seiner jungen Frau waren noch
immer in ihrer Begleitung, aber der Kapitän des Scho
ners hatte schon erklärt, daß er — so wie neulich abends
Laua, so auch hier Motua mit ausgehender Ebbe verlassen
wolle, um seine Reise fortzusetzen. Zuerst mußte er den
Missionar Adam an den O rt seiner Bestimmung bringen,
und nachher, so rasch als irgend möglich, nach Laua zu.
*) Europäer oder Weiße,
120
rückkehren, wo dann M r. Rosbanc weiter zu bestimmen
hatte, was mit dem Missionsfahrzeug geschehen solle.
Merkwürdig war dabei die glückliche Veränderung,
die mit Berchtas Stimmung vorgegangen, seit sie Motua
betreten. M it dem Bewußtsein, das endlich erreicht Zu
haben, wonach sie gestrebt: einen Wirkungskreis, in wel
chem sie für ihr höchstes Ziel schaffen und tätig sein
konnte, betrachtete sie alles, was sie bis jetzt dafür gelitten
und geopfert, als unbedeutend — als nichtssagend im
Vergleich zu dem göttlichen Zweck, der sie begeisterte.
Selbst die Beklemmung hatte sie abgeschüttelt, die ihr
bis dahin noch in Gegenwart ihres kaum gekannten G at
ten das Herz beengte. Die alte Begeisterung, die sie
früher zu dem fast unweiblichen Schritt getrieben, und
die größtenteils schwand, als die nackte Wirklichkeit ihren
Schatten über die selbstgeschaffenen Lichtbilder warf,
fing an zurückzukehren. Viel mochte dazu vielleicht das
sonnige, wunderbar schöne Land, das freundliche Ent
gegenkommen der Eingeborenen selber beitragen, wäh
rend sie der feierliche, kalte Ernst der Missionare aus
Laua eher niedergedrückt und entmutigt hatte. Aber in
diesem Augenblick fühlte sie sich wirklich frei und glück
lich, und als Fremar ihr jetzt den Arm bot, um sie hin
unter zu geleiten, flüsterte sie ihm zu:
„O wie schön ist es hier, wie himmlisch schön, und
wie gut das Volk, und wie glücklich in seiner harmlosen
Fröhlichkeit!"
„Ja," sagte Fremar leise, „anscheinend glücklich in
der T at, aber das wahre Glück wollen wir ihnen erst
bringen, Berta — das Glück, vor Gott zu wandeln und
nach seinen Geboten. Erst darin werden sie Frieden fin
den; alles andere ist ja doch nur ein glänzendes Elend,
das wohl gleißt und schimmert, bei dem aber, wenn sich
der Körper auch anscheinend Wohl befindet, die Seele
rettungslos zugrunde geht. Aber komm, mein Herz, be
trübe dich auch nicht etwa, wenn dir hier und da ihre
heidnischen Gebräuche entgegentreten. Sie wissen vs
121
noch nicht besser; das wahre Licht ist ihnen noch nicht
aufgegangen, und bis dahin müssen wir jede Nachsicht
mit ihnen haben."
„Aber weshalb nennst du mich immer Berta,
Fremar?" sagte die junge Frau leise, aber freundlich.
„ B e r c h t a ist mein Name, und ich bin ihn so von da
heim gewöhnt. Berta klingt mir so fremd, so kalt —
bitte, nenne mich Berchta!"
„Das geht nicht, Kind," sagte Fremar freundlich,
„Berchta ist ein rein heidnischer Name aus der alten Zeit,
und ich begreife nicht einmal, wie sich irgend ein Geist
licher finden konnte, ihn dir bei der Taufe beizulegen.
Du wirst dich auch an den Namen Berta gewöhnen."
Berchta erwiderte kein Wort; es war die erste Bitte,
die sie an den Gatten richtete, und so harmlos, so un
schuldig — und er schlug sie ihr ab. Er durfte es jedoch
vielleicht nicht anders; die übrigen Missionare wären
am Ende böse darüber geworden, und Unfrieden wollte
sie ja nicht in die Mission bringen. Aber lag die christ
liche Religion denn in solch' unbedeutenden Kleinig
keiten?
Ih re Unterhaltung wurde abgebrochen, denn sie
hatten sich jetzt dem kleinen Bergstrom genähert, der
hier über blanke Kiesel der See entgegensprudelte, wäh
rend die üppigste Vegetation den Platz umgab.
Die Mündung des Bergbaches, bis zum salzigen
Strande nieder, umgab ein wahrer Hain von Kokos
palmen, durch deren schlanke Stämme hin man aber deut
lich die See und die dort draußen tosende Brandung er
kennen konnte, während dicht hinter den Palmen ein
kleines Dickicht von Orangen, Zitronen und Brotfrucht
bäumen begann und einzelne Pandanus ihre wunderlich
geformten Äste ausstreckten, als ob sie ihre dicken, gold
gelben Früchte, die im äußeren fast einer Ananas
gleichen, den Vorbeigehenden zeigen wollten. Dort erst
Waren aber auch die Zurichtungen zum Mahle getroffen,
122
denn in dem Kokospalmenhain selber durfte sich der
Menschenschwarm nicht lagern, da doch von oben dann
und wann einmal eine Nuß herunterfällt und, wen sie
von solcher Höhe nieder trifft, natürlich ernstlich beschädi
gen kann.
Aber welch ein reizendes Bild bot sich hier Berchtas
Blicken, und wie verschieden war es von jenem etwas zu
zeremoniellen Mahle, das sie auf Laua neulich eingeuommen!
Hier stand kein langer Tisch gedeckt, mit weißem
Leintuch und Messern und Gabeln, kein Teller für die
Gäste bereit; aber in einer Biegung des kleinen Stromes,
wo sich das Bett desselben weiter ausdehnte, und drüber
hin an den rasigen Hängen lagerte das muntere Volk,
und auf Hibiskus- und Bananenblättern wurden kleine,
rohe Fische, gebratene Brotfrucht, gebackene Spanferkel,
Kokosnüsse, Orangen, Mangas und viele andere Früchte
aufgetragen, während grüne Kokosnüsse zum Trinken,
wie Kokosnußschalen mit Seewasser darin, um das Salz
zu ersetzen, zur Würze dienten.
AIs Berchta den Platz erreichte, bot sich ihr ein ent
zückender Anblick. Gleich unterhalb, wo die Kokospalmen
standen, waren einige junge Burschen noch gerade be
schäftigt, ein paar derselben zu erklettern, um mehr Nüsse
herabzuwerfen. S ie hatten sich zu dem Zweck ein kurzes
Bastseil gemacht, das doppelt genommen um ihre Knöchel
lag und die Füße dadurch, wenn angespannt, etwa zehn
bis zwölf Zoll auseinander hielt. Damit kletterten sie
an der Palme empor, und zwar ruckweise, mit den Soh
len, die durch das umgelegte S eil nicht weiter ausein
ander rutschen konnten, den Stam m fassend, während sie
ihn oben mit ihren Armen umklammerten. Außerordent
lich schnell stiegen sie damit empor, und wenn zwei
Knaben zugleich an einer Palme begannen, wurde es
zu einer Art von Wettlauf, wer zuerst von ihnen sein
Ziel, den Wipfel, erreichte, wobei sich die halbnackten,
braunen Körper unglaublich rasch in die Höhe schnellten,
123
M it fröhlichem Plätschern warf sich der Bergbach in
das T al hinab und brauchte sich wahrlich seines Wassers,
wenn es die See erreichte, nicht zu schämen, denn es
war klar wie Kristall! An seinen Ufern aber kauerten
etwa zwanzig oder mehr bildhübsche Mädchen, die dunk
len Locken mit Blumen geschmückt, tauchten Stücke ge
rösteter Brotfrucht in die klare Flut und lachten und plau
derten bei ihrem einfachen Mahl.
Und wie bunt geschart die übrigen Eingeborenen
darum her lagerten! Auf Laua würde freilich keiner
von ihnen gewagt haben zu essen, ehe nicht die Missionare
zuerst Platz genommen und den Segen gesprochen. Hier
dachte niemand daran, ihnen irgend einen Vorzug ein
zuräumen. Wenn ihr König das Mahl begann, waren
sie vollständig berechtigt, teil daran zu nehmen, und
hatte der Missionar Hunger, nun dann kam er ganz ge
wiß und setzte sich zu ihnen, denn zu essen gab es ja heute
im Überfluß.
Das Mahl dauerte jedoch nicht übermäßig lange,
denn die Südsee-Jnsulaner essen selten sehr viel auf ein
mal, dafür aber desto häufiger. Indessen hatte sich der
Schoner wieder zu seiner neuen Fahrt vorbereitet, und
die Zeit nahte, wo die beiden jungen Frauen voneinander
Abschied nehmen mußten. Berchta fühlte sich auch wirk
lich tief davon ergriffen, denn so wenig Ähnlichkeit beide
sonst Wohl in ihrem Charakter haben mochten, so hatte
sie sich doch an die Reisegefährtin gewöhnt, und die junge
Frau mit ihrem milden, duldsamen Charakter auch wirk
lich liebgewonnen. Aber es half nichts; sie waren nicht
bestimmt, die Freuden und Leiden ihres neuen Berufes
gemeinschaftlich zu tragen. Weit auseinander lag ihr
Ziel, und jede von ihnen mußte standhaft und starken
Herzens das, was der Himmel ihnen senden würde, hin
nehmen und ertragen.
AIs das Kanoe mit ihnen abstoßen sollte, hatte sie
S a ra umfaßt und geküßt, und die junge F rau lehnte an
ihrer Schulter und weinte still; aber keine Miene ihres
124
—
bleichen Angesichts verzog sich dabei, nur die Tränen
liefen ihr voll und schwer an den bleichen Wangen nieder.
S ie war von jung auf, eine Waise, in einem der frommen
S tifte erzogen worden, und hatte nie einen eigenen, freien
Willen gekannt, auch den jetzigen Schritt nicht etwa mit
einem selbständigen Entschluß gewagt, sondern war ein
fach von der Hand ihres Lehrers in die vorgeschriebene
Bahn geführt worden. Ob sie sich glücklich darin fühlen
würde? Sie wußte es nicht und dachte auch Wohl kaum
darüber nach; es kam auch nicht in Betracht. Die Mission
brauchte ihre Kräfte, und sie war der Aufforderung ohne
ein Wort der Entgegnung einfach gefolgt.
Jetzt trat der Moment zum erstenmal an sie heran,
wo sie allein in die Welt hinausziehen sollte, denn an
Berchta hatte sie sich ebenfalls gewöhnt und sie liebge
wonnen. Als sie d i e H e i m a t verließ, vergoß sie keine
Träne — sie hatte niemals eine Heimat gehabt oder
gekannt — jetzt weinte sie, still freilich und anscheinend
ohne es selber zu wissen, aber der Schmerz der Trennung
preßte ihr das Herz zusammen, und als die Leute im
Kanoc endlich ungeduldig wurden, hob sie sich leise empor,
küßte, ehe es Berchta verhindern konnte, noch einmal
deren Hand und stieg dann langsam in das schwanke
Fahrzeug, das mit ihr und ihrem Gatten rasch an Bord
ruderte.
Kaum eine Viertelstunde später lichtete der Schoner
seinen Anker wieder und hielt in die See hinaus, und
als die Sonne im Westen sank, blitzten die hellen Segel
desselben nur noch wie ein lichter Punkt weit aus der
See zu ihnen herüber.
—
125
9.
Der Tanz am Strande.
I n den nächsten Tagen hatte der für Motua be
stimmte Missionar Fremar alle Hände voll mit seiner
inneren Einrichtung zu tun, wobei ihn sowohl die von
Laua mitgebrachten Insulaner als auch Klaus unter
stützten. Die Indianer nämlich denken selten oder nie
daran, die sehr geräumigen Banrbushäuser, die sie bauen,
im In n ern wieder abzuteilen, um verschiedene Gemächer
herzustellen. Ih re Matten breiten sie abends, wenn sie
schlafen wollen, auf dem Boden aus und liegen dann,
jeder in einem bestimmten Winkel, in dem Hause zer
streut. Morgens werden dieselben nur wieder zusammen
gerollt und in eine der Ecken aus dem Weg gestellt.
Zivilisierte Nationen haben dagegen in dieser Hin
sicht andere Bedürfnisse — ganz abgesehen davon, daß
das Schlafen auf der doch immer feuchten Erde, und
nur durch eine dünngeflochtene Matte von dieser getrennt,
gar nicht gesund sein kann und auch Wohl mit ein Haupt
grund der auf den Inseln so häufig auftretenden Elefantiasis ist. Deshalb mußten Bettgestelle aufgeschlagen
und ebenso im Hauptgebäude dünne Bambuswände auf
gestellt werden, um wenigstens eine Abteilung für ein
Schlafgemach zu haben, wie an dem entgegengesetzten
Ende der ovalen Hütte die Gegenstände aufzuspeichern,
die von der Hauptmission als Handelsartikel herübergeschickt worden.
Die Insulaner zeigten sich dazu besonders geschickt,
denn sie wußten am besten mit den Hilfsmitteln Be
scheid, die ihnen der Wald hier bot. Nicht allein die
Pfosten wuchsen dort nämlich in dem zähen und vor
trefflich zu verwendenden Bambus, sondern auch sogar
gleich fertige Bretter, die man nur von den betreffen
den Bäumen abzuhauen brauchte. Eine Kastanienart
—
126
nämlich schickt, am unteren Teil des Stammes und nach
der Wurzel zu, ihre starke und zähe Rinde so wunder
lich geformt aus, daß sie wirklich oft acht bis zehn Fuß
lange und nicht selten unten einen Fuß breite Bretter
bildet, die nur weiter nach oben spitz zulaufen und dann
endlich im Stamme selber verschwinden. Eiserne In stru
mente hatten sie außerdem von Laua mitgebracht, und
Ramara Toa interessierte sich so für diesen Bau, daß er
selber den ganzen Tag dort oben saß und sich dazu von
Klaus Tabak geben ließ, den er dann klein schnitt, in
ein welkes Bananenblatt einschlug und als Zigarette
rauchte.
Sehr erfreut war er dabei, als ihm der Missionar
vorläufig einen kleinen Teil der von Laua für ihn m it
gebrachten Geschenke übergab, die in einem Stück Kattun,
einigen Schnüren Glasperlen, ein paar Beilen, einer Säge
und verschiedenen Nägeln mit einem Hammer, ebenso
kleinen Spiegeln und anderem wertlosen Tand bestanden.
Was übrigens dem Missionar nicht gefiel, war, daß
Klaus, der doch von den Eingeborenen als zu ihnen ge
hörig betrachtet wurde, den ganzen Tag seine kurze Pfeife
rauchte. Die Mission betrachtete nämlich den Tabak als
ein narkotisches Reizmittel, und gab sich überall die
größte Mühe, ihn zu verbieten, oder die Eingeborenen
doch wenigstens wissen zu lassen, daß ein solcher Gebrauch
Gott nicht wohlgefällig sein könne. Er mochte aber an
fangs auch nicht dagegen einschreiten, denn nur eine An
deutung, die er zu dem Zweck gegen den alten Jäger
fallen ließ, stieß auf so entschiedenen Widerspruch, daß er,
um S tre it zu vermeiden, rasch abbrach und die Sache
vorderhand nicht weiter berührte. Klaus und Ramara
Toa qualmten deshalb auch ungestört weiter, und Fremar
hoffte, daß, wenn er den alten Deutschen nicht durch
Überredung von dieser schlechten Angewohnheit abbringen
könne, sein Tabaksvorrat doch auch Wohl bald zu Ende
gehen müsse, und daß kein neuer auf die Insel geschafft
würde, dafür wollte er schon sorgen.
127
Schon am nächsten Tag war das Notwendigste be
endet worden, und wenn auch in der einzelnen Einrichtung viel zu tun blieb, konnten die Fremden ihre Auf
merksamkeit doch schon wenigstens in etwas ihrer wun
derlichen Umgebung zuwenden, die ja besonders für
Berchta so viel des Neuen bot.
Am Abend gingen sie wieder hinüber zu dem gemein
schaftlichen Mahl am Bergstrom, wo das junge Volk in
lauter Fröhlichkeit lagerte, und Fremar erhob hier zum
erstenmal seine Stimme zu einem lauten Gebet, bei dem
plötzlich jeder andere Ton verstummte und aufmerksames
Schweigen ringsumher herrschte. Es war ihnen etwas
Neues, und sie wollten jedenfalls hören, was der schwarze,
wunderlich gekleidete Mann etwa zu sagen hatte. Kaum
aber gelangte er zum Schlüsse, als sich niemand weiter
nm ihn bekümmerte. Das junge Volk sprang wieder
in das Wasser hinein und plätscherte darin herum und
verfolgte einander, die Mädchen wanden sich frische B lu
men in die Locken zum abendlichen Tanz, und die Männer
lagerten umher und plauderten und lachten miteinander
iiber das eben Gehörte. Daß es der neue Glaube sei,
für den sie ihren alten Göttern und deren Dienst entsagen
sollten, schien sie wenig zu kümmern.
Und jetzt zum Tanz. Unten am Strand wurden
plötzlich die Töne einer riesigen Trommel laut, die Fre
mar schon früher bemerkt hatte, und die aus einem aus
gehaltenen und mit Ochsenhaut überspannten Baum
stamm bestand. Als Klöppel dazu dienten zwei lange
Stücke oben mit Gnatu umwickelten Eisenholzes, und der
Lärm, deir sie machte, drang weit in die Hügel hinauf
und in deit Wald hinein, so daß sie rasch die ganze Nach
barschaft zum Feste rufen konnte.
Es war das erstemal, daß Berchta einen Tanz der
Eingeborenen sah, und Ramara Toa hatte sogar beson
dere Sitze für die Weißen herstellen lassen, auf denen
Klaus als Standesperson neben dem Missionar saß,
während Berchta an dessen anderer Seite ihren Platz hatte.
128
—
Es war ein wunderbarer Anblick. Noch lag das Licht
der untergehenden Sonne auf den Hängen, als dicht am
Strand, unmittelbar vor dem Haufe des Königs felber,
wo auch die Trommel stand, das junge Volk zum Tanz
antrat. Ramara Toa hatte auch schon einen bestimmten
Platz für sich dazu eingerichtet, auf dem er sehr wahrfcheinlich allabendlich mit seinen Frauen faß. Die dicke
Dame, die sich beim ersten Empfang gezeigt, war nämlich
nur die oberste Königin gewesen und präsidierte als
„Älteste" gewöhnlich allen Feierlichkeiten oder Vergnü
gungen — und eigentlich war j e d e Handlung dieses
glücklichen Volkes eine Vergnügung.
Fremar, der Missionar, der diese Tänze natürlich
für sündhaft halten mußte, weil er sie mit ihren heid
nischen Gebräuchen in Verbindung brachte, zögerte keinen
Augenblick, denselben zuzuschauen, denn zuerst mußte er
die sämtlichen Verirrungen des Volkes kennen lernen, ehe
er daran gehen konnte, sie zu heilen. Lieb wäre es ihm
gewesen, wenn er seinen Sitz gleich neben dem König
gehabt hätte; aber das verstieß wahrscheinlich gegen die
Etikette, die gerade unter jenen wilden Stämmen sehr
streng gehandhabt wird. Der Fremde war doch nur ein
Priester oder Zauberer seines Stammes und konnte des
halb nicht neben dem ersten Häuptling des Landes sitzen.
Und jetzt begann der Tanz. Die Trommel, ein
wahres Monstrum eines solchen Instruments, von etwa
drei Fuß Höhe und reichlich vier Fuß im Durchmesser,
war bis jetzt nur von Zeit zu Zeit angeschlagen worden,
um das benachbarte Volk zu der fröhlichen Abendlust her
beizurufen. Jetzt hatten sie sich versammelt und bildeten
unmittelbar am Strand und vor des Königs Sitz einen
weiten Kreis, in dem sich vor allen anderen die jungen
Mädchen hineindrängten und mit Ungeduld den Beginn
des eigentlichen Tanzes zu erwarten schienen.
Leise begann der Künstler aus der Trommel den
Takt zu schlagen, aber den Takt zu einer Orgel, wie sie
weiter wohl nicht auf der Welt zu finden ist, als auf
129
diesen Inseln: zu dem Donnern der Brandung selber,
die sich in regelmäßigen Zwischenräumen über die Ko
rallenriffe stürzt.
Von den gegen das Land stürmenden Wogen, die
selbst bei völliger Windstille durch die Schwellung oder
Dünung der See gebildet werden, folgen nämlich immer
drei einander in genau abgemessener Zeit und schlagen
allerdings auch zugleich gegen die Riffe an. Da sich
diese aber in langer Kette um die ganze Insel herum
ziehen, so dringt der Schall der Wogenbrechung auch nicht
zu gleicher Zeit zu einem bestimmten Punkt des festen
Landes, und der Takt klingt etwa
wonach genau in demselben Zeitmaß ein gerade so lange
anhaltender Donner folgt, der mit der dem Platz gegen
über befindlichen Woge seinen Abschluß findet, um un
mittelbar danach von neuem zu beginnen. Der Takt
dieser Tänze ist denn auch genau derselbe, und die große
Trommel schlägt eigentlich nur die Viertelnoten zu diesem
Tonfall der Wasser.
Das Ohr der Eingeborenen mußte deshalb auch den
richtigen Takt dieses merkwürdigen Orchesters fassen,
was aber gar nicht etwa lange dauerte. Gespannt horch
ten die jungen, bildhübschen Mädchen aus die zu ihnen
herllberdonnernden Akkorde — jetzt hatten sie das richtige
Zeitmaß erfaßt, und zwei von ihnen flogen plötzlich in
den inneren Raum, um sich in ihren lebendigen S p rü n
gen zu begegnen. Rasch aber beteiligten sich auch die
jungen M änner daran, und drei, vier oder mehr Paare
führten in einem verhältnismäßig engen Kreise einen
fandangoartigen Tanz auf, der aber, wie die Tänzer
darin warm wurden, an Lebendigkeit wuchs. Der Takt
konnte allerdings kein schnellerer werden, denn die Bran
dung hielt ihren Tonfall fest, aber die Tänzer selber brei
teten sich weiter aus. Die Entfernung zwischen ihnen,
aus der sie sich begegneten und wieder voneinander zu
rückwichen, wurde eine größere.
„Wahual Wahual" riefen die Umstehenden wie aus
F r . Gcr ftäck er, Die Missionare.
S
13V
—
einem M unde; jetzt öffnete sich der Reigen, und die Mäd
chen wichen zurück, weiter und weiter; nur Dämmer
licht herrschte noch auf dem nicht übermäßig breiten
Strande, und während an den jungen Mädchen kaum eine
Bewegung der Füße wahrzunehmen war, glitten sie zu
rück zu dem äußersten Zirkel und standen dort regungs
los. „Wahua! Wahua!" Wieder aneinander vorbei
schwebten sie, sich die Hände reichend und leise die Kör
per neigend; — „Wahua! Wahua!" und untereinander
mischte sich der Schwärm der Tänzer. Plötzlich erhellte
ein grelles Licht den Platz; woher es gekommen, hatten
die Fremden gar nicht bemerkt, aber zehn bis zwölf
junge Burschen mit Fackeln aus gespaltenem trockenen
Bambus tauchten zwischen den Zuschauern auf und stellten
sich in den inneren Ring, in dem das Licht ihrer Brände
einen roten, flackernden Schein verbreitete.
„Wahua! Wahua!" schrien die Indianer wieder, in
die Hände schlagend und mit den Zungen schnalzend, und
jetzt schienen alle Bande der Tanzenden gelöst. Wild und
anscheinend ordnungslos flogen die Mädchen herüber und
hinüber durch den Kreis, um sich aber immer wiederzu
finden und aufs neue auseinander zu stieben; die Blumen
sielen aus ihren wehenden Haaren und deckten den Boden,
die kurzen Gnatumäntel warfen sie von den Schultern,
um freiere Bewegung zu bekommen, und der zu einen:
bacchantischen W irrwarr ausartende Tanz bot jetzt, bei
der eigentümlichen Beleuchtung, der prachtvollen Szenerie
mit den wehenden Kokospalmen und da draußen den im
Phosphorschein glühenden Brandungswellen, wie dem
jauchzenden, kreischenden Volk umher, ein Bild, das
man sich nicht malerischer, nicht wilder hätte denken
können.
Das dauerte, solange die Fackeln anhielten. Wie
aber die erste niedergebrannt war, schmetterte plötzlich
ein dröhnender Schlag auf die Trommel nieder, und wie
Tauben von einem Habicht gescheucht, flogen auch in dem
selben Moment die Mädchen auseinander und zwischen
—
131
—
die Zuschauer hinein, während die jungen Männer die
bei dem Tanz abgeworfenen Gnatutücher aufhoben, um
sie ihren Tänzerinnen zu bringen.
Der König zog sich darauf mit feiner Familie in
seine Wohnung zurück, und Fremar schritt ebenfalls mit
feiner jungen Frau und von Klaus begleitet nach seiner
nicht so fernen Heimat hinüber und den Hang hinauf.
^,Wie traurig," fügte er, „ist es doch, diese unglück
lichen Menschen von solch' bösem Zauber befangen zu
sehen; wie schwer wird es halten, sie von dem Bann
desselben zu befreien!"
„Und sollten solche Tänze Sünde sein?" fragte
Berchta freundlich. „Haben wir sie nicht in der eigenen
Heimat, unter allen christlichen Nationen?"
„ S o l c h e Tänze?" rief der Missionar erstaunt.
„Wenn auch nicht s ol c he , " lächelte Berchta, „die
mehr dem wilden Land und den wilderen S itten ent
sprechen, aber doch auch ein geselliges Zusammenkommen,
mit Tanz dabei, und niemand denkt darüber etwas Böses,
ja, ich habe selbst Geistliche sich demselben anschließen
sehen."
„Unrecht genug," d a ß sie es taten," erwiderte ernst
der Missionar; „es verträgt sich nicht mit dem Amt, das
sie bekleiden, dabei zu hüpfen und zu springen. Aber
jenen Tänzen liegt wenigstens kein heidnischer Kern zu
grunde, wie diesen, und sie sind deshalb, Wenn auch nicht
gerade zu loben, doch zu entschuldigen."
„Aber ich bemerkte hier nichts, was einer heidnischen
Feier auch nur irgend ähnlich gesehen hätte," sagte
Berchta, „nur harmlose Fröhlichkeit schieu sie hier zu
sammengeführt zu haben."
„Und bei dieser harmlosen Fröhlichkeit," erwiderte
Fremar düster, „opfern sie zuweilen ein menschliches
Wesen ihren Truggebilden eines Gottes und verteilen
nachher das Fleisch desselben, um es zu verzehren."
„Aber doch nicht auf d i e s e r Insel?" rief Berchta
entsetzt.
9*
132
„Sie haben es auf a l l e n getrieben und treiben es
noch/' lautete die Antwort, „ja, so schwer ist dieser furcht
bare Gebrauch auszurotten, daß einzelne verstockte Wilde
selbst da, wo der ganze Stam m schon den wahren Glauben angenommen hatte, noch heimlich diesem scheußlichen
Gelüst nachhingen und es im verborgenen trieben."
„Aber die Leute sehen so freundlich und gut aus —
sie sind u n s von allen Seiten so herzlich entgegen
gekommen."
„Ich hoffe auch, daß es uns mit Gottes Hilfe ge
lingen wird, sie von ihren Irrtüm ern zu überzeugen, aber
wir müssen ernst und streng dabei zu Werke gehen und
das Übel gleich von vornherein mit der Wurzel auszu
rotten versuchen, oder das Werk mißlingt."
„Mit Ernst und Strenge?" sagte die junge Frau
zweifelnd, „o, ich glaube weit eher, daß es mit Liebe und
Milde zu erreichen ist; — und wie wollen wir sie
z w i n g e n?"
„Durch ihren König," erwiderte der Missionar. „Ver
traue mir da, Berta, denn wir haben darin viele E r
fahrungen gesammelt. Sowie nur erst einmal der Häupt
ling des Stamm es für den wahren Glauben gewonnen
ist, dann folgen seine Untertanen, wenn auch manchmal
langsam, doch sicher nach. J a , sie werden durch die Über
macht g e z w u n g e n , wenn sie nicht gutwillig wollen."
„Aber läßt sich ein Glaube a u f z W i n gen, Frem ar?" sagte Berchta weich, denn der Gedanke erfüllte
sie mit einer ihr selber noch unerklärlichen Angst; „muß
er nicht aus reiner, innerer Überzeugung wachsen, um
all den Segen zu verbreiten, den er soll?"
„Bei zivilisierten Menschen vielleicht ja, liebes Kind,"
sagte der Missionar, „bei Liesen wilden Nationen nicht,
und Tatsachen sprechen da für uns nach allen Richtungen.
Sieh z. B. Tahiti, die Königin der Südsee, wie wir sie
wohl mit Recht nennen können, und wie sie auch von
vielen Schriftstellern genannt wird, — dort findest du
keinen einzigen Heiden mehr; die falschen Götzen sind ver-
133
branut und vernichtet, und der wahre Glaube — wenn
jetzt auch durch falsche Sekten beunruhigt — herrscht
überall. Aber nicht durch Überzeugung wurde er einge
pflanzt, nein, Pomare der Erste, ein wackerer König, der
sich unserem Glauben zuneigte und deshalb von der Insel
vertrieben wurde- sammelte seine nach und nach eben
falls bekehrten Anhänger auf einer der Nachbarinselu,
setzte mit etwa achttausend M ann nach Tahiti über, er
oberte sein Reich mit bewaffneter Hand und brachte da
durch dem Christentum den Sieg. Viele solche Beispiele
könnte ich dir noch erzählen."
„Und all das Blut, das deshalb vergossen wurde?"
flüsterte Berchta.
„Es floß zu Ehren des Höchsten," sagte Fremar ernst,
„und seine Hand selber lenkte den Sieg der Waffen zu
seinem Ruhm."
Noch während sie sprachen, waren sie fast unwill
kürlich auf den Felsenvorsprung hinausgetreten, der hier
etwa dreißig Fuß hoch, aber steil die See überragte und
einen wunderbaren Blick in das Freie gestattete. Drei
mächtige Kokospalmen standen dort, und in ihren ge
fiederten Wipfeln rauschte und flüsterte die Brise, wäh
rend eine kleine Gruppe hochstämmiger Orangenbäume
mit ihrem dichten Laub selbst mitten am Tage vollen
Schatten gab, ohne jedoch die Aussicht nach der See hin
aus auch nur im geringsten zu beengen.
Dort draußen lag kein Mondlicht auf dem glatten
Spiegel, nur die Sterne warfen ihren matten Schimmer
nieder, aber dafür leuchtete die Brandung in ihrem merk
würdigen phosphoreszierenden Glutenschein in ewiger
Bewegung und anscheinend sunkensprühend, wie sie sich
überstürzte, während man rechts hinab aus einigen der
halb in den Büschen versteckten Hütten den matten Flim
mer einer Fackel oder eines dort in der M itte der Bam
buswohnung noch angezündeten Feuers erkennen konnte.
Es war ein Bild stillen Friedens und wunderbarer,
großartiger Pracht zugleich, und als die Heiden jungen
134
Leute dort hinausgetreten waren, und jeder, in seine
Gedanken vertieft, die Szene überschaute, suhlte Berchta,
wie Tränen der Rührung ihre Wangen netzten.
„O, wie schön — wie schön diese Welt ist," sagte sie
leise, „und Gott wird sicher nicht wollen, daß wir hierher
gekommen sind, um Krieg und Blutvergießen über dies
Land zu bringen. Es wäre fürchterlich," setzte sie inner
lich schaudernd und kaum hörbar hinzu.
„Gottes Wille geschehe in j e d e r Weise," erwiderte
aber ernst der Missionar. „Seine Wege sind wunder
bar, aber er führt alles herrlich hinaus. Vertraue auf
ihn, Berta — er wird alles zum Besten lenken, wenn
wir arme Sterbliche auch manchmal die Fäden nicht er
kennen können, an denen diese irrige Welt regiert und
geleitet wird."
„Aber s i n d das auch seine Wege, Fremar, wenn
sie mit Blut getränkt werden?" fragte die junge Frau.
„Überreden wir uns nicht manchmal selber, daß wir nur
nach seinen Geboten handeln, und folgen dabei alljein
unseren menschlichen — und deshalb irrigen Ansichten?"
„Nein, mein Herz," sagte der Missionar freundlich,
indem er leise seinen Arm um sie legte und sie an sich
zog, „sorge dich deshalb nicht. Es fällt kein Sperling
vom Dache ohne seinen Willen, und ich habe deshalb auch
die feste Hoffnung, daß wir siegreich aus diesem Kampfe
hervorgehen, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen.
Würde uns denn Ramara freiwillig hierher gerufen
haben, wenn er nicht selber die Leere fühlte, die das
Heidentum in seiner Brust gelassen?"
„O, wenn du recht hättest," seufzte Berchta, indem sie
ihr Haupt an seine Schulter lehnte, „wie dankbar wollte
ich Gott dafür sein und die Stunde segnen, die mich aus
dem Vaterhause rief, um einem höheren Zweck zu dienen."
„Ich h a b e recht, mein süßes Kind," erwiderte
freundlich ihr Gatte, „vertraue nur ganz mir und meiner
Erfahrung in solchen Verhältnissen. Denke dir nur, daß
ich schon zehn volle Jahre diesem Werk der Bekehrung
135
gewidmet und sehr interessante Erfolge darin beobachtet
habe. Wir selber sind dabei ja auch nur die Werkzeuge
des Herrn, die er benutzt, um seine Zwecke zu erreichen.
Erweisen wir uns dieses schönen Berufes würdig! Wir
gehen einem herrlichen Lohn dafür entgegen."
„Und wann beginnst du mit deiner Lehre?"
„Sobald wir unsere Sachen vollständig geordnet und
unsere Geschenke für Ramara Toa herausgesucht haben,"
sagte der Missionar, „denn diese wilden Häuptlinge ver
langen von jedem Fremden, dem sie den Aufenthalt auf
ihrer Insel gestatten, eine Art Tribut, den man nicht gut
umgehen kann, ohne sie Zu erzürnen oder wenigstens ver
drießlich zu machen."
„Und verteilen wir nicht alle die Waren und Ge
schenke unter sie, die wir mit von Deutschland gebracht
haben, und die dort für sie gesammelt wurden?"
„Doch nicht für sie direkt?" lächelte ihr Gatte, „son
dern nur für die Mission — auch indirekt für s i e. Wo
von sollten wir hier leben und existieren, wenn wir nichtGegenstände hätten, die wir für Nahrungsmittel und son
stige Bedürfnisse eintauschen könnten? Glaubst du, das;
diese Insulaner noch so unschuldsvoll in den Tag hineinträumen, um nicht den Wert ihrer Produkte zu kennen
— wenigstens den Wert, den sie für s i e hier haben?
Wir zahlen ihnen immer noch wenig genug dafür, über
zahlen müssen wir, oder sie verweigern uns am Ende das,
was wir zum Leben notwendig brauchen: die Nahrung."
„Und sind wir nicht imstande, hier unseren Acker
felder zu bestellen?" fragte Berchta, „o, ich will ja so gern
arbeiten, und das Land ist so reich und fruchtbar. Klaus
kann ebenfalls mit helfen, und mit wenig Mühe wird sich
hier, was wir brauchen, ziehen lassen, denn Gott hat ja
das Land so voll gesegnet."
„Nein, mein Kind," sagte aber ihr Gatte lächelnd,
indem er ihre S tirn küßte, „das geht doch nicht so leicht,
als du möglicherweise denkst, und wenn die Arbeit auch
hier nicht gerade an und für sich schwer wäre, die heiße
136
Sonne macht sie so. Außerdem sollen wir hier nicht
mit den H ä n d e n , sondern mit dein Ge i s t ans Werk
gehen, und wenn wir die Indianer in alledem unter
richten, was ihnen den Weg zu einem ewigen Leben
bahnt, so können wir dafür auch wohl von ihnen ver
langen, daß sie uns dann und wann einen Handreich tun,
der nicht so viel ihrer Loch wertlosen Zeit in Anspruch
nimmt."
„ S i e sollen für uns arbeiten?" sagte Berchta kopf
schüttelnd ; „sie arbeiten nicht einmal für sich selber, denn
alles, was sie brauchen, wächst ihnen ja zu. S ie werden
es schwerlich tun."
„Überlaß das der Zeit, mein Herz," sagte Fremar,
„aber komm jetzt in das Haus, der Abendtau wird selbst
unter dem dichten Laub dieser Bäume bemerkbar — und
sieh nur, wie weit sich das südliche Kreuz schon nach Westen
gedreht hat; es muß recht spät geworden sein, und wir
haben uns hier schon zulange ausgehalten, komm, Berta"
. — und seinen Arm um sie haltend, führte er sie langsam
der eigenen Wohnung zu. — —
Nicht weit davon und ohne von den beiden bemerkt
zu sein, hatte sich Klaus unter einem Baum dicht am
Rand des Felsens gelagert, rauchte aus seiner kurzen
Pfeife und hing seinen eigenen Gedanken nach. Der alte
Jäger besaß auch — wie sich leider nicht leugnen läßt —
nur sehr wenig religiösen Sinn, soweit sich dieser auf
äußere Formen bezog, denn in das Herz kann man keinem
Menschen sehen, und als er so langsam den Pfälzer
Knasterdampf in die tropische Luft hineinblies, brummte
er, wie nur die beiden Gatten den Platz verlassen hatten:
„Bin doch neugierig, Wie lange die Geschichte hier
dauern wird. Hol' mich der — hätte bald 'was gesagt —
ob mir nicht das Ganze manchmal wie ein so tolles M är
chen vorkommt, das die alte Liese in Rothenkirchen zu
weilen, wenn sie in guter Laune war, den Leuten er
zählte. Den halbnackten Schwärm von braunen Heiden
sollen wir hier zu Christen machen und taufen, wobei
137
sie mich vielleicht noch gar als Küster anstellen, denn ich
weiß nicht, wer es sonst besorgen sollte. Und Gevatter
werde ich Wohl bei der ganzen Bande stehen müssen. Das
wird ein Vergnügen werden! Jemine, Jemine!"
Wieder lag er eine Weile, schaute auf die glutschäumende Brandung hinaus und sog den würzigen Duft ein,
der von den Orangenbäumen zu ihm niedersank.
„Hübsch ist's hier, das läßt sich nicht leugnen," fuhr
er endlich fort, „wie gut das riecht, und wie prächtig das
Wasser da draußen aussieht, und in den Bergen soll's
ja auch wilde Schweine und Rinder geben, daß einem die
alte Büchse nicht einrostet. Aber das arme gnädige F räu
lein, ob d i e sich hier glücklich fühlen wird, — und der
alte Baron daheim, wie einsam und verlassen der jetzt
auf dem Schölfensteine sitzt, — nicht einmal mich hat er
mehr! Na, m i r kann's recht sein; aber im Leben hätte
ich nicht gedacht, daß das gnädige Fräulein noch eine
Frau Pastorin werden sollte, — und i ch hier Küster mit
keinem Glas Bier bei der Hitze. — Ach — hol's der
Henker!" Und seine Mütze aufs Ohr rückend, wanderte
er langsam von, Felsenvorsprung ab seiner eigenen Hütte
wieder zu.
10.
Ramara Tocr.
Am nächsten Morgen noch vor Tagesanbruch suchte
Berchta schon den Bergbach auf, der nach dem Palmenhain hinabsprang. Dort badete sie in der klaren Flut,
ordnete ihr reiches Haar und kehrte dani^ nach dem
Felsenvorsprung zurück, der die See überschaute, und wo
jetzt die Brise kühlend und erfrischend vorüberstrich.
„O mein Gott, wie ist doch deine Welt so schön!"
rang sich aber unwillkürlich aus ihrer Brust, als ihr Blick
138
—
auf das blaue Meer und den weiten Horizont fiel, der
nur etwas mehr nach rechts durch eine kleine, dicht mit
Palmen bewachsene und etwa sechs englische Meilen ab
liegende Insel unterbrochen wurde. Und wahrlich, sie
hatte Ursache zu dem Ausruf. Noch war die Sonnenscheibe nicht sichtbar, aber die in den wunderbarsten
Tinten schwimmenden Wolken, die ihren Rosenschein auf
der Flut widerspiegelten, verrieten ihr Nahen. Und wie
das da unten in dem stillen Binnenwasser der Risse schon
lebte und schasste!
Ganze Schwärme von Kindern und Erwachsenen
badeten in dem hellklaren Wasser und schwammen, sich
neckend und spielend, herüber und hinüber. Draußen
schaukelten Kanoes im Binnenmeer, um Fische für das
Frühstück zu fangen, und andere kreuzten draußen außer
halb der Risse, mit den hellen Segeln, und den Perlmutter-Fischhaken hinterher schleifend, auf und ab, um
den munteren Bonito zu betören, der das Perlmutterstück
für einen fliegenden Fisch hält und gierig danach
schnappt.
Und jetzt stieg die Sonne plötzlich, in wirklich über
raschender Schnelle aus dem Horizont empor, und im Nu
erbleichten die Farben der Wolken; dafür aber blitzte
die See in tausend und abertausend Lichtern, und die
Brandung, unermüdet in ihrem Ansturm gegen die Riffe
seit Jahrtausenden, funkelte wie in Myriaden Perlen.
Und wie merkwürdig stach dabei die Farbe des Wassers
hüben und drüben von den Riffen ab. I n der Binnensee
glänzte sie wie Smaragden in einem wunderbaren Hell
grün, durch den seichten Korallenboden hervorgerufen,
und unmittelbar auf der anderen Seite der Brandung
zeigte die See ein prachtvolles tiefblaues Kolorit. Un
mittelbar hinter den Riffen senkte sich aber auch der
Grund Hunderte von Faden tief ab, so daß die längste
Ankerkette ihn nicht mehr erreicht hätte. Es ist das eben
der wunderbare Bau der KoraMn, die um alle diese I n
seln her steil aus unergründlicher Tiefe zur Oberfläche
139
emporsteigen, aber nur so weit imstande sind zu wachse»,
als sie von der Flut bespült werden können. Wohin die
Flut nicht mehr reicht, dringt auch keine Koralle.
Und diese wundervolle Vegetation um sie her, die
königlichen Palmen, die duftenden Orangenbäume, die
Taupracht, die mit ihren schillernden Lichtern auf dem
Ganzen lag — es war bewältigend, und Berchta sank,
ihr Antlitz dem Meere zugewendet, auf ihre Knie nieder
und betete still und brünstig.
Dort fand sie ihr etwas später ausgestandener Gatte
noch, und auch er glaubte keinen passenderen Platz zu
kennen, das Morgengebet an den Höchsten zu richten,
als gerade hier. Aufrecht auf dem Steindamm, von dem
jetzt hellen Licht der Sonne beschienen, stand er dort und
betete laut, sein Antlitz dem blauen, klaren Himmel zu
gewendet — aber das Gebet kam in abgerundeter und
fester Form aus dem Geiste — nicht aus dem Herzen.
Es waren Worte, warm und gläubig zwar, wie wir sie
oft in Kirchen hören, mit einem tiefen S in n und voll
reiner Religiosität, aber es fehlte ihnen eins — die Seele
— es war e i n P a t h o s i m Gebet, aber kein H e r z, und
wie tief ergriffen sich Berchta vorher von ihrer stillen,
lautlosen Andacht gefühlt, bei der sie kaum die Lippen
bewegt — jetzt blieb sie kalt. S ie hörte die Worte, aber
sie fanden keinen Widerhall in ihrem In n ern ; denn es
war weniger das Gebet eines Kindes, das sich vertrauens
voll an seinen Vater wendet, als die Selbstanklage eines
Sünders, der nur dadurch das Mitleid und die Gnade
des Allmächtigen auf sich herabzuziehen sucht, daß er
seinen eigenen Unwert dieser Gnade schildert und her
vorhebt. Und das Gebet dauerte lange — so lange, daß
Berchta, ihr Haupt an eine Palme gelehnt, die Worte
Wohl noch hörte, aber nicht mehr verstand; denn ihre Ge
danken waren zurückgeflogen zur Heimat, zu der stillen
Einsamkeit des Vaters — zu dem Grabe der M utter.
Endlich schloß er mit einem lauten Amen, und
Berchta schrak aus ihren Träumen empor.
140
M it dem Gebet hatte Fremar aber auch der nötigen
Form genügt und konnte seinen Geist jetzt wieder zu
dem Irdischen, zuerst dem Frühstück und dann der häus
lichen Arbeit, zuwenden.
Das Frühstück war bald verzehrt. Einer der Ein
geborenen, die sie aus Laua herübergeführt, hatte seine
F rau mitgebracht, die ihnen die kleine Wirtschaft besorgte,
und frugal genug war das Mahl, denn es bestand aus
etwas Kokosnußmilch, gerösteter Brotfrucht und einigen
gebackenen Fischen, die eben in den Binnenrisfen gefangen
worden. Dann begann die Arbeit des Auspackens, und
Berchta selber drängte dazu, da sie die Zeit nicht erwarten
konnte, wo sie ihr ernsteres Werk, das sie hierher geführt,
in Angriff nahmen.
Übrigens beschloß Fremar, um der Habgier der Wil
den keinen Vorschub zu leisten, nicht etwa alles auszu
packen, was sie für den Verkehr mit hierher gebracht,
sondern vielmehr das meiste in den Kisten zu lassen, die
dann zugleich als unteres Regal benutzt werden konn
ten, um die übrigen Waren darauf auszulegen.
Klaus indessen, immer jedoch die Pfeife im Munde,
beschäftigte sich damit, Berchtas mitgebrachte Koffer aus
zuleeren, und er war gerade dabei, eine kleine, diesen beigegebene Kiste aufzuschlagen, als Ram ara Toa, der
Häuptling und König, zu ihnen in die T ür tra t und,
anscheinend sehr befriedigt, zu so passender Zeit erschienen
zu sein, auf der Schwelle stehen blieb.
„Ah, ah, ah!" sagte er, vergnügt dabei mit dem
Kopfe nickend, „das ist recht, Mitonare, daß du so fleißig
bei der Arbeit bist. Du hast viel mitgebracht, sehr viel,
und die Bewohner von Motua werden dir viel Gnatu
und Früchte bringen müssen, um dich zu befriedigen."
„Ich habe die Sachen mitgebracht, Ramara Toa,"
erwiderte der Missionar, „weniger um Handel damit zu
treiben, als um dir und deinem Volk zu zeigen, wie kunst
fertig christliche Nationen sind, und wie leicht dein Volk
141
selber erlernen kann, derartige, jetzt für euch kostbare
Dinge anzufertigen."
„Und gar nichts zu Geschenken, Mitonare?"
„Du darfst mich nicht falsch verstehen. Auch zu Ge
schenken sind noch Sachen dabei, wenigstens für dich und
die H ä u p tlin g e a b e r das größte, was ich euch bringe,
ist der w a h r e G l a u b e . "
Ramara Toa, der indessen die verschiedenen Dinge
betrachtet hatte, wendete sich rasch nach ihm um und sah
ihn mit einem Gesicht an, als ob er nicht recht wisse, wie
er die letzte Äußerung nehmen solle, im Scherz oder Ernst.
Der schwarzgekleidete bleiche M ann sah aber nicht gerade
aus, als ob er Scherz treibe, und mit einem eigenen
drolligen Zug um den Mund meinte Ramara Toa
endlich:
„Hm, ja — das ist recht gut — davon reden wir
nachher — aber mit dem, was du den wahren Glauben
nennst, kann man sich nicht kleiden, auch keine Pfeife
davon rauchen oder einen Baum fällen. Wir brauchen
hier Zeug, Äxte und — Gewehre! Ha!" unterbrach er
sich selber, als Klaus seine Kiste gerade geöffnet hatte
nnd jetzt ein paar Gewehre zum Vorschein brachte, „das
ist recht! Das ist gut — sehr gut — Gewehre brauchen
wir, und Pulver auch dazu, und Kugeln, denn unsere
Feinde sind mächtig, und wenn wir den wahren Glauben
haben, werden sie über uns herfallen und uns von der
Erde vertilgen wollen."
„Gewehre? — I n der T at!" sagte Fremar, der sich
selber erstaunt danach umgedreht hatte. „Ei, Berta,"
lächelte er dann halb verlegen, „du hast ja ein ganzes
Arsenal von Waffen mitgebracht. Bist du hierher ge
kommen, um den Eingeborenen den Krieg anzukün
digen?"
„Nein," sagte Berchta freundlich, „es sind unsere
Jagdgewehre von daheim, die Klaus mit eingepackt. Ich
selber hatte aber keine Ahnung, daß er sie a l l e mit
nehmen würde."
—
142
—
„ U n s e r e Jagdgewehre?" sagte Fremar, und
Berchta fühlte, wie sie bis in den Nacken hinein errötete.
„Allerdings," erwiderte sie leise, „mein Vater ist noch
ein Kind der alten Zeit, fromm und gottesfürchtig, aber
auch den ritterlichen S itten und Gebräuchen streng er
geben. Ich mußte ihn deshalb auch, da er keinen Sohn
hatte, oft zu Pferde und manchmal sogar auf die Jagd
begleiten, so daß ich reiten und schießen lernte."
Fremar schien mit dieser Erklärung nicht ganz ein
verstanden. Die Erziehung, die er selber in einem der
Missionsinstitute genossen, hatte ihm nie Zeit zu solchen
Allotrien gelassen, da diese würdiger mit Gebet und
stillen Betrachtungen ausgefüllt werden konnte. Er wagte
aber doch nicht, etwas dagegen zu sagen, und überhaupt
erforderte Ramaras Toas Gegenwart augenblicklich seine
ganze Aufmerksamkeit, da dieser würdige Häuptling
überall umhersuchte, und sich Fremar keineswegs sicher
fühlte, Laß er vollkommen ehrlich sei.
Ramara Toa schien aber in der T at keine unred
lichen Absichten zu haben, wenn die Verführung dazu
hier auch vielleicht stark gewesen wäre. Im m er kehrte er
nur wieder zu den Gewehren zurück und fragte, ob sie
nicht mehr davon hätten, damit er seine ganze Leibgarde
damit bewaffnen könne.
„Aber, Ramara Toa," sagte Freniar, „wir sind nicht
hierher gekommen, um euch die Mittel zu bringen, Menschenblut zu vergießen, sondern im Gegenteil, um euch
die Künste des Friedens zu lehren. Unser Glaube ist
ein Glaube des Friedens und der Liebe, und nicht Haß
soll er säen, der nur Tod erntet."
„Ja, das ist alles recht schön," sagte der Häuptling,
„wenn wir aber Christen werden und Frieden haben
wollen, und M atangi Ao will Krieg, und kommt herüber
und erschlägt unsere jungen Leute und schleppt unsere
Frauen fort, sollen wir dann ruhig zusehen und es
dulden?"
„Wer ist Matangi Ao?"
143
„Wer M atangi Ao ist?" sagte Ramara Toa, „ein
Häuptling von der anderen Seite. Hat viel Land und
viele Krieger, aber keine Gewehre und kein Pulver."
„Und sa bist du nicht König der- g a n z e n Insel?"
fragte der Missionar.
„Gewiß bin ich es!" rief Ramara Toa, sich hoch em
porrichtend und mit Würde. „Und wer mir nicht gehorcht,
den werde ich züchtigen, denn m i r gehört der Boden,
so weit ihn das Riff umschließt. M atangi Ao mag sich
wehren, wenn ich zu ihm über die Berge steige!"
„So hat er sich empört?" fragte Berchta besorgt,
denn nicht mit Unrecht fürchtete sie, daß Ramara mir
die Waffen zu haben wünsche, um Feindseligkeiten mit
dem anderen Teil der Insel zu beginnen.
„Empören? Bah!" lachte der Häuptling verächtlich.
„Er sollte es wagen, seine Krieger zusammenzurufen!
Ramara Toa ist ein großer König, und wenn sein Kriegs
gong tönt, strömen die jungen Leute von allen Seiten
herbei. M atangi Ao — so viel für ihn"; und er schlug
sich verächtlich mit der flachen Hand auf die Hüfte.
„Dann erlaubst du mir vielleicht, Ramara Toa,"
sagte da der Missionar freundlich, „dir die Geschenke vor
zulegen, die wir für dich mitgebracht?"
Der König stieß einen eigentümlichen Gaumenlaut
aus, der seine Zufriedenheit bezeugen sollte, und schien
auch völlig bereit, dem Fremden diese Gefälligkeit im
Augenblick zu erweisen. Fremar aber, der Wohl wußte,
daß ihr ganzer Erfolg auf der Insel nur von dem guten
Willen dieses einen Mannes abhing, war klug genug,
sich denselben nicht zu billig erkaufen zu wollen, und
zeigte sich bei der jetzigen Austeilung außerordentlich frei
gebig.
Vor allen Dingen legte er ihm ein halbes Stück echt
rotgefärbten Kattun hin, ein anderes ähnliches Stück
mit gelben Streifen, ein halbes Dutzend Beile, einen
kleinen Sack voll Nägel, Glasperlen, und als Haupt
zierde vor allem eine feuerrote, allerdings schon etwas
abgetragene Uniform mit gelben Knöpfen, die aber
Ram ara Toa in Entzücken versetzte. Leider war sie ihm
in den Schultern etwas zu eng; er konnte sie nicht zu
knöpfen, und Berchta, die lächelnd feine Freude über das
doch eigentlich wertlose Stück gesehen, erbot sich selber,
sie ihm passend zu machen, was freilich nur dadurch mög
lich wurde, daß man die Rücknaht auftrennte und einen
Streifen roten Baumwollenzeuges dazwischen setzte. Er
ließ ihr auch in der T at keine Ruhe, bis sie gleich damit
begann, denn er wollte noch heute, bei der Ava-Partie,
darin erscheinen.
Fremar hatte indessen noch einige Messer und andere
Kleinigkeiten ausgepackt, das Beste aber doch bis zuletzt
aufgehoben, und Ram ara Toa schien sich auch die ganze
Zeit danach umzusehen. Endlich zog der Missionar eine
kleine, lange Kiste hervor, und des Indianers Augen
leuchteten, denn er ahnte, was sie enthielt.
„Ramara Toa," sagte da Fremar, „wie wir gehört
haben, gibt es viele wilde Schweine und Rinder, auch
wilde Ziegen im Innern eurer Insel, und eure Bogen
und Pfeile sind nicht kräftig genug, um sie zu erlegen.
Ich habe dir deshalb auch einige Gewehre mitgebracht,
aber nicht, um Krieg damit gegen deine Brüder zu
führen," setzte er ernst hinzu, „wie du mir auch versprechen
mußt, daß du nie von mir verlangen willst, teil an etwa
ausbrechenden Streitigkeiten zu nehmen. Ich. bin nur
hierher zu euch gekommen, um in Frieden zu wirken und
zu lehren, nicht um Haß und Zwietracht unter euch zu
fördern, und würde nie die Hand gegen irgend einen
Eingeborenen der Insel anders aufheben, als um ihn zu
segnen."
„Das ist gut," nickte der Häuptling freundlich, wäh
rend sein Blick aber fortwährend an der Kiste hing, die
Klaus jetzt öffnete; „du sollst auch nicht gezwungen wer
den, mit uns zu kämpfen — wir haben junge Männer
genug. Aber du sollst uns lehren die Gewehre zu ge
brauchen und damit zu schießen."
148
„ Ja, so weit es eure Jagd betrifft," erwiderte Fremar ruhig, „denn zu keinem anderen Zweck sind sie mit
hergekommen."
„Es ist gut — es ist gut," rief Ramara ungeduldig,
„weshalb macht der alte M ann so lange, bis er die Kiste
aufbekommt?"
„Na, du wirst's erwarten können," brummte Klaus,
der allerdings die Worte nicht verstand, aber doch wohl
aus der ungeduldigen Bewegung des Indianers den
S in n derselben erriet. Jetzt hatte er aber auch den letzten
Nagel gehoben, und den Deckel emporlüftend, zeigten
sich dem entzückten Wilden sechs noch in Stroh einge
schlagene Gewehre, die er selber hastig aus der Kiste
nahm. F ür einen Moment fesselte aber das Stroh seine
Aufmerksamkeit, denn etwas Ähnliches hatte er wahr
scheinlich noch nie gesehen, und er schüttelte lächelnd den
Kops über die lange, gelbe und dünne Pflanze-, aber
die Waffen interessierten ihn doch mehr, und das Stroh
abwerfend, hielt er gleich darauf die eine prüfend in der
Hand.
Klaus nahm indessen die anderen heraus und stellte
sie an den- schon gleich am ersten Tage errichteten Laden
tisch, und Ramara Toa konnte sich nicht satt an ihnen
sehen.
„Das ist gut — das ist sehr gut!" rief er in einem
fort, „ich bin zufrieden — ich bin recht zufrieden, und
du magst jetzt zu uns herunterkommen und mit den Be
wohnern der Küste und des inneren Landes reden. Sie
sollen deinen Glauben annehmen und Frieden halten.
Ramara Toa ist ein großer Häuptling; er wird über die
ganze Insel regieren."
Damit tra t er vor die T ür der Hütte hinaus und
ließ einen gellenden Ruf durch die hohle Haud ertönen,
der augenblicklich unten vom Strand her beantwortet
wurde. Es dauerte auch nicht lange, so eilten etwa sechs
oder acht junge Burschen herbei, denen Ramara Toa
mit augenscheinlicher Befriedigung die eben erhaltenen
F r . Ger stäc ker, Die Milsi°»°re,
^
146
Geschenke übergab, damit sie hinunter in seine eigene
Wohnung und damit in Sicherheit gebracht würden. Dann
fiel ihm ein, daß er ja noch kein Pulver und keine Kugeln
für seine Waffen hatte, und Fremar übergab ihm noch
ein kleines Fäßchen des ersteren wie einen Beutel mit
den letzteren, über deren Schwere der Häuptling nicht
wenig erstaunt war. Der Missionar ermähnte ihn aber
auch dabei, das Pulver ebensowohl vor Nässe wie beson
ders vor Feuer zu bewahren, und machte ihn auf die
furchtbare Zerstörungskraft aufmerksam, die das Pulver
habe. Ramara Toa schien es aber schon zu kennen —
er hatte einmal vor langen Jahren von einem Walfischfänger davon bekommen und damals allerdings Unglück
damit gehabt. Es explodierte und tötete drei in der Nähe
befindliche Insulaner.
„Ich weiß es, ein böser Gott sitzt darin," sagte er, „und wenn er Feuer sieht, wird er böse, springt heraus
und tötet alles, was er erreichen kann."
Fremar wollte ihm etwas darauf erwidern. Ramara
Toa konnte aber die Zeit nicht erwarten, daß er zu seinen
Frauen kam, um sich mit ihnen über die erhaltenen
Geschenke zu freuen, und dem Missionar nur noch zu
rufend, hinabzukommen, sobald er die Gongs höre, die
zum Abäsest riefen, eilte er, so rasch er konnte, seiner
eigenen Heimat zu.
Was ein solches Avafest bedeutet, wußte Fremar aber
gut genug und kannte auch die nach europäischen Be
griffen wenigstens ekelhafte Bereitung dieses berauschen
den Getränkes. Die zu dem Zweck nämlich überall auf
den Inseln gezogene Avawurzel, auf manchen auch Cava
genannt, wird erst von jungen Leuten sorgfältig gekaut,
dann in einen gemeinschaftlichen Trog gespuckt, danach
mit Wasser übergössen und der Gärung überlassen, wo
nach es in kurzer Zeit trinkbar ist.
Allerdings verwendet man zu dem Kauen nur Leute
mit gesunden Zähnen, diese dabei beobachtete Reinlichkeit
ist aber doch zu geringfügiger Art, um als eine wesent-
147
—
liche Verbesserung gelten zu können, und das macht es
für den Fremden noch peinlicher, daß er sich, wenn allein
in einem solchen Stamme, den: Genusse desselben nicht
entziehen kann, ohne den Häuptling auf das gröblichste
zu beleidigen, ja er muß sogar die Einladung zu solchem
Gelage noch als eine besondere Ehre betrachten. Nur
fremde Missionare sind davon befreit, sobald sie eben
sagen, daß ihnen ihr Gott den Genuß der Avawurzel
verbietet; dann kann es als keine Beleidigung des Häupt
lings mehr angesehen werden, und man bedauert höch
stens die armen Menschen, denen ein so kostbares, oft
heilig gehaltenes Getränk tabu oder verboten ist.
Fremar aber beschloß diese Gelegenheit zu benutzen,
— denn er wußte, daß er bei einem Abäsest alle ange
sehenen Häuptlinge und einflußreichen Männer des
Distrikts zusammen fand — um zuerst zu ihnen von dem
wahren Gott zu sprechen. Er wußte sich ja des guten
Willens des Königs selber sicher, und leicht fanden die
Worte dann auch noch Eingang in ein anderes Herz.
Berchta begleitete ihn, während es Klaus vorzog,
oben in der Hütte zn bleiben und auf die vielen, noch
nicht geordneten Sachen zu achten, die überall zerstreut
umherlagen. Schlösser und Riegel gab es überhaupt
nicht an den leichtgebanten und überall durchsichtigen
Bambushäusern, und er hatte eine keineswegs günstige
Meinung von den Eingeborenen, um ihnen nicht zuzu
trauen, daß sie eine so gute Gelegenheit benutzen würden.
Blieb er aber oben, dann wußte er gewiß, daß sich keiner
von ihnen getrauen würde, in diebischer Absicht dort hin
aufzukommen, und seine Pfeife konnte er dort genau so
gut rauchen wie unten, ja vielleicht noch viel besser, wo
die braunen Schufte doch nur eine Masse von Kauder
welsch durcheinander plapperten, dem er weder S in n noch
Bedeutung abzugewinnen imstande war.
Unten am Strand waren bereits Hunderte von Men
schen versammelt, und zwar wieder vor der Wohnung
Ramaras. Aber an dem eigentlichen Avatrinken durften
10-
148
die Frauen nicht teilnehmen, und die ganze Gesellschaft
schien wirklich nur auf die Fremden gewartet zu haben,
ehe sie mit der Zeremonie begann. Das Avatrinken ge
hörte auch in der T at mit zu ihren heidnischen Gebräu
chen oder wurde wenigstens damit vermischt. Ramara
Toa, als ihm die erste Kokosschale voll des trüben Ge
tränkes gereicht wurde, goß feierlich davon einen Teil
auf die Erde neben sich und sagte, während ringsum tiefes
Schweigen herrschte:
„Hier ist Ava für euch, ihr Götter! Seht freundlich
auf uns herab, laßt uns gedeihen und gesund bleiben, laßt
unsere Früchte wachsen und gebt uns — euren Kindern
— Nahrung im Überfluß.
Hier ist Ava für euch, ihr Kriegsgötter! Haltet
unser Volk tapfer, daß unsere Feinde nicht wagen, ihn:
zu nahen!
Hier ist Ava für euch, ihr Götter der See! Bleibet
unserer Insel fern und richtet euren Kurs nach irgend
einem anderen Eiland."
Jetzt erst reichten die Untergebenen, die dazu ver
wendet wurden, die Schale, die Ramara Toa zuerst auf
einen Zug geleert, weiter, aber genau in der Reihenfolge
nach dem Rang der Häuptlinge, wie diese sich auch setzen
mußten, und das Gebet war mit einer solchen Feier
lichkeit und Andacht gesprochen, wie nur ein Tischgebet
in einer christlichen Familie gesprochen werden konnte.
Auf Berchta wenigstens machte es den nämlichen Eindruck,
und fast befangen sah sie den Ernst der Männer, die so
anscheinend fromm ein gewöhnliches Mahl begannen.
Waren das wirklich Heiden, wenn sie auch den Namen
des wahren Gottes noch nicht kannten?
Aber ihre Aufmerksamkeit wurde bald auf einen
anderen Gegenstand gelenkt, und zwar auf das Spiel
der Kinder, die harmlos und glücklich am Strand ihrer
jauchzenden Luft folgten, während die M ütter oder
Schwestern mit irgend einer Arbeit in ihrer Nähe be
schäftigt waren und ihre oft übermütigen Spiele über-
149
wachten. Einzelne saßen am Wasserrand und scheuerten
Kokosschalen glatt und dünn, daß sie in ihrer Farbe und
Durchsichtigkeit fast Schildpatt täuschend ähnlich sahen,
andere strickten Netze*) oder besserten zerrissene aus, und
während der Zeit hetzte sich das junge Volk am Strand
herum und lief mit den bloßen, aber allerdings schon
hornharten Füßen über den scharfen und heißen Korallensand, als ob es ein weicher Rasenteppich gewesen
wäre.
Sehr ängstlich schienen aber die M ütter trotz alledem
bei den oft gefährlichen Spielen der kleinen, lustigen
Welt nicht zu sein, denn ein junger Bursche besonders,
der vielleicht kaum zehn Jahre zählen mochte, schwang
sich plötzlich auf eine ganz eigentümliche Schaukel und
setzte sie keck in Bewegung. Diese Schaukel bestand aber
in nichts anderem, als einem aus Kokosbast gedrehten
und allerdings ziemlich starken Seil, das unten um ein
rundes Stück Holz geschlagen war, auf dem der Schau
kelnde reiten konpte. Das S eil selber war oben im
Wipfel einer dicht am S trand stehenden und über die
Flut hinausneigenden Kokospalme befestigt und hing
gerade hinunter, so daß man es erst mit einem Haken
heranholen mußte, um auf die Schaukel zu gelangen,
dann gab sich der kleine Bursche einen Stoß und schwang
hinaus, und als er zurück, bis zuni Stam m der Palme
kam, stieß er sich von diesem kräftig mit dem Fuß wieder
ab, daß er weit zurück über das Wasser und die dort recht
bösartig aufragenden Korallenblöcke schoß. Jedesmal
aber, wenn er zurückflog, bekam die Schaukel durch sein
eigenes Gewicht auch mehr Gewalt, und Berchta hielt jetzt
*) E s ist eine eigentümliche Tatsache, daß das Netzestricken, und
zwar genau mit demselben Knoten, ja mit den nämlichen Instrumenten,
über alle Teile der Erde verbreitet, in allen gekannt ist. Der australische
Wilde wie der nordamerikanische Indianer, der Neger und Kaffer, wie
der Bewohner der Südsee-Jnseln, der Kamtschadale und Eskimo wie
der M alaie, der Europäer wie der Asiate, sie alle kennen nur eine Art
und Weise, Netze zu stricken.
.150
—
vor Angst den Atem an, denn es sah, wenn der kleine
Bursche so gegen den Stam m zugeschleudert wurde, genau
so aus, als ob er nur dagegen schmettern und elend zer
schellen müsse. Der Knabe aber lachte und jubelte vor
Lust, und selbst wenn er rückwärts angeschossen kam und
Rettung nun unmöglich schien, warf er sich plötzlich mit
einem raschen Schwung herum und parierte den Stam m
mit dem einen ausgestreckten Fuß so außerordentlich ge
schickt, daß er jedesmal, wenn auch dicht, doch ungefährdet
daran vorüberglitt und im Zurückkommen dann der
Schwingung nach neue Kraft durch einen frischen Stoß
zu geben suchte.
„Und leidet ihr das?" rief Berchta, wirklich in
Todesangst, ein paar dicht daneben beschäftigte Frauen
an, „wenn nun das Kind verunglückt?"
„Welches Kind?" fragten diese erstaunt und auch
Wohl etwas bestürzt zu ihr aufschauend, denn sie begriffen
nicht gleich, wovon die fremde Frau so ängstlich sprach.
„Der Knabe in der Schaukel," rief Berchta.
„Der große Junge?" lachten aber die beiden Weiber,
„der weiß darin Bescheid und hält sich vom Stam m schon
ab. Unsere Kleinen machen es ja genau so und kommen
nie zu Schaden. Dem tut's nichts."
„Aber wenn das einfache S eil reißt," sagte die junge
Frau, „er ist ja rettungslos verloren!"
„Bah, das reißt nicht," lachten aber die Insulane
rinnen, „das ist fest und gut gedreht. Es müßte kein
Junge sein, wenn er sich nicht schaukeln wollte. S ie tun's
alle. Die Götter schützen sie."
„Die G ö t t e r schützen sie?" Wie vertrauensvoll
die Frau das aussprach; wie fest sie auf die überirdische
Hilfe baute und das junge, ihr doch gewiß so teure Leben
in deren Obhut sicher glaubte!
Indessen hatte dort drüben vor der Wohnung des
Königs das Avatrinken ernstlich begonnen, obgleich die
Häuptlinge dem Getränk nur mäßig zusprachen. Es soll
überhaupt weif weniger berauschen, als vielmehr, wenn
151
dasselbe nicht in zu großer Menge genossen wird, eine
dem Opium ähnliche Wirkung hervorbringen, eine Art
von angenehmer geistiger Aufregung, der aber nicht sene
körperliche Erschlaffung folgt, wie sie der Gebrauch des
letzteren unfehlbar mit sich bringt.
Und kein lautes, zorniges Wort wurde dabei ge
sprochen; freundlich, ja selbst artig verkehrten alle mit
einander, bis sich plötzlich der Missionar von seinem Sitz
erhob und in ruhigen, erzählenden Worten die Glaubens
lehre der christlichen Religion vor ihnen auszulegen
begann.
Niemand unterbrach ihn mit einer Silbe, Totenstille
herrschte in dem erst noch so lebendigen Kreise, und selbst
die Frauen, die bei dem Trinken ausgeschlossen sind, rück
ten langsam näher, um die Worte zu verstehen. J a sogar
die Kinder hörten mit Spielen auf, um zu erfahren,
was der schwarze, fremde Mann da spreche. Aber lange
blieben sie nicht um ihn geschart; verstanden sie doch
den tiefen S in n der Worte nicht und fühlten deshalb
auch kein besonderes Interesse, um seinetwegen ihre
Spiele zu unterbrechen.
Fremar sprach indessen mit voller Beredsamkeit Wohl
zwei volle Stunden lang, nicht über den eigentlichen
Kern der christlichen Religion, sondern mehr über die
bilderreichen Sagen des Alten Testaments, über die Ent
stehung oder Erschaffung der Welt, über die Erzväter
und die damit in Verbindung stehenden Wunder, bis er
zur Geburt Christi kam und wieder hauptsächlich bei
den damit in Verbindung stehenden Wundern weilte. Die
Eingeborenen hörten ihm auch aufmerksam zu, denn er
brächte viel Neues, und was er da sagte, harmonierte
sogar in manchen Stücken mit alten Sagen, die sie selber
hatten.
Aber die Avatrinker wurden zuletzt schläfrig; der
monotone Klang von Fremars Stimme mochte wohl eben
falls dazu beitragen, sie in Schlummer zu wiegen.
Raniara Tsa, infolge seiner Beleibtheit, nickte zuerst ein,
152
und da Fremar jetzt selber fühlte, daß er in dieser Stunde
keinen weiteren Nutzen von seiner Rede erwarten konnte,
brach er kurz ab, schritt zu seiner Frau hinüber, nahm
sie an die Hand und stieg mit ihr zu ihrer eigenen Woh
nung hinauf.
Das erste Samenkorn wyr jetzt ausgeworfen, und
Fremar konnte nur beten, daß es auf günstigen Boden
gefallen sei und feine Früchte tragen möge.
11.
I m Gnatu-Haus.
Am nächsten Morgen kam der König nicht zu der
Wohnung des Missionars hinauf, und als dieser endlich
mit Berchta zum Strand hinunterstieg, um ihn dort auf
zusuchen, hörte er von einem der zurückgebliebenen Diener,
daß Ramara Toa heute morgen mit einigen seiner
Häuptlinge in die Berge gestiegen sei, um die neuen
Gewehre zu versuchen und vielleicht ein wildes Rind oder
ein paar Schweine zu schießen. Die Königin aber wäre
hinüber in das Hupai-Tal zu dem Gnatu-Haus gegangen
und dort mit ihren Frauen an der Arbeit; wenn es der
Mitonare wünsche, wolle er ihn dort hinüberführen. Es
sei nicht weit, und sie fänden da alle Frauen der Nach
barschaft versammelt.
Berchta, deren Gatte ihr mit wenig Worten erklärte,
was das Gnatu-Haus bedeute — ein offener Schuppen
nämlich, in welchem das von den Eingeborenen benutzte
Zeug bereitet werde — wünschte natürlich, das mit an
zusehen, und Fremar war gern erbötig, sie hinüberzu
fahren; bot sich da ja auch vielleicht eine passende Gelegen
heit, zu den Frauen zu sprechen. Er wußte recht gut
aus Erfahrung, daß er schon halb gewonnenes Sprel
hatte, wo er die Frauen auf feine Seite brachte.
153
Der Weg lag an dem kleinen Bergstrom hinauf,
neben welchem sie gleich am ersten Morgen ihr Frühstück
gehalten, und ein reizenderer Pfad hätte sich auf der
Welt nicht Lenken lassen. Sowie sie den Kokosnußhain
verließen, unter dem ein wahrer Dämmerschatten
herrschte, traten sie in den offenen Wald hinaus, der
aber immer noch mächtige Bäume zeigte. Da stand die
Lichtnuß mit ihrem prachtvoll grünen Laub — eine Art
von Walnußbaum mit auch ganz ähnlichen Früchten:
da standen Mangos und Orangen, Hibiskusbäume und
schlanke Kastanien mit ihrer silbergrauen, so wunderlich
geformten und zu Brettern auskaufenden Rinde, und da
zwischen wilde Bananen, die sogenannte Fe*), mit jungen
Palmenschößlingen, die sich überall aus dem Boden
drängten.
Und wie hoch und üppig das Gras dazwischen wuchs,
und wie der Bergbach so munter durch die felsigen Ufer
rauschte und über die braunen Kiesel wild hinübersprang,
und was für prachtvolle Blumen an seinen Ufern blüten!
Berchta bog sich nieder zu ihnen, pflückte sich einige der
schönsten und wollte sie, wie sie es sonst daheim getan, in
ihre Locken stecken, wobei sie dem vorüberroüienden, aber
zu unsteten Bach ihr Bild nur für einen flüchtigen
Moment abzulauschen suchte, als sie Fremar daran ver
hinderte.
„Was willst du tun, Berta?"
„Ich? Du siehst es ja," lächelte die junge Frau,
„mich mit dem schönsten schmücken, was Gott dieser
*) D ie F s oder wilde Banane kommt nicht allein auf den SüdseeJnseln, sondern auch im ostindischen Archipel vor; fruchttragende
Pflanzen sind aber nicht so häufig, und wo sie stehen, tragen sie
ihre Fruchttraube, die aber natürlich viel kleiner ist, a ls die im
flachen Lande angepflanzte, nicht herunterhängend wie dort, sondern
hoch in die Höhe, weshalb auch auf einigen Inselgruppen die S age
geht, die wilde und die zahme Banane hätten einmal einen Kampf
zusammen gehabt, aus welchem die wilde a ls Siegerin hervorging;
deshalb trage sie ihre Frucht so hoch und stolz, während die zahme
die ihre beschämt nach unten hängen lasse.
154
schönen Erde geschenkt — mit seinen Blumen — 0 / wie
lieb sie sind!"
„Aber das darfst du nicht, Herz," sagte ihr Gatte
ernst.
„Das d a r f ich nicht?" wiederholte erstaunt das
junge Weib, „leidet es der König nicht, daß wir die
Blumen pflücken, die ja zu Tausenden hier wachsen und
unerschöpflich scheinen?"
„Der König Wohl, mein Herz," sagte freundlich der
Missionar, „er würde nichts dagegen haben, und wenn
du den ganzen Wald plündertest, aber du darfst als
m e i n e Frau kein böses Beispiel geben."
„Kein böses Beispiel? — Ich verstehe dich nicht. Alle
jungen Mädchen und Frauen tragen ja hier Blumen —"
„Eben deshalb, mein Kind," nickte der Missionar,
„aber nur ihren Götzen zu Ehren schmücken sie sich so.
Es ist ein heidnischer Tand, den sie ablegen müssen, so
bald sie sich dem wahren Glauben zuwenden, und da wirst
du doch einsehen, daß du allein sie nicht tragen kannst,
wenn du es auch reinen und unverdorbenen Herzens
tätest."
„Fremar!" sagte Berchta erschreckt, „du willst dem
fröhlichen, einfachen Volk doch nicht die Blumen als
Sünde verbieten?"
„Die Blumen an sich sind keine Sünde, mein Herz,"
sagte der Missionar ruhig, „aber sie werden dazu, wenn
wir sie mit jenen heidnischen Gebräuchen in Verbindung
bringen, und daß wir alles mit der Wurzel ausrotten
müssen, was nur noch im geringsten an diese entsetzliche
Zeit des Unglaubens erinnert, wirst du mir doch gewiß
zugeben, Berta?"
„Aber die Blumen," sagte die junge Frau leise und
wehmütig, „ich kann noch nicht begreifen, daß etwas
Sünde sein soll-, was so lieb und gut ist und von Gott
selber als schönste Zierde in die Welt gesetzt wurde. Hätte
er sie denn wachsen lassen und ihnen diesen Dust, diese
155
Farben verliehen, wenn er es für strafbar hielte, sich an
ihnen zu erfreuen?"
„Auch ein goldenes Gefäß wird unrein, wenn man
Gift hineingießt," sagte der Geistliche finster, „und Gift
haben sie in den Duft und die Farbenpracht gegossen,
als sie sich zu ihren heidnischen Tänzen damit schmückten,
und sie entweiht, als sie den Altar scheußlicher Götzen
zieren mußten."
Berchta hielt das Bukett, das sie sich in ihrer un
schuldigen Freude gepflückt, in der gesenkten Hand und
blickte still und starr darauf nieder. S ie erwiderte auf
das, was ihr Gatte sagte, kein Wort, aber einzeln sanken
ihr die Blüten wieder aus den Fingern heraus und ins
Gras zurück, und zwei große, helle Tränen folgten ihnen
nach.
„Aber, Berta," sagte M r. Fremar erstaunt, „bist du
denn nicht wie ein K i n d , dem man die gepflückten
Blumen wegnehmen will? Du weinst einer s o l c h e n
Sache wegen?"
Berchta griff leise mit ihrer Hand nach der Wange,
als ob sie sich selber überzeugen wollte, daß sie geweint
habe, — sie hatte es gar nicht gefühlt — dann flüsterte sie:
„Ich weine nicht um die Blumen, Fremar — ich
weine um einen schönen Traum, der mit ihnen dahin
schwindet."
„Um einen Traum ?"
„Laß es sein," bat sie, „nicht jetzt, nicht in dieser
Stunde. Du hast auch vielleicht recht, ich b i n kindisch
und will versuchen, daß ich mich bessern kann," setzte sie
kauni hörbar hinzu und schritt langsam weiter durch den
blühenden Wald. Aber die Blumen hatten für sie ihre
Farbenpracht, ihren Duft verloren, sie hörte nicht mehr
das Flüstern in den Zweigen, das Rauschen des Berg
stroms, denn ihre Gedanken weilten in dem Augenblicke
daheim bei ihrem alten Vater auf dem Schölfenstein und
in dem kleinen Predigerhause, wo sie ihren Missions-
156
verein abgehalten und sich für die hohe und edle Sache
begeistert hatte.
Auch Frernar war still und nachdenkend geworden;
denn da er gerade im Begriff stand, eine größere Ver
sammlung anzureden, so legte er sich im Geist ein wenig
die Worte zurecht, die er dort zu den Frauen sprechen
wollte, und überdachte sich, was Wohl am besten auf sie
einwirken und zu ihrem Herzen sprechen würde.
S o waren sie schweigend immer weiter und hinter
dem Führer hergeschritten, der sich dabei auf seine eigene
gemütliche Weise zu amüsieren schien. Bald sprang er
hinüber nach einem Orangenbaum, die einzeln zerstreut
hier überall im Walde wuchsen, nahm ein paar der zu
letzt Heruntergefallenen Früchte auf, biß sie an, sog sie
aus und warf sie dann fort; bald pflückte er da und dort
eine Blume am Bache, bald sammelte er eine Anzahl der
in Menge umherliegenden Lichtnüsse und schleuderte sie,
ohne aber seinen Gang zu unterbrechen, mit merkwür
diger Sicherheit nach dünnen Stämm en; bald sprang
er für einen Moment in den Bach hinein, um sich die
Füße abzukühlen, und war dann immer, ehe ihn die
Weißen überholen konnten, wieder zehn oder zwölf
Schritt voraus aus ihrem Pfad.
Berchtas Ohr erfaßte zugleich ein ganz eigentüm
liches Geräusch, das, aus dem Wald heraus, wie das
Klappern einer Mühle zu ihnen herübertönte und stärker
wurde, je weiter sie gingen. Es schallte aus dem T al
voraus, von dem sie nur noch eine kleine Höhe trennte,
und Fremar selber wurde zuletzt daraus aufmerksam.
„Was ist das?" rief er ihrem Führer zu, „woher
kommt das Klappern?"
„Das Klappern?" lachte der junge Bursche, „ei, das
sind die Mädchen mit ihren Klöppeln. Der h e i l i g e
Stoff darf nur bei Nacht und von Männern bearbeitet
werden, aber den Gnatu schlagen sie jetzt dort alle zu
sammen, und wenn wir da drüben an jenen Felsen
kommen, übersehen wir das ganze Tal."
157
„ In der T at — und arbeitet ihr hier noch viel
Gnatu?"
„Viel Gnatu? Müssen wir nicht Kleider haben, und
wer soll sie machen? Du wirst einmal sehen, Mitonare,
wie fleißig das junge Volk bei der Arbeit ist, und wie
es lacht dabei und plappert. M it dem Mundwerk sind
sie fast noch flinker als mit den Klöppeln."
„Ist die Arbeit nicht schwer?" fragte Berchta.
„Ach was, in Gesellschaft wird sie leicht und ist fast
mehr ein Fest für sie als eine Arbeit. Komm nur —
da sind wir schon an: Felsen. Siehst du, von hier aus
kannst du die ganze Ebene überschauen, und viele Men
schen wohnen darin."
Dem T al folgend, hatten sie schon vor einiger Zeit
eine Art von Wasserscheide passiert, denn der kleine Bach,
dem sie eine Strecke aufwärts gefolgt waren, wurde zu
letzt zum Quell, und als sie einen Hügelrücken überstiegen,
erreichten sie eine andere murmelnde Quelle, der sie aber
nun wieder abwärts folgten, und die dann jedenfalls
in einen entfernteren Bergstrom einmündete. Hier an
dem Felsen machte das T al eine Biegung, und Berchta
konnte einen Ausruf der Bewunderung nicht unter
drücken, als sie plötzlich ein Bild vor sich sahen, das sich
wirklich nicht schöner und wildromantischer denken ließ.
Es war eine weite, prachtvolle Hochebene, die aber
keinenfalls mehr als etwa sechs- bis achthundert Fuß
über der Meeresfläche liegen konnte. Ringsum schloß
sie der dichte Wald ein, aber der blitzende Bergbach
sprudelte hindurch, überall umher standen bald einzeln,
bald in kleinen Gruppen hochstämmige Kokospalmen, und
dort, dicht am Spiegel eines kleinen, klaren Sees, im
Schatten von zahllosen Fruchtbäumen und Palmen, hineingeschmiegt wie ein schlummerndes Kind in einen
Myrtenbusch, lagen die hellen, lauschigen Hütten der Ein
geborenen — der Bewohner eines Paradieses.
„O sieh, Bertal" rief Fremar wirklich begeistert aus,
„sieh, wie schön, wie himmlisch schön das Land ist —
158
wie das im Licht funkelt und glüht und Gott es mit
seinen schönsten, herrlichsten Farben geschmückt hat —
und wie glücklich müßten diese Menschen sein, wenn nicht
der finstere Fluch des Aberglaubens und der Sünde auf
ihnen läge."
„Und siehst du hier etwas davon, Fremar?" sagte
Berchta herzlich, „hat der Herr nicht auch über diese Hei
den seine Hand gehalten und sie reich, ja reicher, viel
reicher beschenkt als zahllose christliche Völker? Es sind
ja a l l e s seine Kinder, ob sie ihm jetzt auch wohl nur
irrend dienen."
„Ja, mein Herz," sagte der Missionar, nur mit seinen
eigenen Gedanken beschäftigt, „und daß er sie wirklich
liebt, hat er ihnen aufs neue bewiesen, indem er ihnen
jetzt auch noch durch uns die so nötige Hilfe brachte, um
ihre Seelen zu retten. O, laß uns festhalten an dem
guten Werk — fest, recht fest, und denke dir, welches
Heil wir hier wirken können, wenn wir in dieses
i r d i s c h e Paradies auch das himmlische pflanzen!"
. Berchta wollte etwas darauf erwidern, aber sie konnte
es nicht — sie dachte an die verbotenen Blumen, und nur
unwillkürlich faltete sie die Hände und betete still und
brünstig.
„Ja," rief da Fremar, „du hast recht, beten wollen
wir, beten zu Gott, daß er unser Wirken segnet und
seine Hände über uns hält auf dem rechten Pfad! lind
seinen Hut abnehmend, sank er auf die Knie nieder und
betete mit lauter, weithin schallender Stim me:
„Herr der Heerscharen, der du da thronst in den
ewigen, unermessenen Räumen, lasse dein Licht leuchten
über diese Täler, in denen Finsternis herrscht und ewige
Nacht — die Nacht der Seele und des Geistes, die Nacht
des Wahns nnd Aberglaubens, die Nacht der Sünde und
Verderbnis. Stürze die Götzen, die, von Menschenhand
errichtet, deiner heiligen Gebote spotten, und schütze deine
Kinder, die treu an dir hängen nnd dich verehren, wie
du vertilgen magst mit Feuer und Schwert, was sich
159
deinem Wort, deiner Lehre widersetzt. O, starker Herr
Zebaoth, sei unser Hort und Schirm!"
Berchta faßte mit ihrer rechten Hand ihr Herz —
das war kein Gebet, wie es eben auf i h r e n Lippen
geschwebt, in Liebe und Vertrauen; das war ein Fluch
für die Sünder, das Anrufen eines Gottes der Rache
und Vergeltung, und stimmte nicht zu dem sonnigen,
glücklichen Lande, das um sie her ausgebreitet lag; sie
vermochte auch deshalb nicht, ihm zu folgen, und als
Fremar jetzt in glühender Begeisterung in einen Teil des
132. Psalms einstimmte:
„Dies ist meine Ruhe ewiglich, hier will! ich wohnen,
denn es gefällt mir Wohl. Ich will ihre Speise segnen
und ihren Armen Brotes genug geben. Ih re Priester
will ich mit Heil kleiden, und ihre Heiligen sollen fröh
lich sein. Daselbst soll aufgehen das Herz Davids, ich
habe meinem Gesalbten eine Leuchte zugerichtet. Seine
Feinde will ich mit Schanden kleiden, aber über ihm
soll blühen meine Krone —
da flogen die Gedanken wieder mit dem Blick hinüber
zu den friedlichen Hütten der Eingeborenen, zu den P a l
men und Fruchtbäumen, zu dem klaren See und deni
saftgrünen, blumenbedeckten Wiesenplan — ihr Ohr ver
nahm wieder das muntere Klappern der Gnatuschlägel
und den fröhlichen Sang glücklicher Menschen, der jetzt
zu ihr herüberdrang, und still im Herzen gelobte sie es
sich, daß sie immer in Treue und Liebe zu den armen,
verblendeten Eingeborenen halten und da mildern und
sühnen wolle, wo der strenge Ernst des Mannes vielleicht
zu hart, zu schroff rhnen entgegentrat.
Auch Fremar hatte jetzt sein Gebet beendet, aber
scheu und ängstlich wich ihnen anfangs der Eingeborene
aus, der staunend das Gebaren des fremden Weißen
Mannes beobachtet hatte.
War das ein Gebet gewesen, was er da in den wun
derlichen und unverständlichen Lauten gesprochen, oder
160
—
ein böser Zauber, der Unheil und Krankheit auf das
friedliche T al herniederrufen sollte? Nur das freund
liche, liebe Gesicht der Frau beruhigte ihn wieder. S : e
sah wahrlich nicht so aus, als ob sie irgend emem Men
schen Böses antun oder wünschen könne, und wenn sie
wirklich einen Zauber ausübte, so war es doch gewiß nur
im Guten und nicht zu Schaden oder Leid.
Dies ganze Volk hat aber auch in der T at kernen
Charakter, der es lange über eine Furcht brüten läßt.
Wie eine Wolke an der Sonne, zieht vielleicht einmal
ein solcher Schatten an ihrer Seele vorüber, aber dann
brechen auch rasch wieder die hellen Strahlen hindurcl),
und alles, was sie noch vorher störte, ist im Augenblick
vergessen. Wie die beiden Fremden deshalb auch nui
wieder den jetzt nicht mehr zu verfehlenden Weg nach deni
Dorf einschlugen, sprang er aufs neue fröhlich voraus,
und im Gehen schlug er den Takt mit den Händen zu den,
klappernden Geräusch, das zu ihnen herübertönte.
Eine gute halbe Stunde mochten sie so noch, und
jetzt allerdings in der heißen Sonne, mit dem seltenen
Schatten einer einzelnen Palme gewandelt sein, als sie
endlich den Fruchthain und mit ihm den Spiegel des
kleinen Sees erreichten und sich jetzt auch in der un
mittelbaren Nähe des Gnatu-Hauses befanden, dessen
Klopfen, mit dem Lachen und Plaudern zahlloser S tim
men untermischt, klar und deutlich zu ihnen herübertönte.
Au noch ein paar dazwischen stehenden Hütten schritten
sie vorüber und betraten jetzt ohne weitere Zeremonie
und Anmeldung das betreffende Haus, das — eigentlich
nur ein Schuppen — zu dieser Arbeit errichtet worden
und dafür auch erhalten wurde.
Das Dach, ganz in der Weise geflochten wie die
übrigen Dächer der Häuser, aus fest zusammengeschnürten
Bündeln von Schilf oder Blättern bestehend, ruhte m
ovaler, mehr langer Form auf etwa sechzehn oder acht
zehn Pfeilern, die durch starke Querbalken miteinander
verbunden wurden.
—
161
Wände hatte es gar nicht, so daß die Brise überall
freien und frischen Durchzug fand und die darin Be
findlichen, trotz der großen Menschenmenge, kühl und be
haglich faßen.
Einen merkwürdigen Eindruck machte es aber in der
T at, den Platz zu überschauen, der sich jetzt ihren Blicken
öffnete.
Das Gnatu-Haus stand in einem wahren Hain von
Brotfruchtbäumen, aus denen nur hier und da einzelne
Kokospalmen oder vielleicht einmal der dunkelgrüne
Wipfel eines Orangenbaumes vorschauten. Die ganze
Länge des Gebäudes füllte dabei ein einziger, ringsum
behauener und oben vollkommen glatt und breit gear
beiteter Baumstamm, von eisenharter Holzart.
Auf
diesem Stamme lag eine gelblich-grüne Pflanzen- und
Fasermasse, und hinter und vor demselben, jedes zwei
etwa achtzehn Zoll lange und viereckige Schlägel aus
hartem Holz in den Händen haltend, die einige Ähnlich
keit mit einer Harlekinspeitsche hatten, saßen die Frauen
und Mädchen des ganzen Distrikts und klopften rüstig
auf den zähen Brei ein, dessen Fasern sie durch die kräf
tigen Schläge ineinander und zu einer festen Masse
trieben.
Dieser Brei besteht aus der dicken, fleischigen Rinde
des Brotfrucht- oder auch des Papier-Maulbeerbaumes.
Die äußere braune Schale der Rinde wird zuerst mit
scharfen Muscheln sauber abgekratzt, dann die Rinde
etwas geklopft und nachher in ein altes, mit Wasser
gefülltes Kanoe gelegt, um dort eine bestimmte Zeit zu
gären. Hat sie diesen Prozeß durchgemacht, so wird sie
in Klumpen auf den vorher beschriebenen Balken — hier
also den Arbeitstisch — gelegt, und nun beginnen die
Frauen mit ihren Klöppeln, die an den vier verschiede
nen Seiten Einschnitte zeigen. Die eine Seite und die,
mit welcher der Stoff zuerst geschlagen wird, ist mit langen, aber sehr groben Einschnitten versehen, die dazu
dienen, die Fasern, während die Masse breitgeschlagen
Fr. Gerstiicker, Die Missionare.
tt
162
L
—
sielchon nkcht
°üsL
lanae geschlagen wird, bis er ein gleiches, von zwei bw
drei Fuß breites und manchmal zwanzig bis dreißig
Ellen langes Stück bildet. Jetzt wechseln die Frauen die
Seiten ihrer Schlägel, die auf der zweiten etwas ferner
auf der dritten ganz fein und auf der vierten gewöhnlich
fein kariert sind, und bearbeiten den Stoff zuerst mit
der zweiten, dann mit der dritten und vierten Seite, bis
sie ihn endlich so dünn und etwa wie starte Leinwand
und vollkommen gleichmäßig auseinander geschlage,
haben Der gewöhnliche Stoff hat eine hellbraune F ä r
bung-, nur der feinste, vorn Papier-Maulbeerbaum ann
gebleicht und dadurch schneeweiß hergestellt werden.
Ist das Zeug zu seiner möglichsten Feinheit m -geschlagen, so wird es getrocknet und mag dann auch
ohne weiteres, wenn es nicht noch etwa besonders gefärbt
werden soll, in Gebrauch genommen werden. Sehr dauem
hast kann man es allerdings nicht nennen, deuii beson
ders bei feuchter Witterung halt es kaum langer aU
vier bis höchstens sechs Wochen — aber was schadet das Selbst die Lumpen können wieder nach gründlichem Ein
weichen zu einem Brei zusammengeschlagen und zu neuem
Wichs-Inseln, asiu auf den Gesellschafts-^nseln genannt
wird) bildete die Hauptarbeit der Südsee-Mstulanermnen
und selbst die Königin schloß sich davon nicht aus, ia, sie
setzte den größten Stolz darein, die beste Arbeiwrm in
solchem Geschäft zu sein. S ie hatte deshalb auch ihren
Matz mitten an dem Block zwischen all dem übrigen
jungen Volk und ging ihnen in der Handhabung lhre^>
Klöppels mit einem guten Beispiel wacker voran.
Und wie das dabei plapperte und lachte, was für
tolle und muntere Geschichten sie sich zu erzählen hatten,
163
und Wie die Augen der schönen Geschöpfe in Lust und
Leben funkelten! Aber Totenstille herrschte plötzlich in
dem Raum, als die beiden Fremden den Platz betraten
— Totenstille nämlich, soweit es das Reden und Lachen
der Arbeitenden betraf; denn die Klöppel hämmerten
fort, weil die Königin selber ihr Geschäft nicht unter
brach, und keine der übrigen Frauen hätte es deshalb
wagen dürfen, aufzuhören.
„Klap, klap, klap, klap, klap, klap!" ging das in
einem fort wie in einer Scheune, aber die Schläge nur
viel rascher einander folgend, und auch lauter, da der
ausgehöhlte Baumstamm eine Art von Resonanzboden
bildete — klap, klap, klap, klap, klap, klap! ununter
brochen, schwächer, wenn die Klöppel mehr auf die Rän
der, stärker, wenn sie auf die hohle Mitte trafen.
„Ah, Mitonare," sagte da die Königin, welche die
Fremden jedenfalls gleich beim E intritt bemerkt hatte,
aber erst nach einer langen Weile so tat, als ob sie ihrer
ansichtig wurde, „seid ihr herübergekommen, um uns zu
besuchen? — Das ist recht — setzt euch dort auf eine
der Matten und seht, wie wir arbeiten. I h r versteht ja
doch nicht, wie man das Zeug bereiten mutz."
„Aber wir verstehen anderes, Einua," sagte Fremar
ernst, „und zwar etwas, das nicht allein uns, sondern
auch euch zum Heil gereichen soll. Der Gnatu da bedeckt
nur euren Körper, aber womit wollt ihr einst eure Seele
bedecken, wenn ihr in die Gegenwart des allmächtigen
Gottes gerufen werdet, um Rechenschaft von euren Taten
abzulegen?"
Die Königin hörte unwillkürlich mit Schlagen auf,
und wie ihr Klöppel ruhte, wurde in dem Moment kein
weiterer Laut in dem ganzen Haus gehört; aber Einua
sah den Missionar nicht freundlich an, denn genug hatte
sie schon von der christlichen Religion erfahren, um ihre
ganz besonderen Bedenken dagegen zu haben. Die Christen
durften nur e i n e Frau behalten, und wer stand ihr
gut dafür, datz Ramara Toa, wenn ihm erst einmal die
ii'
164
Wahl blieb, seine sämtlichen Frauen — eine ausgenommen — fortzuschicken, gerade zu i h r sagen wurde.
„Bleib' in meiner Hüttel"
„Du willst uns mit deinen Erzählungen furchten
machen," sagte sie nach einer längeren Pause „und
Ram ara Toa lauscht ihnen; aber wenn dre Götter dir
zürnen, bist du verloren, und des Donnergottes Keule
trifft dich, wohin du den Fuß setzest."
„Ich fürchte ihn nicht," lächelte Fremar. „Wenn er
wirklich die Macht hat, so soll er sein Schlimmstes tun.
Ich trotze ihm und allen seinen Gehilfen. Laß ihn kom
men, wenn er in der Luft schwebt, und an mir beweisen,
daß er der Herr dieser Inseln ist; aber er ist machtlos
wie das Stück Holz, auf dem du das Gnatu ausschlagst
— machtlos wie ein in die See gestoßenes Kanoe. Die
Wogen tragen es herüber und hinüber, und es kann >ich
nicht einmal selber steuern, viel weniger andere einer
einstigen Glückseligkeit entgegenführen."
Entsetzt hatten die Frauen einer solchen Lästerung
gegen ihre Götter — ja gegen einen der mächtigsten zu
gehört, und scheu warfen sie den Blick nach oben, als ob
sie fürchteten, daß der Beleidigte im nächsten Moment
schon seine Donner herniedersenden müsse, um den Frevler
zu zerschmettern. Aber der Himmel blieb blau und klar;
kein Lüftchen regte sich.
„Du frevelst," sagte die Königm düster, „aber wie
willst du beweisen, daß dein Gott mächtiger ist als der
unsere?"
„Willst du mich anhören, Einua?"
„Rede," sagte die Frau, „wir haben Zeit genug, dir
zuzuhören, aber unsere Arbeit dürfen wir dabei nicht
unterbrechen. Vorwärts, ihr Mädchen, der Streifen muß
heute noch ausgeschlagen werden," und rasch den Klöppel
schwingend, fiel er in der nächsten Sekunde wieder auf
den weichen Stoff nieder, während ringsum die übrigen
Frauen und Mädchen ihrem Beispiel folgten. S ie hatten
ja doch nicht allein und müßig zurückbleiben können.
165
Aber auch selbst dadurch ließ sich Fremar mcht irre
machen. Er kannte recht gut die Schwierigkeiten, mit
denen er auf diesen Inseln bei einem ersten Bekehrungs
versuch zu kämpfen hatte, und war in der T at nicht der
Mann um sich dadurch abschrecken zu lassen. Zuerst mutzte
er Boden gewinnen, und sei der noch so schmal und dürftig;
nur festen Grund mußte er haben, und wäre es nur zu
erst für e i n e n Fuß gewesen, dann stemmte er sich
weiter. So, während Berchta zu ein paar jungen Leuten
hinging die eben mit einer Last Rinde in die Hütte ge
treten waren, und diese jetzt zwischen zwei Steinei:
klopften, um sie zur Gärung vorzubereiten und diese zu
erleichtern, begann Fremar seine Predigt, mitten in dem
Hämmern der Klöppel, das einen fast betäubenden Lärm
verursachte. .Die Königin lachte dabei still vor sich hin,
denn sie dachte, er würde es schon müde werden, ja schlug
nur stärker auf die vor ihr befindliche Masse los; aber
sie kannte den Missionar nicht.
Fremar mit seiner kräftigen, durchdringenden Stimme
ließ sich nicht abschrecken; je lauter die Frauen klopften,
desto lauter sprach er, bis endlich Einua, selber erstaunt
über diese-Beharrlichkeit, ihren Klöppel sinken ließ und
damit das Zeichen zur allgemeinen Ruhe gab. Jetzt hatte
der Missionar gewonnen. Er sprach zu ihnen von der
Liebe Gottes, aber auch von seiner Allmacht und Stärke,
erzählte von Christus, dem eingeborenen Sohn, der für
sie alle gestorben sei und besonders die Kinder so lieb
gehabt habe, und fesselte ihre Aufmerksamkeit bald so,
daß sie ihm eine ganze Weile mit dem gespanntesten I n
teresse zuhörten. Aber die Arbeit durfte nicht ruhen, der
zusammengeschlagene Rindenbrei nicht trocken werden,
oder Las ganze Stück Zeug konnte verderben, und wie
die Königin nur das erste Zeichen gab, fielen sie alle mit
den Hölzern wieder ein.
Fremar war aber klug genug, seinen Angriff nicht
weiter zu verfolgen; er hatte das Samenkorn ausge
worfen^ und mußte jetzt seine Zeit abwarten, daß es
166
Wurzel schlüge, denn er durfte die Eingeborenen nrcht
ermüden. Jedenfalls war doch auch jetzt ihre Neugrerdc
wenigstens erregt, und später würde sich schon eine neue
Gelegenheit finden, zu ihnen zu sprechen.
Berchta hatte sich indessen aufmerksam dre Berertung
des Zeuges selber angesehen, die allerdings einfach genug
war und als ihr Gatte jetzt geendet, erkundigte sie sich
bei den jungen Mädchen nach der weitern Behandlung
des Stoffes Sie war dabei so lieb und gut mit rhnen
und so freundlich, daß ihr alle gern willfahrten. Da sich
aber die Königin selber in kein weiteres Gespräch nnt ihr
einließ, mochte sie sich auch nicht selber aufdrängen und
kauerte sich nur noch zu ein paar kleinen Mädchen von
vielleicht fünf bis sechs Jahren nieder, dre vollkommen
nackt dort herumspielten und sich jetzt ebenfalls emen
Stein geholt hatten, um die Arbeit der Eltern, das Gnatumachen, nachzuahmen. Etwas Rinde wußten sie sich zu
verschaffen, und mit ein paar Stücken Holz klopften fte
wacker und mit der ernsthaftesten Miene von der Welt
^ ^ m g e Spielereien, die Berchta von Deutschland m it
gebracht, trug sie bei sich und überraschte damit das
kleine Volk, das auch rasch zutraulich wurde, nicht wemg.
Jauchzend sprangen sie auf und zeigten es ihren Eltern,
der M utter wenigstens, und hingen sich dann an Berchta
und plauderten mit den kleinen, noch ungelenken Zungen
wacker aus sie ein. J a , als Fremar und seine Frau das
Haus wieder verließen, um nun noch einmal das um
liegende Dorf zu besuchen und vielleicht mit einigen der
älteren Leute zu sprechen, folgten ihnen die Kinder, denn
rasch hatten sie zu der lieben, jungen Frau, die so gut
zu ihnen sprach, Vertrauen gefaßt. Eins an jeder Hand
führend, während sich noch ein paar an ihr Kleid hingen,
schritt sie mit ihnen hinter dem Missionar her, der lang
sam voranging und das freundliche Landschaftsbild auf
merksam überschaute.
, ^
Man hätte sich auch wirklich kaum emen rerzenderen
167
Punkt denken können, als diesen kleinen, von der übrigen
Welt vollkommen abgeschlossenen Platz. Der kleine See,
in welchen das Bergwasser mündete und dann hindurch
seinen Abfluß wieder auf der anderen Seite fand, mochte
vielleicht hundertfünfzig Schritt in der Breite und dreihundert Schritt in der Länge halten, und war kristallhell,
daß man selbst vom Ufer aus bis tief hinab auf den
Boden sehen konnte. Und an dessen äußerem Rande stan
den in einem lauschigen Hain von Brotfruchtbäumen, Ba
nanen, Orangen, Mangos und Kokospalmen die luftigen
Bambushütten, und draußen im See badeten und schwam
men, hetzten und tauchten die Kinder und strichen alle
plötzlich zum Ufer aus, als sie die frenide Frau, von den
Kindern umgeben, erblickten.
Gerade da begegnete ihnen ein junger Insulaner,
den leichten, feingearbeiteten Gnatumantel über die
Schulter geworfen, den Pareu um die Hüften geschlagen,
die schwarzen, lockigen Haare sorgfältig geölt und von
einem aüs buntfarbigen Ranken zierlich geflochtenen,
diademartigen Schmuck auf der S tirn gehalten. I n
der linken Hand trug er einen langen Bogen und Pfeile,
den rechten Daumen hatte er in sein Gürteltuch gesteckt,
und fein stolzer, elastischer Gang verriet, daß er ein
Häuptling des Landes sein müsse, er wäre sonst nicht
so zuversichtlich aufgetreten.
Sein offenes, jugendliches Antlitz, denn er konnte
kaum mehr als ein- oder zweiundzwanzig Jahre zählen,
zog sich jedoch in düstere Falten, als er den fremden
M ann in dem schwarzen Rock erblickte; er k a n n t e und
haßte die Fremden und wußte nur zu gut, was sie hierher
geführt.
Fremar, der zu lange mit den Eingeborenen verkehrt
hatte, um nicht augenblicklich seinen Rang zu erkennen,
grüßte freundlich und blieb stehen, wie um ein Gespräch
anzuknüpfen; der junge Häuptling aber dankte ihm kaum
durch ein leises Kopfnicken, und wollte eben stolz vorüberschreiten, als sein Blick auf die hinter ihm folgende
168
Gestalt der jungen Frau fiel und er erstaunt vor ihr
stehen blieb.
„
r
Auch Berchtas Blick haftete mrt Wohlgefallen auf
der jugendlich frischen Gestalt des Insulaners, dessen Züge,
als er sie anlächelte, unverkennbar das Gepräge eures
guten, fröhlichen Herzens zeigten. Ehe sie ihn aber
anreden konnte, streckte er ihr offen seine rechte Hand
entgegen und sagte, wie selber unbewußt, dre Worte:
„O, wie schön bist du — wie lieb und schon, du
fremde Blume. Die Kinder haben dich gesucht — sei gut
mit ihnen," und ihr dann freundlich zunickend, verfolgte
er, ohne sich auch nur noch einmal umzusehen, seinen Weg
am See hin.
,
„Wer war das?" fragte Fremar ihren Führer, her
sich ihnen jetzt wieder angeschlossen und, wie er wohl
bemerkt, auch den jungen Häuptling aus das ehrer
bietigste gegrüßt hatte.
'
,Wer das war, Mitonare?" sagte der kleme Bursche
erstaunt, „ei, das war Taori, der einzige Sohn von
Ramara Toa und der einstige König."
„
„Aber ich habe ihn noch nicht am S trand gesehen.
„Er wohnt hier am See — es ist sein Lieblings aufenthalt, und das ganze Dorf gehört ihm."
„Und hat Ramara Toa weiter keine Kinder?"
„Ja, noch eine Schwester Taoris, Nalata. Aber ste
wohnt drüben an der Tuia-Bai und ist an den Häupt
ling Matangi Ao verheiratet. Taori geht manchmal hin
über, aber Nalata kommt nicht mehr hinüber, seit Ramara
Toa böse mit M atangi Ao ist."
„Taori scheint also befreundet mit M atangi Ao?"
„Ja, und er will Frieden zwischen beiden wachen,
aber Ram ara Toa will nicht — hat jetzt Gewehre, und
M atangi Ao muß herüberkommen und um Frieden bitten
und Tribut zahlen. Sind schon Boten zu ihm hinüber."
„Und wird er es tun?"
Der junge Bursche zögerte mit der Antwort; endlich
sagte er scheu:
169
, „Matangi Ao großer Häuptling — viele Leute mit
ihm und haben ihn lieb. Wer weiß, was er tut — über
Ramara Toa hat seine Tochter lieb — er wird Matangi
Ao nicht den Kopf abschlagen wollen."
„Beruhige dich, mein Bursche," sagte aber der Mis
sionar, „es wird kein Krieg auf der Insel werden, son
dern Frieden; denn wir sind herüber zu euch gekommen,
um den Frieden zu bringen."
„Aber Ram ara Toa hat jetzt die Gewehre."
„Er wird sie nicht gegen Menschen wenden, sondern
nur gegen die Tiere des Waldes. Es darf kein Menschen
blut mehr vergossen werden, wo die Lehre des einzigen,
wahren Gottes herrscht, denn ihm sind solche Opfer ein
Greuel."
„Das wäre gut!" seufzte der junge Bursche, „aber
Taori und M atangi Ao werden nichts von der neuen
Lehre wissen wollen. M atangi Ao hat die Weißen Männer
schon einmal fort von der Insel gejagt, als sie bei ihm
wohnen wollten."
„Also dort drüben waren sie gelandet?" fragte der
Missionar.
„Ja, dort drüben im Tuia-Hafen, in den das Wasser
aus dem Tuia-See, gleich dort drüben hinter dem Berg,
hineinläuft."
Während sie so miteinander sprachen und den Rand
des kleinen Sees entlang schritten, bemerkte Berchta auf
einer niederen Erhöhung, dicht hinter den letzten Häusern,
eine wunderliche, ganz eigentümlich aufgeputzte Um
zäunung, in welcher aufgerichtet ein hohes, aber sehr
schmales Haus von Bambusstäben mit einem spitzen Dache
stand.
„Was ist das?" fragte Berchta, mit der Hand hinüberdeutend.
„Das da?" sagte der junge Bursche scheu, „das ist
der Tempel, in dem „der Gott des Himmels" wohnt, der
Beschützer der Leute im Hupai-Tal."
170
„Und ist sein Bild darinnen aufgestellt?" fragte
Fremar.
„Gewiß; aber du willst doch nicht zu ihm gehen,
Mitonare?" rief er plötzlich scheu, als sich der Missionar
dort hinüber wendete.
„Und warum nicht? Ist der Platz tabu?"
„Gewiß —"
„Auch außen an der Umzäunung?"
„Nein, aber keine Hand darf sie berühren, als die
der Priester."
„So komm, ich werde sie nicht berühren," sagte der
Geistliche lächelnd, „oder glaubst du, daß ich mich vor
deinem Gott f ü r c h t e n soll?"
„Alle Menschen fürchten ihn auf Motua."
„Und welche Macht hat er?"
„Er kann donnern und Blitze senden und Regen und
Sonnenschein."
„ In der Tat?"
„Er macht die Brotfrucht reifen und die Kokosnuß."
„Ein wahrer Tausendkünstler," lächelte der Mis
sionar, „den wir uns doch jedenfalls einmal etwas näher
besehen müssen."
„Wenn du nur mit einem Finger die Umzäunung
berührst," rief der junge Bursche ängstlich, „so trifft dich
ein Blitz und du liegst tot auf dem Boden."
„Habe keine Furcht, mein Sohn," sagte Fremar ruhig,
„ich werde deiner Warnung folgen."
„Bleibe zurück, Fremar," bat aber auch Berchta. „Sie
glauben ja noch an ihre Irrlehre und könnten sich in
ihren Göttern beleidigt fühlen. Reize sie nicht."
„Ich will ja ihrem tabu oder Verbot folgen, Berta,"
sagte Fremar, sie beruhigend, „aber wir müssen ihnen
auch zeigen, daß wir ihre Götzen nicht fürchten. Wir
dürfen ihnen nicht scheu aus dem Wege gehen, denn nur
so klären wir sie über die Unmacht derselben auf, irgend
einem Menschen, weder uns noch ihnen, zu schaden. Komm
nur, mein Kind, wir wollen die Umzäunung nicht be-
171
rühren, sondern nur sehen, ob wir nicht von außen einen
Blick in das Innere werfen können."
Berchta fühlte, daß er in gewisser Beziehung recht
hatte. Wenn sie die Insulaner wirklich von dem Irrtu m
ihrer Lehre überzeugen wollten, so war es nötig, daß sie
zuerst den festen Glauben an ihre Götzenbilder wankend
»rächten, und doch auch wieder scheute sie sich, die Gefühle
eines Volkes zu verletzen, dem sie ja nur Gutes erzeigen,
dem sie nur Segen bringen wollten. Langsam schritt
sie deshalb an des Gatten Seite den kleinen Hügel hin
auf, der zu dem Götzentempel führte. Kaum aber merkten
die Kinder, welche Richtung die Fremden einschlugen, als
sie scheu Berchtas Hand fahren ließen und ängstlich ab
seits standen. Die fremden Weißen wollten zu dem
tabu-Platz ihres Gottes gehen, und dorthin durften sie
dieselben nicht begleiten.
Frem ar schritt indessen fest und entschieden der Um
zäunung zu, und Berchta, sich an seinen Arm hängend,
war entschlossen, die Gefahr — wenn wirklich Gefahr
dabei sein sollte — mit ihm zu teilen. Aber der Mis
sionar dachte auch in der T at nicht daran, den Zorn der
Eingeborenen gegen sich wachzurufen, indem er die auf
der Insel herrschenden Gebote überschritt. Er blieb noch
etwa zwei oder drei Fuß von der Umzäunung entfernt
stehen und erkannte jetzt im In n ern dieses sogenannten
Tempels ein aus Holz geschnitztes, allerdings sehr un
schönes Götzenbild mit schrecklicher Fratze und Armen,
die aus dem Hals des Bildes herauszukommen schienen.
Es war inmitten des Tempels auf einem abgehaue
nen Baumstumpf aufgestellt und rings mit bunten S tre i
fen Gnatu, einigen Glasperlen und Stücken europäischen
Porzellans, die wie der Bruch von Tassen aussahen, um
hängen. I h r Führer hielt sich dabei ängstlich an ihrer
Seite, als ob er jede ihrer Bewegungen überwachen
wollte, und fing erst an wieder freier Atem zu schöpfen,
als Fremar von dem geheiligten Platze zurücktrat und
zu Berchta sagte:
172
„Komm, mein Kind, wir können hier nichts weiter
tun. Du siehst, welch traurige Gestalt sie sich hier geformt
haben, um das Höchste darzustellen, was sie besitzen: ihren
G o t t . Latz uns gehen; wir würden damit unser Ziel
nicht erreichen, wenn wir das scheußliche Truggebilde hier
in Trümmer legten. Wir müssen das Übel an der Wurzel
angreifen und die Axt an den faulen Stam m ihres Aber
glaubens, nicht nur an eine von dessen Früchten legen;
erst dann können wir hoffen, sie gründlich zu heilen."
S ie wendeten sich, um weiterzugehen; aber Berchta
sah auch, daß die Warnung ihres Führers nicht umsonst
gewesen war, denn aus allen Wohnungen stürzten Men
schen heraus, um eine etwaige Unbill, die ihr Heiligstes
getroffen, vielleicht zu ahnden. Jedenfalls hatten die
zurückeilenden Kinder im Dorf erzählt, daß die Fremden
das tabu ihres Gottes brechen wollten. Da aber ihrem
Führer besonders daran liegen mochte, nicht in den Ver
dacht zu kommen, daß er an einer solchen Freveltat be
teiligt wäre, eilte dieser zurück, um die Bewohner des
Hupai-Tales zu beruhigen. Die Fremden waren ja nur
an dem Tempel vorübergegangen, was nicht als Ver
achtung des Gottes angenommen werden konnte. Er hatte
ihnen gesagt, daß die Umzäunung tabu wäre, und sie
streckten keine Hand danach aus.
Damit beruhigten sich die Bewohner des Tales, und
die Fremden durften unbelästigt ihren Heimweg wieder
antreten.
12.
Die Taufe der Heiden.
Fremar erkundigte sich noch unterwegs bei seinem
Führer, einem ganz intelligenten, jungen Burschen, soweit
es die Lrtlichkeiten der Insel selber betraf, nach den der-
173
schiedenen, bald da, bald dort in den Tälern zerstreuten
Ortschaften, und erfuhr zu seinem Erstaunen, daß Motua
viel stärker besiedelt sei, als er anfangs selber gedacht.
Überall in den Einschnitten der Berge und auf kleinen
Hochebenen lagen oft gar nicht unbedeutende Dörfer, und
das flache Palmenland, das die ganze Insel umschloß,
bildete fast eine ununterbrochene Reihe von kleinen Häu
sern und Gartengrundstücken, auf denen Dams, süße Kar
toffeln, Melonen, wie auch etwas Zuckerrohr gezogen
wurden. Die Hauptschwierigkeit für den Verkehr um die
Insel herum schien nur darin zu liegen, daß am Strande
hin kein anderer Weg existierte, als der blanke und in der
Sonne glühend heiße Korallensand, während selbst diese
Passage durch einmündende tiefe Bergwasser, über welche
natürlich keine Brücken existierten, unterbrochen wurde.
Für die Insulaner selber waren diese Wasser nun
allerdings kein besonderes Hindernis, denn in ihrer leich
ten Kleidung wateten oder schwammen sie überall hin
durch, wenn sie einmal eine benachbarte Ansiedelung be
suchen wollten. Aber er selber, wie besonders seine Frau,
würden große Schwierigkeit gehabt haben, einen solchen
Weg in solcher Weise zurückzulegen, und das schlimmste
dabei war, daß man nicht einmal mit einem Kanoe das
Binnenwasser rings um die Insel befahren konnte, da
manche Stellen von Korallenmassen gänzlich erfüllt waren,
und die schwanken Fahrzeuge dann genötigt wurden, ihre
dadurch natürlich auch viel weitere Bahn um die Außenriffe herum und in offener See zu verfolgen.
Doch dazu fand sich später immer noch Rat. Vor
allen Dingen mußten die Eingeborenen der neuen Lehre
gewonnen werden, und um das zu erreichen, war es un
umgänglich nötig, die Häuptlinge dafür zu interessieren,
da diese natürlich den größten und alleinigen Einfluß
aus das Volk hatten.
Fremar war durchaus der passende M ann dazu, um
das durchzusetzen, denn seine milde Freundlichkeit gewann
ihm die Herzen, während er doch zähe Hartnäckigkeit be-
174
—
saß, um ein einmal begonnenes Werk, alle Schwierig
keiten mißachtend, ruhig, aber fest durchzuführen.
Noch an dem nämlichen Abend suchte er deshalb
Ramara Toa mit Waren, die zwei seiner Diener tragen
mußten, auf, um ihn zu bitten, die Häuptlinge herbei
zurufen, damit er ihnen eine kleine Freundlichkeit er
weise. Er fand den König auch dazu in der vortreff
lichsten Stimmung, denn ihr Jagdzug war nicht allein
außerordentlich lohnend ausgefallen, sondern sie hatte»
dabei auch die Vorzüglichkeit der neuerhaltenen Gewehre
erproben können. Allerdings waren das nur ganz ordi
näre Musketen, die daheim mit ein Paar Talern bezahlt
werden und keinen Anspruch auf einen wirklich sicheren
Schuß machten; aber den einheimischen Waffen, Pfeil und
Wurflanze, blieben sie doch weit überlegen, und da ihnen
das Wild in unmittelbare Nähe kam, war es Ramara Toa
selber gelungen, einen starken S tier tot zu seinen Füßen
niederzustrecken. Er glaubte deshalb von dem Augenblick
an, daß ihm kein Fort der Eingeborenen mehr widerstehen
könne.
I m ganzen hatten sie zwei Rinder, drei Schweine
und eine Ziege erlegt, genügende Ursache natürlich, um
heute abend alles, was erreichbar war, zu einem Fest
mahl einzuladen, und eine bessere Gelegenheit, um Ge
schenke zu verteilen, hätte sich Fremar gar nicht wünschen
können. Er war auch freigebig dabei, und gewann sich
dadurch die gute Meinung des Stammes besser, als er
es hätte durch die längste und beste Predigt tun können.
An dem Abend vermied er auch klugerweise alle Gespräche
über seine Religion, und nur, wo er direkt darum befragt
wurde, gab er freundliche, kurz erklärende Antworten, die
aber die Eingeborenen natürlich nur begieriger machten,
mehr darüber zu hören.
Scheinbar um sie zu befriedigen, versicherte er ihnen
dann, daß er morgen zu ihnen herunterkommen und ihnen
das Ganze der neuen Religion erläutern wolle, und da
sich voraussehen ließ, daß morgen auch noch eine Menge
—
176
Fleisch übriggeblieben sein würde, so saßte man den Ent
schluß, etwa eine Stunde nach Sonnenaufgang eine all
gemeine Versammlung vor des Königs Haus abzuhalten.
Zu dieser sollten dann aber auch die Priester gerufen
werden, um ihre Einwürfe laut werden zu lassen, wenn
ihnen irgend etwas unwahrscheinlich oder falsch erschien.
Daß auf Tahiti wie den Nachbar-Inseln sämtliche
Bewohner der neuen Lehre angehörten, wußten die Ein
geborenen auf Motua recht gut, denn sie hatten von Zeit
zu Zeit Insulaner von dort gesprochen und durch diese
stets gleichlautende Nachrichten erhalten; es war also
jedenfalls der Mühe wert zu hören, was der Weiße Mann
für sich und seinen Glauben zu sagen hatte; nachher
konnte man ja noch immer tun, was man wollte.
Fremar aber wußte sehr gut, was von diesem näch
sten Morgen abhing, und als die Eingeborenen ihre
Abendmahlzeit beendet hatten und die Trommel wieder
zu den, gewöhnlichen Tanze rief, schritt er still und schwei
gend zu seiner eigenen Wohnung hinauf, und dort auf
dem Felsenvorsprung unter den wehenden Palmen, die
blaue See vor sich und den tiefblauen Himmel über sich,
legte er sich die Predigt zurecht, mit welcher er am näch
sten Tage die Herzen des wilden Stammes fassen und
begeistern wollte. Und unten schallte dazu die Brandung
und mischte sich in das mächtige Getöse der fröhliche
Lant lachender und heiterer Stimmen.
Was wußten die Unglücklichen von dem Abgrund, an
dem sie standen — noch lebten sie in ihrem blinden Götzentum fröhlich und unbekümmert in den Tag hinein; aber
das ewige Verderben wartete ihrer, wenn sie nicht Ohr
und Herzen öffneten und sich gläubig an die Brust des
Allerbarmers warfen.
So dachte Fremar, und von diesem Geist beseelt, in
Mitleid und Angst für die schon halb verlorenen Men
schen, arbeitete er sich in hoher Begeisterung seinen
Stoff aus.
176
Der nächste Morgen kam, und der Strand schwärmte
von Eingeborenen beiderlei Geschlechts, denn wie ein
Lausfeuer hatte sich das Gerücht verbreitet, daß Ramara
Toa heute den weißen Mann hören wolle, der weit her
über über das Meer gekommen war, um ihre alten Götzen
zu stürzen und einen neuen dafür aufzupflanzen. Das
nämliche Gerüst, auf welchem der König gewöhnlich saß,
wenn das junge Volk vor ihm tanzte, sollte auch dem
Missionar heute dienen, von dort herab zu dem Volk zu
sprechen, und als er endlich kam, herrschte lautlose Stille
ringsumher — man hätte ein B latt zur Erde fallen hören
können.
Fremar sah heute auffallend bleich aus, denn er
wußte recht gut, was davon abhing, daß gerade in dieser
Stunde seine Rede auf die Zuhörer einwirken und Wurzel
fassen solle. Verfehlte er je tz t seinen Zweck, so war
seine Sendung vielleicht auf lange Zeit hinaus nutzlos
geworden, und er mußte sich die Bahn von neuem erst
zu ebnen suchen.
Gerade seine bleiche Gesichtsfarbe machte aber emen
besonderen Eindruck auf die Zuhörer. „Wie weiß er
aussieht," flüsterten sie untereinander, als er das etwas
erhöhte Gestell betrat, „wie merkwürdig weiß — und
wie seine Augen glänzen!" Dann aber, wie er nur den
M und öffnete, schwieg das Flüstern, und Fremar, der
nicht einmal bemerkt hatte, daß sich seine junge Frau
ebenfalls dem Kreise der Eingeborenen angeschlossen
hatte, begann mit festen und ruhigen Worten seine P re
digt, oder — besser gesagt, seine Erzählung über den
christlichen Glauben.
Solange er freilich von der Erschaffung der Welt
und den nachherigen Wundern und Schicksalen der Erzväter sprach, zeigten sich die Eingeborenen noch ziemlich
unaufmerksam. Es waren das Geschichten, wie sie die
selben ebenfalls über die Erschaffung ihrer eigenen Insel
hatten, nur etwas verändert. Ebensowenig konnten sie
sich für Abraham und Jsaak wie für Salomo interessieren,
177
bis er zuletzt zu Christi Geburt kam und die Leiden des
Heilandes schilderte, der nur auf die Welt herunter
gestiegen sei, um die Menschen glücklich zu machen und
ihnen Frieden zu bringen. Wie er endlich mit starker,
weithin schallender Stimme die Überzeugung aussprach,
daß sich in nicht ferner Zeit alle Völker der Erde zu
Christi Lehre bekennen und dann Friede und Eintracht
über die ganze W elt herrschen würde, denn der alleinige
Gott Jehova sei ein mächtiger Gott, der seine Feinde
erfassen und erschlagen würde, da nickte Ram ara Toa
befriedigt mit dem Kopf, und auch die Häuptlinge um
her flüsterten leise miteinander und schienen Freude an
der neuen Lehre zu finden.
Jetzt aber fühlte Fremar sich seines Sieges gewiß,
denn die ihm günstige Bewegung war ihm nicht ent
gangen. Er sprach von der L i e b e Gottes, wo ihn die
Seinigen fürchteten und seine Gebote hielten, aber auch
dem von Zorn des Höchsten über die Zaghaften und
Lässigen im Dienst, von den Strafen der Hölle und der
Seligkeit des Himmels — von den Qualen der Ver
dammten, von dem Jubel der himmlischen Chöre, und
als er zuletzt mit einem langen, aber inbrünstigen Gebet
schloß, daß Gott der Allmächtige segnend seine Hand über
dies Land halten und seine Bewohner zu seinem ewigen
Frieden aufnehmen wolle, da blieb es keinem Zweifel
mehr unterworfen, daß er einen vollständigen Sieg er
rungen, der sich aber noch deutlicher aussprechen sollte,
als einer der bisherigen Priester und Zauberer gegen
ihn auftrat und ihn mit seinem Gott — der nicht solche
Wunder wirken könne, als die von ihnen verehrten Wesen
— bedrohte.
Fremar war der Sprache der Eingeborenen voll
kommen mächtig und diesen Charlatanen des Glaubens
auch an Geist weit überlegen, und darauf hatte er eben
nur gewartet, denn er zog sich selber dabei hinter ein
festes Bollwerk zurück. Zuerst zählte er freilich noch
einmal alle die Wunder auf, die in früheren JahrhünF r, G erstiicker, Die Missionare.
12
178
dorten gewirkt worden, dann aber erklärte er, daß nun,
da Gott seine Lehrer ausschicke, um fremden Völkern
das wahre und heilige Wort zu lehren, Wunder nicht
mehr nötig wären, ja sogar von Gott nicht mehr geduldet
würden — und er allein habe die Macht, zu gebieten
und zu verhindern. Was wären denn i h r e Götzen?
Nichts als ein Spott vor den Augen des Höchsten, ein
Unding, was man Wohl verachten, aber nun und nimmer
anbeten könne. Machtlos wie das Holz selber, aus dem
sie geschnitzt, wären sie zu weiter nichts nütze, als ein
Feuer anzufachen und Steine für ihre Bratöfen dabei zu
erhitzen.
Ein lauter Schrei der Angst lief durch die Versamm
lung — es war die Angst vor der Rache der Gereizten:
Fremar aber, dieses Gefühl Wohl begreifend, benutzte
es auch, um sich den Sieg vollständig zu sichern, denn
sich zu seiner vollen Höhe emporrichtend, rief er mit
lauter Stimme, die über die Zuhörer hinausschmetterte:
„Dort steht euer Priester und Zauberer, der Ver
treter eurer Götter und ihr Diener — hier stehe ich, der
einfache, schlichte Mann, den der wahre Gott über das
Meer gesendet, um euch eures eigenen Seelenheils wegen
zu bitten, eure Irrtüm er abzuschwören und nur den Gott
anzubeten, der da gesagt hat: Ich bin der Herr dein
Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir. Ich
aber behaupte, daß alle eure Götzenbilder ein Trug und
Spott vor seinen Augen sind, und nun laßt euren Zau
berer beweisen, daß ich eine Lüge gesprochen. Wenn
seine Stücke Holz, die er verehrt, irgend eine Macht Haben,
so sollen sie mich zu Boden schmettern. Ich weiß, daß
sie vorgeben, furchtbare Verwünschungen über Gottes
lästerer aussprechen zu können. Laßt sie ihre schlimm
sten hervorsuchen und auf mich und das Haupt meines
Weibes häufen, hier stehe ich und trotze ihm und feinen
Göttern!"
Totenstille herrschte in der weiten Versammlung ob
solchen Frevels, ja Berchta selber schauderte unwillkürlich
179
zusammen. Der Priester aber, dadurch zum Äußerste»
gereizt — denn er sah sich nicht allein in Gefahr, seines
Ansehens, nein seiner ganzen, sehr einträglichen Existenz
beraubt zu werden — war unklug genug, die Aufforde
rung anzunehmen; immer ein fehr törichtes Unter
nehmen, wenn man sich in Sachen der Religion auf ein
positives Gebiet begibt. Der Zorn über den frechen
Fremden hatte bei ihm aber die Oberhand gewonnen, und
von seinem Sitz emporspringend und den rechten Arm
gegen den Frevler ausgestreckt, schrie er mehr, als er
sprach, eine so furchtbare Verwünschung auf ihn nieder,
daß den Zuhörern das Herz vor Entsetzen stockte. Seine
Glieder sollten erlahmen und absterben, seine Augen
erblinden, seine Zunge anschwellen, kurz, alles G räß
liches, was man nur in blindem Fanatism us über einen
Menschen Herabrufen und dabei glauben kann, daß
i r g e n d ein göttliches Wesen solchen Frevel unterstützen
oder ausführen würde.
Damit aber erschreckte er doch die Zuhörer für den
Moment und rief ihre Besorgnis und Neugierde auf
die nächste Zeit wach, ob die Götter diesen Fluch erfüllen
würden, und er hätte wenigstens Raum gewonnen und
sich damit auch begnügen müssen; so aber ging er weiter.
Die Leidenschaft riß ihn hin, er verlangte von seinen
Göttern augenblickliche Bestrafung des Lästerers: der
Donnergott sollte die Wolken zusammenziehen und ihn
dort, wo er stand — ihn und sein Weib — zerschmettern,
damit die Weiße B rüt von der Erde vertilgt werde —
und das war unklug.
Der Donnergott tat nichts dergleichen; ja, als die
Eingeborenen, die Wohl fühlten, daß ihr Zauberer gerade
sein Allerschlimmstes getan, ängstlich und erwartungsvoll
zu dem fremden Weißen Mann hinaufschauten, da faßte
der Wind in die über ihm wehenden Blätter der Palme,
die ihm Schatten gab, und als er die gefiederten Wedel
zurückschob, fiel ein Heller, klarer Sonnenstrahl auf sein
blasses Antlitz und übergoß die ganze Gestalt mit feinem
12*
180
lichten Schein. Fremar aber, den Moment benutzend,
deutete mit dem gehobenen Arm nach oben, sein Auge
blitzte, und mit fast jubelnder Stimme rief er aus:
„Da hast du die Macht d e i n e s falschen Gottes,
Betrüger! Jehova ist mit mir und wird alle seine
Feinde zu Boden schmettern!"
„Oiau! Oiau!" tönte es in lautem Erstaunen von
den Lippen der Versammlung, und sprachlos vor Wut
und verhaltenem Grimm stand der Priester. Aber er
fühlte auch, daß seine Macht gebrochen sei, und seinen
Gnatumantel über den Kopf schlagend, wendete er sich
und schritt durch die ihm scheu Raum gebenden Insulaner
in den Wald hinein.
Damit war es aber auch, als ob plötzlich ein Zauber
gebrochen wäre, der bis jetzt auf der Versammlung ge
legen. I m Nu waren alle Zungen gelöst und ein Durch
einanderschwatzen begann, das jedes einzelne Wort be
täubte und erstickte. Jeder mußte aber auch dem Nachbar
s e i n e Meinung in der Sache mitteilen, denn daß ihre
Götter eben eine schmähliche Niederlage erlitten hatten,
ließ sich nicht verkennen. I h r Priester selber hatte sich
sogar der fremden Macht gebeugt und den Platz geräumt,
und es kam jetzt nur darauf an, wie ihr König das Ganze
auffassen, und wie er handeln würde.
Fremar selber fühlte sich seines Sieges gewiß, aber
er hütete sich auch Wohl, den Eindruck, den er hervor
gebracht, durch irgend ein weiteres Wort abzuschwächen.
Er hätte nur verderben, nichts mehr hinzufügen können,
und während ein freudiges, ja fast stolzes Lächeln um
seine Lippen spielte, schweifte sein Blick ruhig über den
aufgeregten Menschenschwarm hin. Seines Erfolges
fühlte er sich jetzt sicher, und nun mußten die Eingebore
nen selber zu ihm kommen und ihn um Hilfe und Be
lehrung bitten; dann erst durfte er sich versichert halten,
auch auf festen Grund gebaut zu haben.
Jetzt erhob sich der König Ram ara Toa von seinem
Sitz — in dem Moment lief ein Flüstern durch die Ver-
181
sammlung und alles schwieg ehrfurchtsvoll, denn sie wuß
ten, daß ihr erster Häuptling reden wolle.
„Mitonare!" sagte da der Häuptling, der aber mit
sich schon lange im reinen war, wie er handeln wolle,
denn die Religion war bei ihm, wie das leider bei
v i e l e n Häuptlingen der Fall ist, weit weniger Gefühls
sache als politische Kombination, „du hast uns erzählt,
daß man in den Glauben deines Gottes durch die Taufe
mit Wasser eintritt. Ich habe deinen Worten gelauscht;
sie sind gut — du sprichst von der Macht deines Gottes,
und ich glaube dir, daß er mächtiger ist, als unsere bis
herigen Götter, denn er hat euch viele Dinge gelehrt,
von denen unsere Priester nichts wußten. I h r seid in
riesigen Kanoes über das Meer herübergekommen. I h r
versteht den Donner und Blitz mit seiner Gewalt in
euren Waffen herzustellen; ihr webt Zeug, das im Regen
nur fester wird, während das unsere auseinander fließt;
ihr wißt das harte Eisen in viele Gestalten zu formen
und zu allem zu gebrauchen, wozu ihr es haben wollt.
Das alles hat euch euer Gott gelehrt — er ist groß und
sein Arm ist stark. Er wird auch unsere Feinde zer
malmen, llvenn wir ihn anbeten und seinen Geboten
folgen; deshalb sei so gut und taufe uns, wir wollen in
den Bund der Christen treten."
Fremar kam Lurch dieses unerwartete Anerbieten
einigermaßen außer Fassung, denn s o rasch hatte er sich
seinen Erfolg nicht gedacht — er war darauf nicht vor
bereitet gewesen, aber er fürchtete auch den günstigen
Moment zu versäumen, wenn er das Anerbieten von der
Hand wies. Es mag sein, daß auch ein wenig Ehrgeiz
damit ins Spiel kam, wenn er an die Missionsgesellschaft
berichten konnte, daß er in so kurzer Zeit und auf einer
Insel, die bis dahin allen Bekehrungsversuchen, ja selbst
die dortige Ansiedlung auf das bestimmteste zurückge
wiesen hatte, mit seiner Lehre durchgedrungen und so viel
hundert, vielleicht tausend Heiden getauft und in den
Bund der Christen aufgenommen habe,
182
Wenige Minuten stand er so, den ernsten Blick ge
dankenvoll auf den König dieses wilden Stammes geheftet; plötzlich aber, wie einer höheren Eingebung fol
gend, rief er freudig aus:
„ J a — du hast recht, Ramara Toa, der Wille des
Höchsten geschehe. Taufen wir ja auch die kleinen, un
bewußten Kinder, um sie dadurch dein ewigen Heil zu
retten. I h r alle seid wie die Kinder — noch unwissend
in der Lehre des alleinigen Gottes, aber doch mit einer
empfänglichen Seele dafür begabt. Laßt uns den ersten
Schritt tun, um diese Seele Zu retten und sie ihrem
Schöpfer zuzuwenden," und von der Erhöhung nieder
stechend, wollte er sich eben dem König zuwenden, als
ihm Berchta, freudeglühend, mit strahlenden Augen m
den Weg trat.
Fremar," sagte sie mit leiser, zitternder Stimme,
„o, wie glücklich hast du mich heute gemacht; wie danke
ich dir die Seligkeit dieser Stunde."
„Meine Berta, meine liebe Berta."
Jetzt ist alles vergessen," flüsterte die junge Frau,
indem sie sich, rücksichtslos um den Schwärm der In su
laner, mit dem Haupt an seine Brust lehnte. »Alles,
selbst der Abschied von daheim und der schwere schmerz
der Trennung. Der höchste Wunsch meiner Seele, was
mir von je als schönstes, herrlichstes Ziel vorgeschwebt,
es ist erfüllt. Ich sehe und fühle, daß die Opfer die
ich gebracht, nicht vergebens waren, und wahrend ich Gott
aus vollem Herzen dafür danke, danke ich auch d i r , der
du so Großes, so Herrliches geleistet!"
„Gott selber lenkte ihre Herzen," sagte Fremar
freundlich, „ i h m laß uns danken, mein Herz, daß er
sein Licht in diese Nacht des Aberglaubens sendete —
ihm aber laß uns auch vertrauen, daß er alles zum
Besten führen und eine Fackel aufstecken wolle für unsere
neuen Brüder. Und nun laß uns an das große Werk
gehen — unterstütze du mich in dem schönsten Tag meines
Lebens — schöner fast noch, als der war, der d i ch Mir
188
gab, und damit Glück und Frieden für mein eigenes
Leben, denn in unserem Glück sehen wir heute die Selig
keit eines ganzen Stammes."
Damit küßte er sie leise auf die S tirn, und sich
dann zu dem Häuptling wendend, ordnete er das Nötige
an, um unverweilt die Taufe zu beginnen.
Einen passenderen Platz dazu gab es auch vielleicht
nicht auf der weiten Welt, denn unmittelbar an dem
Ufer des kleinen plätschernden Bergwassers, unter einen:
Baldachin von wehenden Palmen und Fruchtbäumen,
stand Fremar, eine jener feingeschliffenen Kokosnuß
schalen in der Hand, und vor ihm kniete nach seiner An
weisung der König der Inseln, den Gnatumantel von
den Schultern zurückgeworfen, daß die blau tätowierten
Zeichen auf Brust und Armen sichtbar wurden.
Und ein eigener Schauer schien den sonst so rück
sichtslosen und kecken Wilden erfaßt zu haben, als das
klare Wasser des Baches über seine lockigen Haare und
den Nacken lief — die Ahnung eines fremden, geheim
nisvollen Wesens, in dessen Macht er sich jetzt begab und
dem zuliebe er seine alten, bisher heilig gehaltenen und
in Ehrfurcht verehrten Götter opfern und meiden wollte.
Aber er hielt standhaft aus; was auch sein Herz be
wegte: wirkliche Andacht und die innige Überzeugung
einer neugewonnenen Wahrheit, oder andere, selbstsüchtige
Zwecke, die ihm in der neuen Lehre einen Vorteil für
sein neues Leben zeigten, wer kann es sagen? Die Lippen
des Wilden blieben stumm, und als er sich endlich wieder
erhob und das tropfende Wasser aus den Haaren schüttelte,
winkte er mit der Hand seine Frauen herbei, daß diese
sich ebenfalls an der Zeremonie beteiligten.
Einua, selber von der Schnelle überrascht, mit welcher
dieser doch jedenfalls wichtigste Schritt ihres Lebens ge
tan werden sollte, zögerte allerdings einen Moment —
sie kannte die Folgen noch nicht, welche das neue Glau
bensbekenntnis für sie haben konnte. Ramara Toa aber,
der Wohl die Skrupel ahnen mochte, die ihre Seele er-
184
füllten, schritt zu ihr hinüber und flüsterte leise einige
Worte mit ihr, wonach sie stolz den Kopf hob, auf den
Geistlichen zuschritt und sich dann ohne weitere Widerrede
der nötigen Form unterzog.
Jetzt kamen die übrigen Frauen, und dann traten
die Häuptlinge vor, von denen sich ebenfalls keiner wei
gerte, die Lehre des fremden, Weißen Mannes anzu
nehmen. Hatte sich ja doch ihr Häuptling dafür ent
schieden, und sie waren, wenn auch halb nackt und nur
mit einem rauhen Gnatufchurz bekleidet, doch trotzdem
zu gute Hofleute, um sich nicht mit Vergnügen dem zu
fügen, was ihr Oberhaupt zu tun für gut fand. Ob
dabei ihr Seelenheil auf dem Spiel stand, kam nicht in
Betracht, sobald sie sich nur ihres leiblichen Vorteils sicher
wußten.
Von jetzt an ging die Taufe rasch vor sich. Berchta
stand neben dem Gatten und füllte ihm aus dem Bache
immer wieder die Schale frisch, und Mann nach Mann,
Frau nach Frau drängte jetzt herbei, um des „Zaubers"
teilhaftig zu werden, der, wie sie glaubten, in den: Wasser
lag. J a , selbst die Kinder wurden nicht vergessen; ein
heiliger Eifer schien die Frauen erfaßt zu haben, die nach
allen Seiten auseinanderstoben, um ihre Kinder herbei
zuholen und zur Taufe zu bringen, denn rasch genug
hatte sich das Gerücht verbreitet, daß dieses Wasser gerade
die damit Besprengten vor jedem bösen Einfluß ihrer
Zauberer schütze. Waren sie nur erst damit übergössen
worden, dann konnte ihnen kein böser Blick oder Spruch
ihrer Priester mehr schaden; sie waren sicher unter dem
Schutz des neuen, mächtigen Gottes, den die Weißen
Männer mit auf die Insel gebracht, und es konnte ihnen
nun nichts mehr geschehen.
Während der ganzen heiligen Handlung indessen saß
Klaus oben auf dem westlichen Hang der Höhe, von dem
aus er diesen Teil der Küste vollkommen gut überschauen
konnte, rauchte dazu seine kurze Pfeife und schüttelte in
einem fort mit dem Kopfe. Was da vorging, hatte er iw
18b
Augenblick erkannt, denn es war zu viel davon schon
früher gesprochen worden; aber daß die E-ache so ungemein geschwind ging und gar keine Paten dabei gebraucht
wurden, wollte ihm nicht in den Kopf. Er hatte so 'was
in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen.
Ordnung wurde aber dabei gehalten, das ließ sich
nicht leugnen, denn zwei Häuptlinge hielten auf Ramaras
Befehl strenge Aufsicht, damit sich nicht unbescheidenes
Volk, um seiner Sache vielleicht recht sicher zu sein, zwei
mal taufen ließ und dann etwas vor dem König voraus
gehabt hätte. Alle Getauften mußten deshalb an die
andere Seite des Bergstromes hinüber, wo sie ebenfalls
wieder unter Aufsicht gestellt wurden, und die Zurück
bleibenden durften nur immer zu zwei und zweien vor
treten, die dann gemeinschaftlich das Sakrament empfin
gen. Nur später bei den Kindern wurde auf eine mehr
summarische Weise Verfahren und diese familienweise vor
geführt. Fremar wäre sonst an dem Tage gar nicht mit
ihnen fertig geworden, und doch zeigten viele der M ütter
die größte Angst, daß i h r e Kinder gerade nicht mehr
an die Reihe kommen und dadurch in der nächsten Nacht
den größten Gefahren ausgesetzt würden.
Die Sonne neigte sich auch wirklich ihrem Untergang,
bis Fremar die letzten dieses Distrikts in den heiligen
Bund der Christen aufgenommen hatte, und während der
ganzen Zeit kam weder Speise noch Trank über seine
Lippen. Ramara Toa befahl allerdings, ihm Essen zu
bringen; aber er weigerte sich, in seinem Berufe etwas zu
genießen; die Aufregung, in der er sich befand, ließ ihn
auch wohl das körperliche Bedürfnis der Nahrung ver
gessen. Nur erst, als alles beendet war, überkam ihn eine
Schwäche. Er wollte sich abwenden, um hinauf an den
Waldrand zu steigen und sich unter einen Baum zu legen,
aber er vermochte es nicht mehr. Vor den Augen wurde
es ihm schwarz, die Bäume drehten sich mit ihm ringsum,
und Berchta konnte ihn nur noch in ihren Armen auf
fangen, um seinen Fall wenigstens zu lindern.
186
Aber die Ohnmacht dauerte nicht lange; mit dem
klaren vorüberfließenden Wasser kühlte die Gattin seine
Schläfe, und als Ramara Toa, dem man die Botschaft ge
bracht, erschreckt herbeieilte, faß er schon wieder aufrecht
am Wasserrande und sah Wohl noch sehr bleich aus, hatte
sich aber doch vollständig wieder erholt.
Jetzt mußte er essen; gebackene Brotfrucht wurde
ihm gebracht und delikat duftendes Spanferkel mit braun
gebratener Kruste, Orangen und Bananen und in B lät
tern gebackene Fische, mit jungen Kokosnüssen zürn
Trinken — sechs Menschen hätten an dem, was sie herbei
schleppten, genug gehabt. Die Gastfreiheit der SüdseeJnsulaner kennt aber auch wirklich keine Grenzen, und
solange sie nur selber noch etwas besitzen, teilen sie mit
jedem fremden Besuch, der ihre Hütte betritt, selbst bis
zur letzten Brotfrucht, bis zum letzten Fisch. Sie hun
gerten lieber selber, ehe sie ihn ungespeist von ihrer
T ür ließen.
Indessen rief aber die Trommel wieder zum abend
lichen Tanze, und Fremar zuckte zusammen, denn diese
heidnischen Vergnügungen hatten die Missionare auf
sämtlichen Inseln für Sünde erklärt und sie streng ver
boten. Und an dem nämlichen Abend, in derselben
Stunde fast, wo sie das Sakrament der Taufe erhalten,
wollten sie diese Sünde begehen? Als sich Fremar aber
aufrichtete und hinüber wollte, um Einspruch dagegen
zu tun, überkam ihn wieder die vorige Schwäche; er
fühlte, daß er nicht mehr imstande sei, heute noch zu dem
Häuptling zu reden und eins ihrer am festesten einge
wurzelten Vorurteile zu bekämpfen. Berchta selber bat
ihn so dringend, sich zu schonen, nicht allein feinet-, nein,
der Sache selber wegen; denn würde er jetzt krank, so
triumphierte natürlich jener heidnische Priester, der dann
allein s e i n e m Fluch die Wirkung beilegte und damit
die Macht seiner eigenen Götter, wenn auch nicht bewiesen,
doch den Augen seiner Landsleute wieder glaubbar ge
macht hätte.
187
Diese Befürchtung war allerdings nicht ganz unbe
gründet, und schon bei seiner Ohnmacht hatten die Ein
geborenen zusammen geflüstert und viele dann scheu den
Platz geniieden. Was lag auch daran, wenn sie sich heute
noch einmal dem Tanze Hingaben; an ihre alten Götter
dachten sie heute gerade sicher nicht, und morgen konnte
er dann ernsthaft und ausführlich mit dem Häuptling
sprechen. Heute war er es nicht mehr imstande und mutzte
sich schonen.
An der Gattin Arm stieg er denn auch langsam
wieder zu ihrer Wohnung hinauf, und nur einmal stutzte
er, als ihm plötzlich — schon oben angelangt — die Brise
einen scharfen Tabaksgeruch zuführte. Er blieb stehen,
sah sich um und bemerkte Klaus, der dort noch immer
seine ewige Pfeife rauchte. Es war auch fast, als ob er
ihn anreden wolle; aber er gab es wieder auf, erwiderte
nur, leise mit dem Kopf nickend, den Grutz des Alten
und schritt dann weiter.
„Sind Sie krank, Herr Fremar?" rief ihm aber
Klaus nach, der doch Wohl bemerkte, datz er nicht so recht,
wie gewöhnlich, von der Stelle kam, „und kann ich etwas
helfen?" „Nein, Klaus, ich danke Euch," erwiderte der Mis
sionar, „nur müde von dem heutigen Tag. I h r habt
Euch nicht so angestrengt."
„Ne, das weiß Gott!" knurrte der Alte. „Das ist
ein faules Leben hier, und auf die Länge der Zeit halt
ich das auch nicht aus. Ich m u ß eine Beschäftigung
haben, oder ich wachse aus. Das kann kein Mensch er
tragen, und morgen will ich wenigstens einmal auf die
Jagd gehen!"
Der Missionar nickte nur zustimmend mit dem
Kopfe, erwiderte aber nichts weiter und verschwand bald
darauf mit Berchta in dem Bambushaus.
188
13.
Die Folgen der Predrgr.
Berchta hatte in der T at recht gehabt; die Insulaner
am Strande waren wirklich scheu geworden, als sich an
fangs das Gerücht verbreitete, der Missionar liege tot
am Wasser. Wenn sich nun auch bald darauf heraus
stellte, daß er nur eben ohnmächtig gewesen und sich
wieder erholt habe, so schrieben sie den Unfall selbstver
ständlich nicht einer natürlichen Ursache, der Erschöpfung
und übermäßigen Anstrengung, sondern der Verwün
schung ihres früheren Priesters zu, den auch einige der
Ängstlichsten schon wieder aufsuchten, um sich mit ihm
zu besprechen und wenigstens den Rücken freizuhalten.
Dieser triumphierte auch schon, aber allerdings zu früh,
denn am nächsten Morgen fand sich Fremar wieder frisch
und gesund und kräftiger, als er sich je gefühlt, unten
vor des Königs Hause ein, um jetzt alles weitere, was
nach dem gestrigen Schritt nötig geworden, mit ihm zu
besprechen.
Ramara Toa war übrigens schon auf das Wichtigste
vorbereitet, denn er wußte recht gut, daß die christliche
Religion die Vielweiberei verbietet, wußte aber auch ihm
unbequeme Gesetze, wie das alle große Herren machen,
auf das Leutseligste zu umgehen. Er erklärte dem Mis
sionar ohne weiteres, daß er alle seine Frauen abschaffen
und nur die älteste als Gattin behalten wolle; die übrigen
sollten aber nachher als Dienerinnen im Hause bleiben,
denn ernähren müsse er sie ja doch; d i e Verpflichtung
habe er einmal übernommen und könne sie nicht mehr
von sich abschütteln.
Fremar suchte ihm das allerdings auszureden, schon
des bösen Beispiels wegen. Ramara blieb aber hartnäckig
auf seinem ausgesprochenen Willen, und um nicht das
ganze bisher gewonnene Resultat zu gefährden, mußte
der Missionar zuletzt nachgeben.
189
Eine andere, kaum weniger schwierige Frage betraf
den Tanz, der unter keiner Bedingung länger geduldet
werden konnte, denn er widersprach, wie Fremar behaup
tete, allen göttlichen Satzungen. Ramara Toa zuckte
dazu mit den Achseln, denn er wußte recht gut, wie ge
rade dieser Tanz so mit ihren S itten und Gebräuchen
verwachsen war, daß es unendlich schwer halten würde,
ihnen denselben zu verbieten.
Wenn es aber sein m u ß t e , nun, dann fand sich
auch vielleicht Rat, wenn man nur etwas anderes ge
sunden hätte, um sie abends zu beschäftigen. Dafür
wollte aber Fremar selber sorgen, denn er versprach, sie
geistliche Lieder zu lehren, an denen sie große Freude
finden würden. Auch auf Tahiti hätte man das näm
liche Mittel angewendet, und zwar mit vortrefflichern
Erfolg.
„Ja," sagte Ramara Toa zu dem Missionar, und
seine kleinen Augen blitzten ihn dabei forschend an, „das
ist alles gut; wir wollen auch hier alles tun, was dein
Gott verlangt, aber die Insel ist groß. Ringsumher in,
Palmenland liegen Gärten, einer dicht neben dem an
deren, wie -du es hier siehst bei meinem Haus. Du kannst
so herumgehen, und kommst aus der anderen Seite wieder
herüber, ohne auch nur aus Sicht eines Hauses zu ge
raten. Dann haben wir das Hupai-Tal und viele andere
Täler, und drüben über den Bergen Matangi Ao, einen
störrischen Häuptling. Wenn wir hier nun alle die Ge
bote deines Gottes halten, und M atangi Ao überfällt
uns mit seinen Scharen, was dann?"
„Gott wird uns schützen," sagte Fremar zuversicht
lich, „vertraue auf ihn, Ram ara Toa, wie er alle die
anderen Volksstämme geschützt hat, die sich seiner Lehre
zugewendet. Sieh da die Inseln des Hawaiischen und
Tahitischen Archipels, es sind lauter Christen, und kein
Götzenbild wird dort mehr geduldet."
„Hm, ja," nickte Ram ara; „aber im vorigen Ja h r
war eins eurer Schisse hier, die in der See herum-
190
fahren, um große Fische zu fangen, und auf ihnen zwei
Männer von Tahiti, die uns erzählten, daß Pomare, ihr
König, die ganze Insel hätte erobern müssen, weil die
Bewohner nicht von ihren Göttern lassen wollten. Da
ihm aber die Mitonares beistanden und ihm viele Ge
wehre gaben, so schlug er die Feinde und konnte unbe
kümmert und allein in seinem Reiche herrschen."
„Die Missionare haben ihm mit ihrem Gebet bei
gestanden," erwiderte Fremar.
Ramara Toa schüttelte den Kopf. „Mit Gebeten,"
sagte er, „kann man keine aufrührerischen Häuptlinge
totschießen und unschädlich machen, nur mit Gewehren
und mit Pulver und Kugeln, und wenn du uns damit
helfen willst, so werden wir hier ein großes Reich bilden,
das deinen Gott verehrt. Wenn du es nicht tust, werden
wir selber aus dem Lande getrieben werden und in un
seren Kanoes auf die See flüchten müssen."
„Und habe ich h i e r Gewehre und Pulver und
Kugeln gebraucht, um dich und die Deinen von dem
wahren Glauben zu überzeugen, Ram ara Toa?" sagte
Fremar freundlich-, „seid ihr nicht freiwillig meinem
Worte gefolgt, und hätte ich euch dazu z w i n g e n
können?"
Ramara Toa blickte rasch Zu ihm auf, und ein eige
nes, fast spöttisches Lächeln zuckte um seine Lippen.
„Allerdings hast du Gewehre und Pulver und
Kugeln dazu gebraucht," lächelte er dann, „denn ohne
die sechs Stück würdest du mich k a u m überzeugt
haben."
„Aber nicht zu d e m Zweck gab ich sie dir!" rief
Fremar rasch. „Und hat einer deiner Häuptlinge eine
Waffe von mir erhalten? Nein, und trotzdem kamen
sie alle und ließen sich in den Bund der Christen auf
nehmen."
„Sie wußten recht gut, daß sie mir nicht wider
streben durften," sagte Ramara Toa finster, „und die
Frauen und Kinder folgten ihnen nach. Aber du sprachst
—
191
auch die Wahrheit in deiner Rede: unsere Götter sind
schwach und machtlos geworden und konnten uns nicht
mehr schützen. Sie sind von Holz, sie haben keinen starken
Arm, und der Hauch ihres Mundes war hohl. Wir
brauchen einen s t a r k e n Gott, und deshalb sage mir,
wie wir es machen sollen, daß wir den ganzen Stamm
vereinigen und zusammenhalten."
„Ich werde niorgen in das Hupai-Tal hinübergehen
und zu den Deinen sprechen," sagte Fremar freundlich;
„sie werden die Worte des Heils Vernehmen und ihm
folgen."
„Das ist gut, tue das!" nickte Ramara Toa, still
vor sich hin brütend; „aber wir haben hier eine Schwie
rigkeit. Wenn wir überfallen werden, so dauert es zu
lange, bis wir unsere Leute zusammenrufen können.
Der Strand ist lang, und nach einem heftigen Regen,
besonders in der nassen Jahreszeit, schwellen die Berg
ströme manchmal so an, daß man sie gar nicht passieren
kann."
„Auch dagegen gibt es ein Mittel," erwiderte Fre
mar, „und zwar dasselbe, das der König Pomare auch
auf Tahiti.angewendet hat, um den Verkehr mit den am
Strande liegenden Häusern zu erleichtern und in j e d e r
Jahreszeit möglich zu machen."
„Und was hat er getan?" rief Ramara Toa rasch'
und begierig.
„Er hat eine große, breite Straße um einen Teil
seiner Insel gebaut," erwiderte der Missionar, „und
über die Bergströme Brücken geschlagen, unter welchen
das Wasser dahinschießt."
Ramara Toa schüttelte mit dem Kopf. „Wer soll
hier die Straße bauen?" sagte er; „die Insulaner haben,
was sie zum Leben brauchen, und es fällt keinem ein,
irgend eine schwere Arbeit zu verrichten."
„Aber du kannst es genau so machen," erwiderte
ihm Fremar ruhig, „wie es der König Kamehameha auf
den Sandwichs-Jnseln oder Pomare auf Tahiti gemacht
192
Übertretungen zu schützen. Selbst wer von euch gegen
die alten Götter sündigte, wurde sogar oft mit dM -r.ode
bestrast. Jehova aber hat keine Freude an Blutver
gießen und Menschenopfern; er verlangt nur em reines
und gehorsames Herz, das fernen Geboten folgt und gibt
es dann wirklich böswillige Menschen, die diese Gebote
dennoch übertreten, so genügt eine kleine Strafe, um ,re
wieder auf den rechten Weg zurückzuführen.
„Eine Strafe?" sagte Ramara Toa erstaunt, „aber
was hat das mit dem zu tun, w o v o n wer sprachen .
„Es betrifft das nur allem," lächelte der Mysionar. „Wir Prediger des Glaubens dürfen allerdings
deinem Volke keine anderen als die Gesetze vorschreiben,
die Gott selber verkündigt hat, ja wir besitzen sogar
'nicht einmal die Macht, diese ausrecht zu erhalten, da wir
keine weltliche Gerichtsbarkeit üben können. Das ist nur
Sache des Königs und vielleicht seiner Häuptlinge, wenn
er sie zu einer Beratung zusammenrufen will. Dort
werden dann die Gesetze bestimmt, die der Konig gibt,
um die christliche Religion aufrecht zu erhalten, und kleme
Strafen für die Übertretung derselben angesetzt.
„Ich verstehe dich noch nicht."
Ich will es dir deutlicher machen. Die nächtlichen
Tänze müssen zum Beispiel verboten werden; sollten
es aber doch junge Leute heimlich tun und nachts irgend
wo im Wald einen solchen heidnischen Tanz auffuhren,
so kann das Gesetz bestimmen, daß sie, im Fall man he
dabei ertappt, zur Strafe — wir wollen sagen, leder
zehn oder zwanzig Schritt lang an der Straße arbeiten,
oder auch vielleicht eine Umzäunung für irgend einen
deiner Gärten errichten soll."
„Das ist gut," rief Ramara Toa freudig aus, dem,
er begriff rasch den Vorteil, den er daraus für sich selber
ziehen konnte. „Und haben es Kamebameha und Pomare
ebenso gemacht?"
193
„Genau so — wer den Gottesdienst versäumte,
mutzte so und so viele Steine zum Straßenbau tragen;
wer die Sabbatfeier brach und an dem Tage arbeitete,
hatte mehr dafür zu leisten — alle Vergehen und Ver
brechen wurden auf solche Art geahndet, Diebstahl und
Ehebruch, Vielweiberei, kurz irgend eine Übertretung der
Verbote zog eine nachsichtslose Bestrafung nach sich, die
aber so eingerichtet wurde, datz sie nicht allein den S ü n
der züchtigte, sondern auch dem Lande und dem Gemein
wohl Nutzen brachte —"
„So bestimme du die Strafen für die verschiedenen
Vergehen," rief Ramara rasch.
„Das kann ich nicht," lehnte aber Fremar eine solche
Verantwortung vorsichtig ab. „Auch auf jenen Inseln
bestimmten sie nicht die Missionare, sondern der König
selber. Aber wenn du es wünschest und verlangst, so
werde ich dir gern genau angeben, wie es dort gehalten
wurde und sich als segensreich für das Volk und das Land
gezeigt hat."
„Kamehameha war ein großer Häuptling," sagte
Ramara Toa, „er hat sich alle Inseln in der Nachbar
schaft unterworfen."
„Er hat allerdings blutige Kriege geführt," seufzte
Fremar, „aber es war vorher, — ehe er den wahren
Glauben hatte; er wußte ja noch nicht, daß es unrecht
sei, ein friedliches Volk zu bekriegen. Aber er hat es
gelernt und ist ein großer christlicher König geworden,
der jetzt die Heilige Schrift selber lesen und die Be
fehle und Gesetze für sein Volk auch selber niederschreiben
kaun."
„Und hat er das eroberte Land nachher wieder her
ausgegeben?"
„Nein," sagte Fremar, und Ram ara Toas Augen
blitzten, „aber was er nur aus blindem Ehrgeiz unter
nommen, wendete der Herr der Schlachten zum Heil und
Segen für sein Volk; denn durch ihn wurden sämtliche
hawaiische Inseln dem wahren Glauben zugewendet und
13
Fr.'Gerstcicker, Die Missionare.
194
—
blühen jetzt in Handel und Verkehr mit
örvilipeiten
Nationen unter dem Schutz und Schirm des Höchsten.
„Und Kamehameha wurde reich.
„Er ist ein großer König geworden, und alle Fürsten
und Häuptlinge Europas senden ihre schiffe zu ihm.
Und auch e r hat solche Straßen bauen lassen.
"Gewiß und nicht allein Straßen, sondern auch
N rm /ito k e Kirchen aus Korallenblöcken, Prachtvolle
Häuser für sich und seine Häuptlinge wie für die Lehrer
^ ^Nur^durch solche Strafarbeit?" sagte Ramara Toa
kopfschüttelnd.
.^
„
Wenigstens hauptsächlich dadurch.
^
„Was für ein unnützes Volk muß er aber geha
haben," bemerkte der Häuptling, "Wenn so viele S tra f
nötig waren! Bei uns auf Motna ist bw letzt fast Um
einziger solcher Fall vorgekommen. Das wird lange
dauern, bis wir eine Straße bekommen.
Das Volk," erwiderte Fremar, „wird nicht gleich
einsehen, daß all die gegebenen Gesetze nur ö» feinem
Heil gereichen, und schwer von seinem Tanz ruid man
chem nnderen sündhaften Vergnügen lassen. Dadurch
stellt sich dann allerdings eine Süßere Notwendigkeit fu
Strafen heraus. Sollte es aber nicht der Fall fern, so
Kräfte machen selbst eine schwere Last leicht.
Ram ara schüttelte mit dem Kopf. Was die f r e i
w i l l i g e Arbeit betraf, so hatte er da ferne ziemlich
gewichtigen Zweifel; denn er kannte das
S» gut und
genau, aber er wußte auch ebensogut, daß der A ss
recht hatte, wenn er befürchtete, daß ste sich nicht so lerch
und Plötzlich von ihren Tänzen entwöhnen konnten, und
bei denen konnte man dann genug erwischen, um wenig
stens einmal einen Anfang zu haben. Da er übrigens
198
—
auf der weiten Welt nichts anderes zu tun hatte, als zu
regieren, was ihm noch dazu seine Untertanen außer
ordentlich leicht machten, so beschloß er das eben Vorge
schlagene auch ohne weiteres ins Werk zu setzen, und
Boten wurden kaum eine halbe Stunde später nach allen
Richtungen, ja selbst in das Hupai-Tal hinübergesendet,
um die Häuptlinge herbeizurufen und mit ihnen die zu
gebenden Gesetze zu beraten. Der Missionar sollte dann
gegenwärtig sein und seine Vorschläge machen, wie er
dazu auf anderen Inseln die Erfahrung gesammelt hatte.
Aus dem Hupai-Tal waren übrigens auch schon
am vorigen Abend einzelne Häuptlinge gegenwärtig ge
wesen und hatten sich ebenfalls taufen lassen. Andere
aber erschienen nicht, selbst nicht Taori, Ramaras ein
ziger Sohn. Die Boten hatten die Antwort gebracht,
Taori sei in die Berge hinaufgestiegen, und der König
ließ ihn jetzt besonders auffordern, bei der nächsten Ver
sammlung wenigstens gegenwärtig zu sein, da das jeden
falls einen wirksameren Eindruck aus die Häuptlinge
machen mußte.
Fremar erklärte sich nun bereit, nach Hause zurück
zukehren und die verschiedenen Punkte aufzusetzen; dann
konnte er sie noch vor der Versammlung erst dem König
vorlegen, um zu sehen, ob sie dessen Billigung fänden,
und gegen Abend wolle er dann gern der Versammlung
der Häuptlinge beiwohnen und ihnen das erste S tra f
gesetzbuch der Insel, wie es von den Königen Kamehameha und Pomare festgestellt und in ihren Reichen ein
geführt worden, vorlesen. Ram ara Toa nickte auch da
zu mit dem Kopfe, hatte aber doch, wie Fremar bald
merkte, noch etwas auf dem Herzen, das auch natürlich
erst herunter mußte, denn Ramara Toa war keineswegs
daran gewöhnt, seine Gedanken geheim zu halten oder
irgend einen Wunsch zu verschlucken, wenn sich Gelegen
heit bot, ihn auszusprechen.
„Ja, Mitonare," sagte er endlich, „das ist alles gut
und so wollen wir es machen,, aber — einige von den
13*
196
Häuptlingen haben noch keine Geschenke bekommen —
Taori auch nicht — wir brauchen noch mehr Gewehre,
Mitonare."
„Gewehre, Ramara Toa? Aber was sollen derne
Häuptlinge mit Gewehren machen? Andere Gegen
stände werden ihnen viel nützlicher sein. Du willst doch
in keinen Krieg ziehen?"
„Nein — in keinen Krieg," sagte der Könrg aus
weichend; „aber wenn andere Inseln mit uns Krieg
machen wollen, so müssen wir uns doch verteidigen kön
nen, und dann — dann schickt es sich anch, daß ein Häupt
ling, der ein Christ ist, ein Gewehr hat. Alle ihr Chrrsten
habt Gewehre."
„Ich nicht, Ramara Toa?"
„Du nicht?" lachte der Häuptling, „habe rch ste
nicht selber da oben aus dem Kasten nehmen sehen?"
„Aber ich selber führe nie ein solches. — Ich weiß
kaum damit umzugehen und würde mich selber aus der
Jagd sehr ungeschickt damit benehmen."
„Und wenn du nun von Feinden überfallen wirst?"
„Ich stehe in Gottes Hand und in seinem Beruf.
Er wird mich schützen, wenn er es für notwendig hält; ich
selber habe kein Recht, ein anderes Menschenleben zu
nehmen, um das meinige damit zu retten."
Ramara Toa sah ihn verwundert an, denn das
waren allerdings den seinen vollständig entgegenlaufende
Grundsätze. Er hätte hundert Menschen getötet oder
töten lassen, wenn er damit sein eigenes Leben erhalten
konnte.
„Bah," sagte er auch nach einer Weile kopfschüttelnd,
du bist ein wunderlicher Mann, und ich kann nicht recht
begreifen, daß du so mutig zwischen kriegerische und
tapfere Stämme gehst, wenn du nicht selber entschlossen
bist, dir Achtung zu verschaffen. Du mußt ein großes
Vertrauen zu deinem Gott haben. Aber — wenn du
dich damit begnügst, sind meine Häuptlinge nicht dannt
zufrieden, und wenn du, wie du mir selber sagst, keine
197
Gewehre für deinen Gebrauch haben willst, was machst
du denn nnt den vielen, die du zu uns herübergebracht?
Sollen ste etwa den Feinden in die Hände fallen, wenn
ste heruberbrechen, um bei uns zu plündern?"
„Aber woher weißt du oder glaubst du, Ramara
Toa, daß ich noch Gewehre in meinem Hause habe?"
„Hab' ich sie nicht gesehen?" sagte der Häuptling,
„und steht nicht außerdem noch gerade ein solcher Kasten,
wre du ihn dort für mich geöffnet, am linken Ende des
Hauses? Ebensolang und ebensobreit und ebensolche
schwarze Zeichen darauf gemalt?"
„Ramara Toa," sagte da Fremar ernst, „ich fürchte,
du hast die neue Lehre des Christentums nur in deinen
Kops, nicht in dein Herz aufgenommen, und deine Absicht
ist mehr ehrgeizig als gottesfürchtig. Anstatt d e i n e m
Land und Volk den Frieden zu geben, willst du dir nicht
gehörenden Boden erobern und deine Untertanen in den
Tod jagen!"
„Ich denke gar nicht daran," brummte der Häupt
ling; „was macht dich glauben, daß ich Krieg führen
will — nur der Gewehre wegen? Nein, gewiß nicht.
Jagd sind ste gut, und die Häuptlinge
müssen sie führen lernen. Wir werden dann keine Angst
mehr vor einer Hungersnot zu haben brauchen, und
wenn auch einmal einer unserer Stürm e die noch un>eisen Brotfrüchte abgeschüttelt und damit die ganze
Ernte verdorben hat, so brauchen wir nur hinauf in die
Berge zu steigen, um dort so viel Wild zu schießen, als
wir haben wollen."
„Und wenn ich dir alles gebe, was ich mit herüber
gebracht," sagte Fremar, „wovon sollen wir nachher hier
leben, wo ich nur arbeiten werde, um die Deinen in vielen
nützlichen Dingen zu unterrichten?"
„Ha!" rief Ramara Toa, von der schon halben Zu
sage erfreut, „viele Brotfruchtbäume und Palmen sind
mein. Du sollst einen großen Garten als dein Eigen
tum haben, und die jungen Leute sollen für dich fischen
—
198
—
und meine Jäger dir Wild bringen. Du wirst Leinen
Hunger leiden auf Motua, solange noch ^eme Banane
reift und ein Fisch in der See schwimmt."
.
„Gut denn, Ramara Toa," erwiderte der Missionar,
„rufe deine Häuptlinge zusammen, und du sollst die Ge
wehre haben, die ich mitgebracht, um damit das Wild
dieser Inseln erlegen zu helfen. Aber du versuchst mw
auch dafür, treu und wahr an dem rechten Glauben gU
hängen und alles zu tun, was m deinen Kräften steht,
um dein Volk dabei zu halten, und die einzelnen, die auf
Abwege geraten sollten, ob es ein Häuptling oder em
gewöhnlicher Mann sei, streng und nachstchtslos zu beGewiß, gewiß!" rief Ramara Toa vergnügt aus,
indem er feine Hand in die des Missionars legte. Er
hätte in dem Augenblick Gott weiß was versprochen,
wenn ihm nur dadurch die Gewißheit wurde, noch mehr
Gewehre zu bekommen. Fremar selber aber fugte sich
nur einem ihm auferlegten, wenn auch kaum merklichen
Fwang, denn was hätte Ramara Toa verhindern tonnen,
die noch in seinem Besitz befindlichen Waffen, falls er
Verlangen danach trug, selbst mit Gewalt zu nehmen.
War er nicht der König der Insel, und besaß er nicht
jede Macht, zu tun, was er für gut und nützlich hielt.
Fremar wußte das, aber er betrachtete gerade diese Macht
des Häuptlings, wie er die Kraft der Elemente betrach
tete die der Mensch mit scharfem Verstand und geschickter
Hand so zu benutzen versteht, daß sie in s e i n e m Dienst
gehorsam wirken mußten. J e t z t hatte er sich und seiner
Sache den guten Willen des Königs erworben und gesichert- nun galt es, auch die P artei der HauM mge zu
gMünnen, und dann stand feinem Erfolg nichts mehr
im Weg. Er hatte gesiegt, und die Mpfron daherm
würde staunen, wenn sie erfuhr, Mit wie geruigen M it
teln und in wie kurzer Zeit er etwas erreicht hatte wo
zu auf anderen, weit weniger bevölkerten Inseln J a h r
zehnte nötig gewesen waren.
199
Rainara Toa seinerseits war ebenfalls, als ihn der
Missionar verließ, um die nötige Aufstellung für die
Gesetze zu machen, außerordentlich mit seinem Erfolg
zufrieden. Er bekam wieder sechs Gewehre, und wie er
sich außerdem noch überlegte, welchen bedeutenden Nutzen
er für sich selber aus der in Aussicht stehenden Strafzeit
der Eingeborenen ziehen könne, fühlte er sich so auf
geregt vor lauter Freude und innerem Vergnügen, daß
er in seinem Beratungshaus, wohin er Fremar bestellt
gehabt, rastlos auf und ab lief und seine Hände dabei
zusammenrieb.
Seine alten Götter? — Bah, sie hatten ihn schmäh
lich im Stich gelassen, welche Opfer er auch dabei gebracht
und wie er ihre Priester begünstigen mochte. Konnten
s i e ihm zu dem Ziel, dem er entgegenstrebte, verhelfen?
Nun und nimmermehr! Der fremde Priester m u ß t e
recht haben; es waren alberne Stücke Holz ohne Willens
kraft und Leben, nichts als in eine Form geschnitzte
Klötze, und wenn er es einmal mit dem neuen Gott
versuchte, stand er sich jedenfalls viel besser dabei. J a ,
wenn er sich die Sache recht überlegte, brauchte er am,
Ende gar keinen mehr, sondern fühlte sich schon durch
seine Überlegenheit der Waffen stark genug, um es mit
seinen sämtlichen Feinden getrost aufzunehmen.
Ramara Toa war ein Vollblut-Heide und ein großer
Häuptling; er betrachtete die Religion nur als M ittel
zum Zweck, d. h. als ein Mittel, um das Volk im Zaum
zu halten, nicht für seinen eigenen Bedarf, denn er stand
sowohl darüber, wie über den Gesetzen.
Indessen schritt Fremar langsam wieder seiner
eigenen Heimat zu, und zwar ebenfalls still befriedigt
über den gewonnenen Erfolg. Er hatte alles erreicht,
was er nur hoffen konnte, und wenn die Versammlung
der Häuptlinge, wie er keinen Augenblick zweifelte, mor
gen die von ihm gemachten Vorschläge annahm, so war
dadurch der Sieg des Christentums auf der Insel voll
ständig gesichert, denn Verbote und Strafen hinderten
200
das Volk schon, in ihren alten heidnischen Glauben zu
rückzufallen. Das nämliche Mittel war ja auf fo vielen
Inseln mit Erfolg angewendet worden, warum sollte es
hier nicht die nämliche Wirkung zeigen?
Als er sein Haus oben erreichte, blieb er aber mit
freundlichem Lächeln auf der Schwelle stehen, denn er
sah ein Bild vor sich, das auch wohl einem anderen den
Ernst vertrieben hätte. Berchta stand nämlich vor einem
dort hängenden kleinen Spiegel und besah sich darin,
wie ihr der riesige Hut, in Form eines umgekehrten
Kohlenkastens, stand, den ihr die würdige Frau Löwe
von Laua mitgegeben, um ihn als Modell für die hie
sigen eingeborenen Frauen zu benutzen. Als sie Schritte
hörte, drehte sie sich rasch um, und während sie den Gatten
erkannte und tief errötete, zuckte doch dabei auch ein
lieber, schelmischer Zug um ihre Lippen, und sie sagte,
so ernsthaft es ihr irgend möglich war, da das Lachen
immer bei ihr durchbrechen wollte:
„Nun, mein verehrter Herr Fremar, wie gefalle ich
Ihnen in dem schönen, neuen Hut?"
„Mein liebes Kind," sagte Fremar freundlich, „du
magst aufsetzen, was du willst, also auch den Hut, es
steht dir alles gut."
„Aber doch nicht d e r Hut?" rief Berchta jetzt ge
rade heraus lachend. „Ich sehe ja wahrhaftig wie eine
Vogelscheuche darin aus; er ist zu entsetzlich."
„Aber er erfüllt seinen Zweck, Berta," erwiderte
ihr Gatte, „indem er den Insulanerinnen, sobald man
ihnen den bisher getragenen Schmuck untersagt, einen
Ersatz bietet, der ihnen als etwas Neues sicherlich ge
fällt; wir haben ja darin auch schon Erfahrung genug
gesammelt. Die Hüte sind allerdings ein wenig groß,
schützen aber dafür auch desto besser gegen die Sonne und
werden schon in der Arbeit den eingeborenen Frauen,
die in solchen Flechtwerken nicht ungeschickt sind, eine
ganz angenehme Beschäftigung bieten."
—
201
—
„Aber du meinst doch nicht etwa im Ernst," lachte
Berchta, „daß die hiesigen jungen Frauen und Mädchen
solche Schreckbilder auf ihren Köpfen tragen sollen, und
daß ich imstande wäre, sie dazu aufzufordern?"
„Aber du weißt, liebes Kind, daß es der direkt aus
gesprochene Wunsch der würdigen M rs. Löwe war, diese
Hüte augenblicklich, sobald sich die Eingeborenen bekehrt,
als Landestracht bei ihnen einzuführen."
„Mein lieber, guter Fremar," lächelte Berchta, „Mrs.
Löwe mag eine würdige, brave Frau sein, was ich in
der T at noch keinen Moment bezweifelt habe, aber Ge
schmack hat sie nicht, das wirst du mich nicht glauben
machen wollen. Doch, wie lange ist sie etwa auf den
Inseln?"
„Ach, sicherlich schon wenigstens achtzehn oder zwan
zig Jahre. Sie hat sich große Verdienste um die Mis
sion erworben."
„Nun, siehst du Wohl. Als sie vor achtzehn oder
zwanzig Jahren zwischen den Inseln landeten, da waren
diese entsetzlichen Hüte gewiß in Europa ganz modern,
und die Leute glaubten, daß sie außerordentlich hübsch
darin aussähen, gerade so wie in den hohen Taillen oder
weiten Federbett-Ärmeln. Jetzt haben wir daheim —
doch ebenfalls als christliches Volk — andere, jedenfalls
mehr kleidsame Moden, und sage mir nun aufrichtig,
Fremar, sitzt mir der kleine einfache, runde braune Hut
nicht besser als dies Ungetüm von Stroh, und schützt
mich dessen breiter Rand nicht ebenso vollkommen gegen
die Sonnenstrahlen? — Da sieh her!" Und während
sie sprach, hatte sie den strohenen Kohlenkasten abge
nommen und ihren eigenen runden Hut aufgesetzt, der
ihr ohne Zweifel allerliebst stand.
„Ich bestreite dir das nicht, mein Kind," sagte Fre
mar freundlich, „der runde Hut sieht allerdings besser
aus, aber —"
„Und erfüllt er nicht denselben Zweck, den ihr von
jener Karikatur einer Kopfbedeckung erwartet? Ver-
202
drängt er nicht die lieben Blumen?" setzte sie leise hinzu,
„in denen ich freilich keine Sünde sehen kann?"
„Auch den Zweck erfüllt er Wohl, aber —
„Nun, siehst du, und so lc h e Hüte will ich die Ein
geborenen lehren zu machen; sie sind auch viel leichter
herzustellen, und du sollst deine Freude daran haben, wie
räch wir das ins Werk setzen wollen."
„Aber M rs. Löwe wird es nicht gern sehen, wenn
du den dir gegebenen Auftrag nicht erfüllst."
„Den mir g e s t e l l t e n Auftrag w e r d e ich er
füllen, Fremar," sagte Berchta ernst, „verlaß dich darauf,
und deshalb fühle ich mich gerade heute so glücklich, weil
dein Erfolg gestern, deine wackere Rede uns einen so
großen, einen so entscheidenden Schritt auf unserer
schönen Bahn weiter tun ließ. Das andere sind Neben
sachen, die keinen Wert haben, und besonders Damenputz," setzte sie wieder lächelnd hinzu, „darfst du getrost
deiner Frau überlassen. W i r haben hier für das Wohl
der Eingeborenen einzustehen, nicht M rs. Löwe, und
u n s muß deshalb auch überlassen bleiben, wie wir
es zu einem guten Ende führen."
Fremar fühlte auch selber, daß sie recht haben mußte,
und die Sache kam ihm auch wirklich zu unbedeutend
vor, um weiter ein Wort darüber zu verlieren. Lieber
wäre es ihm jedenfalls gewesen, wenn Berchta den Wunsch
der Missionarin erfüllt hätte, denn e r besonders kannte
den Einfluß, den M rs. Löwe als eine äußerst streng
gottesfürchtige und besonders an alten Formen hängende
Frau ausübte; aber er erwiderte trotzdem nichts weiter,
wurde auch unterbrochen, denn in demselben Augenblick
sendete Ramara Toa schon seine Boten zu ihm, welche
die versprochene Kiste abholen sollten. Der König konnte
die Zeit nicht erwarten, die ihn in den Besitz von noch
mehr Waffen setzte, und die Boten hatten den strengen
Auftrag, sie ohne weiteres hinunter in sein Haus zu
schaffen.
203
—
Berchta erschrak, als sie sah, um was es sich hier
handle. War das auch wirklich ein friedliches Werk,
was mit dem Geschenk so tödlicher Waffen eingeleitet
werden sollte? Was wollte Ramara Toa mit den vielen
Gewehren? Doch nicht etwas mit Gewalt erzwingen,
was nur ein Werk der Überzeugung sein mußte, und
deshalb wohl jahrelang Mühe und Arbeit forderte, dann
aber auch den Lohn in sich selber trug?
Fremar beruhigte sie darüber — er packte den Ein
geborenen die Kiste aus, da er die Bretter derselben für
sich benutzen wollte, und gab ihnen die versprochenen Ge
wehre, mit denen sie raschen Laufes wieder zu T al flogen,
denn lange durften sie Ramara Toa nicht warten lassen
— und erklärte ihr freundlich, daß der König damals
so viel Glück auf der Jagd mit den neuen Gewehren
gehabt habe und nun auch solche besonders für seinen
Sohn und die übrigeil Häuptlinge zum Geschenk wünsche.
Gerade den guten Willen dieser Häuptlinge brauchten sie
aber notwendig, um die Gesetze für das neue Bekenntnis
festzustellen, denn nur durch deren Schutz und Unter
stützung wären sie auszuführen und in Kraft zu halten.
Von einem Krieg sei keine Rede, ja ein solcher würde
sogar unmöglich werden, wenn Gott sein Werk segne, daß
er auch dem anderen Teil der Insel den wahren Glauben
und mit ihm dann Frieden und Eintracht für a l l e
Menschen bringen könne.
14.
Die Versammlung der Häuptlinge.
Der nächste Morgen kam und mit ihm einer der
wichtigsten Abschnitte im Leben der Bewohner von
Motua. — Heute sollten die Häuptlinge des südlichen
204
Teiles der Insel das Schicksal ihres ganzen Stammes
entscheiden, und es läßt sich freilich nicht leugnen, daß
sie an dies Werk so unvorbereitet wie nur irgend möglich
gingen.
S ie wußten noch außer der einen Rede gar nichts
von der neuen Religion, die ihnen die Fremden brachten,
und welche Wirkung sie auf ihr ganzes bisheriges Leben
ausüben würde. Ein charakteristischer Zug aller dieser
Stämme ist aber die fast unbegreifliche Sorglosigkeit, mit
der sie nicht allein der nächsten Zeit, nein, selbst dem
nächsten Tag entgegengehen. N ur der augenblickliche
Moment, nur der Tag, in dem sie leben, hat für sie einen
Wert, alles andere mag eben kommen wie es mag, und
selbst auf ihre Nahrungsmittel dehnen sie diese S org
losigkeit aus, so daß sie oft sogar in mageren Zeiten
große Gastereien halten und dabei bewirten, wer nur
irgend teil nehmen will, während sie schon in den nächsten
Tagen dafür darben müssen. Aber was tut das? Es
macht ihnen wenig Sorge, und sie arbeiten sich nachher,
so gut es gehen will, durch ihren Mangel.
Genau so gingen sie dieser vollständigen Umge
staltung aller ihrer bisherigen religiösen und damit
auch zugleich nationalen Verhältnisse entgegen. Was
kam, kam eben, wenn sie nur einen augenblicklichen Vor
teil dafür sahen. M an wird daher auch kaum erwarten,
daß sie sich schon für die neue Religion begeistert fühl
ten; die eigentliche Tragweite ihres ganzen Glaubens
wechsels hatten sie noch gar nicht verstanden. Nur das,
was von der Stärke und Allmächtigkeit des neuen Gottes
gesagt wurde, leuchtete ihnen ein, denn es stimmte zu
dem Bilde, das s ie sich von einem solchen Gott ent
worfen. Es schien ihnen kaum etwas anderes, als ob
sie sich mit einem neuen mächtigen Häuptling verbündet
hätten, der dann aber auch, solange sie Freundschaft mit
ihm hielten, verpflichtet sein mußte, ihnen in all ihren
Bedrängnissen beizustehen oder sie bei größeren und ge
fährlichen Unternehmungen natürlich zu unterstützen.
205
I n diesem Geiste trafen die Ersten des Reiches an
diesem Morgen am Strande vor des Königs Haus ein,
und die Stimmung dort wurde eine sehr gehobene, als
sie die zwölf Musketen — allerdings o h n e Bajonett,
denn es waren nur zur Jagd bestimmte Waffen — neben
einander an der Wohnung des Königs aufgestellt fanden.
Auch andere Geschenke hatte Fremar noch für sie heruntergeschickt, aber ebenfalls dem König selber zur Ver
teilung übergeben lassen. Es war besser, daß sie es
durch diesen erhielten: woher es kam, wußten sie ja doch.
Nach und nach trafen so die verschiedenen Egis des
Reiches am Strande ein, wo schon Speisen für sie bereit
und ein paar Backöfen mit geröstetem Fleisch seit Tages
anbruch im Gang waren. Auch Ava wurde vorher ge
trunken, und Ramara Toa selber — aber heute in dem
vollen Glanz seiner neuen Uniform — brachte, ohne sich
irgend etwas Böses dabei zu denken, ihrem neuen Gott
den ersten Becher, indem er, wie es bisher immer S itte
bei ihnen war, einen Teil desselben neben sich auf die
Erde goß und ein kurzes Gebet dazu murmelte. Den
alten Spruch wagte er doch nicht zu sagen, weil er nicht
genau wußte, wie er passen würde.
Aber die Sonne stieg höher, und es wurde Zeit, daß
die Beratung stattfand. Fremar war auch schon ein
getroffen, ohne aber teil an der Ava zu nehmen. Er
fetzte sich bescheiden, vielleicht zehn Schritt von den Häupt
lingen entfernt, dicht am Strand unter eine Palme und
wartete geduldig, bis er von selber gerufen wurde, denn
aufdringen durfte er sich ihnen an diesem wichtigen Tage
nicht, das fühlte er recht gut. Er wußte aber auch, daß
sie ohne ihn gar nicht fertig werden konnten, und paßte
deshalb seine Zeit ab. Was lag auch jetzt an einer
Stunde, wenn sie nur überhaupt heute noch ins reine
kamen!
Aber er mußte sehr lange warten, und zwar lag
diesmal nicht die Schuld au Ramara Toa, — nein, der
hätte gern selber je eher desto lieber begonnen — son-
206
—
Lern an seinem Sohn Taori. Man wußte, daß er hierher
unterwegs war; zwei nacheinander eintreffende Boten
hatten fein Nahen gemeldet, aber er selber schien keine
rechte Freude an der Versammlung zu haben und schlen
derte nur langsam über die Berge dem Vereinsplatze zu.
Was hatte er auch zu versäumen! J a , als er selbst den
nächsten Hügelrücken erreichte, legte er sich noch einmal
unter einen Baum und schaute lange sinnend auf das
Meer hinaus — und indessen saß Fremar unter der
Palme, der Entscheidung harrend, und verging fast vor
Ungeduld. Aber er wußte auch sehr Wohl, daß er weder
durch Mahnen noch Treiben die Sache fördern könne. Ge
duld! Es gab kein anderes Wort für ihn, und er mußte
sich dem fügen, ja, wenn selbst die Sonne darüber unter
gegangen wäre.
Endlich kam Taori. Seinen Bogen mit den Pfeilen
in der Hand, stieg er langsam den Hang nieder, und als
er den offenen Strand erreichte und dort von den Häupt
lingen auf Las lebhafteste begrüßt wurde, — war er
doch aller Liebling — wendete er sich zu dem König
und sagte:
„Du hast mich rufen lassen, Vater, um eine wichtige
Angelegenheit im Rate der Egis zu besprechen. Was ist
es? Ich bin hergekommen, um dir zu willfahren, aber
meine Zeit ist kurz. Ich will nichts von den Weißen.
Laß sie gehen und uns unser Land selber regieren. Sie
haben keinen Segen gebracht, wohin sie den Fuß setzten."
„Aber sie haben einen starken Gott, Taori," sagte
Ram ara Toa, dem die Einsprache des eigenen Sohnes
eben nicht erwünscht kommen mochte. „Wir sind ent
schlossen, ihre Lehre anzunehmen, und werden unüber
windlich sein, wenn wir uns mit ihnen und ihrem Gott
verbünden."
„Und was sagen die Häuptlinge dazu?"
„Sie stimmen mir bei," nickte Ramara Toa, „nnd
heute sollen gerade die Gesetze festgestellt werden, welche
uns die Hilfe der fremden Weißen in jeder Art sichern."
—
207
„Und wozu b r a u c h e n wir die Hilfe der fremden
Weißen?" rief Taori emporfahrend, „wer hat sie gerufen?
Daß sie das Meer verschlungen hätte!"
„Du sündigst, indem du solchen Frevel aussprichst,"
sagte Ramara Toa ernst. „Der Gott der Weißen ist
ein starker Gott!"
„Laß mich ein Zeichen sehen, d a ß er es ist," er
widerte finster der junge Häuptling, „und ich will an ihn
glauben — nicht eher." Damit drehte er sich ab und
schritt zu seiner M utter in das Haus, um diese zu be
grüßen, indessen draußen die Häuptlinge ihre Plätze
einnahmen und auf schon bereitgelegten M atten einen
weiten Kreis bildeten. Jetzt erst trat Taori zu ihnen —
aber er setzte sich nicht. Die Arme untergeschlagen, lehnte
er sich mit der Schulter an einen dort stehenden Brot
fruchtbaum, und seine Brauen zogen sich finster zu
sammen, als Fremar in den Kreis gerufen wurde, ihn
selber freundlich grüßte, ohne ihn aber weiter zu be
achten, und dann seinen Platz links neben Ram ara Toa
einnehmen mußte. Dorthin hätte ein erster Häuptling
gehört, kein Weißer. Aber Ram ara Toa war König und
hatte zu befehlen, und was die Mehrzahl der Häuptlinge
beschloß, wurde, wie er recht gut wußte, Gesetz.
Ramara forderte aber jetzt den Missionar auf, das
vorzutragen, was er ihnen gestern abend gesagt, damit
sie es hören und einen Beschluß fassen konnten; Fremar
dagegen wußte recht gut, daß er hier eine große Zahl
stolzer Burschen vor sich hatte, mit denen er augenblick
lich alles verdorben haben würde, sobald sie nur im
entferntesten den Eindruck erhielten, daß e r die Ge
setze geben und sie nur dazu „ Ja" sagen sollten. Er
mußte deshalb außerordentlich vorsichtig zu Werke gehen
und sagte darum freundlich:
„Du hast mich falsch verstanden, Ramara Toa, wenn
du glaubtest, daß ich es unternehmen würde, für Motua
Gesetze auszuarbeiten. Das steht nur dir und den
Häuptlingen zu, und alles, was ich tun kann und tun
208
k ö n n t e , ist, dir und den hier versammelten Richtern
des Volles genau zu erzählen, wie es unter ähnlichen
Verhältnissen die beiden großen Könige Kamehameha
und Pomare gehalten haben, wonach ihr dann prüfen
mögt, ob ihr durch diese Gesetze auch eure Insel zu einem
großen, mächtigen Reich umschaffen mögt, wie es jene
beiden Könige getan haben."
„Und hat Pomare wirklich noch ein Reich?" sagte
da Taori und sah den Missionar forschend an. „So
viel uns die Schiffer erzählten, die an der anderen Seite
der Insel gelandet, nahm er so viele Weiße in seinem
Lande auf, bis sie ihn selber vertrieben, und er jetzt
machtlos ist wie ein ruderloses Kanoe."
„Dann bist du falsch berichtet, Taori," sagte Fremar
freundlich. „Die Königin Pomare regiert noch zu heu
tiger Stunde ihr schönes Reich, und unsere Missionare
stehen ihr treu zur Seite. Die Feranis, ein böser, gott
loser Volksstamm, brachen allerdings dort ein und lan
deten mit ihren Kriegskanoes, aber das Volk hatte feste
Gesetze, an denen sie nicht rütteln konnten, und hielt ebensosest an seinem Glauben. Pomare Wahine ist noch bis
zu dieser Stunde seine Königin."
Taori schwieg, denn über die Verhältnisse der an
deren Inseln drang allerdings nur dann und wann, viel
leicht einmal durch einen dort anlegenden Walfischfänger,
ganz unbestimmte Kunde zu ihnen herüber. Er war
seiner Sache nicht gewiß genug; Fremar aber fuhr
ruhig fort:
„Vor allen Dingen wird es deshalb nötig sein, daß
erst einmal durch dich, Ramara Toa, wie durch deine
Häuptlinge festgestellt wird, ob ihr überhaupt die Re
ligion der Christen, in welche ihr durch die Taufe ein
getreten seid, auch durch eure Gesetze beschützen wollt,
so daß nicht jeder Eingeborene leichtsinnig und frevelhaft
die Gebote derselben überschreiten und dadurch unselige
Verwirrung anrichten kann."
209
„Und wollt I h r Gesetze für Eure Religion geben,
denen sich die neuen Christen, aber auch zugleich die An
hänger des alten Glaubens fügen müssen?" fragte Taori,
und selbst Ramara Toa sah den Missionar zweifelnd an.
„Das habe ich nicht zu bestimmen," sagte der Mis
sionar. „Ich weiß nur nicht, wie das eine ohne das an
dere auszuführen ist, denn wenn wir zum Beispiel den
Sabbat heiligen und unser Gebet in der Kirche halten
und unsere Herzen zu Gott erheben, während vielleicht
unmittelbar daneben ein wilder Trupp seine heidnischen
Tänze aufführt und trommelt, singt und schreit, so wäre
das m e i n e r Meinung nach eher eine Verhöhnung des
allmächtigen Gottes als eine Anbetung, und könnte
weit eher seine Rache als Liebe auf diese Insel herab
ziehen."
„Ja," nickte Ramara Toa, „den gegebenen Gesetzen
müssen sich a l l e fügen, Christen wie Heiden — selbst
die Häuptlinge."
„Es ist gut," erwiderten diese, „es mag so sein, denn
es ist gerecht."
„Und was hat Kamehameha also bestimmt?" rief
Ramara Toa, welcher der Sache auf den Grund zu kom
men wünschte, „denn Kamehameha ist ein großer Häupt
ling und Herr aller um ihn her liegenden Inseln. Er hat
sie alle erobert, und die Weißei: sind seine Freunde; kein
Feind kann ihm schaden."
„Wenn du es mir erlaubst, Ramara Toa, so werde
ich dir die Bestimmungen jetzt vorlegen," sagte Fremar,
die auf den hawaischen und tahitischeu Inseln in Gel
tung sind und auf das strengste beobachtet werden —und daher kommt auch der friedliche und segensreiche
Zustand, der jetzt dort auf allen Inseln herrscht."
„Wir warten darauf," nickte der König, und der
Missionar las ein kurzes Gesetzbuch vor, das sich aller
dings in nichts von den auf den meisten Inseln durch die
Geistlichen eingeführten Gesetzen unterschied, die gewöhn
liche Verwaltung der Inseln aber ganz aus dem Spiele
Fr. Gerst tick er, Die Missionare.
t4
210
ließ, und nur solche Vergehen hervorhob, welche sich auf
den gebotenen Glauben selber bezogen. Jedes einzelne
war denn auch durch Worte der Heiligen Schrift, die er
ihnen kurz erklärte, belegt, und die Übertretung jedes
einzelnen als eine Sünde bezeichnet, die nicht allein
gegen die Gott schuldige Achtung verstieß, sondern auch
von Königen und Richtern geahndet werden müsse.
Zuerst kamen natürlich die zehn Gebote, die von der
Versammlung, als von Gott selber herrührend, mit
großer Aufmerksamkeit angehört wurden, und dann erst
die einzelnen Ausführungen derselben, z. B. auf welche
Art der Sabbat heilig gehalten werden sollte.
Es mag dahingestellt bleiben, ob jenem Gebote:
„Du sollst den Sabbat heiligen!" ursprünglich wirklich
jene strenge Auslegung zugrunde gelegt ward, welche ihr
in einigen Ländern, besonders in England und Amerika,
gegeben wird, so daß unter dieser Heilighaltung sogar die
gewöhnlichsten Verrichtungen einbegriffen bleiben. Es
darf in strengen Häusern an einem solchen Tage nicht
gekocht, kein Wasser geholt, kein Vergnügungsort besucht,
ja nicht einmal eine Frucht von einem Baum gepflückt
werden. Aber ebenso streng geben die protestantischen
Missionare jenen Inseln die Auslegung dieses Gebotes,
und es läßt sich denken, daß es diese schlichten N atur
kinder einschüchterte, wenn ihnen bei einer Übertretung
der Gesetze mit dem Zorn des ganzen Himmels gedroht
wurde.
Ähnliche Verbote hatten sie aber trotzdem schon auf
den Inseln, selbst in der Heidenzeit, und ihr Wort tabu
bedeutet eben ein solches, dessen Übertretung den Grimm
der Götter wecken würde. Auf einen mit dem tabu be
legten Platz würde nie ein Eingeborener gewagt haben,
den Fuß zu setzen; eine mit tabu belegte Kokospalme war
unnahbar u. s. f.
Schwierigeren Stand bekam Fremar aber, als er
zu den Einzelheiten kam, welche, obgleich hier auf den
Inseln Sitte, das Christentum nicht länger dulden könne.
211
Das Verbot der Tänze besonders brachte die Häuptlinge
in Aufregung, Fremar aber erklärte ihnen in seiner
vorsichtigen Weise, daß sie ihn ja nicht mißverstehen möch
ten. Er selber wolle ihnen ihre Tänze gar nicht verbieten,
so aber hätten alle Könige der Inseln, besonders der
gottesfürchtige Kamehameha und Pomare gehandelt, und
wenn sie überhaupt Christen sein und den Schutz des
allmächtigen Gottes gewinnen wollten, so müßten sie sich
freilich auch den Gesetzen fügen, die Gott selber gegeben.
Die Tänze schrieben sich noch aus ihrer heidnischen Zeit
her und seien ein heidnischer Gebrauch.
Ein anderer kitzlicher Punkt war das Avatrinkeu,
und Ramara Toa besonders zog ein sehr finsteres Gesicht,
als er davon hörte. Fremar war übrigens vernünftig
genug, nicht gleich zu sehr darauf zu dringen, denn aller
dings benutzten die Bewohner von Motua das sonst be
rauschende Getränk außerordentlich mäßig, und er hatte
noch keinen Fall von wirklicher Trunkenheit beobachtet.
Außerdem hätte er ihnen hier Kamehameha sowohl als
Pomare nicht als Muster aufstellen können, denn be
sonders der erstere war selbst als christlicher und wirk
licher König, mit den Missionaren als vom S ta a t besol
deten Ministern unter sich, oft derart betrunken gewesen,
daß er in seinem Hause mußte abgeschlossen gehalten
werden, um dem Volke nicht ein zu böses Beispiel zu
geben.
Die meisten Häuptlinge schüttelten freilich darüber
den Kopf, daß auch der Blumenschmuck in den Haaren
er Mädchen und Frauen sündhaft sein solle, gingen
aber leicht darüber hin, denn die Sache war zu unbe
deutend und berührte sie selber gar nicht. Es betraf ja
nur die Frauen.
Daß ihnen von nun an verboten fein solle, mehr als
e i n e Frau zu nehmen, wußten sie schon und hatten sich
darein gefunden. Manchem von ihnen mochte vielleicht
auch augenblicklich ein Gefallen damit geschehen, sich von
ihnen lästig gewordenen Verbindungen freizumachen.
212
Auf die nächste Zeit und späteren Wiinsche dachte er
dabei natürlich nicht, und was dre Frauen selber
sagen würden, kam ebensowenig rn Betracht.
Interessant war den Eingeborenen besonders die
Strastirt zu hören, die Kckmehameha auf den h a ^ M m
Inseln - von denen sie noch am häufigsten durch Waliischfänger erfuhren — in Anwendung gebracht, un
st
sie dadurch gezwungene Arbeiter bekommen konnten, die
3 B. eine nötig gewordene Kirche bauten, Brucken u
die verschiedenen Bergwasser schlugen und noch andere»
und Gerechtigkeit geübt würde, gewinne man eher die
Herzen derselben.
^^
.
Ebenso empfahl er ihnen dringend, die Todesstrase
abzuschasfen, die bis dahin, und oft für nicht einmal
übermäßige Vergehen, in Ausübung gebracht worden.
Wer Blut vergießt, des Blut soll wieder vergossen
werden, sagt der Herr und nur stm Morwer o l des^aw
getötet werden, wenn der Komg, als oberster sichrer,
ihn nicht auch begnadigen und lieber zu eurer andere ,
sehr harten S trafe verurteilen will.
Taori hatte während dieser ganzen Verhandlungen
wenig gesprochen und nur anfangs gegen dre HerlrglM u n g des Sabbats, gegen das Verbot der Blumen und
die dafür bestimmten Strafen.
Zu Taori hielten die meisten Häuptlinge aus dem
Hupai-Tal und verweigerten ihre Einwilligung. Ein
zelne erklärten allerdings, daß ste den neuen Gott an
genommen hätten und zu ihm halten wollten, aber durch
so strenge Gesetze das Volk nur aufzureizen fürchteten.
Andere bekämpften sogar die nene Religion.
213
Unter diesen war Tamoruva, ein alter, wilder
Häuptling, einer der berühmtesten Krieger der Insel,
der auch einmal in einem früheren Kriege, als räuberische
Kanoes an ihrer Küste landeten und, von dem Volke
zurückgeschlagen, wieder flüchten wollten, allein und nur
mit seiner kurzen Keule bewehrt, den Angriff einer gan
zen Kanoemannschaft abhielt und sie verhinderte, ihr
Fahrzeug flott zu bekommen, bis feine noch weiter ent
fernten Freunde Herbeistürmen konnten und dann sämt
liche Feinde erschlugen und das Kanoc eroberten. D e r
Tag begründete seinen Ruhm, und da er sich oft und
oft seit der Zeit bei inneren Kämpfen ausgezeichnet, war
er gefürchtet, wo nur sein Schlachtgeschrei ertönte.
Tamoruva nun eiferte auch gegen die neuen Waffen,
die eine tückische, hinterlistige Erfindung der feigen
Weißen wären, damit ein unbärtiger Knabe, ohne sich
selber der geringsten Gefahr auszusetzen, imstande wäre,
den tapfersten Krieger zu Boden zu werfen und zu töten.
Ramara Toa lachte. „Weil du mit deiner Keule
nicht imstande bist, dagegen anzukämpfen, nicht wahr?
Aber der Gott der Weißen ist mächtig; er wird uns
lehren, unsere Feinde zu bekämpfen und unsere Freunde
zn beschützen. Ramara Toa ist ein großer König, er
wird sein Volk glücklich machen."
„Er wird es verderben," sagte Tamoruva ruhig,
stand von seinem Sitz auf, wickelte sich in seinen GnatnMantel und verließ langsam die Versammlung.
Ih m folgte Taori, der Königssohn, und Fremar
warf einen besorgten Blick hinter ihnen her, denn er
wußte, daß diese beiden gerade vielen Einfluß auf der
Insel hatten. Auf Ramara Toa übte aber diese M iß
achtung seiner Würde die entgegengesetzte Wirkung aus,
und da sich jetzt auch unter den noch anwesenden Häupt
lingen kein einflußreicher Opponent mehr befand, so
wurde alles, was noch zu erledigen war, verhältnismäßig
rasch beendet,
214
Fremar notierte sich, was die Häuptlinge beschlossen,
und versprach dann dem König, ihm eine ordentliche Ab
schrift der neuen Gesetze und Verordnungen zu gebem
Einen jungen Insulaner von Laua, ein Knabe von zwölf
Jahren und der Sohn eines Häuptlings, den die Mis
sionare dort unterrichtet hatten, und der zu schreiben und
zu lesen verstand, sollte Ram ara zu sich in das Haus
nehmen, und er selber versprach, den Komg, wie über
haupt die Eingeborenen von Motua, in der nächsten Zeit
in die Kunst des Lesens und Schreibens einzuwerhem
Von der Zeit an begann ein ganz eigentümliches
Leben auf der sonst so stillen Insel, denn Fremar, der
sich jetzt seines Erfolges sicher wußte, ging mit einem
Eifer an sein neues Werk, der mit jedem Tage wuchs,
je festeren Boden er unter sich fühlte.
Nicht allein, daß er regelmäßige Unterrichtsstunden
begann, und seine Freude daran hatte, wenn die In su
laner selber Lust an der Sache bekamen, nein, er war
auch sonst praktischer Natur und suchte ihnen noch auf
andere Weise Nutzen zu bringen. So errichtete er zum
Beispiel eine kleine Schmiede, zu der er alles nötige schon
von Laua mitgebracht, und als die Insulaner erst sahen,
w a s er dort mache, und wie er mit verhältnismäßig
kleinen und leichten Werkzeugen das so harte und schwer
zu behandelnde Eisen weich und in allerlei Formen
brachte, da konnte er sich der freiwilligen Hilfsarbeiter
fast nicht erwehren, und alle drängten herzu, um auch
zu lernen, wie eins der für sie wichtigsten Gewerbe gehandhabt werden müßte.
Alle diese Stämme besitzen aber nur sehr wenig
Ausdauer in derartigen Beschäftigungen. Solange der
Reiz der Neuheit dauert, ja, so lange sind sie Feuer und
Flamme dafür und lassen sich auch in der T at keine
Mühe verdrießen-, aber sobald dieser verraucht ist, denken
sie gar nicht daran, sich in eine ungewohnte Tätigkeit
zu setzen und kehren lieber wieder zu ihrer alten Be
schäftigung zurück, — das heißt, sie tun gar nichts.
215
^ So war es auf Eimeo, wo die Missionare eine
Spinn- oder Garnfabrik errichteten und in den Einge
borenen genügende Arbeitskräfte dafür zu haben glaub
ten. I m Anfang, ja, sie konnten die sich freiwillig Mel
denden kaum unterbringen: aber es waren nur wenige
Wochen vergangen, so fingen die dabei beschäftigten Leute
schon an auszubleiben, und nach einigen Monaten konnte
kein einziger mehr bewogen werden, auch nur noch eine
Hand anzulegen. S ie hatten genug daran, und die Fabrik
mußte wegen Mangels an Arbeitskräften eingehen.
Genau so war es hier, und am besten verstanden sie
sich noch zu dem Lesenlernen, besonders wenn Berchta
ihnen Unterricht erteilte. Sie konnten dabei, mit dem
Bauch auf ihrer Matte und den Kopf in beide Hände
gestützt, in ihrer schattigen Hütte liegen, und etwas,
wenn es auch noch so wenig war, behielten sie doch
immer.
I n dieser Zeit gerade legte ein kleiner Missiouskutter, der ebenfalls der Gesellschaft gehörte und eigent
lich nur eine Art von Postverbindung zwischen den ver
schiedenen Inseln vermittelte, auf Motua an, und zwar
nur, um zu hören, wie die Mission floriere, und wie es
dem dort stationierten Geistlichen gehe, denn nur zu
häufig war es vorgekommen, daß diese auf neuen S ta
tionen d i e Aufnahme, die man erwartete, nicht fanden
und die Inseln wieder verlassen mußten, um nicht von
den Eingeborenen ermordet zu werden.
Hier erhielt er indessen nur gute Nachricht, denn
die Mission erfreute sich eines kaum geahnten Erfolges.
Der größte Teil der südlichen Hälfte der Insel war be
kehrt und in den Bund der Christen aufgenommen wor
den; die Eingeborenen wurden im Lesen und Schreiben
unterrichtet, passende Gesetze zum Schutze des Glaubens
waren gegeben und durch besondere Ausrufer an all den
verschiedenen Punkten bekannt gemacht worden. Eine
Kirche für die neue Gemeinde war im Bau begriffen,
und da sich auch herausstellte, daß Strafen für Über-
216
tretungen der Gesetze diktiert werden mutzten, schon dre
überbrückung des einen Bergstromes, der der hohem
Wasser die größte Schwierigkeit bot, begonnen.
Fremar war in seinem rüstigsten Mannesalter und
arbeitete wirklich mit dem grötzten Eifer und besten
Willen für die Sache unermüdlich fort. Er fchren über
all zu fein; überall wurde aber auch jetzt ferne Gegen
wart verlangt, und nur Berchta stand ihm in all fernen
Mühen und Anstrengungen treu zur Serie. Hatte ste
doch sogar die Königin zu gewinnen gewußt datz sre
Interesse am Lernen nahm und anfing, Schreiben uno
Lesen selbst einer Königin würdig zu halten. Viele
Frauen nahmen ebenfalls teil daran, und da es rhren
Geist beschäftigte, übten sie es wirklich mit außergewöhn
lichem Fleiß.
Am meisten sträubten sich anfangs dre Frauen gegen
das Verbot, Blumen im Haar zu tragen; denn etwas
Unnatürlicheres als ein solches Gesetz konnten sie srch rn
ihrer unschuldigen Einfachheit nicht denken. Wenn d a s
Sünde war, mußte es denn da nicht auch Sunde fern,
wenn die Blumen wuchsen? Denn wo sie emporkermten,
schmückten sie ja auch den Rasen und Waldboden, und
weshalb durften s ie sich da die duftigen Blüten nrcht
in die Locken flechten? Aber auch hierin wußte sre
Berchta, die ihnen dazu ja so gern die Erlaubnis gegönnt
hätte, zu beruhigen, indem sie ihnen das Modell ihres
e i g e n e n Hutes gab und sämtliche Hände bald rn
Tätigkeit setzte, dem ähnliche darzustellen und zu tragen.
Den Hut, den ihr die alte Dame auf jener ersten ^nsel
gegeben, hatte sie beiseite gelegt. Sie k o n n t e srch
nicht dazu entschließen, eine so wrdernaturlrche Tracht
bei ihnen einzuführen.
Zu gleicher Zeit verteilte - sre dre Mehrzahl der
Sachen und Geschenke, die sie selber mitgebracht, an die
Frauen und Kinder, und begriff nur nicht, daß Fremar
nicht ebenfalls wenigstens die Austeilung d e r Gegen
stände begann, die z. B. ihr eigener Missionsverein zu-
217
sami-,angebracht und zu Geschenken für die Eingeborenen
bestimmt hatte. Fremar erklärte ihr das aber in dcr
emfachsten Werfe.
^ind," ^ t e er, „die guten Menschen in
Deutschland und überhaupt Europa, welche unsere Missronen mit Geld oder Waren tätig unterstützen, haben
allerdings sehr häufig den jedoch irrigen Glauben, daß
diese Sachen nur dazu verwendet werden sollen, um den
Erngeborenen erne Freude zu machen und einigen ihrer
Bedürfnisse abzuhelfen. Aber glaubst du, daß sie damit
— was doch m der Hauptsache ihre Absicht ist — den
guten Zweck unserer Sendung förderten?
Nein sie
wurden in- Gegenteil die Insulaner weit eher in ihrer
Faulheit und m ihrem sorglosen Jn-den-Tag-hineinleben
bestarken und unserer Mission jedes M ittel aus der Hand
^ an uns heranzuziehen. Wir b r a u c h e n
diese Gegenstände, wie ich dir schon früher gesagt habe
notwendig zum Tausch mit den Eingeborenen, erstens um
nicht immer von ihrer Freigebigkeit abhängig zu sein
wenn wir Lebensmittel haben müssen, und dann auch'
um uns ihre Arbeit für notwendige Verrichtungen zu'
mmL'AS «°L1L L v-L SU
dem eui peinliches Gefühl, eine Art Enttäuschung in
der manches Ideelle, was sie sich bis dahin gedacht und
geträumt, zu nüchterner Wirklichkeit zusammenschwand
— und es war das nicht das erstemal.
A ufladen bei der Mission, in welchem der
Mlsstonar selber oder seine Frau Ellen Kattun abmessen
'wegen mußte, um dafür Matten,
Fruchte und andere Gegenstände von viel größerem
Wert einzutauschen! Es kam ihr den hohen Beruf ent^
^ ^ auch keinen Ausweg,
um das auf andere Werfe zu bewerkstelligen. I n der
Ausführung ließ es sich kaum anders vermitteln, chenn
218
—
sie es auch gewünscht hätte. Aber für sie konnte es
trotzdem nicht maßgebend sein, wenrgstens nrcht für die
Gegenstände, die sie in Deutschland zu Geschenken bestimmt Die wenigstens durfte und wollte sie verterlen,
aber auch nicht auf willkürliche, unüberlegte Art,
sondern zugleich einen Nutzen damit zu verbinden
^ ^ Sie nahm, nachdem sie der Königin selber schon
mehrere Geschenke übergeben, verschiedene Sachen mit
hinunter in deren Wohnung und bestimmte sie als P r ä
mien für solche ihrer Schülerinnen, die den meisten Eifer
zeigen würden. Darunter befanden sich Strümpfe,
Schuhe, Halstücher, Glasperlen, Stücke bunten Kattuns,
Kämme, Scheren, Nadeln und Zwirn, Bänder und eme
Menge anderer nützlicher Dinge.
^
_
Strümpfe besonders waren von Deutschland viele
herübergekommen, denn den deutschen Frauen schien es
ein schrecklicher Gedanke gewesen zu sein, dort eme ganze
Nation zu wissen, die mit bloßen Beinen m der Welt
herumlief. Ebenso fehlte es nicht an warmen Anterrocken, die in diesem Klima allerdings ihrem Zweck nicht
besonders entsprachen. Der Wille war ja gut gewesen,
aber es gab nur keine Verwendung hier dafür, und
manche arme Frau in Deutschland wäre glücklich gewesen,
wenn sie das hätte benutzen dürfen, was hier als voll
kommen überflüssig beiseite geworfen wurde.
Die Strümpfe machten übrigens, vorzüglich den
jungen Mädchen, außerordentlichen Spaß, wenn sie auch
durch kein Zureden in die Schuhe hineinzubringen waren.
Wie aber am ersten Tag drei der fleißigsten Insulane
rinnen, prächtige junge Geschöpfe von vielleicht Mols
bis vierzehn Jahren, jede ein P aar lange Strum pfe be
kommen hatten, zogen sie sich dieselben gleich an O rt und
Stelle an, wunderten sich außerordentlich, daß sie so
genau paßten und so eng anschlössen, und liefen nun ohne
weiteres damit an den Strand hinaus, um sich den
Freundinnen in ihrem neuen S ta a t zu zeigen,
219
Und das war ein Jubeln und Kreischen unter der
wilden munteren Schar. Freundinnen und Schwestern
baten, daß sie wenigstens mit ihnen teilen und ihnen e i n
Wlches Kleidungsstück geben sollten, sie hätteir ja zwei,
und als sie sich weigerten, wollte man sie haschen und
ihnen die Trophäe ihres Fleißes gewaltsam entreißen'
merkten, flohen sie, und die wilde GeWllschaft in jauchzender Lust hinter ihnen her. Wie da
die Locken im Winde flatterten und die Wangen der
bronzefarbenen Mädchen sich röteten. Wie ihnen die
Gnatumäntel um die bloßen Schultern flogen und sie
scheu und züchtig wieder nach den Zipfeln haschten, ohne
aber auch nur einen Moment in ihrem Lauf einzuhalten >
Wer dabei freilich schlecht wegkam, waren die
^trum pfe, denn auf den scharfen Korallenstücken wäre
ein nicht beschlagener Bauernschuh bei solchem Rennen
auseinander geschnitten worden. Ihren harten Sohlen
schadete es freilich nichts, aber die zarte Wolle hielt das
mcht lange aus. Einzelne Maschen zerrissen schon bei
den ersten Sprüngen, und wie sie sich wendeten und
drehten, jetzt auswichen und zur Seite fuhren, Haken
schlugen und über größere Blöcke keck hinwegsetzten,
dauerte es kaum eine Viertelstunde, und die Fetzen hingen
den eben noch so Glücklichen um die Füße herum
Jetzt freilich waren sie sehr bestürzt, aber noch be
stürzter Berchta, die allerdings auf keinen so raschen
Verbrauch gerechnet haben mochte. Aber was helfen
diesen Insulanern oder irgend einem Volk der tropischen
Zone Strüm pfe? Der Reiz der Neuheit bewog sie aller
dings, sie anzuziehen, und als sie dieselben durchgelaufen
hatten, schnitten sie sich die Überreste unten fort und
liefen so damit herum — aber auch nicht lange. Die
Wolle brannte auf der nicht daran gewöhnten Haut, und
da sie nichts weiter damit anzufangen wußten, zogen
sie sie endlich aus und warfen sie auf die Korallen am
Strande.
220
15.
Eintreffende Verstärkung.
Ein paar Monate hatte Fremar, von seiner Frau
dabei auf das eifrigste unterstützt, so unablässig in fernem
Dienst gearbeitet, daß er die übermäßige Anstrengung zu
fühlen begann. Schon dieser kleine Teil der Insel nahm
seine Kräfte vollkommen in Anspruch, und wie War er
imstande, zu gleicher Zeit auch die anderen Distrikte, was
er doch sehr wünschte, zu bekehren? Er kam wohl manchmal nach Hupai und selbst nach Tuia hinüber und halle
diese östliche Hälfte der Insel vielleicht bewältigen können,
aber im Westen dehnten sich noch weite, wilde Gebirge
aus, in denen das Reisen zu beschwerlich war, und des
halb schrieb er endlich nach Laua, ihm einen jungen Mis
sionar als Hilfsarbeiter zu senden, wobei er wohl mit
Stolz die Erfolge melden konnte, die er bis jetzt er
Seine sämtliche Umgebung war zum Christentum
übergetreten, eine zwar kleine und sehr leicht gebaute,
aber doch völlig brauchbare Kirche stand, unfern des
Königs Wohnung, drin im Wald. Die Insulaner hatten
im Lesen außerordentliche Fortschritte gemacht, und
Berchta konnte schon mit dem kleinen Kutter einen Bries
an ihren Vater nach Deutschland senden, worin sie kaum
Worte fand, die Befriedigung zu schildern, mit der sie
hier ihrem schönen Ziel entgegenstrebe. S ie bat rhu
auch darin, doch ja den Missionsverein in Rothenkirchen
zn fördern, damit auch dieser wenigstens sein Scherflem
dazu beitrage, um den wackeren Eingeborenen den Segen
der christlichen Religion zu bringen.
Nur eins machte ihr hier im Lande Sorge, und
zwar der in vielen Familien entstandene S treit und
Zank, der sich eben aus der Bekehrung einzelner — wah
rend die anderen Familienglieder bei dem alten G lau
ben verharrten, entwickelte. Wohl suchte sie dort nach
221
—
besten Kräften zu versöhnen, aber die Entfernungen
zwischen den verschiedenen Wohnungen waren zu weit,
und bei dem heißen Klima und der überhaupt auf ihr
lastenden Arbeit wurde es ihr doch zu schwer, auch noch
stundenweit durch den heißen Korallensand oder durch
den dornigen und oft von Regen feuchten Wald zu m ar
schieren. Überhaupt hatte jetzt die Regenzeit eingesetzt,
und es verging kein Tag, wo nicht tüchtige, oft stunden
lang anhaltende Schauer fielen.
Diese Zwistigkeiten mußten aber doch jedenfalls auf
hören, sobald sie ihre Mission nur weiter in das Land
hinein ausdehnen konnten, denn wie sich erst einmal
a l l e Insulaner zum Christentum bekehrten, konnte na
türlich kein Glaubensstreit mehr stattfinden.
Klaus war übrigens in dieser ganzen Zeit auch
nicht müßig gewesen, denn Ramara Toa merkte bald,
daß er ganz vortrefflich mit Gewehren umzugehen wisse,
und veranlaßte ihn deshalb, seine Häuptlinge in dem
Gebrauch derselben zu unterrichten. Das merkwürdige
bei der Sache war nur das, daß er sich trotz des häufigen
Umgangs ipit den Häuptlingen die Landessprache nicht
aneignete, letztere dagegen Deutsch lernten, und Berchta
mußte herzlich lachen, als sie einst einem jungen Häupt
ling begegnete, der gerade mit Klaus aus die Jagd gehen
wollte, und dieser sie zu ihrem nicht geringen Erstaunen
in deutscher Sprache anredete. Allerdings war er nicht
imstande, viele Worte zu sprechen, aber er verstand fast
alles, was Klaus zu ihm sagte, und das genügte denn,
sich mit ihm zu verständigen. Die Namen der verschie
denen Gewehrteile, für welche die Insulaner nicht einmal
Worte hatten, lernte er natürlich ganz in deutscher
Sprache.
Verschiedene Male hatte Klaus schon versucht, seine
junge Herrin ebenfalls zu bewegen, sich einem solchen
Jagdzug anzuschließen. Es ging sich freilich nicht be
sonders in den Bergen, aber Berchta kam, das wußte er
gut genug, überall darin fort, und die Szenerie war an
222
manchen Punkten so überraschend schön, daß es schon
deshalb der Mühe lohnte, jene Höhen zu ersteigen.
Berchta weigerte sich aber entschieden. Daß sie es
früher in Begleitung ihres Vaters getan, dem sie damit
eine Freude machte, durfte sie vollkommen entschuldigen;
jetzt war sie aber dagegen in den Ernst des Lebens ein
getreten, und welches Beispiel hätte sie den eingeborenen
Mädchen gegeben, wenn sie etwas betreiben wollte, wo
zu auf den Inseln nur die Männer das Recht hatten!
Außerdem würde es ihr Gatte auch nie geduldet oder
doch wenigstens ungern und mißbilligend gesehen
^ "^ E in e besondere Tätigkeit hatte indessen Ramara Toa
in der Erteilung von Strafen wegen Übertretung der
Gesetze entwickelt und, um die Eingeborenen besser über
wachen zu können, sogar vier sogenannte Konstabler an
gestellt. Diese waren indessen wenig mehr als ganz ge
wöhnliche Spione, die, den ganzen Tag über und bm
spät in die Nacht hinein, in den verschiedenen Distrikten
auf der Lauer liegen mußten, um solchen heimlichen S ü n
dern auf die S p u r zu kommen. Erwischten sie abends
irgendwo junges Volk im Wald versteckt beim heimlichen
Tanz — denn dem zu entsagen war den Insulanern
das schwerste — so lieferten sie dem König für em PaarTage eine ganze Arbeiterkolonie und wurden immer
reichlich dafür belohnt. Fanden sie einen Eingeborenen,
der am Sabbat in sein Aamfeld gegangen war oder
gar eine Bananensrucht nach Hause schleppte, so konnte
sich der arme Teufel fest darauf verlassen, daß er dafür
auch eine Strecke Straße zu bauen bekam. Selbst wah
rend der Kirche strichen sie umher, und wer sich m der
«eit dem Gottesdienst zu entziehen suchte, wurde eben
falls augenblicklich angezeigt und zur Strafe gebracht.
Es versteht sich von selbst, daß sich dadurch etwas
auf der Insel entwickelte, das man früher nicht einmal
dem Namen nach gekannt, ein förmliches Spioniersystem
und einen wohltätigen Einfluß übte das allerdings nicht
223
auf den Charakter der Eingeborenen aus, die dadurch
mißtrauisch gegeneinander wurden. Aber Ramara Toa
behagte diese Einrichtung außerordentlich; denn ein
Wunsch, den er schon lange gehabt, eine bequeme Straße
nach dem Hupai-Tal zu bekommen, rückte dadurch seiner
Erfüllung näher, und schon war die schwierigste Strecke
des Weges vollständig überwunden.
I n dieser Zeit geschah es, daß eines Morgens ein
Eingeborener aus dem Tuia-Tal herüberkam und die
Meldung brachte, es wäre dort im Tuia-Hafen ein Wal
fischfänger gelandet, der einen Mitonare mit vielen
Sachen aus Land gesetzt habe.
Fremar konnte sich das nicht erklären, denn hätte
dieser fremde Geistliche zu i h r e r Mission gehört, so
wäre es doch selbstverständlich gewesen, daß er ihm selber
augenblicklich Nachricht von sich gegeben. Wie aber der
Bote aussagte, befand er sich schon wenigstens zwei
Wochen an jener Stelle, ohne mit seinen Weißen Brüdern
in die geringste Verbindung zu treten. Er sandte auch
augenblicklich durch Ramara Toa einen Kundschafter hin
über, um näheres zu erfahren, gab diesem auch einen
Brief an den fremden Mitonare mit, den er in deutscher
und englischer Sprache abfaßte, erhielt aber nach etwas
über drei Tagen die mündliche Antwort — und keinen
Brief von dem Fremden — daß er den Brief nicht lesen
könne, da er beide Sprachen nicht verstehe.
Es blieb jetzt nur die Möglichkeit, daß ein franzö
sischer oder spanischer Prediger — also ein Katholik, dort
drüben Fuß gefaßt habe, und seine Gegenwart wurde
deshalb trotz allem, was ihn hier auch festhalten mochte,
um so dringender nötig, da jener alle seine bisher er
rungenen Erfolge wieder in Frage stellen konnte.
Jedenfalls mußte er mit dem Fremden zu einem
Verständnis kommen, und um das zu ermöglichen, be
schloß er, schon am nächsten Tage nach Tuia aufzubrechen,
als Berchta morgens, wie sie mit Tagesanbruch ihre Lieblingsstelle aus dem die See überragenden Felsen betrat,
224
ein Fahrzeug entdeckte, das, von Südosten kommend, ge
rade auf den südlichen Teil von Motua zuhrelt.
Fremar, den sie rasch herbeirief, erklärte es augen
blicklich für den fchon fo sehnsüchtig erwarteten Mr stonsschoner, der zu keiner erwünfchteren Zeit hatte eintreffen
können. Hätte doch der Missionar nur höchst ungern die
Reise nach dem Tuia-Tale angetreten da er dort eine
Missionsarbeiten nicht beginnen konnte, ohne die schon
hier erzielten Resultate wieder in Frage zu stellen. -M»
Volk war ja doch lange nicht so von der neuen -ehre
durchdrungen, um es sich jetzt schon selbst zu überlassen.
Nun änderte sich das. Wenn er mw dem Schoner
dort wie er fest erwartete, eine neue, frische Hilfe bekam,
so konnte der letztgesendete Missionar ohne die geringste
Schwierigkeit das begonnene Werk h i e r fortbauen, wah
rend er selber dann mit neuem Mute den anderen ^.eil
der Insel in Angriff nahm und seine Gemeinde ver^ ^ R a m a r a Toa selbst hatte ihn schon in den letzten
Wochen dazu gedrängt; denn er konnte die Zeit n cht
erwarten, in welcher er sich als christlicher Komg u
mit Hilfe des Missionars neue Anhänger und damit
Verbündete unter einem ihm sonst eben nicht freund
lichen Stamm erwarb. Daß Matangi Ao freilich
neue Lehre nicht so rasch annehmen wurde glaubte er
fest, hatte er aber dessen Heerlager nur erst eimnal in
zwei Teile gespalten, so war es nachher eine leichte Muhe,
sich den G e h o r s a m der noch übrigen zu erzwingen.
E? wollte, wie er dem Missionar wiederholt versicherte
keinen Krieg auf Motua, aber er könne es auch nicht
dulden, daß auf s e i n e r ^nsel noch ^ n Distrikt be^
stände, der hölzerne Götzen anbete und den Sabbat
^ F r e m a r war in seinem ganzen Charakter ein braver,
tückitiaer Mensch, aber — wie sehr viele aus dein Felde
der Mission — außerordentlich ehrgeizig. Er hatte selber
Geschmack an der Bekehrung der Heiden gewonnen und
—
225
fing schon an, dieselbe mit einer Art Leidenschaft zu be
treiben, die eine nicht geringe Ähnlichkeit mit der des
Sam mlers oder Jägers zeigt. Jeden Heiden, den er
bekehren konnte, betrachtete er als erobert und diese ge
wonnenen Seelen wie eine gemachte Beute, die er sich
mit frohem Gewissen gutschreiben durfte. So hatte er
denn auch in seinem letzten Bericht an die Missions
gesellschaft nicht allein mit großer Vorliebe die bedeutende
Zahl der bereits getauften Heiden aufgeführt, sondern
auch die feste Überzeugung ausgesprochen, daß, so groß
auch das bis jetzt erzielte Resultat sei, er doch noch hoffe,
in kurzer Zeit ein größeres zu gewinnen, und um das
Versprechen zu halten, war er wirklich entschlossen, kein
Opfer zu scheuen, ja, wenn es sein m u ß t e , Leib und
Leben daran zu setzen.
Indessen hatte der Schoner die Einfahrt passiert und
seinen Anker fallen lassen. Unten am S trand war
bereits ein großer Teil der dortigen Bewohner versam
melt, um die Neuankommenden zu begrüßen, auch ein
Doppelkanoe hinausgerudert, um sie ans Land zu schaf
fen, nur Fremar, der natürlich nur einen jungen, ihm
unterzustellenden Missionar mit dem Fahrzeug erwartete,
oben auf dem Felsen geblieben, um von dort aus mit
seinem Teleskop die Ankommenden zu beobachten. Berchta
stand, ein Doppelglas in der Hand, neben ihm.
„Dort ist ja eine Dame an Bord, Fremar," rief sie
plötzlich. „O, das wäre zu schön, wenn ich doch irgend
jemanden bekäme, durch den ich wenigstens eine An
sprache hätte. Wie habe ich es damals bedauert, als
meine arme, gute S a ra wieder von hier fort mußte!"
„Ja," sagte Fremar, der indessen sein Teleskop an
den einen Palmenstamm gelegt hatte, um es ruhiger
halten zu können, „ich will nur wünschen, liebes Kind,
daß d i e Dame, welche gegenwärtig gerade vom Bord
des Schoners in das Kanoe steigt, nicht zu deiner künf
tigen Gefährtin ausersehen ist, denn wenn mich dies
sonst vortreffliche Glas nicht täuscht, so ist das die würFr. Gerstiicker, Die Missionare.
—
226
dige und sehr ehrenwerte, aber ein wenig eigenwillige
M rs. Löwe."
„O weh!" rief Berchta, setzte dann aber lächelnd hin
zu: „doch sie wird nicht hier bleiben, sondern wohl nur
einmal revidieren wollen, ob wir ihre prächtigen Hüte
eingeführt haben. Nun, hoffentlich ist sie mit der von
mir aufgestellten Mode ebenfalls zufrieden, denn den
beabsichtigten Zweck erreicht sie ja doch. Mr. Löwe ist
gewiß auf einer Inspektionsreise und hat nur den für
hier bestimmten Geistlichen begleitet; ich sehe noch einen
zweiten Herrn in schwarzem Rocke neben ihm."
„Ich will es wünschen," sagte Fremar leise, ohne
jedoch den Blick vom Glase zu nehmen, „ich will es recht
von Herzen wünschen, denn b l i e b e er hier, so würde
ich selber in eine höchst unangenehme und sicher abhängige
Stellung geraten, da er einer der ältesten und einfluß
reichsten Missionare ist."
„Ich kann mir aber nicht denken, daß er sein be
quemes Laua aufgeben würde; er hat dort ein so wunder
hübsches Haus und die erste Stellung."
„Wer weiß, was vorgefallen ist; aber wir werden
ja sehen!" sagte Fremar, das Teleskop zusammen
schiebend. „Vorderhand bleibt uns nichts weiter zu tun
übrig, als hinunterzugehen und die Freunde zu begrüßen,
M r. Löwe könnte es sonst als eine Geringschätzung an
sehen."
„Ich fürchte mich vor der M rs. Löwe," flüsterte
Berchta; „ich weiß nicht, die Frau hat auf mich gleich bei
ihrem ersten Begegnen einen fatalen, fast unheimlichen
Eindruck gemacht."
„Sie ist außerordentlich tüchtig und eifrig in ihrem
Beruf
"
„Das bezweifle ich gar nicht, aber auch so kalt, so
zurückstoßend. Ich begreife nicht, daß sie sich damit die
Herzen der Eingeborenen gewinnen kann. Wie viel
leichter ist das durch Liebe zu erreichen!"
227
„Komm, Berta, laß uns hinuntergehen," sagte
Fremar. „Das Kanoe ist schon abgestoßen; ich möchte
nicht, daß wir es an der schuldigen Artigkeit fehlen ließen.
Hoffentlich," setzte er dann leise und kaum hörbar hinzu,
„ist es ja doch nur ein Besuch."
Das Doppelkanoe näherte sich indessen rasch dem
Ufer, und wie schon eine Menge junger Burschen bereit
standen, um vorn den Bug der beiden zusammenge
schnürten Fahrzeuge zu fassen und rasch auf den hier
ziemlich seichten Korallensand zu ziehen, brachten sie das
selbe, wie es nur den Sand scheuerte, auch im Nu aufs
Trockene, so daß die darin befindlichen Passagiere wenig
stens einen bequemen Platz zum Aussteigen fanden.
Die Eingeborenen standen etwas scheu umher, und
nur Fremar mit seiner Gattin ging auf die Fremden
zu, um sie mit einem Handschlag zu begrüßen. Mr.
Löwe aber, indem er den Blick ruhig umherschweifen ließ,
sagte:
„Sie sind entschuldigt, Bruder Fremar, daß uns die
Eingebornen, als ihre neuen Lehrer, nicht mit mehr
Wärme empfangen; denn, wie ich eben draußen von der
Kanoemannschaft höre, ist der Kutter, welcher unsere An
kunft melden sollte, gar nicht eingetroffen, und wir
kommen Ihnen deshalb unvorbereitet."
„Ich hatte allerdings keine Ahnung —"
„Ich weiß es. Und die Mission gedeiht?"
„Über Erwarten, Bruder Löwe; ich bin glücklich, in
der kurzen Zeit so bedeutende Fortschritte gemacht zu
haben."
„Schön! Aber wie ich sehe," setzte er mit einem
Blick auf die Versammelten hinzu, „bleibt hier doch noch
manches zu tun übrig. Nun, wir werden die Sache mit
vereinten Kräften in die Hand nehmen."
„Aber was für besondere Hüte tragen die Frauen?"
bemerkte M rs. Löwe; die eine jener riesigen Kopfbe
deckungen trug und indessen Berchtas Gruß mit der ihr
eigenen kalte» Würde entgegengenommen hatte. „Wenn
t5'
228
—
ich mich recht erinnere, habe ich der Schwester Berta doch
das Modell eines c h r i s t l i c h e n Hutes mitgegeben und
ihr aufgetragen, jene Form auf Motua zu derbreiten.
Was stand der Ausführung entgegen?"
„Vielleicht nur mein schlechter Geschmack," lächelte
Berchta freundlich, aber doch auch nicht gewillt, sich
d i e s e r Frau sogleich in allem unterzuordnen. „Ich
hielt die Hüte, deren Form ich selber herübergebracht,
nicht allein für hübscher und praktischer, sondern auch
für viel leichter anzufertigen, und Sie werden mir selber
zugestehen müssen, Schwester Löwe, daß sie den jungen
Mädchen ganz allerliebst stehen. S ie sehen in den großen
Hüten zu komisch aus."
„Und sehe ich etwa in dem meinen ebenfalls komisch
aus?" erwiderte M rs. Löwe nicht ohne Schärfe.
„Laß das jetzt, mein Kind," beruhigte sie aber ihr
Gatte, während Berchta wirklich an sich halten mußte,
um nicht wenigstens durch ein Lächeln zu verraten, w ie
komisch ihr M rs. Löwe vorkam; „auf diese Kleinigkeiten
kommen wir später zu sprechen, und es wird sich das alles
sehr leicht regulieren. Vor allen Dingen: wo werden
wir ein Unterkommen finden? Doch halt! Zuerst habe
ich Ihnen noch einen jungen Bruder vorzustellen, der
erst seit zwei Jahren von England herübergekommen ist
und außerordentlichen Eifer in der guten Sache gezeigt
hat. Er versteht auch etwas von Medizin und wird sich
jedenfalls als ein brauchbares Mitglied erweisen. Bruder
M artin — Bruder Fremar und seine Frau!"
Der junge Mann errötete tief, als er Berchta gegenübertrat und ihr großes, dunkles Auge auf sich haften
sah; aber er blickte sie offen mit den ehrlichen, guten
Augen an, und Fremar sowohl als auch Berchta die Hand
reichend, sagte er herzlich:
„Es ist lange mein Wunsch gewesen, meine T ätig
keit einmal auf einer noch jungen Insel und zwischen
vollkommen wilden Völkern beginnen zu können; um so
größere Freude macht es mir jetzt, das mit Ihnen beiden
229
gemeinsam tun zu können. Sie werden an mir sicherlich
einen getreuen und, ich will hoffen, b r a u c h b a r e n
Gehilfen finden, denn der gute Wille ist wenigstens
dazu da."
„Und wo werden wir wohnen, Bruder Fremar?"
sagte M rs. Löwe, der die Einführung wahrscheinlich
etwas zu lange dauerte.
„ Ja, verehrte Frau," erwiderte dieser, „Ramara
Toa, der König, ist gestern abend nach dem Hupai-Tal
hinübergegangen und, wie ich eben höre, noch nicht zurück
gekehrt; ich selber habe aber über weiter keine Wohnun
gen zu verfügen als meine eigene, in welcher wir jeden
falls die beiden Frauen lassen können, bis der König
etwas weiteres bestimmt. Wäre nur der Kutter recht
zeitig eingetroffen!"
„Ja, ich hätte auch nichts dagegen," erwiderte Mr.
Löwe, der mit dem Arrangement nicht so recht einver
standen schien. „Ist denn aber kein anderer Häuptling
hier, der eine bestimmte Einrichtung treffen könnte?"
„Keiner, der die Macht dazu hätte, denn Taori, sein
Sohn, lebt ebenfalls im Hupai-Tal. Aber dicht neben
der Kirche hat der König ein neues Haus gebaut, um
dort jedesmal den Sabbat zuzubringen. Ich zweifle
keinen Augenblick, daß er es Ihnen vorderhand über
lassen wird, sobald er nnr zurückkommt. Eigenmächtig
darüber verfügen dürfen wir aber nicht, denn er ist sehr
jähzornig und könnte böse darüber werden."
„Angenehm," sagte M r. Löwe trocken, „also werde
ich indessen unter freiem Himmel kampieren müssen!"
„Es läßt sich doch vielleicht noch anders einrichten,
Fremar," sagte Berchta gutmütig. „Wir überlassen unser
Haus vorderhand Ihnen und ziehen so lange in die Hütte
des alten Klaus oder in das neue, für Herrn M artin
eingerichtete Haus, wenn sich dieser Herr so lange dazu
verstehen wollte, mit Klaus ein Dach zu teilen."
„Machen S ie ja keine Umstände mit mir," sagte
M artin rasch; „wenn ich ein Dach habe, das mich gegen
230
den Regen schützt, bin ich vollständig zufrieden. Später
richtet sich ja doch alles selber ein."
„Das wird denn so das beste sein," sagte M rs. Löwe,
eben nicht durch den Gedanken beunruhigt, daß sie die
junge Frau aus ihrer Häuslichkeit trieb, „und dabei
wollen wir es vorderhand lassen. Wo liegt das Haus?"
„Dort oben über dem Felsenvorsprung."
„Dort oben? Das ist gerade nicht sehr bequem, über
läßt sich doch jetzt nicht ändern. Sage den Leuten, Josua,
daß sie unsere Sachen dort Hinausschaffen: ich werde nach
her gleich der Königin meinen Besuch abstatten und mich
ihr selber vorstellen."
Die Befehle wurden mit einer solcher: Bestimmtheit
gegeben, daß eine Widerrede nicht denkbar erschien. Fremar selber war gar nicht unr seine Meinung befragt
worden, und Mr. Löwe, der so vollständig gewohnt war,
daß alles geschehen mußte, was seine Frau bestimmte,
gab auch ohne weiteres die nötigen Befehle. Gleich
darauf keuchte eine Anzahl von Eingeborenen, die merk
würdigerweise einen besonderen Respekt vor dem bleichen,
weißen Mann zeigten, mit Kisten und Koffern den
Hügelhang hinan, während andere einen wunderlich ge
formten Handwagen hinter sich herzogen und Pakete und
Koffer darin wenigstens bis zum Fuß des Hügels
brachten.
Mr. Löwe hatte, wie sich bald herausstellte, ebenfalls
sechs Eingeborene von Laua mitgenommen, die natür
lich auch untergebracht werden mußten und zu feiner
Dienerschaft gehörten?')
M rs. Löwe ihrerseits kümmerte sich um weiter gar
nichts, stieg, von Berchta begleitet, augenblicklich zu ihrer*)
*) „Leute daheim" sagt der Missionar Turner in seinem „Neun
zehn Jahre in Polynesien", Seite N 5 . ..werden es kaum begreifen,
aber es ist Tatsache, daß wir genötigt waren, fortwährend in
Sam oa sechs männliche und sechs weibliche Dienstboten zu halten.
Diese betrachteten es a ls eine Ehre uns zu dienen, und da sie keinen
großen Lohn verlangten, so behielten wir etwa ein Dutzend von ihnen."
231
Wohnung hinauf/machte Toilette und ging dann wieder,
ohne eine weitere Anmeldung für nötig zu halten, an
den Strand hinab, um, wie sie meinte, die Königin auf
zusuchen.
Dort erfuhr sie allerdings eine kleine Enttäuschung.
Einua, fetzt als einzige und rechtmäßige Königin der
Insel, hatte ebenfalls eine ganz leidliche Meinung von
ihrer Stellung, und als ihr die fremde weiße Frau, von
der sie bis dahin noch gar nichts gehört, gemeldet wurde,
sagte sie ganz kurz und bündig, „sie habe keine Zeit" —.
sie übte sich gerade im Nachschreiben einer ihr von Berchta
gegebenen Vorschrift — und ließ M rs. Löwe empört, ent
rüstet über so rücksichtslose Behandlung, vor der Tür
stehen.
War das ein Betragen gegen die erste Frau der
Inseln, wie sie sich selber mit Stolz, wenn auch nicht
nannte, doch in Gedanken hielt, und wie weit zeigte sich
Motua noch in jeder Kultur zurück, wie nötig war es
gewesen, daß sie und ihr Gatte hierher kamen, um Ord
innig in ein solches Chaos zu bringen!
Einua, die Königin, hatte aber wirklich keine Ahnung
gehabt, welcher Persönlichkeit sie den E intritt verweigerte.
Sie malte ruhig das ihr vorgeschriebene Alphabet nach
und dachte nicht daran, daß ihr irgend jemand einen ver
weigerten Besuch übelnehmen könne. War denn nicht
morgen noch gerade so gut ein Tag, und hatte es nur
das geringste zu sagen, wenn irgend eine Zusammen
kunft um ein paar Stunden hinausgeschoben wurde?
Was war Zeit? Nur ein eingebildeter Begriff, oder
vielmehr gar k e i n e r . Jetzt konnte oder wollte sie
„icht __ vielleicht später, denn die Fremde brauchte nicht
zu sehen, was sie schreibe. Sie hätte vielleicht darüber
gelacht.
Daß M rs. Löwe den Platz sehr entrüstet verließ, läßt
sich denken, M r. Löwe selbst war aber viel zu vernünftig,
um irgend eine Beleidigung in dieser Abweisung z»
'
,232
sehen, da er die Insulaner und ihre Launen zu genau
kannte. M an mutzte Geduld mit ihnen haben, bis man
sie zu einem gewissen Grad der Zivilisation gebracht;
dann aber konnte man ihnen recht gut Gleiches mit
Gleichem vergelten. Es war gar nicht so selten vorge
kommen, datz in solchem Falle der König einen Missionar
besuchen wollte und von diesem, unter irgend welchem
Vorwand, abgewiesen wurde.
Übrigens schien Fremars Besürchtung vollständig
eingetroffen, denn Mr. Löwe erklärte ihm bald nach
seiner Ankunft, daß er von M r. Rosbane, der von da an
auf Laua residieren und von dort aus die ganze Mission
dieser Inseln leiten werde, den Auftrag erhalten habe,
die „mit einigem Erfolg" hier begonnene Bekehrung der
Heiden selber in die Hand zu nehmen und dafür zu sor
gen, daß Motua als ein glänzendes Beispiel den übrigen
Inseln voranleuchte.
Ehe Mr. Löwe aber seinen nächsten Aufenthaltsort
bestimmte, verstand es sich von selbst, datz er vorher eine Rundreise durch die Insel machte, denn er mußte aus
eigener Anschauung den zu diesem Zweck wichtigsten
Punkt kennen lernen, vorher sich aber doch Ramara Toa
vorstellen lassen, und Boten wurden deshalb augenblick
lich ausgesendet, um ihm anzuzeigen, welchen wichtigen
Zuwachs sein Reich bekommen habe, damit er rasch her
beieilen möge, um mit diesem die nötige Rücksprache zu
nehmen.
M r. Löwe erschrak aber sichtlich, als er von Fremar
die Kunde vernahm, die dieser aus Tuia bekommen;
denn nach der ganzen Schilderung zweifelte er keinen
Augenblick, datz sie es dort Mit einem der ihnen feind
lichen Missionare, einem Katholiken, zu tun hatten, wäh
rend er recht gut wutzte, wie viel leichter die Insulaner
für jenen, ihnen weit mehr als der starre Protestantis
mus zusagenden Glauben zu gewinnen waren. Denr
mußte ohne das geringste Säum en entgegengearbeitet
werden, denn es lag ihm in der T at viel weniger daran,
233
daß dieInsulaner, gleichviel unter welcher Farm, Christen
wurden, sondern er wollte sie auch zu Protestanten
machen und dabei sür seine besondere Sekte den Ruhm
ernten.
Indessen war Fremar, der doch nicht gern wünschte,
daß M rs. Löwe irgend eine unfreundliche Gesinnung
gegen Einua, die Königin, hege, zu dieser gegangen, um
ihr zu sagen, welche ehrenwerte Persönlichkeit ihren Auf
enthalt auf der Insel zu nehmen gedenke, und daß sie
mit deren Hilfe hoffen durften, das gute Werk nun so
viel rascher zu fördern. Einua war indessen mit ihrer
Arbeit fertig geworden und hatte jetzt auch gar nichts
dagegen, daß M rs. Löwe sie besuchen möge — es ver
stand sich ja doch von selbst, daß sie, als Neuangekommene,
ihr auch wieder neue Geschenke brachte.
Übrigens kehrte Raniara Toa, ohne daß ihn die
Boten gefunden hatten, noch an dem nämlichen Abend
zurück und hatte dann eine lange Unterredung mit den
beiden Missionaren, ja, schien sogar über den neuen Zu
wachs an Weißen Kräften sehr erfreut und verlangte von
Löwe, daß er dem Schoner befehle, hier zu bleiben und
seine Leute an Land zu schicken. Er wüßte nicht, wie er
ihn einmal gebrauchen könnte. Darüber hatte der Mis
sionar jedoch keine Gewalt. Der Schoner gehörte der
Gesellschaft und verfolgte deren Zwecke, und ein einzelner
von ihnen konnte seine Dienste nicht auf längere Zeit
beanspruchen, als ihm selber gegeben war ihn zu be
nutzen.
Übrigens bestätigte auch Ramara Toa, daß zwei
Weiße auf Tuia gelandet wären — jedenfalls Mitonares
— und sich dort gegenwärtig aufhielten. Was sie da
machten, konnte er freilich nicht sagen, aber s e i n e r
Vermutung nach zog MatangiAo ebenfalls Weiße Männer
heran, um ihn nächstens zu überfallen und alle christ
lichen Insulaner zu vertreiben. Alles, was sie deshalb
jetzt brauchten, waren „ m e h r G e w e h r e , um ihr
Land und ihren Glauben zu verteidigen."
234
M r. Löwe suchte ihm das auszureden, Ramara Loa
beharrte aber fest auf seiner Meinung. Das viele Reden
half nichts; er hatte jetzt wieder im Hupai-Tal ge
sprochen, bis ihm der Mund trocken wurde, und was
damit erreicht? — gar nichts. Einige Häuptlinge sollten
sogar damit gedroht haben, ihm den Gehorsam aufzu
kündigen, wenn er noch länger die weißen Priester auf
der Insel und Tabu-Tage sowie das Verbot des Tanzens
duldete. Denen mußte er zeigen, daß er wirklich König
war, oder sie verhöhnten ihn noch gar für feine Schwache
und Gutmütigkeit. Er gab Mr. Löwe auch ziemlich deut
lich zu verstehen, daß er solche Leute, wie sie wären, die
nur immer reden und beten, aber nicht kämpfen wollten,
viel weniger gebrauchen könne, als den „alten, grünen
Mann", womit er Klaus meinte. Das wäre ein ganz
vortrefflicher Bursche, der hätte Tabak und wüßte mit
einem Gewehr umzugehen, daß es eine Freude wäre,
ihm nur zuzusehen. Er wollte, er hätte fünfzig von
solchen Leuten mit guten Gewehren, —- und der Wunsch
war auch in einer Hinsicht gerechtfertigt, denn mit fünf
zig solchen eisenfesten Naturen wie der alte Klaus hätte
er mit leichter Mühe die ganze Insel erobern können.
Übrigens wurde dem neu eingetroffenen Mrsstonar
und seiner Frau augenblicklich das erst vor einigen
Tagen fertig gewordene Haus neben der Kirche zur Ver
fügung gestellt. Es lag in einem reizenden Hain von
Palmen und Brotfruchtbäumen, und ein klarer Berg
quell rieselte hindurch. Matten wurden auch hinreichend
für sie ausgebreitet, und am nächsten Tage sollte dann
Rücksprache genommen werden, wie sie ihre Operationen
beginnen wollten, um so rasch als möglich der ganzen
Insel den Segen des Christentums zu bringen und —
Widerstand dagegen unmöglich zu machen.
--
233
16.
M r. und M rs. Löwe.
Von jetzt an begann eine neue Zeit für die Ein
geborenen Motuas — aber keine bessere, denn während
Fremar, obgleich auch er manche ihnen nicht zusagende
Gesetze gab, doch immer freundlich mit ihnen gewesen
und seine Frau besonders der Liebling aller geworden
war, führte M r. Löwe gleich von Anfang au ein stren
geres Regiment ein, und nachsichtslos wurden jetzt
Strafen verhängt, über die ihnen früher eine Fürbitte
bei Berchta oft hinweggeholfen.
Auf M rs. Lowes strengen Befehl mutzten ebenfalls,
ohne datz sie dabei mit Berchta auch nur die geringste
Rücksprache genommen, sämtliche neu eingeführten Hüte
entfernt werden, und die Frauen bekamen Anleitung und
Muster, die alte Form auch hier auf Motua einzuführen.
Für die Königin hatte M rs. Löwe aber gleich einen fer
tigen und sehr schön mit roten Bändern aufgeputzten Hut
mitgebracht. Der konnte jetzt recht gut als Lockspeise
dienen, um die Frauen ebenfalls zu veranlassen, so
rasch als irgend möglich der Königin nachzustreben, denn
nur so durften sie sich nach M rs. Lowes Meinung anstän
digerweise in der Kirche sehen lassen.
Berchta lachte aber nicht, als ihr die Königin zum
erstenmal in dem Hut entgegentrat, und doch war es
eine menschliche Karikatur, wie sie kein Zeichner toller
erfinden könnte.
Einua mochte vielleicht einmal in ihren jungen
Tagen, als sie noch schlank und jugendsrisch zum Klänge
der heimischen Trommel tanzte, hübsch gewesen sein, aber
die Zeit war vorüber und sie alt und fett dabei geworden.
Die kleine, gedrungene Gestalt schien fast ebensoviel
Breite als Höhe zu haben, und der bunte, gelb und rot
gestreifte Kattun, von dem sie ein kurzes, nur bis über
die Waden reichendes Gewand trug, lag ihr eng an dem
236
Körper an, während ein breiter, grünwollener Schal —
jedenfalls zn einem ganz anderen Zweck gearbeitet, ihr
fast wie eine Cholerabinde den Leib umschloß. Und da
zu d e r Hut mit seiner riesigen, hochaufstrebenden
Schaufel und den feuerroten Bändern und Schleifen dar
an, die gegen das gelbbraune, ewig feuchte Gesicht wohl
scharf genug, aber wahrlich nicht harmonisch abstachen!
Und das war die Königin, die sie im Traume ge
sehen, die, Hilfe bittend, die Arme nach ihr ausstreckte?
Das die liebe, holde Gestalt mit den engelgleichen Zügen
und großen, sprechenden Augen? Es gab ihr immer einen
Stich durchs Herz, wenn ihr Blick auf sie fiel, und sie
konnte sich gerade d e s Gedankens nicht erwehren.
Einua selber schien ungemeines Wohlgefallen an der
neuen Tracht zu finden; sie war jedenfalls bunt, was
diese Stämme ganz besonders lieben, und erreichte bei
ihr auch noch einen anderen Zweck. Es machte sie etwas
größer. Als aber M rs. Löwe jetzt auch von Berchta
verlangte, den nämlichen Hut zu tragen, um den übrigen
Insulanerinnen ein gutes Beispiel zu geben, weigerte sie
sich auf das entschiedenste und erklärte der alten Dame
rund heraus, sie sei hierher auf die Inseln gekommen,
um ihr ganzes Leben dem guten Werk zu widmen, nicht
aber, um sich lächerlich zu machen - - und von dem Augen
blick an bedauerte M rs. Löwe gegen ihren Gatten: „incht
mehr das Wohlwollen für die Schwester Berta rn ihrem
Herzen fühlen zu können, das sie ihr bis jetzt bewahrt.
Sie trage die Sünde der Eitelkeit mit sich herum, und
das sei der schlimmste Feind, den ein Mensch hegen und
pflegen könne."
Fremar selber bat seine Frau, der alten, etwas wun
derlichen Dame in dieser Hinsicht gefällig zu sein
ihm
selber gefiel der Hut nicht, aber was tut man nicht um
des Friedens willen? Berchta aber blieb fest.
„Sucht ihr darin die Religion," sagte sie ruhig,
„daß ihr den Mädchen und Frauen das Tragen von
Blumen verbietet und ihnen dafür eine lächerliche Fasson
237
von Stroh und Bändern auf den Kopf stülpt, so weicht
ihr aus der vorgeschriebenen Bahn, auf die H e r z e n
der Eingeborenen zu wirken und sie irdischen Tand ver
gessen zu machen. Wenn M rs. Löwe nicht fühlt, wie
lächerlich sie in dem Strohkasten aussieht, so ist das ihre
Sache, die meine aber, ihr nicht darin zu folgen."
„Aber Mr. Löwe ist mein Vorgesetzter."
„Das niag sein, M rs. Löwe aber nicht die meine."
lind dabei blieb es.
M rs. Löwe überraschte die Eingeborenen aber auch
noch in anderer Weise. Nach einigen Tagen nämlich,
an welchen fast immer Gottesdienst stattfand, womit der
Missionar eine Art von Prüfung der Neubekehrten ver
band, und nicht umhin konnte, sich ziemlich günstig über
die von ihnen gemachten Fortschritte zu äußern, hatte er
beschlossen, eine Inspektionsreise nach dem In n ern und
vorderhand nach dem Hupai-Tal anzutreten, wobei ihn
seine Frau begleiten wollte. Die alte Dame erklärte
aber — obgleich sonst noch ganz rüstig auf den Füßen,
den weiten Weg nicht g e h e n zu können, wonach denn
eine etwas wunderliche Equipage zum Vorschein kam.
Dieselbe war allerdings nicht neu, denn auf den hawaischen Inseln ließen sich die Frauen der amerikanischen
Missionare ebenfalls auf solche Art befördern — nur
die hiesigen Eingeborenen hatten etwas derartiges noch
nicht gesehen, und staunten es nicht wenig verwundert an.
Es war ein zweiräderiger, sehr leicht gebauter
Karren, offen und nur für eine Person eingerichtet, wie
mit einer kurzen Deichsel versehen. Vier Eingeborene
von Laua, die sie mitgebracht, zogen und schoben den
selben, und oben darauf saß M rs. Löwe, während ihr
Gatte, wie auch der junge Missionar, ernst und feierlich
daneben Herschritten — und ein wunderlicheres Bild
hätte man sich kaum denken können.
Die vier Eingeborenen waren bis auf den schmalen
Gürtel um die Lenden, den sogenannten Maro, voll
kommen nackt, und noch aus früherer Heidenzeit mit
—
238
ihren blauen Tätowierungen bedeckt, sonst aber kräftige,
muskulöse Burschen, und zwischen ihnen wie aus einen.
Thron saß die Frau des Missionars mit ihrem rrestgen
Hut in einem braun und rot gemusterten Kattunkleid,
einen Regenschirm gegen die Sonnenstrahlen aufgesparmt
und einen kleinen Korb mit Fruchten neben sich. So
fuhr sie in den Wald hinein und auf der neuangelegten
Straße hin, und vier wegen Übertretung der Gesetze zu
Strafen verurteilte M otua-Jnsulaner wurden 'hr noch
von Ramara Toa beigegeben, um ihre Leute, falls sie
müde werden sollten, abzulösen. Auch der Konig selber
begleitete sie noch eine kurze Strecke; denn daß er selber
das größte Interesse an diesem Zuge nahm der sa sem
eigenes Reich ausdehnen und befestigen sollte, ließ sich
Berchta sah kopfschüttelnd dem Fuhrwerk nach, denn
zu i h r e n Begriffen von christlicher Demut stimmte
es nicht, daß sich die Frau eines Geistlichen von Menschen
ziehen ließ, denen ihr Gatte doch Predigte, daß sie Vor
Gott alle gleich seien. Fremar aber beruhigte sie daiüber, oder versuchte wenigstens es zu tun, indem erchr
erklärte, daß ganz Ähnliches auf vielen ^nseln der su d see S itte fei. Die Frauen d ü r f t e n sich nicht zu großen
Anstrengungen in der heißen Sonne aussetzen, wenn
sie ihre Gesundheit den Eingeborenen erhalten wallten,
und das sei schon zu dieser eigenem Heil das wichtigste.
Aber es blieb ihm keine lange Zeit, das weiter mit
ihr zu besprechen, denn er mußte die von M r Löwe
schon zurechtgelegten Waren zusammenpacken und Last
trägern übergeben, die ihm damit rasch nach dem HupaiTal folgen sollten. Die Gegenstände waren zu Ge,chem
ken bestimmt, um den Häuptlingen eine Freundlichtcit
zu erweisen, und bestanden meist in Kattunstucken, wie
auch Beilen, Messern, Hacken und anderen nützlichen >;N^"'Vchrzehn Tage blieb die kleine Reisegesellschaft aus,
und Ramara Toa war die Zeit schon entsetzlich lang ge-
239
worden, denn er wollte hören, wie es dort gegangen.
Endlich kehrte Mr. Löwe, aber nur mit M artin, zurück,
und erklärte dem König, daß er gekommen sei, sich im
Hupai-Tal, als ziemlich dein Mittelpunkt der Insel,
niederzulassen und von da seine Wirksamkeit zn be
ginnen.
Er war auch in Tuia gewesen und hatte mit Matangi Ao gesprochen, bis jetzt aber nur noch einen voll
kommen verstockten Heiden in ihm gefunden, der einer
gründlichen Heilung bedürfe, um sich der wahren Kirche
zuzuwenden. Ih re Befürchtungen mit einem katholischen
Missionar waren übrigens unbegründet gewesen. Es
befanden sich allerdings zwei Franzosen, und zwar Ka
tholiken in Tuia, aber keine Geistlichen, sondern nur
einem Walfischfänger entsprungene Matrosen, die Matangi Ao unter seinen Schutz genommen. Übrigens ver
standen sie noch nicht einmal die Sprache der Einge
borenen, und der Missionar versicherte Fremar, er habe
dem Häuptling ein solches Bild von dem Charakter dieser
Art Leute entworfen, daß er nicht einen Augenblick
zweifle, er würde sie mit dem nächsten dort anlegenden
Fahrzeug wieder fortschicken. Kam aber kein anderes,
so war er selber entschlossen, den Missionsschouer, so
wie er wieder nach Motua zurückkehre, nach der TuiaBai zu senden und die beiden Matrosen an Bord zu
nehmen. Es war nötig, daß diese beiden Individuen
von der Insel entfernt wurden; denn derartige Subjekte
bestärkten die Eingeborenen nur in ihren Sünden und
waren den Missionaren von jeher feindlich gesinnt ge
wesen.
M r. Löwe hatte an dem Tage viel im geheimen mit
Ramara Toa zu besprechen, und der Gegenstand betraf
nicht allein die religiöse, sondern auch die politische Ge
staltung der Insel. Eine Forderung aber, die M r. Löwe
stellte: das Götzenbild dicht bei dem Hupai-See zu zer
stören, damit das Volk sähe, wie machtlos die Holzklötze
Wären, wies der König auf das entschiedenste von der
240
Hand, weil er dann, wie er erklärte, seines Lebens selbst
unter dem eigenen Volk nicht sicher wäre. Erst sollte der
Fremde die Insulaner vollständig zum Christentum be
kehren, dann wollten sie die Götzen beseitigen. Über
haupt sei der am Hupai-See nur ein untergeordneter
Gott und habe noch nie viel Macht gehabt; der stärkste
von allen befände sich im Besitz M atangi Aos, und wäre
dort in einem Tempel aufgestellt. Wenn sie d e n ein
mal bekommen könnten, dann würde es leicht sein, das
Tuia-Tal zu unterwerfen, denn dem Volke dort würde
nachher der M ut fehlen, sich zu verteidigen.
Ramara Toa war, dieser Äußerung nach, im Herzen
also noch immer von der Kraft der Götter überzeugt,
wenu er sich auch sonst so stellte, als ob er nicht im ge
ringsten mehr an sie glaubte.
Während der König so die Angelegenheiten des
Landes mit dem Geistlichen besprach, und Fremar zuletzt
ebenfalls herbeigerufen wurde, um feine Meinung dabei
abzugeben, stand der junge Missionar M artin neben
Berchta auf der Felfenplatte und überschaute das wun
dervolle, vor ihnen ausgebreitete Panorama.
Der Missionar M artin konnte kaum fünfundzwanzig
Jah re alt sein und hatte seinen Beruf teils aus
Schwärmerei, teils aber auch vielleicht aus unbezwinglicher Reiselust gewählt. Er brachte deshalb auch ein
warmes Herz für die Eingeborenen und den festen Ent
schluß mit, sie, so weit es irgend in seinen Kräften stand,
glücklich zu machen. Allerdings störte ihn da oft die
starre Form, die viele der Geistlichen für nötig hielten,
und von der sie nicht abgehen zu dürfen glaubten, weil
sie auch daheim genau so vorgeschrieben stand und befolgt
wurde. Aber auch auf diese Weise war vielleicht das
Ziel zu erreichen, und er selber noch viel zu jung und
vielleicht auch zu bescheiden, um nur irgend eine ent
gegengesetzte Meinung zu äußern, viel weniger denn zu
vertreten. Und schon der Gedanke erfüllte ihn mit S e
ligkeit, hier in diesem Paradiese die ersten Kirchen mit
241
errichten zu helfen, den ersten Stein mit zu legen zu dem
gewaltigen Bau, der einem ganzen Volk den ewigen
Frieden sichern und es glücklich machen solle, und alles,
was ihn dabei schmerzte, war, daß ihm bis jetzt noch
nicht gestattet gewesen, für dieses Streben wirkliche
Opfer zu bringen, wirklich zu leiden und zu entbehren:
denn unter diesem Eindrucke war er, nach manchem in
England Gehörten, zwischen die Inseln gekommen. S ta tt
dessen fand er aber hier ein herrliches Klima, gute,
freundliche Menschen und Lebensmittel an Fisch, Fleisch
und Früchten in einem wahren Überfluß. Als Missionar
führte er ein vollständig behagliches Leben, und die An
strengungen, die sich überhaupt als nötig herausstellten,
gehörten auch wieder unbedingt dazu, um seinen Körper
nur gesund zu erhalten.
Die Missionare nannten diese Inseln die Wohnplätze Satans*) (tüe rerritorieg ok S a tan ); aber konnte
das für eine Heimat des Teufels gelten, wo Gott selber
mit vollen Händen seine Gaben ausgestreut und den Ein
geborenen n i c h t s zu ihrem irdischen Glücke fehlte?
Es stiegen ihm damals die ersten Zweifel aus, ob Gott
denn überhaupt wollen könne, daß sie anders leben^solsL.
tenj als pe nun hM ^JahthN nderl^-M lebt; a b e ro ie
Schrift, das große Buch, aus dem sich eben a l l e s be
weisen läßt, und auf dessen Sprüche sich schon Tausende
in Werken der Liebe sowohl wie in denen des Hasses und
der Rache berufen haben, sagte deutlich genug, daß sie
in alle Welt gehen und alle Heiden lehren sollten; und
das allein war ja auch sein Trost, wenn ihn manchmal
ein düsterer Zweifel beschlich, und er dann überlegen
wollte, ob das gerade der Beruf sei, der für ihn passe,
und in dem er sich Wohl fühlen würde.
Jetzt aber schwanden all diese trüben Gedanken vor
dem zauberschönen Bilde, das sich zu seinen Füßen aus
breitete und über ihm die Wipfel seiner Palmen wölbte.
') Turners d lin stssu ^surs in k ol^ n ssiu .
Odureb L isslon u r^ lütsIliA Suesr stv.
F r. Gerstücker, Die Missionare.
Bingham Ellis
16
242
„Ach, wie schön ist diese Welt!" rief er bewegt aus,
„wie wunderbar schön, und wohin der Fuß des Wan
derers tritt, berührt er ja ein wahres Paradies."
Berchta sah still vor sich hin. „Ja," sagte sie end
lich, „Motua ist sicher eines der gesegnetsten Eilande der
ganzen Südsee, und selbst das wenige, was ich davon
gesehen, unsere unmittelbare Umgebung hier und das
reizende Hupai-Tal, spottet säst jeder Schilderung."
„Und erst nach Tuia sollten Sie Hinunterkommen!"
rief M artin begeistert aus. Dort öffnet sich ein weites
T al mit einer herrlichen, hügelumschlossenen Bai, die
von den leichten, zierlichen Kanoes der Eingeborenen be
lebt wird. Ringsumher ragen hohe und kühn gerissene,
aber bis zum äußersten Gipfel bewaldete Berge empor,
während das T al ein weiter, endloser Garten füllt. Und
dazu die glücklichen, gastfreien Menschen! Überall ein
reger Fleiß, die Frauen in ihren Gnatu-Häusern, die
Männer emsig beschäftigt, Kanoes zu fertigen, Matten
oder Mattensegel zu flechten, Kokosnußöl zu bereiten,
und alles unter Sang und Tanz, die jungen Mädchen
mit Blumen geschmückt, die Männer selber mit den offe
nen, ehrlichen Zügen und dem freundlichen Gruß auf den
Lippen."
„So halten Sie den Blumenschmuck der eingebore
nen Frauen für k e i n e Sünde?" sagte Berchta, ihn
forschend anschauend.
„Entschuldigen Sie mich, M rs. Fremar," rief der
junge Missionar halb erschreckt, „ich weiß, daß es von
der Mission als solche angesehen und bestraft wird, aber
ich -— wage nicht, selber eine Meinung dariiber auszusprechen."
„M ir gegenüber dürfen Sie es," sagte Berchta leise,
„denn auch mir tut das Verbot recht in der Seele weh."
„So habe ich mich doch nicht in Ihnen getäuscht,"
sagte M artin herzlich; „Sie sehen mir zu gut und freund
lich aus, um eine so strenge und gewiß zu harte Maßregel
zu vertreten, und dennoch sind alle unsere Missionare
243
darüber einig, daß sie etwas verbieten müssen, was, wie
sie behaupten, mit dem früheren Heidentum in so enger
Beziehung steht."
„Es mag sein," erwiderte Berchta seufzend, „ich bin
nur eine Frau und handle deshalb allein nach meinem
Gefühl. M ir schien deshalb auch der Blumenschmuck,
sobald man ihm nicht absichtlich einen tieferen Sinn
unterlegte, völlig Harm- und gefahrlos. Aber wenn es
zum Heil des Ganzen ist, füge ich mich ja auch gern einem
so kleinen Übelstande."
M artin blickte schweigend vor sich hin; als er aber
den Blick zu Berchta erhob und in die lieben, offenen
Züge der jungen Frau sah, streckte er ihr, wie von einem
plötzlichen Gefühl ergriffen, die Hand entgegen und sagte
herzlich:
„Lassen Sie uns gute Freunde bleiben, M rs. Fremar. Ich sehe und fühle, daß S ie es gut mit den Ein
geborenen meinen; glauben S ie von mir dasselbe, und
ich will inir gewiß die größte Mühe geben, I h r Ver
trauen nicht zu täuschen."
„Und.vereint," sagte Berchta, den Druck der Hand
erwidernd, „können wir vielleicht noch viel Gutes wirken,
wenn wir eben mit treuem Willen und reinem Herzen
zusammenhalten. Unsere Religion ist eine Religion der
Liebe, nicht der Furcht, und daß wir uns damit die Her
zen der braven Menschen gewinnen, die auf diesen I n
seln wohnen, bezweifle ich keinen Augenblick. Mein
Gatte neigt sich ebenfalls viel mehr dieser Ansicht, als
der des weit strengeren und unduldsameren M r. Löwe zu.
Er wird zwischen uns beiden vermitteln, und ich hoffe
das Beste von dieser Verbindung."
„Sie machen mich recht glücklich, M rs. Fremar."
„Und wie haben Sie die Verhältnisse in Tuia ge
funden?"
„ N ic h t günstig," sagte der junge Missionar nach
kurzem Zögern.
„ N ic h t günstig?"
Ki"
244
—
„Nein. M atangi Ao ist das Urbild eines Insulaners;
jung" kräftig, intelligent und von seinen Leuten anöden
Händen getragen. Er hat eine Tochter Ramara Toas
zur Frau, die wir allerdings nicht zu sehen bekamen,
denn selbst M rs. Löwe wurde nicht bei ihr vorgelassen,
was sie etwas erbitterte; aber er will von dem Glauben
der Christen nichts wissen. Er behauptet, daß er allen
Inseln, auf denen er sich ausgebreitet, nur Unglück und
Verderben gebracht habe, denn alle die früher geführten
Schlachten hätten nicht so viel Menschenleben gefordert,
als der Fluch, den die neue Lehre und Lebensweise über
sie gebracht."
„Er k a n n nicht recht haben!" rief Berchta schau
dernd aus. „Es wäre fürchterlich!"
„Er hat auch nicht recht," sagte M artin; „nur seine
alten Einrichtungen und Gesetze sieht er über den Haufen
gestürzt und fürchtet deshalb den Untergang des Reiches.
Kurzsichtige Menschen, die es sind! Die N atur gibt ihnen
alles, und sie kennen deshalb, nur dem Augenblick lebend,
gar keine Zukunft. Aber es wird schwer halten, sie eines
Besseren zu belehren."
„Und doch, Wie leicht hat Ramara Toa sich der neuen
Lehre gefügt," sagte Berchta, „und alle seine Anhänger
veranlaßt, sich ebenfalls zu ihr zu bekennen."
„Ich fürchte, Ramara Toa verbindet andere Zwecke
damit," erwiderte der junge Missionar. „Er ist ehrgeizig
und stolz, und nur ein weltlicher Häuptling; er betrachtet
meiner Meinung nach die Religion der Weißen nur als
ein Mittel, um seine eigenen selbstsüchtigen Ziele zu
erreichen."
„Das wären freilich trübe Aussichten," sagte Berchta
ernst. „Ramara Toa — ja, ich traue ihm selber nicht
recht, aber desto größer ist ja dann auch unser Sieg,
wenn wir jenen jungen Häuptling uns gewinnen, und
er m u ß unser werden. Er m u ß fühlen lernen, daß
er nur in dem wahren Glauben das Glück seines Volkes
246
gründen kann; und das erst einmal erreicht, und wir
haben gewonnen."
„Das gebe Gott!" sagte der junge Missionar herz
lich. „Aber dort unten sehe ich einen Boten kommen;
ich werde gerufen werden und mutz zurückkehren nach
den, Hupai-Tal. Leben S ie Wohl, M rs. Fremar! Wenn
es mir irgend möglich ist, kehre ich bald hierher zurück,
und mit Seiner Hilfe sehen wir vielleicht in kurzer Zeit
unser Werk gekrönt."
17.
Zwei Jahre später.
Wir müssen einen Zeitraum von zwei Jahren über
springen, in dem die Mission aus Motua allerdings
keinen raschen, aber doch einen steten Fortgang nahm.
Bruder Löwe, wie er sich fortwährend nennen lietz, hatte
indessen seinen Wohnsitz aus dem Hupai-Tal weiter dar
nach Tuia verlegt und war auch dort von dem jungen
Häuptling M atangi Ao geduldet worden. Dieser er
klärte nämlich, datz er gern bereit sei, manches zu lernen,
was ihn der fremde Weihe lehren, und worin er sie unter
richten könne, nur an ihrem Glauben dürfe er nicht rü t
teln, denn gerade die den Göttern gezollte Verehrung
hielte sie in Gesetz und Ordnung. Würden diese Schran
ken niedergerissen, ohne ihnen einen vollständigen Ersatz
dafür zu bieten, so könne er selber für die Folgen nicht
einstehen. Jetzt lebten sie glücklich: sie hätten mit keinem
Stamme Krieg, ihre Ernten wären vortrefflich, das Volk
zufrieden — zu einer solchen Zeit sollte man nicht an
fangen, das ganze Gebäude ihrer Häuslichkeit zu unter
graben. Er wenigstens würde es nicht dulden, so lange
er erster Häuptling des Landes wäre.
246
Mr. Löwe erwiderte nichts darauf; aus Amerika
stammend, besaß er die ganze feste Zähigkeit der Ameri
kaner, und ihm lag vorläufig nur daran, erst einmal den
kleinen Finger zu bekommen. Daß er nachher die ganze
Hand erhalten würde, daran zweifelte er keinen
Augenblick.
Es gab auch in der ganzen Mission kaum einen täti
geren und unermüdlicheren Kämpfer für die „gute
Sache" als ihn, und wenn es sein mußte, konnte er, von
seiner Frau treulich dabei unterstützt, Tag und Nacht
arbeiten, um seinen Zweck zu erreichen. So säumte er
auch hier keine Stunde. Rasch hatte er die Wichtigkeit
eingesehen, die Tuia, als Sitz des ersten Häuptlings und
von einer bedeutenden Ansiedelung umgeben, vor dem
abgeschiedenen, in die Berge hineingebauten Hupai be
saß, und während er den jungen Missionar M artin an
dem letzteren Orte ließ, um dort die begonnene Arbeit
fortzusetzen, schaffte er durch zahlreiche Lastträger sein
sämtliches Gepäck — und darunter auch mancherlei Ge
schenke für M atangi Ao — nach Tuia hinüber. Dort
predigte er jetzt nicht allein unverdrossen zu den Einge
borenen, sondern stellte auch eine kleine Druckerei und,
wie Fremar in seinem Wohnort, eine Schmiede auf, um
deu Eingeborenen die Kunst zu lehren, das harte, unge
füge Eisen ihren Bedürfnissen entsprechend zu formen
und Hacken, Schaufeln, Fischhaken und andere nützliche
Gegenstände daraus anzufertigen.
Matangi Ao sah rasch den Vorteil ein, den diese
Kunst seinem Volke bringen mußte, und gestattete des
halb auch als vollkommen harmlos die Predigten des
fremden Priesters, der sich ein volles J a h r hindurch nicht
rühmen konnte, auch nur einen einzigen Bewohner von
T uia bekehrt zu haben. Es war ihm sogar ein leer
stehendes Haus zur freien Benutzung angewiesen wor
den; aber immer kamen nur einzelne Menschen hinein,
die wenig auf seine Rede achteten, miteinander plauder
ten und, wenn draußen das geringste Geräusch entstand
247
oder gar die Trommel zum fröhlichen Tanz rief, rasch
aufsprangen und hinausliefen.
Vergebens suchte Mr. Löwe auch auf die junge
Königin einzuwirken, um durch sie vielleicht ihren Gatten
zu bewegen, der wahren Lehre sein Ohr zu leihen. Sie
war zn scheu und schüchtern, um mit der ernsten Frau
viel zu Verkehren, und zu einfach erzogen, um die Lehre
der Fremden auch nur gleich zu begreifen. Da waren
viele Wunder geschehen, an die sie von vornherein glau
ben sollte, so viel fremde, entsetzlich klingende Namen zu
behalten, da war ein solches Drohen von ewigen Strafen
und Qualen der Verdammten, daß sie mehr Angst vor
der fremden Religion bekam, als Liebe dazu fassen konnte,
und das nahm so überhand, daß sie sich endlich selbst vor
der fremden, finsteren Frau fürchtete und zu ihrem
Gatten flüchtete, wenn sie dieselbe nur von weitem
nahen sah.
Löwe entwickelte, obgleich er sich selber gestehen
mußte, er sei auf diese Art nicht imstande, auch nur
einen Fuß breit Boden zu gewinnen, eine rastlose T ätig
keit. Er war oft wochenlang unterwegs, um die verschie
denen Distrikte zu besuchen, und verkehrte dann auch
regelmäßig mit Ram ara Toa, dessen Ungeduld er aber
kaiun noch beschwichtigen konnte.
Ram ara Toa hatte nämlich vor einiger Zeit eine
Zusammenkunft mit M atangi Ao gefordert und erhalten.
Sie trafen sich damals im Hupai-Tal in Gegenwart
Taoris und des alten, trotzigen Tamoruva, und Ramara
Toa verlangte hier ohne weitere Umschweife die Bekeh
rung M atangi Aos zum christlichen Glauben wie die
Anerkennung desselben als tributpflichtigen Häuptling,
was aber von M atangi, wenn auch lächelnd, doch be
stimmt zurückgewiesen wurde.
„Wir sind beide Häuptlinge," sagte er freundlich,
„du, Ramara Toa, auf deiner Seite der Insel, ich aus
der meinen. Du hast unseren alten Göttern entsagt, ich
habe nie einen Einwand dagegen erhoben, ass ob ich
248
dich zwingen wollte etwas zn glauben, dem dein Gefühl
widerstrebt. Laß mir dasselbe Recht
und was den
Oberbefehl über die Insel betrifft, weshalb verlangst du
ihn? Wir leben mit den Nachbarinseln in Frieden und
werden von keiner Seite bedroht. Würden wir es, dann
dürftest du dich fest darauf verlassen, daß ich dir mit all
den Meinen beistehen würde, wie ich das nämliche auch
von dir erwarte. Und der Tribut? Du hast Brotfrucht,
Fische und Matten genug auf deiner Seite, ebenso wie
ich auf der meinen — deine Kokosnüsse sind so süß um
okreich wie die von Tuia. Was verlangst du mehr ^ Öav>
mich und deine Tochter in Frieden leben, tue du das
selbe, und Wir beide können glücklich sein."
Ramara Toa hatte sich noch einige Häuptliiige^von
Motua-Bai mitgebracht, die allerdings auf seiner ^seite
standen, aber sein eigener Sohn, ebenso wie Tamoruva
stimmten gegen ihn, und der alte König mußte, bitteren
Groll im Herzen, nach Motua-Bai zurückkehren.
S e it jenem Tage hatte ihn Mr. Löwe nicht wieder
gesehen und sich heute nun aufgemacht, um weitere M aß
regeln mit ihm zu besprechen, denn ihm selber fing die
Zeit an lang zu werden. Wieder und wieder bekani er
Anfragen von Laua, wie es mit dem „interessanten
Platz stünde, auf welchem der Missionar Fremar gleich
in den ersten Monaten solch' bedeutende Fortschritte ge
macht, und immer und immer wieder mußte er den näm
lichen Bericht zurücksenden, daß die Südseite der .-nsel
__was aber schon damals der Fall war — dem christ
lichen Glauben allerdings vollständig gewonnen Ware,
daß aber die Nordscite noch hartnäckig allen seinen selbstgeführtsn Bemühungen widerstehe, und M atangi Ao, der
junge Häuptling, auf das starrköpfigste jede Belehrung
__ soweit sie den Glauben betreffe — verweigere, dafür
aber desto eifriger in der Schmiede arbeite und auch nicht
unbedeutende Fortschritte im Lesen und Schreiben ge
macht habe. Das allein gebe ihm denn auch noch Hoff
nung, daß er doch bald den Segen einsehen wurde, den
249
der wahre Glaube um sich her verbreite. Für jetzt stehe
er aber noch unter dem Einfluß von ein paar nichts
nutzigen Individuen, weggelaufenen Matrosen, mit denen
er sehr viel und häufig Verkehre, und es wäre an der
Zeit, diese von der Insel zu schaffen. Mr. Rosbane möge
also so gut sein und sobald als möglich den Schoner oder
ein anderes Fahrzeug nach Tuia dirigieren, um sie ab
zuholen, denn dem Kutter mit seiner gerungen M ann
schaft könne man sie nicht anvertrauen.
, , ^
Der Brief war mit dem letzten Kutter abgesendet
worden, und M r. Löwe hoffte, daß, was er M atang, Ao
über die beiden Fremden gesagt, nicht ohne Wertung
geblieben sein würde. Die Häuptlinge halten selber vrel
auf ihren Rang und sind zu stolz, um mit ganz unter
geordneten Menschen zu Verkehren.
^
Der Missionar nahm aber auf drefer Rerse lerne
Frau nicht mit, die mit einer ziemlich zahlreichen Diener
schaft in Tuia blieb, teils um die dortigen Vorgänge zu
überwachen, teils um ihren Unterricht nicht zu unter
brechen und ihre Bekehrungsverfuche fortzusetzen. Er
schritt, von zwei Dienern begleitet, die sein Gepäck trugen,
das reizende und pittoreske Tal hinauf und rastete nur
hier und da bei einzelnen Hütten, von deren Bewohnern
er auch schon einige bewogen hatte, ihre Irrtü m e r ab
zuschwören. I m ganzen war das Resultat aber noch em
sehr geringes, und er selber sogar über die wenigen m
Zweifel ob ihre Bekehrung sehr ernst gemernt und nicht
mehr eine Gefälligkeit gegen ihn gewesen sei an die
sie sich nur in seiner Gegenwart gebunden glaubtem S o
lange er den Häuptling des Distrikts nicht für sich ge
wonnen hatte, so lange durfte er nicht auf einen dauern
den Erfolg bei den geringeren Eingeborenen rechnen, und
er betrachtete auch alle diese Versuche nur als Vorberei
tungen zu dem großen Ganzen.
I m Hupai-Tal erwartete ihn schon der ginge Mis
sionar dem er einen Boten vorausgeschickt, weil er es
liebte,' dort, wo er gerade eintraf, Vorbereitungen zu
250
seinem Empfang zu finden. M artin hatte seine kleine
Schule zusammenberufen, und über eine kurze Prüfung,
die er mit den Kindern hielt, sprach sich M r. Löwe sehr
günstig aus. Da er sich übrigens nicht lange dort auf
halten mochte und nach einem kurzen Im biß erklärte,
seinen Weg fortsetzen zu wollen, um die Nacht bei Ramara Toa zu verbringen, bat ihn M r. M artin, ob er ihm
erlaube, ihn zu begleiten, da er mit Bruder Fremar,
ausgebrochener Zwistigkeiten zwischen einigen Familien
im Hupai-Tal und der Motua-Bai wegen, etwas zu
besprechen habe und ihm selber auch noch über manches
Auskunft geben könne.
M r. Löwe betrachtete ihn, während er sprach, auf
merksam, und es konnte ihm dabei nicht entgehen, daß
der junge Mann, der das jedenfalls bemerkte, errötete.
War etwas vorgefallen? — Aber er gedachte nicht, ihn
darum zu fragen, denn es gehörte sich, daß er selber
davon beginnen möge. Der Weg nach der Motua-Bai
hinab bot ihm dazu auch die günstigste Gelegenheit,
aber — es erfolgte nichts derartiges. M artin sprach aus
führlich über die Verhältnisse seiner Umgebung, soweit es
die Fortschritte der dortigen Mission betraf, konnte aber
eben kein sehr günstiges Resultat berichten, denn Taori,
der Sohn des Königs, der sich gegenwärtig mit einigen
jungen Freunden in Motua-Bai befand, widerstrebte
hartnäckig jedem entschiedenen und öffentlichen Schritt.
Er kam zuzeiten in die Predigt, saß dann still und auf
merksam und hörte zu, aber er weigerte sich, seine alten
Götter abzuschwören, er sowohl als die ihm anhängenden
Häuptlinge.
„Und wie ist es mit Tamoruva?" fragte Mr. Löwe,
„ich habe gehört, daß S ie viel in dessen Haus verkehrten,
und das schien mir ein gutes Zeichen. Er hat großen
Einfluß auf der ganzen Insel. Neigt e r sich wenig
stens unserem Glauben zu?"
M artin hatte den Kopf gesenkt und schaute vor sich
gieder auf dep Pfad, endlich sagte er leise;
251
„ A l l e s habe ich versucht, um ihu der guten Sache
zu gewinnen — jede nur erdenkliche Überredung, aber
alles blieb vergeblich. Sein Kind erkrankte, und ich saß
nächtelang an seinem Lager, bis es mir gelang, ihm die
Gesundheit wiederzugeben. Ich hoffte, daß ihn das be
wegen würde; umsonst, denn er schrieb die Genesung
den Opfern und Gebeten zu, die er seinen falschen Göt
tern in der Zeit gebracht."
„Raniara Toa hat ganz recht," sagte Mr. Löwe
finster, „im Guten ist mit diesen halsstarrigen, verstockten
Burschen nichts auszurichten, und wenn es denn nicht
anders geht — "
„Aber w i r dürfen doch keine Gewalt bei ihnen
anwenden, ja k ö n n e n es nicht einmal."
„Wir?" erwiderte Mr. Löwe kopfschüttetnd, „ w i r
haben mit Gewalt nichts zu tun; u n s e r Beruf ist ein
Beruf des Friedens und der Liebe, nicht des Kampfes.
Aber wenn der christliche Fürst und König dieses Landes
nicht mehr imstande ist, den Übermut der Anhänger S a
tans länger zu ertragen? Wenn er nicht mehr dulden
will, daß die Spottgestalten alberner Götzen in seinem
Reiche aufgestellt bleiben, können wir es hindern oder
ihn nur deshalb tadeln?"
„Um Gottes willen keinen Krieg, keinen Religions
krieg unter diesem friedlichen, glücklichen Volk!" rief
M artin bewegt; „es wäre zu furchtbar, wenn wir die
Ursache eines so entsetzlichen Streites werden sollten."
„Des Herrn Wege sind wunderbar," sagte der Mis
sionar ernst, „aber er führt alles herrlich hinaus. Wir
werden keine Hand in dem Kampfe rühren, wir d ü r
f e n es nicht; wenn der Allmächtige aber seinen Werk
zeugen die Waffen in die Hand drückt, um seinem Wort
einen freien Weg zu bahnen, sind wir da imstande,
die Hand zurückzuhalten?"
„Ramara Toa," sagte M artin, „ist ein ehrgeiziger
Mann. Er hat nicht den wahren Glauben, denn mehr
252
als alles andere trieb ihn der Eigennutz der neuen
Lehre zu."
„Wir können nicht in den Herzen der Menschen
lesen," sagte der Missionar ruhig; „wir wissen nicht, was
ihn bewogen hat, dürfen aber auch, als christliche Lehrer,
einer guten Handlung nicht leichtsinnig ein unreines
Motiv unterlegen. Was indessen auch seine ersten Trieb
federn gewesen sein mögen, er ist jetzt in den richtigen
lind schmalen Pfad der Tugend eingelenkt, und uns ge
ziemt es, ihn darauf sorgsam weiterzuführen. Seine
Frau, die Königin Einua, ist besonders eine würdige
Dame, und meine Frau hält viel von ihr; ich hoffe, daß
sie noch eine Leuchte auf der Insel werde. Wie macht sich
denn dieser Mann in dem grünen Rocke, den M rs. Fremar mit auf die Insel gebracht? Ich wollte lieber, es
wäre nicht geschehen."
„Er ist fleißig und harmlos," sagte M artin gut
mütig, „dabei verkehrt er mit den Insulanern in einer
wunderlichen Sprache, die ich selber nicht verstehe, und
diese haben ihn gern, denn er jagt und fischt mit ihnen
und scheint sonst ein ziemlich komischer Kauz."
„Wenn er nur das häßliche Rauchen lassen wollte;
er gibt dadurch den Eingeborenen ein so böses Beispiel,
daß Ramara Toa selber nicht einmal bewogen werden
kann, es zu verbieten. Ich begreife überhaupt nicht, wo
er noch den Tabak herbekommt; er m u ß doch einmal
ein Ende nehmen, und daß dann kein anderer auf der
Insel gelandet wird, dafür ist schon gesorgt."
„Das wird nichts nützen," lächelte M artin, „denn er
hat sich selber eine kleine Anpflanzung gemacht, und der
Tabak gedeiht vortrefflich."
„Und hat Bruder Fremar das geduldet?" rief der
Missionar rasch und heftig aus.
„Er w o l l t e es verbieten, aber Ramara Toa nahm
den Tabak unter seinen besonderen Schutz, und er durfte
deshalb nicht belästigt werden."
„Und wo hat er den Samen herbekommen?"
253
„Wie ich höre, hat er eine Kleinigkeit mitgebracht
nnd vor einigen Monaten ausgesäet. Er gedeiht aber
vortrefflich; die Pflanzen sind fast schon einen Futz hoch."
M r. Löwe erwiderte kein Wort weiter, er schritt
schweigend neben M artin her; aber ihr Weg war nicht
mehr weit, denn vor ihnen öffnete sich schon der Wald,
und der unmittelbar über Motua-Bai liegende PalmenHain wurde sichtbar, zwischen dessen Stämmen die
See hindurchfunkelte. S ie waren am Ziele, und der
Missionar schritt ohne weiteres rechts hinab dem Hause
Namara Toas zu. Er hatte, wie er zu Bruder M artin
sagte, etwas mit diesem allein zu besprechen und würde
entweder ihn und Bruder Fremar ersuchen lassen, her
unterzukommen oder selbst hinaufkommen.
M artin wendete sich demzufolge, und wie es schien,
mit der Anordnung sehr zufrieden, dem Felsenhang zu,
auf welchem Fremars Wohnung stand. Er traf Fremar
allerdings nicht zu Hause, sondern nur seine Gattin, die
im Schatten einer Palme im Freien saß und einen Brief
las. Sie hatte verweinte Augen, und als sie aufstand
und dem jungen Missionar die Hand reichte, mischte sich
in das freundliche Lächeln, das sie ihm stets entgegen
brachte, ein tief wehmütiger Zug von Schmerz und ge
heimem Leid.
S ie hatte sich überhaupt recht verändert; sie sah
bleich und angegriffen aus, uud ihre Augen glänzten
so ernst unter den langen, dunklen Wimpern vor.
„Sind Sie krank gewesen, M rs. Fremar?" war
M artins erste Frage, als er die dargebotene Hand nahm
und herzlich drückte. „Sie sehen so bleich aus "
„Nein," erwiderte die junge Frau, indem sie zu
lächeln versuchte, „ich war nicht krank, ich befinde mich —
Gott sei Dank — vollkommen wohl; der Brief," setzte
sie zögernd hinzu, „hat mich vielleicht ein wenig an
gegriffen. Er ist von daheim — von meinen, Vater."
„Er hat Ihnen doch keine bösen Nachrichten ge
bracht?"
264
„Nein — dem Himmel sei Dank! Der alte, gnte
Mann ist so glücklich, daß wir — so glänzende Erfolge
hier erzielt und unser Werk so gesegnet vorwärts schrei
tet," setzte sie leise, kaum hörbar hinzu. „Nur die Sehn
sucht nach mir nagt ihm am Herzen, ja, er spricht sogar
davon, es gehöre nicht zu den Unmöglichkeiten, daß er
sein altes Schloß und Gut verkaufen könne, um ganz
hierher zu mir zu ziehen."
„Wie glücklich würden Sie sich fühlen, wenn er
käme —"
Berchta antwortete nicht; ihr Auge suchte den
Boden. M artin aber, dein etwas anderes die Seele
drückte, war zu viel mit sich selber beschäftigt, um den
schweren Seufzer zu bemerken, der ihre Brust hob, und
er fuhr nach kurzer Pause fort:
„ Ih r Gatte ist nicht daheim?"
„Nein, er ist nach Afaru unten am Strand gegangen,
um dort einen Kranken zu besuchen. Ich hoffe aber, er
wirb bald zurückkehren."
„Und Klaus?"
„Er ist nach seinem Tabaksfeld gegangen, das ihn
jetzt sehr beschäftigt."
„Mr. Löwe ist mit dem Tabakbau gar nicht ein
verstanden."
„Ich konnte es mir denken," sagte Berchta nicht
ganz ohne Bitterkeit; „aber warum soll der alte Mann
nicht ein so unschuldiges Vergnügen genießen, mit dem
er doch wahrlich keinen Menschen schädigt und noch we
niger eine Sünde begeht? Wenn mein alter Vater hierherüber käme, würde er auch ihm das Rauchen verbieten
wollen."
„Er ist vielleicht zu streng, aber er meint es gewiß
gut." —
Wieder schwieg Berchta, aber M artin konnte sich
mich nicht einmal durch den neuen Gedankengang von
seinem Ziel abbringen lassen, und plötzlich scheu, aber
doch entschlossen beginnend, sagte er:
255
—
„Mrs. Fremar, ich hatte mir eigentlich vorgenom
men, Ih ren Gatten aufzusuchen, um ihn in einer wich
tigen, das heißt, für mich wichtigen Sache um Rat zu
fragen. Er ist nicht daheim, und ich muß Ihnen gestehen,
daß ich ebensogern — vielleicht lieber — mit I h n e n
den Gegenstand verhandle, denn ich bin fest davon über
zeugt, daß S ie es gut mit mir meinen. Wollen S ie mir
Ihren R at geben, und — wenn Sie nicht ganz anderer
Ansicht sind als ich — mir Ih ren Beistand zusichern?"
„Ich kann mir nicht denken," sagte Berchta in ihrer
milden Freundlichkeit, „daß S ie etwas anderes von mir
fordern würden, als wozu ich Ihnen von Herzen meinen
Beistand versprechen könnte. Also lassen S ie mich frei
und offen wissen, was Sie bedrückt; es kommt mir jetzt
fast selber so vor, als ob Ihnen irgend etwas auf der
Seele läge, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Ihnen
ebenso antworten und Ihnen nach besten Kräften raten
werde."
„Ich bin es überzeugt," sagte M artin, „und um
Ihnen einen Beweis zu geben, wie vollkommen ich Ihnen
vertraue, sollen S ie jetzt auch alles erfahren. Es ist
ja doch nichts, dessen ich mich zu schämen brauchte. Ich
liebe — "
„Ein eingeborenes Mädchen," sagte Berchta, zu ihm
aufschauend.
„Ja," erwiderte M artin leise, „die Tochter eines
Häuptlings, ein liebes, holdes Wesen, an dessen Seite ich
mein Glück zu finden hoffe, wenn — M r. Löwe nur ein
freundliches Wort bei der Missionsgesellschaft für mich
einlegen wollte."
„Und haben die Eltern ihre Einwilligung gegeben?"
„ J a — allerdings mit Zögern, denn ihr Vater ist
noch nicht bekehrt."
„Kenn' ich ihn?"
„Ter alte Häuptling Tamoruva in unserem Tal;
ein Heide, aber ein so braver, ehrenwerter Man», wie
man ihn nur auf der Welt finden kaun."
—
256
—
Er aber gerade ist einer von denen, die dem
Christentum bis jetzt auf das hartnäckigste widerstreb
^ ^Jch weiß es. ja. aber nur aus dem Grunde, weil
er inirgend einer irrigen Ansicht das V erderben E d den
Untergang der Eingeborenen rn eurem Glaubenswechsel
sieht. Ich habe mein Äußerstes versucht, ihn zu bewegen,
aber vergebens. Lama, seine Tochter, ichernt sich schon
eher der neuen Lehre zuzunergen. und rch Messle kernen
Augenblick, daß sie sich von mir überzeugen laßt. sobalo
^ ^Achsr?" s^g!e Berchtm „Weshalb sollte M r. Löwe
die Erlaubnis zu einer Verbindung weigern. dre rhm
die sicherste Bürgschaft leistet, daß er dadurch - um
wenn auch erst mit der Zeit — einen der einflußreichsten
Häuptlinge der guten Sache gewönne?"
J a das ist wohl wahr," sagte der Mige Missionar
kleinlaut. „Tamoruva verweigert mrr auch seine Emwilligung nicht, aber — er stellt erne Bedingung, dre
schwer zu erfüllen sein wird."
„Und welche?"
.
Daß ich mit seiner Tochter nach dem Ritus der
christlichen Religion — aber auch nach rh r e r S i te
verheiratet werde, mich also einer heidnischen Form un
terziehen muß, um zu ihrem Besitz zu gelangen
Dazu wird allerdings M r. Löwe nre serne Ein
willigung geben." sagte Berchta bestimmt, „und wenn er
es selbst wollte, seine Frau würde es nre gestatten
Das läßt sich vielleicht doch noch umgehen! rief
M artin. „Der alte Tamoruva ist duldsamer als unsere
strengen Geistlichen, und er will ja nur sern Kind glück
lich und gesichert wissen. Wenn Mr. Löwe nur serne
Einwilligung zu der Heirat gibt! Und wie vrel segens
reicher könnte ich dann hier wirken, wenn, mit den ernilukreichsten Eingeborenen verbunden, meine stim m e
auch in i h r e m Rat ein Gewicht hätte! J e t z t be
trachten sie uns nur als Fremdlinge auf ihren ^nseln.
267
aber dann erst, wenn wir in ihre Familien eintreten,
dürfen wir hoffen, uns ihre dauernde Liebe nicht allein,
sondern auch ihr Vertrauen zu gewinnen."
„Haben S ie schon mit M r. Löwe gesprochen?"
„Nein; ich wagte es nicht, ohne vorher Ihnen und
Ih re s Gatten Rat gehört zu haben und ihrer beider
Hilfe dabei versichert zu sein."
„Wenn S ie den heidnischen Ritus umgehen können,"
sagte Berchta freundlich, „so ist Ihnen meines Gatten
Stimme sicher, im anderen Falle stehe ich aber auch nicht
für ihn ein."
„Ich glaube es gewiß."
„Und lieben Sie das junge Mädchen wirklich so
von ganzer Seele, daß S ie glauben, mit ihm glücklich
zu werden?"
„Von ganzer Seele!" sagte M artin herzlich. „O,
wenn S ie sie nur einmal sehen konnten," fuhr er bewegt
fort, „sie ist so lieb, so gut und so schön wie das Land
selber, das ihr das Leben gab."
„Und wenn S ie einmal wieder nach der Heimat
zurückkehren wollten? Würden Sie sich ihrer nicht zu
schämen brauchen?"
„Nie, nie!" rief M artin leidenschaftlich aus. „Und
wenn ich mir hier eine Häuslichkeit gründen könnte, mit
welchem Eifer würde ich schaffen und arbeiten — ich
verlangte ja nicht mehr."
„Dann haben S ie auch gute Hoffnung," sagte
Berchta herzlich, „es wird sich noch alles zum Besten
wenden, und was i ch tun kann, uni Sie zu unterstützen,
seien S ie versichert, d a ß ich es tun werde."
„Wie danke ich Ihnen dafür! — Aber nun sagen
Sie auch mir, M rs. Fremar, was fehlt I h n e n ? Sie
sehen so gedrückt, so niedergeschlagen, ja leidend aus?
Is t etwas vorgefallen, das Ih ren heiteren S inn getrübt?
O, wenn ich Ihnen da beistehen und Ihnen nur einiger
maßen das Wohlwollen vergelten könnte, das S ie in i r
gezeigt!"
F r. G crstiicker, Die Missionare.
17
258
—
Berchta schwieg und sah eine Weile sinnend vor sich
nieder, endlich sagte sie leise:
. ^
Ich sorge mich vielleicht nur um em ^chreckbild
meiner eigenen Phantasie, und doch hat es mrr manche
Nacht den Schlaf geraubt."
„Und darf ich es wissen?"
. ^
. >Ich weiß nicht, weshalb ich Ihnen em Gehemmm
daraus machen sollte," sagte Berchta, „denn gerade Sie
nuf der ganzen Insel sind vielleicht der einzige, der
imstande wäre, es zu scheuchen und zu verruchten.
„Wie glücklich mich das machen würde!"
„Wir sind jetzt fast drei Jahre auf dieser ^nsel,
sagte" Berchta scheu, „und anfangs, Gott weiß es, wre
glücklich ich mich fühlte, als ich sah, wre dre Eingebore
nen ihre Herzen so gern und freudig dem neuen Glauben
öffneten. Unsere Mühe wurde mit ungeahnten Erfolgen
gekrönt, und glühende Berichte schrieb ich nach Deutsch
land, welchen Segen die Mission den armen, verblendeten
Heiden brächte, und jetzt —"
„Und jetzt, M rs. Fremar?"
.
Jetzt " sagte die Frau kaum hörbar, „fangen Zwei
fel an in mir aufzusteigen, ob wir den Insulanern wirk
lich Glück und Segen gebracht."
Und S ie glauben es nicht?" rief M artin bestürzt.
iJch weiß es nicht. Was ich früher für wahren
Glauben, für wirkliche Überzeugung von ihrer Seite
hielt, stellte sich nach einiger Zeit bei vielen — o so vielen
__ nur als ein vorübergehender Nerz der Neuheit her
aus, der sie in ihrem gedankenlosen Wesen selbst das
Heiligste aufgeben ließ, was der Mensch eigentlich haben
sollte — seinen Glauben. S ie wurden lässig und gleich. gültig, und nur die darauf gestellten strengen Strafen
verhinderten sie offenbar daran, wieder m ihren alten
Unglauben zurückzufallen. Aber das nicht allem, fuhr
die junge Frau erregt fort, „etwas riefen wir selbst bei
denen hervor, die treu in der guten «ache aushielten
etwas, an das meine Seele früher nicht gedacht hatte,
269
und zwcir: Unfrieden nnd Haß in ihren eigenen Familien.
E i n Teil bekehrte sich, ein anderer hielt an dem alten
Glauben fest, und Haß und S tre it zwischen solchen, die
von der N atur angewiesen worden, vereint durch ihr
ganzes Leben zueinander zu stehen, war die unmittel
bare Folge. Zwei Mordtaten sind in dem letzten Jahre
vorgefallen, die keinen anderen Beweggrund hatten als
Neligionshaß. Die Mörder — und das gerade ist mir
das Furchtbare an der Sache — sind C h r i s t e n , und
bauen jetzt zur S trafe unten neben der alten eine neue
Kirche von Korallenblöcken. Ih re Opfer aber waren das
eine der Bruder, das andere der Schwager der Unglück
lichen. Doch auch selbst dort, wo es nicht zu solch' blutigen
Zwistigkciten kam, wurden die Familienbande an vielen
Stellen zerstört und aufgelöst, und Haß regierte anstatt
Liebe und Vertrauen. War d a s der Zweck, weshalb
wir hergekommen? Nicht daß sie den N a m e n ihres
Gottes ändern sollten, nein, um sie glücklich zu machen
und ihnen den Frieden zu geben, kamen wir herüber —
wenigstens hat kein anderer Gedanke m i ch erfüllt, und
jetzt? Ramara Toa hat, obgleich Fremar mir darin nicht
recht geben will, nur den christlichen Glauben angenom
men, um Gewehre und die Hilfe der Weißen zu erlangen,
die seinen Ehrgeiz unterstützen sollen. Einua selber
glaubt, wenn sie die ihr vorgesprochenen Gebete nach
spricht, alles getan zu haben, was man von ihr verlangen
kann. Dem Volke sind seine harmlosen Vergnügungen
verboten worden, und was war die Folge? Man machte
sie zu. Heuchlern, die jetzt heimlich treiben, was sie nicht
öffentlich mehr tun dürfen. Wir haben die Eingebore
nen zum Christentuni bekehrt, aber sie noch nicht dazu
bewegen können, aus eigener, freier Überzeugung ihre
alten Götter zu stürzen. Sie wollen erst von den Wun
dern, von denen ihnen aus alten Zeiten so viel und
vielleicht unnötigerweise erzählt wird, mit eigenen Augen
sehen, und da ihnen die nicht geboten werden können, fan
gen sie an, die Macht des neuen Gottes zu bezweifeln."
17
260
„Sie wollen an keinen Gott der Liebe glaubend"
sagte M artin gedankenvoll.
„Wir haben ihnen keinen Gott der Liebe gebracht,
rief Berchta heftig aus. „Nur von den Schrecken der
Hölle und den Qualen der ewigen Verdammnis wird ge
predigt, ihnen nur erzählt, daß ihre Sünden au ihnen
gestraft werden sollen bis ins dritte und vierte Glied.
Scheu betreten sie den Tempel des Höchsten, als ob
unsichtbare Feinde darin wachten und alle ihre Bewegun
gen beobachteten, und scheu schleichen sie ebenso an den
früher geheiligten Bäumen vorüber, weil sie auch hier
die Rache der erzürnten Götter fürchten. Das Vertrauen
ist aus ihren Herzen gewichen, und in Furcht allem
beugen sie sich vor dem Alliebenden."
„Wahr! wahr!" seufzte M artin leise, „auch i ch habe
einmal mit Mr. Löwe darüber gesprochen, wagte aber
nachher nie wieder das Thema zu berühren, so zornig
wurde er. Was konnte ich da tun?"
,,Zu m i r kommen die armen Wesen," fuhr Berchta
fort, „zu inir in Todesangst und Seelenpeiu, und fragen,
ob es denn wahr sei, daß nun ihre arme verstorbene
M utter, die ja nie das Wort des neuen Gottes gehört,
weil sie im Unglauben bis an ihren Tod verharrte, zu
den Qualen der ewigen Verdammnis verurteilt, und ob
da keine Rettung möglich sei. Ich machte meinem Gat
ten Vorwürfe — er zuckte die Achseln und sagte: er
k ö n n e den Armen keinen Trost geben, denn welch ein
Vorzug bleibe es nachher, ein Christ zu sein, wenn auch
den Heiden das Himmelreich würde?"
„Aber S i e gaben ihnen Trost?" sagte M artin
b ew eg t^
^
Mund und fester Überzeugung," rief
die junge Frau-, „ich hatte darüber einen heftigen Auf
tritt mit Fremar, aber er k a n n nicht recht haben, es
wäre ja zu fürchterlich. — Doch," unterbrach sie sich
plötzlich, „was helfen uns die trüben Bilder, die wir da
mit vor unserer Seele heraufbeschwören — lassen Sie
u n 8 wenigstens da zu mildern versuchen, wv Mr. Löwe
und selbst mein Gatte zu schroff, zu hart gegen die ar
men Eingeborenen auftreten, und ihnen statt Trost nur
Furcht und Schrecken bringen. Wann wollen Sie mit
M r. Löwe reden?"
„Ich muß Ihnen gestehen, daß ich selber mit Furcht
au den Augenblick denke," sagte der junge Missionar
scheu. „Ich weiß nicht, was er sagen wird, er bleibt
unberechenbar, und man kann nicht ahnen, von welcher
Seite er die Sache ansehen wird. Darum möchte ich
S i e bitten, verehrte Frau, vorher mit Ihrem Gatten
über mein Gesuch zu reden und ihn mir wenigstens
günstig zu stimmen. Wir wollen auch vorderhand noch
gar nichts von Tamoruvas Bedingungen erwähnen, die
sich überhaupt leicht umgehen lassen. Wenn wir nur erst
M r. Lowes Einwilligung zu der Verbindung haben, alles
andere findet sich dann leicht von selber."
„Wie sollte er sie Ihnen wehren?" sagte Berchta
freundlich; „sorgen Sie sich nicht deshalb; ich werde aucki
vorher mit Fremar reden — aber dort sehe ich schon sein
Kanoe im Binnenwasser der Riffe anrudern. Das trifft
sich günstig. Verlassen Sie mich jetzt, und ich gebe Ihnen
das Versprechen, daß ich Ih re Sache warm vertreten will.
Wie gerne möchte ich S i e wenigstens glücklich sehen!"
„Und sind S ie es nicht, M rs. Fremar?"
„Doch —- doch," erwiderte leise die Frau. „Ich
würde eine Sünde begehen, wollte ich das Gegenteil be
haupten — recht glücklich bin ich und werde es noch
mehr werden, wenn wir uns erst vollständig die Herzen
der Eingeborenen gewinnen können. Doch jetzt gehen
Sie. Bleiben S ie aber in der Nähe — wenn ich nach
her I h r Hierherkommen für nötig halte, werde ich an
jenen Orangenbaum ein Weißes Tuch binden. Bleiben
S ie in Sicht des Baumes. Habe ich erst mit meinem
Gatten gesprochen, so glaube ich auch gewiß, daß er Ihnen
sein Fürwort nicht versagen wird."
262
Während der junge Missionar oben war, hatte
Klaus unten in seinem kleinen Tabaksfeld, das ihm
Ramara Toa selber angewiesen, scharf gearbeitet und
die Raupen abgelesen, die sich hier und da auf den Blaktern der Pflanzen zeigten und diese zu zerstören drohten.
Es war hohe Zeit, daß er wieder Tabak bekam, denn
trotz aller Bestellungen, die er dem Missionskutter ge
geben, und die der König lebhaft unterstützte, brachte
dieser nie das bestellte Labsal mit. ebie Leute zinkten
dann immer die Achseln und meinten, es wäre keiner zu
bekommen gewesen.
Nun hatte allerdings Klaus noch etwas S am m bei
sich, aber immer geglaubt, er würde hier, der Hitze
wegen, nicht wachsen. Wie das aber Ramara Toa durch
einen der Eingeborenen, mit dem Klaus gewöhnlich jagte,
erfuhr, drang er augenblicklich darauf, daß der Same
ausgesäet würde, und ließ dem Deutschen noch an dem
selben Tage ein nicht zu heißes Stück Land, das dicht
am Walde lag und mit zu seinem Garten gehörte, an
weisen, gab ihm auch Leute, die ihm mit helfen mußten,
es zu bearbeiten, und kam selber oft hinaus, um nach
zusehen, ob der ausgestreute Samen nicht kommen
wolle.
.
Fremar hörte davon und suchte den Köiug zu beihinderir, dies giftige Kraut auf seiner Insel zu ziehen.
Ramara Toa erwiderte aber ziemlich richtig, daß der
„grüne Mann" den Samen gar nicht hätte mitbringen
können, wenn er nicht im Lande der Weißen gewachsen
wäre, und Sünde könne es auch nicht sein, denn der
Tabak würde ja nicht zur Ehre der alten Götter, son
dern zu der des neuen in die Luft geblasen. Er ließ sich
nicht davon abbringen, und hatte eine große Freud.-,
als die Pflanzen endlich ihre grünen Keime zeigten und
dann rasch und kräftig emporwuchsen.
Ebenso vergeblich, ihn zu einem Aufgeben des R au
chens zu veranlassen, blieben M r. Lowes Vorstellungen
heute morgen. Er nahm die Ermahnungen mürrisch
263
hin, erklärte aber dann, es sei keine Sünde, denn der
mit den Missionaren gekommene Weiße rauche den gan
zen Tag.
Klaus selber wußte recht gut, wie die Missionare
über seine Leidenschaft dachten; er hatte es oft genug
von Mr. Fremar hören müssen und konnte sich also auch
Wohl einbilden, daß sie seinen Tabaksbau nicht mit
günstigen Augen ansehen würden, kümmerte sich aber ver
wünscht wenig darum. Sein alter Baron zu Hause -—
so ein frommer Herr, wie es nur einen auf der Welt
gab — tat die Pfeife beinahe gar nicht aus dem Munde,
der Herr Diakonus hatte ebenfalls geraucht, und nun
der alte Pastor erst! Wenn man zu dem in die Stube
hineintrat, konnte man ihn manchmal vor Tabaksqualni
gar nicht finden, und wußte der nicht etwa auch, was
Gott wohlgefällig sei oder nicht?
Redensarten! Die Missionare wollten nur in
einem fort verbieten. D a s war dem lieben Gott nicht
recht, und das auch nicht, und wenn es nach ihnen ge
gangen wäre, so hätte man den ganzen lieben Tag nur
immer auf den Knien herumrutschen und beten sollen.
I h m paßte das aber schon lange nicht mehr, und seine
arme „gnädige Frau", wie er Berchta immer nannte,
die sah auch so bleich und abgemagert aus, daß es einen
Stein hätte erbarmen können. War d i e etwa glücklich
geworden? Der alte Mann seufzte tief auf — und die
Raupen ärgerten ihn ebenfalls dabei. Wo nur das
elende Gewürm alles auf einmal herkam und sich gerade
auf seine T a b a k s b l ä t t e r verbissen hatte? Man
konnte ihnen gar nicht genug auf den Dienst Passen,
und wenn er die Pflanzen nur einmal zwei Tage außer
acht ließ, hatten sie ihn: sicher schon große Löcher in die
schönsten Blätter hineingefressen.
Jetzt war er endlich fertig.
Er hatte s e i n e r
Meinung nach sämtliche Raupen auf das sorgfältigste ab
gesucht und keine einzige lebendig an den Pflanzen zu
rückgelassen, war aber trotzdem überzeugt, daß er, wenn
264 —
er übermorgen wieder nachsähe, genau so viel finden
würde, als er heute im Grimme zerdrückt und ausge
rottet. Die kleinen Bestien wuchsen ordentlich aus der
Erde heraus.
Aber er war auch bei der Arbeit müde geworden
Sie Sonne brannte doch heidenmäßig in diesem Teil der
Welt, besonders dort im Felde drin, wohin die Seebrise
nicht dringen konnte. Er ging deshalb ein paar Schritte
in den Wald hinein, wo ein Orangenbaum mit Früchten
beladen stand, schüttelte sich ein paar herunter und legte
sich dann ausruhend unter den Baum, um sie auszusaugen und sich daran zu stärken.
Dort hatte er kaum zehn Minuten gelegen, als er
plötzlich nicht eben laute Stimmen hörte, die sich mit
einander unterhielten, und rasch aufhorchend, glaubte er,
daß sie aus s e i n e m Feld heraustönten. Wer war
das, und wer hatte dort überhaupt etwas zu suchen?
Vorsichtig und vollkommen geräuschlos hob er sich
empor, und im Anschleichen an Wild von Jugend auf
geübt, kroch er, jedes raschelnde Blatt, jeden dürren
Zweig vermeidend oder aus dem Weg hebend, zum Rand
des Waldes, von wo aus er, ohne selber gesehen zu wer
den, einen freien Blick über das ganze Feld bekam. Er
brauchte nicht zu lange zu suchen, denn sein Auge siel
im Moment auf zwei Gestalten, die dort am unteren
Rand seiner Tabakspflanzung zusammen standen und
miteinander sprachen. W a s ? konnte er allerdings nicht
verstehen, denn die Unterhaltung wurde nicht überlaut
und noch dazu in der Sprache der Eingeborenen geführt,
aber die beiden Männer kannte er dafür gut genug. Es
war der Missionar Löwe und einer der mit ihm von
Laua herübergekommenen Insulaner — sein Faktotum,
Paya mit Namen, den er sich, wie Klaus meinte, voll
ständig zu allem abgerichtet hatte, wozu er ihn brauchen
wollte.
Und was hatten d i e beiden gerade bei seinem
T a b a k zu suchen? Bloßes Interesse am Wachstum
265
der Pflanzen'!? Das war nicht denkbar, denn er wußte
recht gut, daß sie der Missionar lieber ausgerottet hätte.
Oder wollten sie gar — der alte Jäger zog seine Brauen
finster zusammen, und unwillkürlich sah er sich nach
seinem allerdings in der Hütte gelassenen Gewehr um
— aber sie verließen die Stelle nicht, auf der sie standen,
und Klaus konnte nur bemerken, daß der Missionar dem
Eingeborenen etwas erklärte, was jedenfalls seinen
Tabak betraf, denn er bückte sich einmal zu einer der
Pflanzen nieder und deutete dann über das ganze Feld.
Die beiden hielten sich aber nicht lange dort auf.
M r. Löwe warf — was Klaus nicht entging, noch ein
mal den Blick umher, als ob er sich vergewissern wolle,
daß auch niemand in der Nähe wäre, und schritt dann,
von dem Insulaner gefolgt, wieder langsam der Richtung
nach dem Strande zu.
Klaus blieb, als sie schon lange den Platz verlassen
hatten, wohl noch über eine Stunde in seinem Versteck
liegen, aber es kam niemand. Das kleine Feld briet
einsam in der jetzt darauf niederbrennenden Sonne, und
kopfschüttelnd, wie mit dem Begegnen gar nicht zu
frieden, stand Klaus endlich auf, holte seine Mütze, steckte
sich noch ein Paar Orangen in die Tasche und schritt
dann der eigenen Wohnung wieder zu.
18.
M aus auf der Wacht.
Als der ehrwürdige M r. Löwe von dem Besuch des
Tabaksfeldes nach Ramara Toas Hütte zurückkehrte,
fand er den König in nicht geringer Aufregung-^denn
eben hatte ihm einer der, wie schon erwähnt, als Spion
benutzten Konstabler die Meldung gemacht, daß man
266
seinen eigenen Sohn Taori gestern nachts in einem
Haine nahe von Afaru bei einer Tanzgesellschaft ertappt
habe, und zwar sei der ehrwürdige M r. Fremar selber
unmittelbar in der Nachbarschaft gewesen und durch den
dumpfen Klang der Trommel angelockt worden.
Dadurch war ein Niederschlagen der Sache zur Un
möglichkeit; es half ihm wenigstens nichts, sie vor dem
gerade eingetrofsenen Missionar zu verheimlichen, denn
er würde es von Fremar doch natürlich selber erfahren
Haben. Er konnte ihm aber vielleicht raten, was er in
diesem Falle zu tun habe, ob er den eigenen Sohn, den
Erben des Reiches, m i t seinen Genossen zu einer ent
ehrenden Strafe verurteilen solle, oder ob er ihn frei
spreche!: dürfe, damit aber auch allerdings ein böses Bei
spiel für die übrigen geben würde.
Mr. Löwe hatte schon von seinen Dienern, die ihn
begleiteten, die rasch über die Insel ausgesprochene T at
sache gehört, und er wußte auch, daß gerade Taori das
Haupthindernis war, welches sich der Bekehrung des
Hupai-Tales, ja selbst vielleicht der vom Tuia-Tal ent
gegenstellte. Matangi Ao und Taori waren ja „Taios"*),
und erst einmal einen von ihnen gewonnen, und der
andere folgte auch sicher nach. Aber gerade Taori wider
strebte am hartnäckigsten mit unbeugsamem Stolz einer
Glaubensänderung, und v i e l l e i c h t war es gut,
diesen Stolz zu brechen.
Der Missionar war aber viel zu vorsichtig, um eine
so schwere Verantwortung aus seine Schultern zu neh
men; denn die Folgen ließen sich im Fall des Mißlingens
nicht ermessen und konnten das Verderben der ganzen
*) Ein eigener, fast über sämtliche Inseln der Südsee ver
breiteter Gebrauch, der an die Blutbrüderschast anderer Völker er
innert. I n den Krieg zogen sie gewöhnlich Arm in Arm, um damit
zu zeigen, daß sie vereint siegen oder sterben wollten, und fiel einer
der beiden, dann bestrich sich der andere mit dessen B lut und
stürzte sich in rasender Wut in das Kampfgewühl, wo er vernichtete,
w as er mit der Keule erreichen konnte, bis er selber getötet wurde.
267
Mission nach sich ziehen. Wie die Missionare überhaupt
auf a l l e n Inseln die von ihnen gewünschten Gesetze
nur so einzuführen wußten, daß die Häuptlinge immer
in dem Glauben blieben, sie selber hätten sie erlassen,
so beschloß er auch hier, nicht einmal einen Rat in der
Sache zu geben, sondern den König ganz seinem eigenen
freien Willen zu überlassen. Beispiele aus der Geschichte
durfte er ihm natürlich anführen. Rainara Toa mochte
nachher selber mit sich überlegen, wie er zu handeln
habe.
Er fand den König aus seiner Matte ausgestreckt
und den Kopf in die Hand gestützt, wie er, finster brütend,
vor sich hinschaute. Kaum bemerkte er aber den Mis
sionar, als er ihm entgegenlief:
„Weißt du es schon, Freund, was mein Sohn, der
nichtsnutzige Taori, allen unseren Geboten und Gesetzen
zum Trotz, in dieser Nacht verübt hat?"
„Ich weiß es, Ramara Toa, und mein Herz ist
traurig darüber," sagte der Missionar ernst, „es wird
schlimme Folgen für die Fortbildung des wahren Glau
bens haben."
„Schlimme Folgen — wie meinst du das?" fragte
der König rasch.
„Sie werden sich jetzt alle darauf berufen, daß sie
ihre heidnischen Tänze ungestraft wieder aufnehmen
können."
„Ungestraft? Und wer sagt dir, daß Taori unge
straft bleibt?"
„Er ist dein Sohn — der künftige König."
Wieder schwieg Ramara Toa und sah brütend vor
sich nieder.
„Er ist mein Sohn," sagte er endlich, „ja, aber er
verbündet sich gegen seinen Vater mit dessen Feinden.
M atangi Ao ist mein schlimmster Feind, und Taori sein
Blutbruder."
„Aber M atangi Ao hat deine eigene Tochter zum
Weibe!"
268
„Und trotzdem," rief Ramara Toa emporfahrend,
„trotzdem will er die Macht von deren Vater nicht an
erkennen! Aber meine Geduld ist erschöpft! Bei deinem
Gott, Mitonare, länger duld' ich den Trotz nicht, der
mir entgegensteht, und wenn sich M atangi Ao nicht gut
willig fügt, so —
Er schwieg und ballte fast krampf
haft die rechte Faust.
„Matangi Ao wird zürnen, wenn er hört, daß du
seinen Freund bestraft hast, und noch dazu mit öffent
licher Arbeit."
„Mit öffentlicher Arbeit?"
„So lautet wenigstens das Gesetz; aber du bist
König und kannst es ändern. Die Häuptlinge werden
nicht von dir verlangen, daß du deinen eigenen Sohn so
hart bestrafst."
.
„Aber ich muß gerecht richten!" rief der König.
„Kamehameha hat, wie du mir oft gesagt, das nämliche
getan."
Der Missionar antwortete nicht, sondern zuckte nur
mit den Achseln, und Ramara Toa fuhr nach einer Weile
düster fort:
„Dort liegt das dicke Buch, das du mit zu uns her
übergebracht; was steht darin über einen solchen Fall?"
„Kennst du nicht die Geschichte Christi?" sagte Löwe.
„Gott selber ließ ihn, den eigenen Sohn, sterben für
das Wohl der Menschheit. Aber auch noch ein anderer
Fall steht darin. Als Gott von einem der Erzväter, von
Abraham, forderte, daß er seinen eigenen Sohn ihm
opfern solle, um seinen Gehorsam zu prüfen, nahn: er
ihn und hob schon das Messer, un: ihn zu töten, als
ihn die Hand eines Engels daran verhinderte. Und der
Engel sprach," fuhr er fort, während er die Übersetzung
der betreffenden Stelle aufschlug und ablas: Ich habe
bei mir selbst geschworen, spricht der Herr, dieweil du
solches getan hast und deines eigenen Sohnes nicht geschonet, daß ich Leinen Stam m segnen und mehren will,
wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Ufer
269
des Meeres, und dein Stam m soll besitzen die Tore deiner
Feinde — "
„Ha!"
„Und durch deinen Stam m sollen alle Völker der
Erde gesegnet werden, darum, daß du meiner Stimme
gehorchet hast."
„Das steht dort in dem heiligen Buch?"
„Hier kannst du dir es selber von Einua vorlesen
lassen — an dieser Stelle da!"
„Also Gott b e f i e h l t es?"
„Nein, Ramara Toa," sagte M r. Löwe ruhig; „er
hat es n ic h t befohlen, nur prüfen hat er den Abraham
wollen, und wenn er die Prüfung nicht bestanden hätte,
würde er ihm auch Wohl nicht einmal gezürnt haben,
denn sie war doch zu schwer, und wenige Menschen sind
stark genug, solche Gewalt über sich zu besitzen."
„Und was wurde aus Abraham?"
„Er starb im späten Alter, reich und geehrt, und
durch seinen Stam m wurden, wie es ihm Gott dersprachen hatte, alle Völker der Erde gesegnet."
Wieder schwieg der König und sah eine lange Weile
vor sich nieder; endlich sagte er:
„Rate du mir, Mitonare, was würdest du an
meiner Stelle tun?"
„Das kann ich nicht, Ramara Toa, ich weiß nicht, wie
ich selbst an deiner Stelle handeln würde. Ich weiß
wohl, was recht ist: das nämlich alle Menschen vor dem
Gesetz gleich sein sollten, aber ich weiß nicht, ob ich als
Vater mein eigenes Kind verurteilen könnte und würde,
wenn ich auch voraussähe, daß es einen wohltätigen Ein
fluß auf das ganze Volk und meine Macht ausüben
würde. Das Herz des Menschen ist ein schwaches, zag
haftes Ding, und wir können nicht einstehen dafür, ob
wir es manchmal auch Wohl wollten. Gott wird dir
n ic h t zürnen, wenn du auch den Knaben unbestraft
läßt."
-
270
„Aber er wird mich auch nicht mächtig machen?"
fragte der Häuptling, in dessen Hirn eine Masse von
verworrenen Bildern arbeiteten und einander kreuzten.
„Und was liegt an der Macht," sagte Löwe ruhig,
„wenn du den wahren Glauben hast und durch ihn zu
dem himmlischen Reich eingehst? Aber das ist keine
Sache, in der i ch dir raten kann oder darf. Das mußt
du mit deinem eigenen Gewissen und deinen Häuptlingen,
den Richtern deines Volkes, bereden. Ich bin mit meinen
Brudern nur hierher gekommen, euch die reine Lehre
Gottes zu bringen. M it euren Gesetzen habe ich nichts
zu schaffen, als daß ich sie selber befolgen muß und von
dir auch bestraft werden würde, wenn ich sie überträte.
D u bist König."
Und das Buch zurück auf die Matte legend, neigte er
sich vor Ramara Toa und überließ diesen seinen eigenen
Zweifeln und Entschlüssen.
M r. Löwe schritt langsam und sehr mit der Art zu
frieden, wie er sich hier aus einer schwierigen Lage ge
zogen, am Strand entlang und der Höhe zu, auf welcher
M r. Fremars Hütte stand. Er hatte nach diesem geschickt
gehabt, aber er war nicht gekommen, und er wollte jetzt
selber sehen, was ihn abgehalten haben könne; denn daß
er von Afaru zurück sei, wußte er gewiß. Was war also
da vorgefallen? Stand es vielleicht mit dem Vergehen
Taoris in Verbindung?
Das war allerdings, wie er bald darauf fand, nicht
der Fall; aber er traf M r. Fremar mit seiner Frau in
ernstem, fast heftigem Gespräch, und beide schienen darin
eine vollständig entgegengesetzte Meinung zu verfechten.
„Entschuldigen Sie mich, Bruder Löwe," sagte Fre
mar, wie der Missionar nur die Höhe erreichte, „aber
eine ernste, sehr ernste Sache ist vorgefallen, die ich eben
mit meiner F rau besprach, und in welcher Sie allein ein
entscheidenes Wort sprechen können."
„Sie meinen Taori?"
271
—
„Nein, sicher nicht: ich habe nicht an ihn gedacht,
denn d i e Sache können wir wohl als abgemacht be
trachten. Ram ara Toa wird seinen eigenen Sohn und
den Thronerben nicht dazu verurteilen wollen, an der
Straße zu arbeiten."
„Und was meinen Sie sonst?"
„Es betrifft den Bruder M artin, der meiner Frau
vorhin ein höchst wichtiges Bekenntnis abgelegt hat."
„Ihrer Frau? Und bin ich nicht mit ihm den gan
zen Weg vom Hupai-Tal herübergekommen? Was an
ders kann er Ihnen gesagt haben, als was wir nicht
ebenfalls zusammen besprochen?"
„Hat er Ihnen denn von seiner beabsichtigten Heirat
erzählt?"
„Von s e i n e r Heirat?" rief Mr. Löwe rasch.
„Nein, kein Wort. Aber wie kommt der junge Mann
je t z t darauf? Er mutz doch warten, bis auf ihn die
Reihe fällt."
„Er will eine Eingeborene zur Frau nehmen."
„Ein höchst unpassender Scherz, den er sich mit Ihnen
gemacht hat, Bruder Fremar," sagte der Missionar ernst
und seine Brauen finster zusammenziehend, „denn daß
ein solches Ding in der Mission unmöglich ist, muß er
doch gut genug wissen."
„Aber weshalb, M r. Löwe?" rief Berchta, die jetzt
nicht länger an sich halten konnte; „ist das eine Sünde,
wenn er ein junges Mädchen recht von Herzen liebt und
sie zu seiner Frau machen will?"
„Wie S i e die Frage stellen, n e i n , Schwester
Berta," sagte der Missionar ruhig, oder auch i ch wäre
dieser Sünde teilhaftig; aber die Frage steht anders: ist
es durch die Missionsgesellschaft überhaupt gestattet, daß
einer der Missionare eine Tochter des Landes oder der
Eingeborenen, mit denen er selber in geistigem Verkehr
steht, heiratet? Und die Antwort darauf lautet ent
schieden: Nein. Es ist n ic h t gestattet."
272
„Aber weshalb nicht?"
„Weshalb nicht!" sagte Bruder Löwe förmlich er
staunt, daß er, wenn er einen Ausspruch tat, auch noch
um die Ursache dazu gefragt werden durfte; aber er
erwiderte dennoch: „Ich könnte Ihnen einfach sagen,
Schwester Berta, weil es die Gesellschaft nicht für gut
und nützlich befunden hat, und wir müßten uns dann
schon mit dem Grund zufriedenstellen; aber ich bin auch
imstande, Ihnen die Beweggründe anzugeben, welche die
Gesellschaft dazu leiteten, und S ie werden mir dann
gewiß beistimmen, wenn ich sage, sie waren notwendig
und gerecht. Es hatte sich nämlich im Lause der Jahre
herausgestellt, daß die mit den Töchtern der Eingebore
nen geschlossenen Verbindungen in den meisten Fällen sehr
leichtsinnig, und ohne die Folgen zu bedenken, einge
gangen und später wieder gelöst wurden. Allerdings
geschah das nur meistens, und ich kann Wohl sagen fast
ausschließlich, von Laien, doch fiel es auch einige Male
unter den Brüdern vor und gab dann, wie S ie mir
zugestehen müssen, ein sehr, sehr böses Beispiel. Nicht
weil wir die Eingeborenen, wenn sie sich selber durch
Fleiß und Willenskraft zu einer höheren geistigen Stufe
erheben, als eine uns untergeordnete Rasse betrachten,
sondern um vielmehr einen näheren Verkehr zwischen
ihnen und ihren Lehrern, wie nur als Schüler und
Unterrichtende, vollständig unmöglich zu machen, ist das
Verbot erlassen wird, soviel ich weiß, den einzelnen
Individuen sogar als unerläßliche Bedingung mitgeteilt,
sobald sie auf eine S tation abgehen."
„Aber ein solches Gesetz," sagte Berchta, „ist doch
jedenfalls nur und gewiß in der besten Absicht erlassen
worden, um Mißbrauch zu verhüten, und ich gestehe
selber ein, daß ich es für gut halte. Aber sollte es denn
nicht möglich sein, in irgend einem besonderen Falle, wo
sich herausstellt, daß eine wirklich herzliche und aufrichtige
Neigung zwischen beiden Parteien stattfindet, Dispensativn davon zu erhalten, zum Beispiel, wenn die auf
273
der nämlichen Insel mit ansässigen Geistlichen es befür
worten?"
„Nein," sagte M r. Löwe trocken, „außerdem würde
ich für meine Person auch nie ein solches Gesuch begün
stigen, ebensowenig wie ich glaube, daß es Bruder Fremar tun würde."
„Nein," sagte dieser entschlossen, „und das war es
gerade, was ich vorhin mit Berta besprach. Sie nimmtihrem guten Herzen gehorchend und ohne dabei die Fol
gen zu bedenken, ohne weiteres P artei für den verblen
deten Bruder M artin; aber gerade diese Folgen einer
genauen Verwandtschaft seitens der Missionare mit ein
zelnen Familien der Eingeborenen lassen sich gar nicht
übersehen, und eine solche Verbindung kann deshalb auch
unter keiner Bedingung gestattet werden."
„Ganz genau meine Meinung," nickte Bruder Löwe
mit dem Kopfe, „es wird schon genug draußen in der
Welt Falsches und Boshaftes über die Missionen und
Missionare verbreitet, wir können und dürfen ihnen nicht
durch irgend eine zweideutige Handlung den Griff irgend
einer Waffe selber in die Hand geben, also auch nicht
einmal ein solches Gesuch befürworten. Außerdem bildete
es nachher einen Präzedenzfall, der nachteilig auf sämt
liche Misstonen wirken würde. Darf ich übrigens er
fahren, in w e l c h e r Familie Bruder M artin so genau
bekannt geworden ist, um daselbst die Einwilligung der
Eltern zu erlangen?"
„ I n der Familie des Häuptlings Tamoruva," sagte
Berchta, „eines der einflußreichsten Männer des ganzen
Hupai-Tales."
„ I n der T at?" sagte der Missionar, doch etwas er
staunt, „und hat der alte Häuptling wirklich seinen Zu
tritt zu unserer Kirche erklärt? — Aber soviel ich mich er
innere, versicherte mir Bruder M artin unterwegs gerade
das Gegenteil."
„Der Häuptling selber," meinte Berchta, „würde sich
dadurch auch Wohl kaum beeinflussen lassen."
F r. G ersiiicker, Die Missionare.
18
—
274
—
„Also das glauben S ie selber, Schwester Berta, und
was meinen S ie Wohl, datz unser srommer Vorstand
daheim nur allein zu einem solchen Borschlag sagen
würde? Nein," setzte er rasch und entschieden hinzu,
„dieser Umgang des Bruder M artin mit dem heidnischen
Hause mutz augenblicklich abgebrochen werden. Der E r
folg, den wir bis jetzt im Hupai-Tal gehabt, war nur
ein sehr geringer, möglich auch, datz unser junger Freund
weniger eifrig in der Erfüllung feines Berufes gewesen,
weil andere Gedanken sein Hirn kreuzten. Das mutz
ungeschehen gemacht werden, und ich werde selber von
jetzt an die Mission im Hupai-Tal von Tuia aus lecken,
während Bruder M artin, bis ich nicht an Bruder Rosbane geschrieben und seine Versetzung auf eine andere
Insel bewilligt erhalten habe, nach Afaru ziehen mag.
Das kleine, volkreiche T al von Afaru zeigt sich in der
Entwicklung des christlichen Glaubens bis jetzt höchst
interessant. Es ist sogar der einzige Platz auf der ganzen
Insel, an welchem sie freiwillig ihre sämtlichen Götzen
bilder selber vernichtet haben, und er hat dort nur in
dem vorgearbeiteten Geleis fortzufahren, um uns den
vollständigen Sieg zu sichern. Wo ist Bruder M artin
jetzt? Wir müssen ohne weiteres mit ihm sprechen, denn
andere, weit wichtigere Dinge werden in der nächsten
Zeit unsere Aufmerksamkeit vollständig in Anspruch
nehmen."
„Armer junger Freund," seufzte Berchta, dre jetzt
wohl gut genug die Hoffnungslosigkeit weiterer Ein
würfe fühlte, „er ist hier ganz in der Nähe und wartet
auf ein bestimmtes Zeichen, das ich ihm geben soll, um
seinen Urteilsspruch von Ihren Lippen zu hören."
„Der beste Beweis für ein böses Gewissen," sagte
M r. Löwe ruhig, „bitte, rufen S ie ihn, Schwester Berta,
denn diese Sache mutz rasch und entschieden geordnet und
jeder Versuch, die Gesetze der Mission zu umgehen, augen
blicklich im Keim erstickt werden. Es stellen sich uns
gerade genug Hindernisse schon von nutzen entgegen; wir
—
275
—
dürfen uns nicht auch noch im In n ern zersplittern nnd
dem Feinde Vorschub leisten."
Berchta ging hinaus und knüpfte ein weißes Tuch
an einen der Orangenzweige, die nach deni östlichen Teil
der Insel, gegen Afaru hin, sichtbar waren. Es dauerte
auch nicht lange, so sah sie M artins dunkle Gestalt auf
dem hellen Korallensand heranschreiten.
Er hatte sich in einer der unteren Hütten aufge
halten, und wie ihm das Herz klopfte, als er die kleine
Hütte Hinanstieg! Aber was hatte er zu fürchten?
Wollte und verlangte er irgend etwas Unrechtes? J a ,
bot diese Heirat nicht der Mission schon eine Bürgschaft,
daß er nun sein ganzes Leben lang treu und unermüdlich
bei ihr aushalten und alle seine Kräfte dem Wohl der
insulanischen Stämme weihen würde? Der Entscheid
mußte ja günstig für ihn ausfallen. Er sollte sich sehr
enttäuscht sehen.
Berchta hatte sich zurückgezogen, es war ihr zu
schmerzlich gewesen, ihm zu begegnen und die erste zu
sein, die all seine blühenden Hoffnungen zerstörte, und
M artin schritt deshalb, aufgeregt zwar, aber doch fest
entschlossen, Fremars Wohnhaus zu und betrat dasselbe.
Aber schon der erste Blick, den er auf Mr. Lowes finstere,
unheilverkündende Züge warf, zeigte ihm, w a s er zu
erwarten hätte. Dieser ließ ihn auch nicht lange im
Zweifel, und ohne selbst seine Anrede abzuwarten, sagte
er ruhig und bestimmt mit seiner etwas scharfen Stim me:
„Bruder M artin, ich bedauere recht von ganzem
Herzen, daß Sie Ih ren Beruf so weit verkannt haben,
um uns mit einer Bitte anzugehen, die wir Ihnen nun
und nimmer erfüllen könnten, selbst wenn wir S ie selber
in einer solchen Sache — was aber entschieden n ic h t
der Fall ist — unterstützen wollten — "
„Mr. Löwe!" rief M artin erschreckt aus, der Mis
sionar aber fuhr kalt und unerbittlich fort:
„Sie haben gefordert, daß wir für Sie bei der Mis
sionsgesellschaft die Erlaubnis zu einer Verbindung mit
18»
276
einer Tochter des Landes einholen sollten, deren Eltern
noch dazu hartnäckig in ihrem blinden Heidentum ver
harren. Aber das letztere würde sogar keinen Unterschied
machen, denn wäre selbst die ganze Familie zur chrrstlichen Kirche übergetreten, so dürften S ie sich als christ
licher Missionar nie und nimmer mit einem eingeborenen
Mädchen verehelichen. Die Gesetze sind darin genau und
bestimmt, und ich hätte eigentlich vermuten müssen, daß
sie Ihnen nicht unbekannt sein könnten."
„Mr. Löwe —"
^
„Es steht Ihnen keine Einrede zu, unterbrach ihn
streng der Missionar. „Schon durch das ausgesprochene
Verlangen haben S ie gefehlt, und es bleibt ^hnen jetzt
nichts weiter übrig, als durch I h r künftiges Betragen zu
zeigen, daß Sie den begangenen Fehler einsehen und
sich gründliche Mühe geben wollen, ihn zu verbessern. Sie
werden morgen in aller Frühe — nicht mehr heute abend
— nach Hupai-Tal zurückkehren, dort augenblicklich ^hre
Sachen zusammenpacken und meinen Trägern, die L>ie
zu dem Zweck begleiten werden, übergeben, auch keinen
Verkehr dort mehr mit dem Hause von Tamoruva halten
iind dann ohne weiteres und an dem nämlichen Tag
wieder hierher zurückkehren, von wo aus Sie sich dann
mittels eines Kanoes nach Afaru begeben. Daß ^hnen
dort eine Wohnung zur Verfügung gestellt wird, werde
ich noch heute mit Ram ara Toa bereden, und Afaru ver
lassen S ie nicht wieder, ohne vorher von mir eine ganz
bestimmte Order empfangen zu haben.
Der junge Missionar stand wie betäubt. Schlag
auf Schlag folgte eines dieser Donnerworte dem anderen
— Schlag auf Schlag trümmerte es feine Hoffnungen
zu Stücken, und Nacht lag um ihn — tiefe, öde Nachsi
Wo er in ein ParobieA AU treten glaubte. 8 r wogte auch
in dem Augenblick keine Einrede; er sah Wohl, wie durch
einen flimmernden Schein, daß Berchtas Augen in war
mem Mitleid an ihm hingen, aber die Wände fingen an
sich mit ihm im Kreise zu drehen, und betäubt, vernichtet
—
277
—
taumelte er hinaus ins Freie, in den Wald, barg dort
sein Haupt an der Wurzel einer Palme und schluchzte
laut. --_____
Taori, der Sohn Namara Toas, war noch in Afarn,
aber M r. Löwe wußte recht gut, daß heute nachmittag
die Häuptlinge über ihn zu Gericht sitzen würden, und
vermied deshalb, ihnen zu nahe zu kommen. Er mochte
nicht mit in eine Sache verwickelt werden, die, falls sie
nnglücklich gegen den Königssohn ausfiel, jedenfalls bei
den Eingeborenen ein häßliches Licht auf ihn geworfen
hätte. Die „Richter des Volkes" mochten unter sich ent
scheiden, die Verantwortlichkeit kam dann auf i h r Haupt
— nicht auf das seine.
Als er Fremars Haus verließ, um unten am Strand
irgend eine Familie zu besuchen, bemerkte er vor seiner
Hütte den alten Jäger Klaus, der dort seine Flinte ge
waschen hatte und sie eben wieder zusammenschraubte.
Klaus wußte, daß ihn der Missionar nicht leiden konnte,
aber er kümmerte sich wenig genug darum. S ie beide
hatten miteinander doch nichts zu tun, und der Mann
durfte ih m wenigstens nichts befehlen.
Mr. Löwe blieb vor Klaus stehen. Er hatte davon
gehört, daß sich der alte, wunderliche Bursche eine eigene
Sprache gebildet, vermittelst welcher er mit den Einge
borenen ganz ungestört verkehrte, und wenn er ihn,
auch nicht besonders viel religiösen S in n zutraute, in
teressierte er ihn doch insoweit, um wenigstens ein PaarWorte an ihn zu richten.
^
„Nun- mein Freund," sagte er in englischer Sprache,
„es soll wohl wieder ein Jagdzug vorbereitet werden?"
„Du kannst zu Grase gehen und mir den Hobel ausblasen," nickte der alte Jäger vor sich hin.
Löwe verstand natürlich kein Wort von dem, was
er sagte, aber er vermutete, daß es eine bejahende Ant
wort aus seine Frage wäre, und fuhr weiter fort:
„Ist denn viel Wild in den Bergen?"
278
Klaus wußte jetzt uichts weiter, was er ihm sagen
könnte. Was ihm aber die ganze Zeit in den Gedanken
gelegen hatte, war sein Tabaksacker, und in der festen
Meinung, daß der Missionar auch von nichts weiter
sprechen könne, sagte er trocken:
,
„Komm du mir nur die Nacht dahin, und wenn rch
dir nicht die Hosen voll schieße, so will ich nicht Klaus
Vetter heißen."
Der Missionar verstand kein Wort davon, und ihm
freundlich zunickend, schritt er langsam den Hang hinab.
Klaus beendete indessen ruhig seine Arbeit; er hatte
sein Gewehr, das in den letzten feuchten Tagen vielen
Rost angesetzt, wieder vollkommen imstande, und lud es
jetzt, da er es richtig ausgetrocknet Wußte, frisch. Aber
er holte einen ganz besonderen und bis jetzt noch nicht
angebrochenen Schrotbeutel hervor, der ganz fernen
Schrot enthielt. Damit versah er die beiden Läufe sorg
fältig, lehnte seine Flinte dann an einen Baum und legte
sich ruhig in den Schatten nieder, um einen kleinen
Mittagsschlaf zu halten. Die Sonne war aber noch
wenigstens eine volle Stunde hoch, als er wieder erwachte,
und nun, ohne sich irgend weiter um Fremars Haus zu
bekümmern, sein Gewehr über die Schulter hing, und
nicht etwa den Pfad nach dem Strande einschlug, son
dern geraden Weges in den Wald hineinbrach und sich
dort langsam einer bestimmten Richtung zuarbeitete.
Es war auch keine Gefahr vorhanden, daß er sich etwa
verirren könne, denn er kannte dazu die Gelegenheit
zu genau, aber langsam, durch alle Dickichte und Schling
pflanzen suchte er sich seinen Weg talab, bis er endlich
die Gegend erreichte, in welcher sein Tabaksfeld lag.
Dort umging er den Platz, sah aber zu seiner Be
friedigung, daß ihn niemand wieder betreten hatte. Die
Pflanzen, die in der Sonne ihre Blätter niederhingen,
richteten sich jetzt, da der Schatten des Waldes auf ihnen
lag, wieder empor, und das Feld stand in einer wahren
Blütenpracht.
279
Klaus hatte aber einen Verdacht gefaßt. Der Ein
geborene von Laua, der den Missionar heute über Tag
begleitete, war, wie er recht gut wußte, ein getreuer und
zu allem gebrauchender Diener seines Herrn — s e i n e r
Meinung nach also ein nichtsnutziger und ganz gemeiner
Bursche. Was hatten nun die beiden da zu tun? Nichts
als einen P lan zu schmieden, um seine Arbeit zunichte
zu machen, und. das zu zerstören, was, wie er recht gut
wußte, dem Missionar ein Dorn im Auge war, sein
Tabaksfeld. Ruinierten sie ihm aber die Pflanzen, so
war er mit seinem Rauchen vollständig an die Lust
gesetzt, da er nicht ein Korn seines Samens zurückbehalten
hatte, und was lag daran, wenn er setzt ein paar Nächte
opferte, — wenigstens so lange, als sich der Prediger
mit seinen Helfershelfern in der Nähe befand — um
sein Feld zu bewachen und Unheil von ihm abzu
wenden.
So vorsichtig ging er aber zu Werke, daß er sich
kaum einen Moment draußen im offenen Felde zergte.
AIs er sich überzeugt, daß seinem Tabak wenigstens bis
jetzt noch kein Leid geschehen, hielt er den Rand der
Dickung, suchte sich einen Platz aus, wo er das ganze
Feld genau überwachen konnte, und legte sich nun, be
haglich seine Pfeife dabei rauchend, unter einem jungen
Mangobaum so in den Schatten nieder, daß er von da
draußen aus gar nicht bemerkt werden konnte, aber trotz
dem imstande war, alles zu beobachten, was sich auf dem
Felde zeigen würde.
Dabei begünstigte ihn der Mondschein, denn der
Mond stand voll am Himmel, von Sonnenuntergang
an. Und lag er hier nicht ebenso bequem und warm, wie
droben in seinem Bett, einer M atte aus den harten
Boden ausgebreitet, an die er sich aber trotzdem schon
lange gewöhnt?
Die Sonne ging unter und der Mond auf. Der Tau
blitzte auf den breiten, hellgrünen Blättern der Tabaks
pflanzen, und die hochstämmigen Palmen warfen Wunder-
280
liche Schatten über den weiten Plan — aber alles blieb
still. I m Walde zwitscherten und flöteten einzelne
Vogel, und die Grillen zirpten ihr monotones Lied da
zwischen, während draußen in der See die ewige B ran
dung gegen die Korallenriffe rollte und ihren Donner
bis hier heriibersandte.
Klaus wurde schläfrig. Die Pfeife war ihm aus
gegangen, und die Augen fielen ihm zu. Er merkte,
daß es ihm anfing schwer zu werden, munter zu bleiben,
und er kämpfte gewaltsam dagegen an; aber es half
nichts. Das gleichförmige Donnern der Brandung übte
besonders feinen betäubenden Einfluß auf ihn aus, und
wenn er sich auch aufrichtete und seinen Rücken gegen
den Stam m des Baumes lehnte, an dem er bis fetzt ge
legen, so genügte das nur, um ihn ein paar Minuten
länger munter zu halten, dann wiederholte sich derselbe
Prozeß, und wie der Mond am Himmel höher und höher
stieg, sank sein Kopf immer tiefer auf die Brust hinab
und er schlief endlich sanft und süß.
Wie lange er so gelegen, mußte er nicht; aber wenn
er auch nicht imstande gewesen war, sich munter zu er
halten, arbeitete doch sein Geist indessen rüstig fort,
und im Traum sah er plötzlich einen Schwärm von
Menschen, der über fein Tabaksfeld herfiel, die Pflanzen
sämtlich mit der Wurzel aus dem Boden riß, sie dann
auf einen Haufen mitten im Felde zusammenschichtete
und dort verbrannte. Dabei führten sie einen ihrer heid
nischen Tänze auf, und bei dem wilden Geheul, das sie
dazu erhoben, fuhr er plötzlich erschreckt empor, riß die
Augen weit auf und sah erstaunt umher. Wußte er
doch im Anfang selber nicht, wo er sich gerade befand,
und er brauchte wirklich einige Zeit, um sich den Zweck,
weshalb er hier die Nacht im Walde lagerte, wieder klar
vor die Seele zu führen.
Er rieb sich die Augen aus und sah sich um. Alle
Wetter! er mußte wenigstens ein paar Stunden fest ge
schlafen haben, denn der Mond war ein tüchtiges Stück
281
am Himmel hingerückt und stand jetzt hoch und schien
voll und klar auf das Feld nieder.
„Hol's der Teufel!" brummte der alte Bursche leise
vor sich hin. „Die Mühe hättest du dir ersparen können,
denn die feigen Halunken trauen doch dem Frieden nicht
und werden sich hüten, mir in den Fang zu laufen. Ich
denke, es ist das Beste, ich gehe zu Bett, denn wenn sie
überhaupt noch heute nacht kommen wollten, wären sie
schon lange da."
Er richtete sich — aber nach alter Gewohnheit immer
langsam und geräuschlos — empor, damit er das ganze
Feld vollständig übersehen konnte. Der Mond schien fast
mit Tageshelle, und nur auf die eine Ecke seines Tabaks
feldes fiel noch der Schatten einiger hoher Bäume. Er
selber hatte den Schlaf auch noch nicht einmal vollständig
abgeschüttelt. Halb träumend saß er da und stierte über
die lichten, aber leeren Reihen. Und wie still der Wald
lag! Von den Vögeln war nichts mehr zu hören, nur
draußen an den Riffen donnerte die Brandung — und
dort — in dem Moment war er völlig munter geworden
—- dort, gerade am Rand des Schattens bewegte sich eine
dunkle Gestalt. Wie er sich aber mit der Hand rasch
über die Augen fuhr, denn er konnte Traum von Wachen
noch nicht klar unterscheiden, erkannte er jetzt deutlich
ein menschliches Wesen, das gebückt zwischen seinen
Pflanzungen umherging und in dem Felde da draußen
— darüber konnte kein Zweifel mehr herrschen — einer
eifrigen und stillschweigenden Beschäftigung oblag.
„Alle Teufel," brummte Klaus in den Bart, indem
er unwillkürlich nach der neben ihm liegenden Flinte
griff, „was ist das? Das ist doch ein Mensch!" Er
richtete sich etwas empor und schaute schärfer hinüber:
es ließ sich nicht mehr verkennen. Es war in der T at
eine Gestalt — jedenfalls ein Eingeborener, der hier
gebückt die Reihen seines Feldes hinabschritt und sich zu
jeder Pflanze niederbeugte. Da war Unheil im Werke:
daß hier niemand bei Nacht herauskam, um feinen Tabak
282
zu P f l e g e n , wußte er gut genug; er konnte das
faule Gesindel nicht einmal am Tag dazu bringen, ihm
zu helfen, alfo was fönst? Steckte der Missionar da
hinter, der ihm seine Tabakszucht verderben wollte?
Jedenfalls, denn wenn ihm jetzt die sämtlichen Pflanzen
eingingen, so war es allerdings mit feinem Rauchen
vorbei.
Der alte Jäger wurde sich dessen aber kaum klarbewußt als auch der alte Grimm in ihm erwachte.
„Warte, Kanaille!" zischte er zwischen den Zähnen durch,
und seine Flinte aufgreifend, spannte er geräuschlos
den Hahn derselben. Der Besuch — wer es jetzt auch
sein mochte, und wenn es der Missionar selber gewesen
wäre — befand sich am anderen Ende des Feldes, etwa
fünfzig Schritt von der Stelle entfernt, in welcher er
selbst im Hinterhalt lag. I n diesem Augenblick war er
ihm gerade gegenüber, so dah er ihn nur von der Serie
hätte fassen können. Das wollte er aber nicht, denn
er mochte keinen Mord begehen, und daß seine Flinte
scharf schoß, wußte er gut genug — er mußte noch
warten. Jetzt hatte der geheimnisvolle Nachtwandler
noch etwa zehn oder zwölf Pflanzen passiert, und Klaus
konnte es nicht entgehen, daß er sich mit jeder einzelnen
beschäftigte. Nun aber zeigte er ihm auch das Rucktml,
aber nur noch auf kurze Zeit; denn wenige Schritte
weiter, und er hatte das Ende erreicht und kam dort
nicht allein wieder in den Schatten, sondern mußte sich
auch aufs neue gegen ihn umdrehen. Da war keine Zeit
mehr zu verlieren, der alte Jäger kannte seine Distanz:
er hatte Vogeldunst in beide Läufe geladen, und wie er
sich jetzt aufrichtete und den Lauf seiner Flinte weit ge
nug hinaus aus den Büschen schob, damit das Mondlicht
auf das Korn fallen konnte, suchte er mit diesem die
dunkle Gestalt und drückte, als er sie etwa in der M itte
hatte, ab.
^
Das war ein Sprung und Schrer fast zu gleicher
Zeit wie nur der Donner des Schusses durch den Wald
283
schallte, und als sich der Rauch verzog, war auch uicht die
S p u r einer menschlichen Gestalt mehr in dem Feld zu
sehen. Aber durch die Büsche prasselte es, als ob ein
angeschossener Vierzehnender hindurchgekrochen wäre.
Doch auch dies dauerte nur eine kurze Weile, dann war
alles wieder still, und wenige Sekunden später, während
der Pulverrauch noch langsam über die Tabakspflanzen
hinzog, lag der offene, mondbeschienene P lan wieder so
ruhig, als ob ihn noch nie eines Menschen Fuß be
treten hätte.
Klaus horchte iu die Nacht hinaus. Nur das Don
nern der Brandung tönte noch herüber, und still vor sich
hin lachend, während er den Kolben vor sich auf den
Boden stieß und den abgeschossenen Lauf, schon aus alter
Gewohnheit, wieder lud, lachte er:
„Sieh 'mal an, wie der Bursche springen konnte —
muß aber auch einen heillosen Schreck gekriegt haben —
und wie ihm die Hosen brennen werden! Muß doch
jetzt aber auch einmal zusehen, was er hier im Feld
gemacht hat — Gutes wahrhaftig nicht, so viel bleibt
sicher. Der kommt übrigens nicht wieder, und ich werde
morgen Ratzel einmal ausschicken, daß mir der revidier
wer der Bursche war, und wo er eingekrochen ist." Ratzel
nannte er nämlich einen der Insulaner, Raise mit
Namen, der oft mit ihm jagte und eigentlich als fern
Taio auf der Insel galt; die beiden waren wenigstens
immer unzertrennlich.
I n laute Flüche und Verwünschungen brach er über
aus, als er den unteren Rand des Feldes erreichte und
dort die Verwüstung sah, die der schurkische Nachtbesuch
anzurichten begonnen hatte, und hätte er die Nacht nicht
gewacht, so durfte er sich darauf verlassen, daß er am
nächsten Morgen keine Pflanze mehr übrig gefunden, ^m
ersten Moment sah er allerdings gar nichts, als daß
einige der Pflanzen eine etwas schräge, ungewohnte
Stellung hatten. Wie er aber mir die erste berührte,
fiel sie um, und als er sie jetzt heraushob und naher
284
untersuchte, sah er, daß sie mit einem Messer in der Erde,
wie man einen Spargel hebt, eingeschnitten sei, also
für morgen früh vielleicht noch ihr gesundes Aussehen
behalten hätte, dann aber, sobald der S a ft auslief,
rettungslos und für immer verloren war.
Einige vierzig Pflanzen fand er auf diese Art
ruiniert; das aber war doch nur ein geringer Teil des
Ganzen, und er fühlte sich jetzt ziemlich sicher, daß er
durch den Schuß solch' ähnlichen heimtückischen Versuchen
einen kräftigen Riegel vorgeschoben habe. Übrigens be
schloß er, jedenfalls Ramara Toa selber am nächsten
Morgen hierheraus zu führen und ihm zu zeigen, was
man vorgehabt. Daß der dann ein Donnerwetter los
ließ, darauf konnte er sich fest verlassen, denn das Ge
deihen des Tabaks lag ihm selber am Herzen.
Damit und mit feiner Nachtarbeit außerordentlich
zufrieden, auch fest überzeugt, daß er jetzt nichts mehr
für seine Pflanzen zu befürchten hatte, warf er ferne
Flinte über die Schulter und schlenderte durch den Wald
feiner eigenen Hütte wieder zu.
19.
T a o r i.
Am nächsten Morgen war Bruder M artin, gehorsam
dem von seinem Vorgesetzten erhaltenen Befehl, mit
Tagesanbruch zum Abmarsch nach dem Hupai-Tal ge
rüstet. Ein Aufenthalt fand aber statt, denn Paya, der
treueste Diener des Missionars, war plötzlich in der Nacht
krank geworden und konnte nicht von feiner Matte auf
stehen, und Bruder Löwe fand Veranlassung, jetzt selber
seinen Entschluß zu ändern, der ihn sonst noch einige
Tage in Motua-Bai gehalten hätte. Er wollte nämlich
nach Afaru hinüberfahren, und wie er Fremar sagte.
286
geschah das besonders aus dem Grunde, um dem Verhör
aus dem Wege zu gehen, das wahrscheinlich heute morgen
über den in der Nacht zurückgekehrten Taori abgehalten
würde. Er ersuchte auch Bruder Fremar, sich nicht dabei
zu zeigen und indessen lieber einen Spaziergang in den
Wald zu machen, damit er nicht herbeigerufen werden
könne. Was die Eingeborenen auch beschlossen, die
Häuptlinge mußten es jedenfalls allein und ohne Bei
hilfe der Missionare tun, auf welche sonst das Gehässige
des Urteils gefallen wäre.
Vorher hatte sich M r. Löwe noch nach seinem kranken
Diener umgesehen und diesen auch ärztlich behandelt;
aus welche Art aber, konnte niemand sagen, da er die
Leute vorher aus dem Hause geschickt. Gefährlich konnte
die Sache übrigens nicht sein, denn der Kranke befand
sich sonst ziemlich wohl; er aß und trank, was man ihm
brachte, lag dann den ganzen Tag auf dem Bauch, beide
Ellbogen auf- und den Kopf in die Hände gestützt und
las in einem in seine Sprache übersetzten Gebetbuch.
Das Verhör der Schuldigen, die man selber von
Afaru holen ließ, fand gegen M ittag statt, und Taori
hatte eissentlich selber keine Vorladung erhalten, was
jedenfalls der Ausrufer absichtlich versäumt habeu mochte.
Aber er stand nichtsdestoweniger mit auf der Liste und
schritt auch mit den übrigen — was seinem Vater viel
leicht an: allerwenigsten recht war —- in die Versamm
lung hinein.
Der alte Ram ara Toa würde weniger dagegen
gehabt haben, ihn — wenn einmal der Schuld über
wiesen — zu verurteilen, aber daß er noch vorher ein
Verhör über ihn abhalten solle, war ihm unbequem
und doch jetzt, wie die Sachen standen, nicht mehr zu ver
meiden.
Die Fragen wurden übrigens sehr einfach gestellt,
denn das gegebene Gesetz ließ in dieser Hinsicht keine
Mißdeutung zu. Der frühere Tanz war, mit genauer
Festsetzung der Strafe, von dem König und den Häupt-
—
286
lingen verboten worden, und sechs junge Mädchen, die
sich dabei beteiligt hatten und jetzt wie arme Sünderinnen
vor ihren Richtern standen, schienen noch dadurch beson
ders straffällig geworden zu sein, daß sie sich zu dem
Feste, wie sie es sonst zu tun gewohnt gewesen, die flat
ternden Locken mit Blumen geschmückt. Man fragte ste
wie die jungen Männer einzeln, ob sie sich schuldig be
kennen mühten — Taori zuletzt — und alle antworteten
mit einem kaum hörbaren, schüchternen „ Ja . Wußten
sie doch schon vorher, welche S trafe auf dem Vergehen
stand, und daß sie, wenn wirklich entdeckt, auch dafür
büßen müßten. Jetzt blieb ihnen nichts weiter übrig, als
sich den unvermeidlichen Folgen zu fügen.
Nicht so Taori. Als der Richter des Afaru-Distrikts,
der das Verhör leitete, weil das Vergehen auf fernem
Grund und Boden begangen worden, die übliche Frage
auch an ihn richtete, hob er stolz und trotzig den Kopf und
sagte finster:
„Welches Recht hast du, mich zu fragen, Manuga?
Bin ich ein Christ, daß ich versprochen hätte, mich den
Gesetzen der Christen zu fügen? Ich glaube noch an
die alten Götter, deren heiliger Odem uns umweht, und
zu denen unsere Vorväter beteten, und ebensowenig wie
du mir verwehren kannst, ihren Schutz anzurufen, eben
sowenig steht dir ein Recht zu, hier über mich zu Gericht
zu sitzen, weil ich etwas getan, das wir nicht als Sunde
anerkennen."
„Das Gesetz lautet," sagte der alte Häuptling, aber
doch mit einiger Scheu vor dem Sohn seines Königs,
daß alle Bewohner dieser Insel ihm Untertan sein sollen,
von dem Höchsten bis zum Niedrigsten, vorn König bis
zum Koch") hinab, und daß der Unglauben sie nicht da
von befreien kann, damit sie kein böses Beispiel den
Gerechten geben."
-) Auf vielen Inseln der Südsee ist der Koch der verachtetste
Stand.
287
„ Ih r dürft das Volk nicht zu eurem neuen Glauben
z w i n g e n ! " rief Taori heftig aus.
„Wir zwingen es nicht zum Glauben," sagte der
fromme Häuptling, einer von Fremars besten Schülern,
„aber wir verlangen von ihm, daß es die Gesetze hält."
„Die Gesetze des Landes, ja," erwiderte Taori
heftig, „aber diese verbieten nicht den Tanz, und oft habe
ich dich selber, Manuga, wohlgefällig dem Spiel am
Strande beiwohnen sehen."
„ I n meiner sündigen Zeit, ja," seufzte der Häupt
ling; „aber dafür hat uns Jehova seine Boten gesendet,
und wir halten jetzt fest an dem wahren Gott."
„Gut, tut es," sagte Taori finster, „wir hindern
euch nicht daran, den ganzen Tag zu beten, wenn ihr
es für nützlich haltet, wir stören euch in keiner der vor
geschriebenen Formen; aber laßt auch uns unsere harm
losen Vergnügungen, die wahrlich eurem Gott nicht
schaden können, wenn er so groß und mächtig ist, wie
ihr immer behauptet. Wir wollen die Gesetze des Landes
achten, aber nicht die eures G l a u b e n s , so lange wir
uns nicht selber dazu entschließen konnten, diesen anzu
erkennen. Laßt dem Volke seinen Tanz, laßt ihm seine
Blumen. Was für ein Gott muß das sein, der zürnen
kann, wenn ein junges, fröhliches Mädchen Blumen in
den Haaren trägt!"
Manuga stöhnte laut auf und warf scheu den Blick
umher, ob nicht etwa einer der Mitonares in der Nähe
wäre, der die lästerlichen Reden gehört.
„Taori, du bist ein großer Sünder," sagte er end
lich, „möge dich Gott erleuchten!"
„Und habt ihr mir sonst noch etwas zu sagen?"
fragte der junge Häuptling trotzig. „Meine Zeit ist ge
messen, denn ich will wieder zurück in das freie Land, in
meine Berge."
„Und weißt du nicht, daß du dein Gesetz verfallen
bist?"
288
„Ich?" rk f Taori, fast wild emporfahrend. „Wagt
ihr es, mir mit eurem Gesetz zu drohen? Dort sitzt mein
Vater; fragt ihn, ob einer hier unter euch allen die
Macht hat, den Sohn des Königs zurückzuhalten!"
„Ich habe sie, Taori," sagte da Ramara Toa mit
ernster Stimme, „und die Häuptlinge haben ebenfalls die
Macht, dich zu bestrafen."
„Mich?" lachte Taori spöttisch aus, „diese Häupt
linge? — Und glaubt ihr, daß M atangi Ao dulden
würde, daß ein Spruch von ihnen über mich zur Geltung
gelänge?"
„Ha! Drohst du mir mit M atangi Ao, ungeratener
Knabe!" fuhr der alte König wild empor. „Zur rechten
Zeit mahnst du mich an den Rebellen. Fällt das Urteil,
ihr Häuptlinge! Kein Ansehen der Person darf euch
abhalten, einen Übertreter der Gesetze zu bestrafen. Hier
steht es in dem heiligen Buch; lies es, Manuga, lies es,
daß sie es alle hören, Gott selber spricht darin durch
seine Engel!"
Und Manuga nahm ehrfurchtsvoll das Buch und
las, mit etwas monotoner Stimme zwar, aber doch laut
und deutlich die jetzt angezeichneten Verse, und als er
zu der Stelle kam: „Dein Stam m soll besitzen die Tore
deiner Feinde!" rief Ramara Toa triumphierend aus:
„Weil Abraham solches getan und seines eigenen
Sohnes nicht geschont, ist ihm die Gnade des Herrn
geworden. Urteilt über ihn wie über jeden anderen
Übertreter der Gesetze. Es ist Taori, mein Sohn; aber
im Dienste des Herrn schone ich meinen eigenen Sohn
nicht, wie Abraham. Leset ihm vor, welche S trafe er zu
leiden hat."
Ein Murmeln lief durch die Versammlung der
Häuptlinge. Taori zählte viele Freunde unter ihnen,
aber ihre Scheu vor den Missionaren war doch noch
größer, denn sie fühlten recht gut, daß diese ihnen zürnen
würden, wenn sie den doch unter ihrer Anleitung ge-
389
gebenen Gesetzen widerstrebten. Manuga ließ ihnen auch
keine lange Zeit zum Überlegen.
„So höre denn, Taori, was das Gesetz sagt!" rief
er laut aus, und las dann aus einem Buche den folgenden
und an diesem Tage schon oft wiederholten Spruch ab:
„Alle Tänze, da sie an heidnische Festlichkeiten er
innern und mit dem früheren Unglauben in Verbin
dung stehen, sind auf das strengste verboten. Wer sich
trotzdem herbeilassen sollte, an einem solchen Tanze heim
lich teilzunehmen, hat eine S trafe von zehn Klaftern
Arbeit an der öffentlichen Straße zu erleiden, der Be
sitzer des Grundstückes aber, auf dem der Tanz statt
fand, zwanzig."
„Ich soll an der Straße öffentlich arbeiten?" sagte
Taori, und ein spöttisches Lächeln lag um seine Lippen,
aber sein Antlitz war vor innerer Bewegung bleich ge
worden, als sein Blick über die versammelten Häuptlinge
zuckte.
„Manuga hat es gesagt," erwiderte ein Häuptling
aus der Bai, ein treuer Anhänger Ramara Toas, und
ein Feind M atangis, „so lautet das Gesetz."
„Manuga hat es gesagt," fielen jetzt auch eintönig
die anderen Beisitzer ein. Sie konnten nicht dagegen
sprechen, und der Form mußte genügt werden. S ie
wußten aber auch, daß die Form mit leichter Mühe um
gangen werden könne, und keiner von allen glaubte,
während er das Urteil sprach, daß Taori selber auch nur
eine Stunde einer solchen Schmach ausgesetzt werden
solle. Nur das Urteil mußte unparteiisch und ohne Rück
sicht auf Rang und Stand gefällt werden. War das
geschehen, so stand es Taori vollkommen frei, Leute zu
mieten und zu bezahlen, welche die aufgegebene Straßenarbeit für ihn verrichten konnten. Daß er es selber tun
sollte, verlangte niemand, und einzelne Häuptlinge hat
ten sich von anderen Urteilen schon ebenfalls auf gleiche
Weise freigekauft.
F r. G erstiicker, Die Missionare.
290
Taori stand hoch aufgerichtet und bleich zwischen
ihnen, und wohl eine Minute lang herrschte Totenstille
in dem weiten Raum. Endlich sagte der junge Häupt
ling leise:
„Und wird das Urteil von dem König, meinem
Vater, bestätigt?"
„Manuga hat es gesagt, er ist Richter," erwiderte
Ramara Toa fest. „Es soll niemand behaupten können,
daß ich meinen eigenen Sohn geschont habe, um die Gefetze zu umgehen."
Das Blut stieg dem Königssohn in Wangen und
Schläfe, aber er erwiderte weiter nichts als: „Es ist gut,"
drehte sich dann ab und verließ die Hütte. Manuga
fürchtete auch, daß er sich möglicherweise durch die Flucht
einer weiteren Unbequemlichkeit entziehen würde, wonach
man die Häuptlinge später ausgespottet hätte. Boten
wurden deshalb augenblicklich abgesendet, um das obere
T al zu besetzen. Taori dachte aber an nichts derartiges,
sondern schritt langsam dem Hause zu, was er bewohnte,
wenn er sich in Motua-Bai befand.
Dort suchten ihn augenblicklich seine Freunde auf,
aber er ließ keinen zu sich. Der Diener, der an seiner
T ü r wachte, hatte strengen Befehl, sie alle ohne Aus
nahme abzuweisen, selbst seinen Vater, wenn dieser be
absichtigte, ihn zu besuchen. Er wolle niemanden sehen.
Aber seine M utter Einua kam zu ihm, um mit ihm zu
sprechen, und ihr wurde die T ü r geöffnet.
Taori lag aus seiner M atte ausgestreckt, den Kopf
in die Hand gestützt, und schaute düster vor sich nieder;
ja selbst der Besuch seiner M utter konnte ihn nicht er
freuen, denn alles, was sie an sich hatte, sprach nur zu
ihm von dem Verkehr mit den verhaßten Weißen.
S ie trug natürlich — um vielleicht einen rechten
Eindruck auf ihn zu machen — jenen riesigen Hut, mit
dem sie kaum zu der niederen T ür herein konnte, ein
altes, rot und grün gestreiftes Seidenkleid, das M rs.
Löwe früher einmal selber getragen, einen mächtigen
—
291
—
Strickbeutel mit Stahlschlotz, in den sie jetzt aber göbackene Bananen und andere Lebensrnittel gepackt hatte,
um sie ihrem Sohn zu bringen, ein Spitzentuch verkehrt
umgebunden, und unter dem linken Arm das „dicke, gute
Buch", wie sie die Bibel nannten. Sie verlor auch nicht
zu viel Zeit. Zuerst kramte sie die Lebensmittel vor
dem Sohne aus, damit er sich an diesen erfrischen könne,
und dann kauerte sie sich gutmütig vor ihm auf der Erde
nieder und begann ihm Sprüche aus der Bibel vorzu
lesen, die nicht in der geringsten Beziehung zu der gegen
wärtigen Lage des Sohnes standen, oder ihm zu er
zählen, daß ein großer Fisch Jo n as verschluckt und nach
zwei Tagen wieder lebendig an Land geworfen habe, und
zuletzt bat sie ihn, die über ihn verhängte S trafe geduldig
anzunehmen und ein guter Christ zu werden, denn da
durch allein könne er hoffen, den Zorn Gottes zu ver
söhnen und einst zur ewigen Seligkeit zu gelangen.
Taori hörte ihr ruhig und geduldig zu, ja unter
brach sie mit keinem Wort, und erst, als sie geendet hatte,
reichte er ihr freundlich die Hand und dankte ihr, daß
sie gekommen sei, ihn zu besuchen. Über ihren Glauben
sprach er kein Wort, und als sie endlich wieder davon be
gann und ihn drängte, wehrte er ihr leise mit der Hand
und sagte herzlich:
„Laß mich, M utter! Die Weißen Männer haben
zu dir gesprochen, und du hast ihren Worten dein Ohr
geschenkt. Es ist gut. Du wirst aber nicht in den Him
mel der Weißen eingehen mögen, denn wir können nach
dem Tode nur glücklich werden, wenn wir alle unsere
Lieben wiederfinden. Wo ist dein Vater? Wo deine
M utter? Drüben auf der heiligen Insel Bolutu. Dort
hin will auch ich gehen, wenn ich einmal sterbe, um sie
und den toten Bruder wiederzusehen, und du und der
Vater werden auch dahin kommen. Was tut ihr in dem
fremden Himmel der Weißen?"
„Ach, mein Sohn," rief die würdige Einua in Todes
angst aus, „in die blanke Hölle kommst du, in das ewig
19"
292
---
brennende Feuer, und keine Rettung ist für dich, wenn
du dich nicht bekehrst. Glaubst du denn an gar keinen
Gott?"
„ Ja, Mutter," sagte Taori freundlich. „Ich glaube
nicht an die hölzernen Bilder, die wir hier in unserem
Lande aufgestellt haben; ich glaube nur an ein hohes und
mächtiges Wesen in Bolutu. Meinen die Weißen Männer
das nämliche, gut, weshalb bringen sie dann Unfrieden
in unsere Familien und S treit in unsere Hütten? Latz
sie gehen, denn was sie uns lehren, brauchen wir nicht
auf unseren Inseln, und was sie uns bringen, kann nicht
dazu dienen, uns glücklicher zu machen, als wir sind. Nur
e i n e ist gut," setzte er dann, aber leise, hinzu, „nur
eine ist lieb und gut, und s ie kennt den wahren Gott,
denn in ihren Augen liegt der ganze Himmel."
^,Das ist die würdige M rs. Löwe," sagte Einua mit
ganz entschiedener Bestimmtheit. „ S i e weiß den Weg
zum Himmel, und wenn sie ihn vorzeichnet, ist es, als ob
man einen breiten, ausgehauenen Pfad vor sich sähe, der
schnurstracks gerade durch den dunklen Wald läuft."
Taori lächelte, aber er erwiderte kein Wort, auch
nicht, als seine M utter noch eine lange Weile mit ihren
Bekehrungsversuchen fortfuhr. Er hörte ihr geduldig zu
und widersprach ihr nicht, und nur, wenn sie von ihm
forderte, daß er in ihre Gebete einstimmen sollte, wehrte
er ihr mit der Hand und sagte freundlich:
„Laß es sein, M utter — heute nicht! Der Kopf
tut mir weh — und das Herz — später — später viel
leicht — heute nicht!"
„Und wann kehrst du zurück nach dem Hupai-Tal?"
„Wenn ich meine S trafe abgearbeitet habe."
„Unsinn!" sagte Einua. „Zahlloses Volk war heute
draußen, um dir seine Arbeit anzubieten. Du hast sie
nicht hereingelassen."
„Ich brauche sie nicht."
„Du wirst sie morgen brauchen. Die Häuptlinge
haben gesprochen, aber deine Freunde werden die Straße
293
bauen. Sorge dich nicht! Taori, der Sohn Ramara
Toas, soll keine Steine tragen!"
„Es ist gut, Mutter," flüsterte der junge Häuptling,
„ich bin müde vom vielen Denken. Laß mich schlafen,
damit mich freundliche Träume besuchen können, denn
über unserem Lande liegt ein schwarzer Schatten."
„Ja, der Schatten des Unglaubens," erwiderte die
Frau seufzend, „o, wenn er von dir weichen wollte!"
Taori erwiderte kein Wort; er hatte den Kopf auf
seinen Arm gelehnt und schloß die Augen, und seine
M utter, die jetzt Wohl sah, daß er ungestört und allein
sein wolle, seufzte tief auf, erhob sich dann und verließ
leise das Haus.
So blieb der junge Königssohn den ganzen Abend
auf seiner M atte liegen; als jedoch die Sonne am näch
sten Morgen aus den Fluten stieg, war er auf und voll
ständig gerüstet zu seiner Arbeit. Einen Weheschrei stieß
aber das Volk aus, als es ihn, mit einer Hacke auf der
Schulter, seinen feinen Gnatumantel abgeworfen und
wie einen gewöhnlichen Arbeiter den Weg schreiten sah,
der nach der S traße führte, an welcher zu bauen er ver
urteilt war.
Die Insulaner strömten herbei, unter ihnen viele
Häuptlinge, denn Taori war der Liebling aller, und alle
boten ihm ihre Hilfe an, weil sie meinten, er solle und
dürfe solche Schmach nicht über sich bringen; aber der
Häuptling wies sie entschieden zurück.
Einer seiner Freunde faßte seinen Arm und suchte
ihm die Hacke fortzunehmen, aber er wehrte ihn freund
lich ab und sagte fest:
„Entweder sind die gegebenen Gesetze ein heiliger
Ernst und müssen befolgt werden, und dann will ich ihnen
beweisen, wohin sie führen, oder sie sind nur ein freches
Spiel, das die Fremden mit unserem Lande getrieben,
und dann soll das Volk sehen, wohin diese den Sohn des
Königs gebracht haben. Gibt es noch etwas, was ihm
die Augen öffnen kann, so ist es das; hilft auch das nicht
294
mehr, dann, Freund," setzt er wehmütig hinzu, „können
wir uns ruhig begraben lassen, denn unsere Zeit ist vor
bei, unsere schöne Insel den Fremden und ihrem 'Gott
verfallen, und in Gebet und Zerknirschung werden die
Bewohner derselben auf ihren Knieen an demselben
S trand herumkriechen, wo sie sonst die fröhliche Trommel
zum Tanz rief und daneben das Kanoe glücklicher Men
schen seine Streifen auf dem Binnenwasser der Riffe zog.
Latz mich! Ich bin fest entschlossen, die volle, mir zuge
sprochene Strafe auch selber abzuarbeiten. Auch nicht
eine Stunde davon will ich geschenkt haben; kein Mann
soll einen Arm aufheben, um mir zu helfen. Taori, Ramara Toas Sohn, der künftige König der Insel, soll als
gemeiner Tagelöhner hacken und graben, so will es das
Gesetz. Die Häuptlinge mögen ihren Willen haben,
aber — sie mögen auch die Folgen tragen!" Und fest
die Zähne zusammengebissen, die Hacke wieder schulternd,
schritt er, selbst die Grütze der ihm Begegnenden nicht
mehr erwidernd, mit finster zusammengezogenen Brauen
seinen Weg entlang?)
Boten liefen zum König, um ihm anzusagen, das;
sein Sohn jede Hilfe abgeschlagen und zurückgewiesen
habe und selber im Begriff stehe, seine S trafe abzu
arbeiten.
Ramara Toa fuhr bestürzt empor. So weit hatte
er es nicht treiben wollen, seine Seele hatte nicht an
solchen Starrsinn des Sohnes gedacht. Nur vor dem
Gericht der Häuptlinge sollte er gedemütigt und dort
der Grundsatz ausgesprochen werden, datz a l l e Men
schen vor dem Gesetz gleich seien — weiter nichts. Datz
ein so ausgelegtes Prinzip aber in Wirklichkeit auch
a u s g e f ü h r t werden könne, war ihm nicht im Traum
eingefallen, und das konnte auch der Mitonarc nicht ge
meint haben. Augenblicklich sandte er einen der Leute
hinter Taori her, um ihn zu sich in die Wohnung zu*)
*) Tatsache.
—
?95
bestellen; der junge Häuptling aber wies den Boten
zornig ab. Er sei verurteilt, wie er sagte, zehn Klafter
Straße zu bauen, und habe jetzt keine Zeit. Wenn seine
Arbeit beendet wäre, würde er den König wieder auf
suchen, früher nicht.
Ram ara Toa berief jetzt die Häuptlinge wieder zu
sammen, um mit ihnen den unerwarteten Fall zu be
raten. Auch nach den Missionaren wurde geschickt, aber
von diesen war keiner aufzufinden und nur Berchta da
heim. Eine Frau gehörte aber nicht in den Rat der
Männer und konnte ihnen deshalb nichts nützen.
Die Häuptlinge wußten übrigens selber nicht, wie
der fatalen Sache abgeholfen werden könne, denn nur
Taoris Trotzkopf war ja an dem allen schuld, und jeder
von ihnen fest überzeugt, er würde sich durch kein Zu
reden von dem einmal Begonnenen abbringen lassen.
Unter den Häuptlingen selber herrschte aber heute eine
Spaltung, denn was bis fetzt keiner von ihnen gewagt,
taten nun doch einige, indem sie erklärten, die Gesetze
seien für ihr Land zu streng, und die Weißen Männer
hätten bei Abfassung derselben die Zustände der Inseln
vollständig verkannt. Umsonst erklärte Ram ara Toa, die
weißen Männer hätten gar nichts mit den Gesetzen zu
tun gehabt, und er selber sie nach dem Muster Kamehamehas und Pomares abgefaßt. Die Häuptlinge wußten
es besser, und selbst die den Missionaren befreundeten
wagten nicht, sie gerade in diesem Augenblick in Schutz
zu nehmen.
So ging denn die Versammlung wieder ratlos aus
einander, und wenn auch einige versprachen, noch einen
letzten Versuch zu machen, um Taori von seinem Ent
schlüsse abzubringen, sahen sie doch selber das Erfolglose
eines solchen Schrittes vorher. Und sie hatten sich darin
nicht getäuscht. Sie fanden den Königssohn schon mit all
den übrigen, die gestern verurteilt wurden, bei seiner
„entwürdigenden" Beschäftigung, und zwar schärfer als
irgend einen der anderen arbeiten. Er gönnte sich keine
296
Minute Rast, und einen unheimlichen Glanz nahm sein
Auge an, als die Abgesandten zu ihm reden wollten.
„Fort mit euch!" rief er ihnen entgegen. „Ich habe
nichts mit euch zu schaffen! Gestern gabt ihr euren
Spruch: „Manuga hat es gesagt" — gut, hier habt ihr
euren Willen, aber nun fort mit euch, denn bei den Göt
tern, dem ersten, der mir naht oder seine Hand auf mich
legt, schlage ich mit dieser Hacke den Schädel ein. Ich
bin der Sohn eures Königs, und wen ich nicht rufen lasse,
darf nicht wagen, mir zu nahen!"
Scheu zogen sich die Häuptlinge zurück, denn sie
kannten den Jähzorn des jungen Fürsten gut genug
und hüteten sich Wohl, ihn noch mehr zu reizen. Er
w o l l t e es so, und ihnen stand keine Macht zu, ihn
daran zu verhindern.
So arbeitete er fünf Tage vom Morgen bis in die
sinkende Nacht und duldete nicht einmal, daß seine M it
schuldigen ihn unterstützten. Die schwersten Steine
schleppte er allein, und seine Haut war von Walddornen
zerrissen, seine der Arbeit ungewohnten Hände waren
mit Blasen bedeckt.
Andere Unruhe erfüllte aber jetzt die Herzen der
Bewohner der Motua-Bai, denn Kunde drang von Matangi Ao herüber, daß er gehört habe, die Christen
z w ä n g e n Taori, gemeine Arbeit zu verrichten, und
er rüste seine Scharen, um ihn mit bewaffneter Hand zu
befreien.
Ramara Toa wütete, daß der R e b e l l es wagen
dürfe, sich in das zu mischen, was unter seinen Augen,
also auch mit seinem Willen vorgehe. Taori aber, dem
ebenfalls die Nachricht gebracht wurde, sandte augen
blicklich einen vertrauten Diener an den Freund, um
ihm sagen zu lassen, daß er freiwillig und selbst gegen
den Willen seines Vaters die Arbeit verrichte. Er wollte
kein Blutvergießen seinetwegen.
Am sechsten Morgen ging die Sonne blutrot auf,
und ein eigener unheimlicher Duft lag auf der ganzen
297
Insel und dem Meer. Kein Lüftchen regte sich/selbst die
leicht bewegbaren Blätter der Bananen hingen, ohne
auch nur ein Zittern ,zu verraten, ihre breiten, zierlichen
Fächer nieder. Aber draußen in See kreischten die
Möwen, und ein Zug von Tummlerfischen kam bis an
die Einfahrt des Binnenwassers.
Die Arbeiter am Straßenbau waren schon wieder
emsig beschäftigt, kaum eine englische Meile westlich von
Motua-Bai an beiden Seiten eines wilden Bergwassers
hohe Steindämme auszuwerfen und dann lange Stämme
darüber zu verbinden, um endlich eine feste Brücke her
zustellen, da die letztgemachte zu niedrig gewesen und
nach einem heftigen Regenguß von der Flut fortgespült
wurde. S ie merkten Wohl, daß etwas in der Luft liege,
was ein Unwetter verkünde; da sie sich aber ganz in der
Nähe von Häusern, und zwar auf beiden Seiten des
Wassers befanden, achteten sie es nicht weiter. Auch
mochte keiner von ihnen aufhören, solange Taori, allen
voran, so unverdrossen upd fleißig arbeitete.
Gerade hatte er wieder einen Korallenblock, den er
mit Mühe aus der Bai herausgearbeitet, an O rt und
Stelle gewälzt, und war eben dabei, ihn an seinen Platz
zu heben, als er ihn plötzlich sinken ließ, ein paar Schritte
zur Seite ging und sich dann unter eine Palme warf,
um auszuruhen. Das aber war bei ihm etwas so Un
gewöhnliches, daß die ihm zunächst befindlichen Einge
borenen stutzig wurden. Ein paar junge Mädchen liefen
hin zu ihm, um ihn zu fragen, ob ihm etwas fehle —
er war ohnmächtig geworden, und ihr Angstgeschrei rief
jetzt die übrigen herbei.
Oben in den Wipfeln der Palmen fingen die ge
fiederten Blätter plötzlich an zu zittern und zu rascheln;
das klare Wasser der Binnenbai färbte sich von der dar
über Hinstreichenden Brise dunkel. Ein Kanoe, das zum
Fischen draußen in offener See gewesen war, kam durch
die Einfahrt hereingeschossen, und die Ruderer arbeiteten
298
mit solcher Kraft und Anstrengung, daß das weiß schäu
mende Wasser vorn am Bug emporspritzte.
Und jetzt kam der Sturm . Über die See ging ein
hohles Brausen. Obgleich in dem Moment noch keine
Wolken vor der Sonne standen, nahm die Scheibe der
selben einen matten, kupferfarbigen Glanz an. Aber
im Westen türmte sich in rasender Schnelle eine schwere,
dunkle Wolkenschicht empor, und im Nu waren auch die
Binnenwasser von allen dort rudernden Kanoes gesäu
bert, denn was auf See war, flüchtete aus Ufer vor den;
nahenden -Orkan.
20
E in Vrkan in den Tropen.
.
Wie das so sonderbar in der Luft zischte und heulte
und die Wipfel der Bäume leise vor der heranbrausenden
Macht erzittern machte! Aber diese unheimliche Stille
dauerte kaum niehr als Minuten.
Einzelne schwere
Tropfen wurden vorhergejagt, doch die dahinter drein
rasende Windsbraut ließ sie kaum zur Erde nieder. Jetzt
faßte sie die Wipfel der Palmen und bog sie fast zum
Boden nieder, daß ihre langen Blätter — wie um Hilfe
flehende Arme — weit hinauswehten. Draußen schäumte
die See, und von den westwärts liegenden Riffen wurde
der Schaum der Brandung rein abgeschnitten und wie
ein Sprühregen über die Insel gejagt. Selbst das Bin
nenmeer fing an Wellen zu schlagen, wenn es auch die
da draußen rasch aufgewühlten Wogen nicht erreichen
konnten. Ein Regen von Salzwasser ergoß sich über den
ganzen Strand.
Und jetzt zuckte der erste Blitz aus dem plötzlich
schwarz gewordenen Himmel nieder, und mit dem nachprasselnden Donner schien es, als ob die Elemente ent>
299
fesselt wären, um ihre Wut an allem auszulasten, was
sich ihnen wie fester Grund und Boden, wie Baum und
Strauch entgegenstellte und Trotz zu bieten wagte.
Es war fast wieder Nacht geworden, und Blitz
folgte setzt auf Blitz — aber kein einziger Donner mehr
— nur Heulen und Brausen der wütenden See, nur das
Pfeifen des Sturm es in den Wipfeln und das Krachen
und Brechen der Äste, wie es die Fruchtbäume faßte und
schüttelte. Wie schlanke Peitschenstiele schlugen dabei
die riesigen Palmen auf und nieder und schleuderten ihre
schweren Nüsse wild umher.
Aber des Orkans nicht achtend, hatten sich die Ar
beiter um den jungen Königssohn gesammelt. War er
gestorben? er lag so still und bleich. Doch sie durften
nicht länger säumen. Selbst die niederschlagenden
Kokosnüsse drohten ihnen hier Gefahr — er mutzte
wenigstens unter Dach und Fach gebracht werden, und
während die Männer ihn aufgriffen und in die nächste
ärmliche, aber doch in dichten Büschen versteckte und
dadurch geschützte Hütte trugen, eilten Frauen und M äd
chen, von dem hinter ihnen Herbrausenden S tu rm fast
in der Luft getragen, jammernd den Strand entlang,
um die Schreckensnachricht an der Bai zu verbreiten.
Ramara Toa hörte aber kaum die Kunde, die ihm
das Herzblut in den Adern stocken machte, denn er hing
an dem Sohn in aller Liebe und in väterlichem Stolz,
als er auch trotz des Sturm es hinauseilte, um ihn auf
zusuchen. Doch ein anderer Anblick bannte ihn an die
Stelle, denn wie er nur hinaus ins Freie trat und sein
Blick unwillkürlich über die Bai hinausschweifte, bemerkte
er draußen unmittelbar vor der Einfahrt ein fremdes
Fahrzeug, das mit rasender Schnelle vor Top und Takel,
mit in Fetzen gerissenen Segeln gerade den Bug wendete
und unmittelbar an den Brandungswellen hin das Binnenwasser zu gewinnen suchte.
Der S turm begünstigte es insoweit, als er von
Westsüdwest herüberwehte und die Einfahrt genau im
300
Norden vor ihm lag. Wäre es auch nur imstande ge
wesen, noch ein einziges kleines Segel zu führen, so
konnte es die Mannschaft wenigstens in das Binnenwasser bringen und dort, in dem verhältnismäßig stillen
Wasser, vielleicht vor Anker halten oder zwischen ein paar
der außer dem Kanal liegenden Korallenblöcke hinein
treiben lassen, wo sie dann nichts mehr für ihr Leben zu
fürchten brauchte. Die kleine Brigg gehorchte aber wohl
dem Steuer noch vollkommen, so lange sie der S turm
vor sich hersagte, war jedoch, als sie eine Bewegung seit
wärts machen sollte, nicht mehr imstande, den Bug weit
genug herumzuwerfen, um auch von den in Lee liegen
den Brandungswellen freizukommen.
Die Einfahrt lag hier ziemlich breit, trotzdem wurde
aber das seinem Geschick verfallene Fahrzeug selbst in
den wenigen Minuten zu weit nach Osten gesetzt. Einen
Moment schien es fast, als ob es noch dicht an der über
ihm bäumenden Brandungswoge hingleiten solle, aber
das sah nur so vom Lande ab aus, weil der Orkan den
Schaum und die Kämme der Wellen alle abhob und nach
Osten jagte. Die Seite des Fahrzeuges traf gegen einen
Korallenblock, der Bug flog herum, gerade den Riffen zu,
und im nächsten Moment faßte es die furchtbare Woge,
schmetterte mit e i n e m Schlage die Masten über Bord
und fegte das Deck von allem, was sich darauf befand,
vollkommen klar. Noch ein zweiter solcher Stoß, und
es wäre auch wahrscheinlich zertrümmert worden und in
Stücke geborsten, so aber hatte es der erste schon etwas
zurückgeschoben, der S turm half dabei mit, und das
Wrack trieb jetzt, im inneren Hafen und von der B ran
dungswelle frei, zwischen den zur Oberfläche ragenden
Korallen hin, wo es nicht allein sitzen blieb, sondern auch
durch die starren, zähen Äste dieses wunderlichen Bodens
am Sinken verhindert wurde.
Ramara Toa, beide Arme um den nächsten Palmenstamm geschlungen, um sich nur gegen den S turm auf
rechtzuerhalten, war Zeuge des Ganzen gewesen, und jetzt
—
301
erst, als der Orkan sein Opfer hatte, schien es, als ob
die Wolken auseinander bersten wollten und ihren fluten
den Regen auf die Erde sandten. Nun brach auch der
Himmel sein Schweigen. Ein krachender Donner schmet
terte hinter dem nächsten Blitze drein, und während die
verschiedenen Wolkenschichten Salve auf Salve gaben,
prasselte der Lärm von allen Seiten los.
Dem verunglückten Fahrzeug konnte jetzt natürlich
niemand zu Hilfe eilen, — wenn überhaupt dort noch
Hilfe möglich war — die Windsbraut hätte ja die leichten
Kanoes direkt aus dem Wasser gehoben, und Ramara
Toa, an seinen Sohn denkend, versuchte dem S turm in
die Zähne sich seinen Weg zu bahnen. Umsonst; kaum
hatte er den Stam m der Palme losgelassen und ein
paar Schritte vorwärts gegen den Orkan versucht, als
er zurückgeschleudert wurde und sich nur rasch wieder
anklammern mußte, um nicht von seinen Füßen ge
hoben zu werden.
Es war in diesem Augenblick nicht möglich, an dem
offenen S trand g e g e n den S turm anzukämpfen, und
im Walde selber die Gefahr noch viel größer, von stür
zenden Kokosnüssen oder abbrechenden Zweigen und
Wipfeln der Kastanien- und größeren Bäume getroffen
zu werden. Das Wetter mußte erst austoben, was bei
diesen heftigen Stürm en gewöhnlich nicht zu lange dauert.
Und es tobte in der Tat. Blitz zuckte jetzt nach Blitz,
und wie von feindlichen, gegeneinander wetternden
Batterien schlug mit Knall und Prasseln der Donner
hinterdrein. Die Riffe hatten fast keine Brandung mehr
oder schienen vielmehr eine fliegende Woge in der Luft
zu bilden, da die Windsbraut die Kämme, sowie sie sich
irgend am Korallenriff emporhoben, abschnitt und zu
Staub zersplitterte.
Wunderbar arbeiteten die drei mächtigen Kokos
palmen, die vor Fremars Haus auf dem Felsenvorsprung
ziemlich frei in dem furchtbaren Orkan standen. Es
gehörte der elastische Stam m eines solchen halmartigen
302
Baumes dazu, um einem solchen Druck weniger zu trotzen,
als ihm auszuweichen. Sobald einer jener mächtigen
Stöße die breiten Wipfel faßte, bog sich der Stam m nach
der entgegengesetzten Seite fast so tief, daß er mit der
Wurzel gleichkam, die Blätter wehten dazu aus, so daß
der Sturm , den kleinen Punkt der eigentlichen Krone
ausgenommen, fast nichts hatte, was er fassen konnte,
denn die runde, glatte Rinde leistete ihm keinen Wider
stand. Ließ aber der Druck nach, so hob sich der Wipfel,
seine Wedel wie trotzig schüttelnd, augenblicklich empor
und senkte sich erst wieder bei einem neuen Anprall.
Fremars Haus selber war glücklicherweise durch
einen dichten Orangenhain vor dem größten Sturm e ge
schützt, sonst wäre es von der Höhe augenblicklich hinab
in die See geweht worden. Selbst so aber hob sich ein
Teil des Daches, und die vor dem Hause gepflanzten
Bananenstämme knickten natürlich um, als ob sie mit
einer Axt gefällt wären.
Fremar war gerade von einer Tour durch die christ
lichen Ansiedelungen zurückgekommen, und ihm und
Klaus wie den bei ihnen befindlichen Insulanern gelang
es, durch Seile, die sie durch das Dach zogen und an den
Stämmen der nächsten Orangenbäume befestigten, das
selbe so weit zu sichern, daß es nicht vollkommen abge
hoben wurde. Und wie klatschte der Regen dabei nieder;
wolkenbruchähnlich kam es herunter und stürzte sich in
Ström en von den Hängen und überschwemmte die User
aller kleinen Bäche, so daß sich die gelbe Flut schon nach
kaum einer halben Stunde bis weit hinaus in die See
drängte und die Binnenwasser färbte.
Der Anblick von da oben aus war aber ebenso furcht
bar als großartig schön, denn während die Windsbraut
mit den mächtigen Bäumen spielte, wie eine Dame mit
dem leichten Fächer, hatte sie das Meer zu einem Weißen
Schaum gepeitscht, in dem nur manchmal dunkle Punkte
die Abgründe kennzeichneten, die sie sich mit der furcht
baren Gewalt tief hineingewühlt. Und wenn sich der
- -
303
Blick dem Walde zudrehte, welch ein wunderliches Schau
spiel bot sich ihm da — wie zauste und riß es in den
Wipfeln und schleuderte die Blätter, ja ganze abge
brochene Zweige in die Höhe, die wild hinweggeführt
wurden auf den Fittigen des Sturm es.
Und welch ein prachtvoller Orangenduft dabei die
Luft durchzog, denn den Blüten hatte das Wetter eben
falls bös mitgefpielt, und um Fremars Hütte herum
deckten die abgefallenen reifen Früchte den Boden fast wie
ein gelbgrüner Teppich.
Aber die ärgste Gewalt des Orkans war vorübergebraust. Gestrenge Herren regieren nicht lange. Es
wehte wohl noch ein heftiger Wind, der das Meer voll
ständig in Bewegung hielt, aber die Palmen fingen an
sich wieder emporzurichten, und auch die Brandung dort
unten zeigte wieder die weißen Kämme und schleuderte
sie trotzig und wie ärgerlich, in ihrem Wirken von einem
Stärkeren gestört worden zu fein, gegen die Riffbank an.
Jetzt aber litt es auch Ramara nicht länger vor
seinem Hause. Was kümmerte ihn das Wrack, das noch
immer da draußen zwischen den Korallen faß — sein
Sohn, fein Taori! Und mit von Angst beflügeltem Fuß
rannte er, gegen den Wind an, den Strand entlang,
denn er kannte genau die Hütte, in der sie den Sohn
untergebracht.
Und welche Verwüstung hatte der S turm hier in
der einen kurzen halben Stunde angerichtet! Der
Strand lag von Kokosnüssen, Orangen und Brotfrüchten
wie überstreut, Massen von Pandanusbäumen waren
niedergeknickt, und alle Bananen, die er nur hatte er
reichen und fassen können, umgebrochen, daß sie die mäch
tigen breiten, aber jetzt ausgefransten Blätter überall
über den Boden Hinbreiteten. Selbst einzelne Kokos
palmen hatte er geknickt und niedergebrochen, aber der
König wendete dem allen keinen Blick zu. Nur sein Ziel
hatte er vor Augen, das Schmerzenslager des Sohnes,
304
und ein brünstiges Dankgebet stieg auf feine Lippen,
als er die Schwelle der Hütte endlich betrat und Taori,
aufrecht sitzend, zwischen den um ihn gescharten Einge
borenen antraf.
Ein Gebet des Dankes? Ramara Toa erschrak, als
es über feine Lippen war, denn unwillkürlich hatte er
den neuen Gott dabei vergessen und es den alten Göttern
gebracht. Aber auch dieser Gedanke fand kaum für eineu
Moment Raum in seinem Herzen. Taori füllte es aus,
und zu dem Sohn eilend und neben ihm niederkniend
— denn was kümmerte ihn das Volk, das umherstand
und bei seinem E intritt scheu zurückwich — rief er aus:
„Taori, was fehlt dir, mein Kind? Was ist ge
schehen? Welcher unglückliche Zufall hat dich betroffen?
Sprich zu mir, Taori! Fühlst du dich noch krank?"
„Nein, Vater," sagte der junge Mann freundlich,
indem er ihm die Hand entgegenstreckte, „nein — ich
hoffe, es ist vorüber. Es war nur ein plötzlicher Schmerz,
der mich hier auf der linken Seite traf."
„Und fühlst du dich jetzt besser?"
„Ja, Vater, viel besser. Nur das Ausstehen wird
mir noch schwer — ich muß mir mit irgend etwas weh
getan haben."
„Ich hatte dich so gebeten, n ic h t zu arbeiten."
„Ist das Unwetter vorüber, Vater?"
„Der S turm hat nachgelassen."
„Wenn der Regen aufgehört hat, muß ich wieder
hinaus."
„Nein," rief Ramara Toa heftig, „du wirst nicht
gehen!"
„Ich werde die anderen nicht allein lassen, Vater!"
„Aber ihre S trafe ist ihnen geschenkt," sagte der
König rasch. „Keiner von den neulich Verurteilten soll
mehr zu arbeiten haben. Ic h will es so. Kündet es
den Häuptlingen, ihr Leute. Ramara Toa hat es.
gesagt."
306
—
„Dann will ich schlafen gehen, Vater," sagte Taori,
indem er sich wieder langsam auf seine M atte zurückgleiten ließ, „ich bin doch noch recht schwach."
„Aber nicht hier, in dieser Hütte!" rief der König.
„Der Regen hat nachgelassen, nur der Wind zieht noch
den Strand entlang, aber auch schwächer von Minute zu
Minute. Der S tu rm hat ausgetobt und ein fremdes
Schiff dabei in unsere Bai geworfen."
„Ein fremdes Schiff, Vater?"
„Ja, es trieb auf die Lee-Riffe der Einfahrt."
„Und sind die Menschen umgekommen?"
„Ich weiß es nicht; es war nicht möglich, ihnen zu
Hilfe zu kommen. Jetzt wollen wir Kanoes Hinaus
schicken. Könnt ihr eine Tragbahre herstellen, ihr
Leute?"
Die Eingeborenen stürzten hinaus, um den Wunsch
ihres Königs zu erfüllen. I n unglaublich kurzer Zeit
hatten sie eine bequeme Tragbahre hergestellt, in welche
Massen der niedergeworfenen Bananenblätter gelegt
wurden, bis sie ein vollkommen weiches Lager bildeten.
Alle erklärten sich bereit, Taori am Strande hinauf,
nach seiner eigenen Wohnung, zu tragen, war ihnen doch
die weitere Arbeitszeit für ihr Vergehen geschenkt
worden.
Taori weigerte sich auch nicht länger; er fühlte sich
selber so schwach, daß er nicht imstande gewesen wäre,
den Weg zu Fuß zurückzulegen, und um in ein Kanoe
zu gelangen, hätte er erst eine Strecke hinausgetragen
werden müssen. S o ging es rascher. Wenn sie ihn erst
einmal aufgenommen hatten, liefen sie auch die kurze
Bahn rasch mit ihm am Strande hinauf.
Der S turm hatte sich indessen vollkommen gelegt,
und wie das nach einem heftigen Unwetter, besonders
unter den Tropen, sehr häufig der Fall ist, trat unmittel
bar nachher vollständige Windstille ein. Draußen die
See kochte allerdings noch und warf mächtige Wellen,
Fr. Gersliicker, Die Missionare.
20
306
—
denn so rasch beruhigt sich die einmal ausgewählte Flut
nicht wieder, aber das Binnenwasser der Riffe lag, so
bald nur die Kraft nachließ, die es aufgerüttelt, auch
im gleichen Moment fast in voller Ruhe uud so spiegel
glatt, als ob es nie ein S turm getrübt hätte. Nur die
gelbe Flut, die setzt stärker als je von den Bergen nieder
schwemmend in die See hinausströmte, zog eine dunkle,
undurchsichtige Bahn durch die sonst so kristallhelle Bai
und zeigte die Wassermenge, die der Himmel in der
kurzen Zeit auf die Erde niedergeschüttet.
Ramara Toa aber, der den Sohn jetzt unter guter
Behandlung wußte und auch nicht an einen ernstlichen
Unfall glaubte, überließ ihn seinen Trägern und eilte
voraus, um die nächsten Eingeborenen anzurufen, damit
sie ihre Kanoes bemannen und zu dem verunglückten
Fahrzeug hinausfahren möchten. Er bestieg selber eins
derselben, und bald darauf glitten sechs oder acht der
schlanken Fahrzeuge der Einfahrt zu. Die Ruderer
darinnen konnten auch bald erkennen, daß ihr Weg nicht
vergeblich sein würde, denn deutlich ließen sich jetzt auf
dem Wrack zwei menschliche Wesen unterscheiden, die
vorn auf dem etwas gehobenen Bug des Fahrzeuges
standen und Weiße Tücher in der Hand schwenkten.
Also waren doch nicht alle an Bord verunglückt, und
die Insulaner ruderten kräftiger zu, um zu sehen, was
das Fahrzeug berge; denn daß ihnen das jetzt zur Beute
falle, verstand sich eigentlich von selbst. Wein anders
sollten die von einem S tu rm an ihre Küsten geschleu
derten Güter gehören, als den Eigentümern des Bodens
und damit auch der Korallenbank?
Als die Kanoes näher kamen, erkannte man einen
alten Mann mit einem Weißen B art an Bord, und neben
ihm einen Matrosen, der eine Stange mit einem darangebundenen Tuch hielt und sie eifrig schwenkte. Massen
von Haifischen befanden sich in der Nahe des Wracks, und
es blieb bald keinem Zweifel mehr unterworfen, daß die
-
807
—
Mehrzahl der an Bord Befindlichen, ja wahrscheinlich
die ganze Mannschaft mit dem Kapitän, durch die erste
Sturzwelle der Brandung gefaßt und über Bord ge
waschen war, wo sie dann entweder durch den furchtbaren
S turm aus die Risse geschleudert oder vou den ihnen
nachfolgenden Haien gefaßt und vernichtet wurden. Wie
sich später herausstellte, war der alte Mann wirklich der
einzige Passagier an Bord, der sich, während die M ann
schaft oben auf Deck beschäftigt gewesen und dort bei
der Katastrophe ihren Untergang fand, in der Kajüte
aufgehalten hatte. Der andere Gerettete schien ein gewöhn
licher Matrose zu sein, der nur einem Zufall sein Leben
verdankte. Er verwickelte sich, während alles über Bord
gewaschen wurde, in den Tauen und blieb hängen. Alles,
was sich sonst oben befunden, hatte der eine Wassersturz
in See geschwemmt, und wie er die Masten über Bord
warf, auch mit dem einen Schlag das Deck vollkommen
reingefegt.
Die Kanoes legten jetzt an Bord au, und Ramara
Toa, der gar nicht wußte, welchem Land das Fahrzeug
zugehörig wurde nicht unangenehm überrascht, als ihn
der alte Mann an Bord in seiner eigenen Sprache an
redete, ihm für seine Hilfe dankte und ihn bat, sie
freundlich auf ihrer Insel aufzunehmen, da sie eben erst
durch Jehovas Hand von einem furchtbaren Tode errettet
worden wären. Er erzählte jetzt dein König, daß das
Fahrzeug an die andere Seite der Insel, nach Tuia,
bestimmt gewesen wäre, uin dort Kokosnußöl, Perlen
und andere Dinge einzutauschen. Erst bei dem furcht
baren S turm habe der Kapitän versucht, hier einzu
laufen, um sein Fahrzeug in Sicherheit zu bringen, und
dabei selber mit fast seiner ganzen Mannschaft das
Leben eingebüßt.
Die Insulaner waren indessen an Bord des Wracks
geklettert, und Ram ara Toa hätte laut aufjubeln mögen,
als er nicht allein in der Kajüte eine Reihe von M us
keten mit ebensovielen Schiffslanzen nnd Beilen vor20'
M
--
fand, nein, sogar unter Deck eine festgeschnürte und auf
Rädern ruhende kleine Kanone entdeckte, die noch kurz
vor dem S turm dort in Sicherheit gebracht worden.
Andere Kanoss waren indessen ebenfalls vom Land
abgekommen, und Ramara Toa gab gleich die nötigen
Befehle, um an Land eine Anzahl von Doppelkanoes her
zustellen, auf denen die noch brauchbaren Güter ans Ufer
gebracht und geborgen werden konnten. Die Gewehre
und sonstigen Waffen nahm er aber in sein eigenes
Fahrzeug und schickte sie, um sie ganz bestimmt in Sicher
heit zu bringen, in seine eigene Wohnung, während er
indessen nach Munition und sonstigen brauchbaren Ge
genständen suchte.
Der Erfolg seiner Nachforschungen überstieg ferne
Erwartung; denn wenn das Fahrzeug, das schon lange
zwischen den Inseln herumgefahren war, auch nicht niehr
v i e l Güter und dafür meist Kokosnußöl, Perlmutterschalen und andere Dinge eingenommen hatte, so ent
hielt es doch noch zahlreiche Gegenstände, die für die
Eingeborenen von dem größten Wert sein mußten, und
gebrauchen konnten sie eigentlich alles, noch dazu, da sie
jetzt eine Schmiede besaßen, in der selbst dem Eisen die
nötige Form zu geben möglich war.
Besonders jubelte Ramara Toa über einige Kisten
Tabak; denn wenn er auch des alten Klaus Feld, gleich
nachdem ihm dieser Bericht über den Versuch erstattet
hatte, die Pflanzen zu ruinieren, unter tabu stellte, so
daß von da an kein Eingeborener mehr gewagt haben
würde, es zu betreten, so dauerte es, bis die Blätter reis
ten, doch noch eine geraume Zeit, und jetzt durfte er sich,
was dieses Genußmittel betraf, als reichen Mann be
trachten. Die Einschiffung ging rasch vor sich, und
wenn der Alte mit dem weißen Bart behauptete, daß
einige der Güter, die er besonders bezeichnete, sein spe
zielles Eigentum wären und nicht dem Schiffe gehört
hätten, so winkte ihm Ramara Toa nur immer geduldig
mit der Hand und sagte, er solle sich beruhigen, sie woll-
309
ten das untersuchen, sobald sie die Sachen nur erst ein
mal an Land hätten.
Das Wetter blieb die nächsten Tage ruhig; aller
dings dauerte die nach dem S tu rm eingetretene Wind
stille nicht lange, und der dort sonst stets wehende Ost
passat machte sein Recht wieder geltend, aber doch nur in
gemäßigter Weise. Ramara Toa konnte daher die für
ihn ungeheure Beute in aller Ruhe in Sicherheit bringen
und beschäftigte sich denn auch damit so angelegentlich,
daß er für nichts weiter weder Augen noch Ohr hatte.
Selbst um den Sohn bekümmerte er sich in den Tagen
nicht so viel, obgleich er ihn dann und wann besuchte.
Auch ging es besser mit dessen Befinden, und wenn er
sich freilich noch schwach fühlte und nicht ohne Schmerzen
aufstehen konnte, erklärte er doch, schon in den nächsten
Tagen nach dem Hupai-Tal zurückkehren zu wollen.
Den Missionaren war der Zuwachs von Weißen auf
der Insel höchst unwillkommen, denn sie versprachen sich
davon keinen guten Einfluß auf die überhaupt noch
nicht ganz feste M oralität der Stämme. Doch hoffte
besonders Mr. Löwe auf die baldige Zurückkauft des
Schoners, dem sie nachher leicht übergeben und durch ihn
nach Tahiti geschafft werden konnten. Dort lebten sehr
viele Europäer, und zwar aus den besseren Ständen,
und weggelaufene Matrosen spielten da eine viel zu
untergeordnete Rolle, während sie hier auf den einzelnen,
mit den S itten der Fremden noch gar nicht bekannten
Inseln den Missionaren nicht selten gleichgestellt wurden,
so daß man auf ihr Wort Gewicht legte.
M r. Löwe kehrte unmittelbar nach dem S tu rm von
Afaru zurück und sandte vor allen Dingen Boten in
das Hupai-Tal, um sich zu erkundigen, weshalb Mr.
M artin dem ihm gewordenen Befehl nicht augenblicklich
und gehorsam nachgekommen wäre. Er selber konnte
jetzt nicht von Motua-Bai fort, denn erst mußte er die
Bekanntschaft der beiden fremden Weißen machen, und
dann sehen, was sich in der Sache tun ließ,
310
I n Fremars Hause hörte er zuerst die Trauerkunde
von Taoris Unfall. M r. Fremar war zu ihm geeilt, und
Berchta außer sich über die auf solche Weise hervor
gerufene Krankheit des jungen Häuptlings. Mr. Löwe
nahm die Sache sehr kaltblütig; es war traurig, ja, aber
„wer nicht hören wollte, mußte fühlen", und es konnte
kaum länger geduldet werden, daß selbst der Sohn des
Königs dem übrigen Volk mit einem so schlechten Bei
spiel voranging. Übrigens stellte sich der Unfall viel
leicht noch als gar nicht so ernstlich heraus. Diese läs
sigen, weichlich erzogenen Menschen der Tropen, an keine
schwere Arbeit gewöhnt, unterlagen gewöhnlich gleich
einer ernsten und dauernden Anstrengung, indem sich
bei ihnen heftige Gliederschmerzen einstellten; aber es
war das fast immer nur die natürliche Folge einer un
gewohnten Anspannung der Sehnen und gab sich nach
einigen Tagen von selber.
Übrigens versprach er, direkt nach der Hütte des
jungen Häuptlings zu gehen und nachzusehen, wie es
ihm ginge, und was ihm fehle. Berchta wäre so gern
selber hinuntergegangen, aber sie wagte es nicht.
Unten am Strand der Motua-Bai herrschte in
dessen ein reges Leben, denn wie nur die Eingeborenen
an ihren Hütten notdürftig wieder all die Schäden
ausgebessert hatten, die der S turm daran gerissen und
geschüttelt, eilte natürlich alles herbei, was ein Kanoe
hatte, um sich wenigstens einen k l e i n e n Beuteanteil
zu holen. Dagegen hatte Ramara Toa auch nichts, daß
sie an Tauen, Eisenwerk und Segeltuch bargen, was sie
eben bergen k o n n t e n , die Hauptsache brachte er aber
für sich selber in Sicherheit, und der alte Passagier suchte
vergebens seine Erlaubnis zu erhalten, die Sachen, von
denen er behauptete, daß sie s e i n Eigentum waren,
doch nur wenigstens besonders stellen zu dürfen, damit
nachher die Verwirrung nicht zu groß würde.
M r. Löwe kam jetzt ebenfalls dazu und fand bald,
daß der eine der Geretteten allerdings nur ein ganz
311
gewöhnlicher Matrose sei; der alte Mann aber hatte ein
intelligentes, offenes Gesicht, eine hohe, gewölbte, wenn
auch kahle S tirn , kluge und lebendige schwarze Augen
und etwas unverkennbar Gutmütiges in seinen Zügen.
Dabei einen schneeweitzen, langen Bart, was ihm ein sehr
ehrwürdiges Aussehen gab, und doch straften seine leben
digen und raschen Bewegungen auch wieder sein schein
bar hohes Alter Lügen.
„Sind Sie ein Geistlicher?" war die erste Frage,
die Löwe, wie er nur einen Blick auf ihn geworfen, an
ihn richtete. Der alte Mann schüttelte lächelnd mit dem
Kopf und sagte:
„Nein, lieber Herr; fürchten Sie nicht, daß ich Ihnen
hier irgend in die Quere kommen werde. Ich habe mit
der Religion -—- so weit es nicht mein eigenes Gewissen,
meinen eigenen Glauben betrifft — gar nichts zu tun,
und bin auch nicht auf diese Inseln gekommen, um an
dere zu bekehren, sondern nur um mit den Eingeborenen
freundlich zu Verkehren und Handel mit ihnen zu treiben.
Da ich in Ihnen aber den Missionar der Insel zu sehen
glaube, so will ich hoffen, daß Ih re Lehren einigen
Eindruck auf die Insulaner gemacht haben und mir der
Häuptling wenigstens das von meinem Eigentum gibt,
was mir geblieben, denn zugrunde ist doch viel dabei gegangen."
„Kennen S ie die Sachen?"
„Gewiß; ich habe sie dem Häuptling auch schon ge
zeigt, aber er schien kein besonderes Gewicht darauf zu
legen."
„Ich werde mit Namara Toa sprechen," sagte der
Missionar, „er ist ein frommer Häuptling, und ich zweifle
keinen Augenblick, daß er tun wird, was recht ist."
„Wär' mir sehr lieb," sagte der Alte, „aber er sieht
mir nicht danach aus. Derartige Leute sind gewöhnlich
gut und freigebig, solange sie selber nichts haben, aber
schlagen in das Gegenteil um, sobald sie plötzlich reich
Werden — und reich ist er durch das Schiff geworden,"
312
„Und gedachten S ie auf der Insel zu blerben?'
„Gott soll mich behüten!" sagte der alte Mann. „Mit
der ersten Gelegenheit bin ich wieder fort, wenn ich nur
wenigstens einen T e i l meiner Sachen bekommen kann,
um von neuem zu beginnen. Der liebe Gott hat nur
das Leben geschenkt in unserer furchtbaren Not, ich
möchte jetzt nur auch e t w a s behalten von dem, was
ich mir mit saurem Fleiß erworben, um auch leben zu
können."
^
^
.
.
„Überlassen Sie das mir," sagte M r. Löwe freund
lich „Und der andere M ann? Gehört er zu Ihnen?"
„Nein, er ist ein Matrose vom Schiffe, ein Jrländcr,
glaub' ich, der einzige, der von der ganzen Mannschaft
dem Tode nur durch einen Zufall oder Hand Gottes ent
gangen; ein braver Mensch soweit, aber ein wenig roh,
wie alle die Art Leute, und aller Wahrscheinlichkeit nach
gar nicht böse darüber, daß ihn sein Geschick von der
harten Arbeit an Bord befreit und an diese freundliche
Küste geworfen hat. Er wird sehr gern dableiben
wollen."
Das findet sich später," erwrdcrte der Missionar,
von der Aussicht auf eine solche Gesellschaft, wie es schien,
nicht besonders erbaut. „Vor allen Dingen will ich jetzt
mit Ramara Toa sprechen, daß Ihnen I h r Eigentum
gesichert bleibt; natürlich nur solche Sachen," setzte er
ernst hinzu, „deren Eigentumsrecht S ie feierlich be
schwören können, denn alles übrige mag er mit Neckst be
anspruchen."
„Ich verlange nicht mehr."
„
„Gut, dann werde ich S ie später rufen lassen.
Und "der Missionar schritt langsam der Wohnung des
Königs zu.
313
21.
Bruder Martin.
D as war ein wildes, verworrenes Treiben in der
sonst so stillen und friedlichen Bai, denn die Habgier
— der schlimmste Feind der Menschen — war bei den
Eingeborenen geweckt und aufgestachelt worden, und zu
gleicher Zeit erwachte auch bei ihnen jetzt die Furcht, daß
M atangi Ao, von dessen Rüstungen man gehört, herüberbrechen würde, um seinen Teil von der eben gemachten
Beute zu holen.
Daß Taori selber hinübergesandt hatte, um den
Freund an einem Einfall zu verhindern, wußte Ramara
Toa gar nicht, oder w e n n er es wußte, traute er dem
Schwiegersöhne trotzdem nicht, weil er vielleicht fühlte,
wie er selber an dessen Stelle gehandelt haben würde.
Boten auf Boten gingen deshalb ab, um zu rekognos
zieren, ob etwa feindliche Trupps sich in das innere Land
hineingezogen hätten, und Klaus wie der neugewonnene
Matrose — der alte Mann versicherte, mit Feuerwaffen
gar nicht umgehen zu können — wurden unablässig be
schäftigt, nicht allein die Gewehre instand zu setzen,
sondern auch die geborgene Kanone, zu der man eben
falls einige fünfzig Kugeln gefunden, auf der Lafette
zu befestigen und die nötige Munition dafür vorzu
bereiten.
Ram ara Toa weigerte sich zwar nicht gerade, auf
Lowes Vorstellungen dem alten M ann sein Eigentum
herauszugeben, dazu hatte er noch immer vor dem Mis
sionar zu viel Respekt, aber er machte Ausflüchte. Das
hatte ja Zeit; der Fremde mit den Weißen Haaren solle
nur bei ihnen bleiben; er würde Brotfrucht und Fische
genug finden; — nachher machte sich ja alles von selber;
jetzt habe er zu viel zu tun und zu denken, um sich mit
solchen Kleinigkeiten zu befassen.
M it Taori ging es indessen nicht bester. Er hatt?
314
einen Versuch gemacht, die Hütte zu verlassen, war aber
wieder zusammengebrochen und kränker geworden als
vorher. Löwe, der ihn selber besuchte, sprach jetzt die
Befürchtung aus, daß er sich bei der Arbeit an der Straße
eine innere Verletzung zugezogen und vielleicht ein B lut
gefäß gesprengt haben könne*), vertröstete aber den
*) D es Missionar W. E llis „ ? o l^ u ssia u rs?earcbs8", zweite
Auflage, Seite 233— 240, gibt eine ähnliche Schilderung eines solchen
unglücklichen KönigssohneS — und zwar des S oh n es Pom ares auf
der wunderbar schönen In sel Huaheine. E llis sagt wö r t l i c h dar
über: „Von Natur leichtherzig und gutmütig, ließ er sich von seinen
Kameraden verführen, die Belehrung (Schule) wie den öffentlichen
Gottesdienst zu versäumen und jenen seinen Schutz und seine Freund
schaft zuzuwenden. Sein ehrwürdiger Vater sah den Wechsel in seinem
Betragen mit tiefem Schmerz und versuchte umsonst ihn von dieser
verderblichen Bahn abzulenken. S ein e Versuche wie die von anderen
Freunden blieben nutzlos. — Einige seiner Genossen hatten sich
tätowieren lassen, und er unterwarf sich ebenfalls dieser Operation,
um — wie man vermutet — seine Gefährten vor Strafe zu schützen.
S ie glaubten, die Richter könnten ih n nicht vor ein öffentliches Gericht
bringen, und wenn er ausgenommen würde, wären sie auch frei."
D ie Sachs gestaltete sich aber anders. Man stellte den einzigen
Sohn des Königs dafür, daß er einer alten S itte seiner Heimat ge
folgt war, vor Gericht, und der Missionar E llis erzählt weiter:
„Einige M onate danach zersprang ihm ein Blutgefäß, man glaubt
durch Überanstrengung bei der öffentlichen Arbeit, wozu er seines
Ve r b r e c h e n s (erimv) wegen verurteilt worden. Danach legte er
die Arbeit beiseite — sein Volk wollte allerdings anfangs die Arbeit
für ihn verrichten, aber er gab es nicht zu. Bald nachher zeigten
sich Sym ptom e der galoppierenden Schwindsucht." Der Missionar
erzählt dann weiter, daß er eines Klimawechsels wegen in eins der
reizenden Täler hinaufgetragen wurde.
„Die Häuptlinge der In sel mit ihren Wachen folgten ihm, und
als sie das T al erreichten, feuerten sie als Zeichen ihrer Teilnahme
drei Salven . Während wir uns dort oben aufhielten, sahen wir ihn
oft und unterhielten uns mit ihm. Er war gewöhnlich mitteilend
und manchmal heiter, ausgenommen wenn das Gespräch auf Religion
kam; dann änderte sich sein Wesen auffallend. Er hörte unsere
Bemerkungen an, antwortete selten auch nur eine S ilb e und schien
darüber zu zürnen, daß der Gegenstand erwähnt worden. D ies
war der traurigste, seine Krankheit begleitende Umstand."
Natürlich starb er, die Missionare bedauerten nicht etwa seinen
Tod, aber daß sie nicht imstande gewesen waren, ihn zn bekehren,
316
—
König auf die Ankunft des in der Chirurgie nicht un
erfahrenen Bruder M artin, der jeden Augenblick ein
treffen konnte und eigentlich schon lange hätte da fein
müssen. —
Es wird Zeit, daß wir auch wieder einen Blick in
das Hupai-Tal werfen.
M it re c h t schwerem Herzen hatte der junge Mis
sionar M artin seinen Weg dorthin angetreten, und in
Gegenwart des älteren strengen Geistlichen, den er seit
Jahren gewohnt war zu fürchten, auch natürlich keine
Einrede gewagt. Jetzt aber, wie er sich wieder allein ini
Wald und in der wunderbaren N atur sah, jetzt überkam
ihn erst mit voller Stärke das demütigende Gefühl seiner
Abhängigkeit von einer Sache, der er sich wohl mit gan
zem Eifer, aber doch aus einem anderen Grunde, als
nnr von religiöser Schwärmerei getrieben, hingegeben.
Nach allen den Missionsberichten, die er früher über
diese Länder gelesen, glaubte er ein Volk zu finden, bei
dem Mord und blutige Menschenopfer an der Tagesord
nung seien, das sich von Menschenfleisch nähre, und wo
der Kindesmord zu den alltäglichen Begebenheiten ge
höre. Diesem den Segen der christlichen Religion zn
bringen, und mit eigener Lebensgefahr, wenn es sein
müßte, seine furchtbaren Irrtü m e r zu bekämpfen und
ausrotten zu helfen, war er ausgezogen. Was sich ihni
dabei in den Weg stellte, achtete er nicht. — Gefahren, Be
schwerden — freudig wollte er alles wagen, um sein
schönes Ziel zu erreichen, und sich hoch belohnt halten,
wenn er dem herrlichen Lande das Heil bringen und
die Nacht des Aberglaubens mithelfen konnte zu ver
scheuchen.
Das war aber alles anders gewesen, als er es sich
gedacht. Schon in Laua fand er vollkommen geregelte
Zustände — ja geregelt, wie er sie nie für möglich ge
halten, und die Insulaner, von denen er geträumt, daß
sie nur mis der Kriegskeule und wisdbemalt umher-
316
stürmten und die Missionen bedrohten, als gehorsame,
freundliche Diener der Missionare, für welche sie Häuser
bauten und die Äcker bestellten, ja selbst ihre Frauen
wie Lasttiere durch das Land karrten. Ebensowenig
konnte er sich verhehlen, daß die b e k e h r t e n In su
laner leider zur großen Mehrzahl H e u c h l e r wurden,
die aus Angst vor darauf gestellten Strafen wohl die
äußeren Formen beobachteten, damit aber auch alles ge
tan zu haben glaubten, was man von ihnen verlangen
könne.
Handelten die Missionare darin recht? Er wußte
es nicht, aber Zweifel stiegen schon in Laua in ihm aus
und fanden in der Art und Weise, wie man h i e r mit
den Eingeborenen vorging, nur ihre Bestätigung. Schon
herrschte zwischen den verschiedenen Familien, wenn sie
teils noch dem alten Glauben anhingen, teils zu dem
neuen übergetreten waren, Haß und Verfolgung: B ru
der entzweite sich mit Bruder, das Kind mit den Eltern,
und wenn es auch noch zu keinem allgemeinen Kampf
gekommen war, konnte ein solcher doch jeden Augenblick
ausbrechen. Und waren sie deshalb nach diesen friedlichen
Inseln gegangen? —
Und er jetzt selber? Worin lag das Vergehen, dessen
e r sich schuldig gemacht haben sollte? Daß er eins der
holden Kinder dieses Bodens wahr und aufrichtig liebte
und es zu seiner ehrbaren Hausfrau machen wollte —das war alles; und durfte er nicht dadurch gerade hoffen,
einen größeren Einfluß auf die Eingeborenen zu ge
winnen, indem sie größeres Vertrauen zu ihm faßten?
— Wer hatte die Gesetze gegeben, die ihn verhindern
sollten, diesen Schritt zu tun? — Nichts davon stand in
der Heiligen Schrift, und nur die Missionsgesellschaft
selber — entweder in ihrer Unkenntnis der hiesigen
Verhältnisse, oder auch von wohlmeinenden Gründen,
die aber nicht überall stichhaltig sein konnten, bewogen,
hatte ein so hartes und hier doch jedenfalls ungerechtes
Verbot erlassen. Und m u h t e er sich dem fügen?
— Zl7
Aber was wollte er gegen die ganze Mission der
Inseln ausrichten? Und welche Berichte hätte sie nach
her über ihn nach Europa gesendet? Und Tama, das
arme Kind, um deren Herz und Hand er schon geworben,
und das mit voller, heiliger Liebe an ihm hing! J a
selbst der alte trotzige Häuptling Tamoruva, dessen
Einwilligung er so dringend erbeten — was würde der
sagen wenn der Fremde, den er durch eine solche Ver
bindung geehrt glaubte, jetzt den Befehl seiner Oberen
brachte, das Hupai-Tal augenblicklich zu räumen und
Tama auf immer zu verlassen?
„ . ^
Die Gedanken jagten sich ihm wild und toll durch
das Hirn, und er sah die paradiesische Szenerie gar
nicht, durch welche er Hinschritt, denn in fernem Herzen
war Nacht, tiefe Nacht.
^
^
Auch die Eingeborenen, dre rhn begleiteten, störten
ihn. Es waren lauter Kreaturen des Missionars, wenn
auch der schlimmste, Paya, unter ihnen fehlte. Er wußte
ganz genau, daß M r. Löwe sie ihm nur einzig und allein
deshalb mitgegeben hatte, um jeden seiner Schritte zu
überwachen und darüber zu berichten, und der Gedanke
— als er sich darüber klar geworden — empörte ihn
am meisten.
,
Auch der Befehl selber zeigte ihm die volle Ab
hängigkeit, in der er stand, und die nicht einmal eine
Verteidigung gestattete. Nur gehorchen sollte er, blind
lings gehorchen, und sich als Werkzeug benutzen lassen
für sogenannte „höhere Zwecke". Dank durste er dabei
von seinen Vorgesetzten nicht erwarten, das hatte er bei
Fremar gesehen, der in der kurzen Zeit hier Außer
ordentliches geleistet. Und welche Anerkennung war
ihm dafür geworden? M an gab auch i h m einen Vor
gesetzten, sobald man den Boden hier gehörig vorbereitet
wußte, damit der Ruhm des Erfolges nicht auf ein junggeres Haupt fallen sollte. Und Fremar? J a , er war
trotzdem glücklich, denn ihm hatte ein wunderbares Ge
schick das Schönste beschieden, was sich ein Mensch nur
—
318
—
Wünschen kann: eine glückliche Häuslichkeit und ein
Wesen zur Gattin, dem man gut sein mußte, wenn man
es nur sah. Er aber sollte hier elend und einsam blei
ben, nnr weil die Missionare es nicht für nützlich hielten,
daß einer aus ihrer Mitte seine Hand einer Tochter des
Landes gebe.
Und wenn er sich ihnen widersetzte und sie ihn ausstießen, welche M ittel standen ihm dann zu Gebote, sich
hier am Leben zu erhalten? Alles, was die Missionare
brauchten, bekamen sie reichlich von der Mission gesendet,
aber nur durch die Hände der Oberen gingen diese Zu
schüsse, und sie hatten jedenfalls die Macht, wenn nicht
auch das Recht, ihm alles zu verweigern, sobald er ihren
Befehlen nicht mehr gehorchen wollte. Und was würde
dann aus ihm, wenn er hier, abgeschnitten von der Welt,
allein auf einer dieser Inseln saß und nicht einmal Mittel
und Wege wußte, selbst nur einen Brief an die Mis
sionsgesellschaft daheim gelangen zu lassen, um dieser
auseinanderzusetzen, wie sich alles verhielt? Sobald
die Missionare keinen Bries an die Oberbehörde wollten
gelangen lassen, wer war imstande, ihn zu befördern?
I n ihren Händen lag die Macht und Gewalt, und wohin
er sich auch wendete, er blieb von ihnen abhängig, da
er sich ja nicht einmal nach einer der anderen Inseln
wenden konnte, ohne ihre Fahrzeuge zu benutzen.
Von solchen trüben Gedanken erfüllt, schritt er
weiter durch das reizende Tal, bis er endlich jene Stelle
erreichte, von wo aus man den See mit den darum geschmiegten Hütten überschauen konnte.
Da raschelte etwas in den Büschen über ihm. Tama,
das holde, herzige Kind, das seine ganze Seele erfüllte,
kam leicht geschürzt von der Höhe herabgesprungen und
streckte ihm freudestrahlend die Hand entgegen.
„Wo bist du solange geblieben, böser M ann?" sagte
sie herzlich. „Wie hat sich Tama um dich gesorgt — und
was sagen deine Freunde?" setzte sie ängstlich hinzu.
„Dein Antlitz sieht so bleich und gramerfüllt aus."
318
M artin warf einen scheuen Blick auf die ihm fol
genden Insulaner; er wußte, daß sie alles, was sie von
ihm sahen, getreulich an M r. Löwe berichten würden,
und gerade dieser hatte ihm strengen Befehl erteilt,
mit Tamoruvas Tochter aus keine Weise wieder zu Ver
kehren. Auch alles, was ihm in der letzten halben Stunde
die eigene Vernunft zugerufen, und ihn gemahnt und
gewarnt, zuckte ihm mit Blitzesschnelle durch die Seele;
aber es war auch nur ein Moment. Er sah wieder in
Tamas treue Augen, er hörte ihre Stimme, die lieben,
lieben melodischen Laute — er fühlte den Druck ihrer
Hand, und alles, was ihm kluge Vorsicht angeraten, war
vergessen in dem einen seligen Begegnen der Ge
liebten.
„Geht ihr voran/' sagte er ruhig, aber so bestimmt
zu den eingeborenen Dienern, daß diese kein Wort der
Entgegnung wagten. „Geht nur in meine Hütte und
erwartet mich dort, ich komme bald nach. Röstet euch
Brotfrucht und brecht von meinen Früchten, ihr findet
im Überfluß zu essen."
Die Eingeborenen zögerten einen Moment; sie
wußten recht gut, w a s ihnen der Mitonare aufgetragen
hatte; Paya, ihr sonstiger Führer, war aber nicht bei
ihnen, und mit der Gleichgültigkeit dieser Stämme gegen
alles, was nicht den unmittelbaren Moment betrifft,
überlegten sie nicht lange. Was die beiden Mitonares
miteinander hatten, mochten sie auch miteinander aus
machen. S i e waren auf dein Wege hungrig geworden,
und es verstand sich von selbst, daß sie erst einmal vor
allen Dingen essen und trinken mußten. Außerdem
hatten sie Freunde am Hupai-See, die sie gern wieder
sehen wollten, und ohne sich deshalb weiter um den
Mitonare und Tamoruvas Tochter zu bekümmern, ver
folgten sie, rascher als sie bisher gegangen, den hier
sonnigen Weg, um bald wieder in den Schatten der
wehenden Kokospalmen zu gelangen, die ihnen von dort
schon herüberwinkten.
--
320
—
„Und du gehst jetzt nicht wieder fort von mir!,
M atina?" rief Lama, als die Träger kaum aus Hörweite
waren, indem sie ihm ängstlich ins Auge sah, „du bleibst
bei mir in Hupai, daß ich dich nicht mehr missen mutz?"
„Ich bleibe bei dir, Tama!" rief M artin, ferner
Sinne kaum mehr mächtig, indem er sie leidenschaftlich
mit dem rechten Arm umschloß. „Nichts soll uns mehr
trennen, nichts, selbst nicht das kalte, herzlose Wort
der Mitonares, die ja doch nur S inn für ihre Gebete
haben."
^
^
So warst du nicht glücklich mit ihnen?" rref Tama
angstvoll. „O, ich wußte es, daß sie es dir weigern
würden. Sie sind zu stolz und hart, und nur mrt
ewigen, entsetzlichen Strafen drohen sie für das klernste
Vergehen. Wie grausam mutz ihr Gott sein!"
„Tama," rief da der junge Missionar, dessen Bück,
Während das Mädchen sprach, in Glück und unaussprech
licher Liebe an ihr gehangen hatte, „was da auch kom
men möge, was uns entgegentritt und auseinanderrerßen
will: dein bin ich für dies ganze Leben, dein hier und
dort, und dein Glück soll das meine, deine Heunat der
O rt sein, wo auch ich mein Haupt niederlege. Willst du
ebenso treu und lieb bei mir ausharren?"
„Ich will dein Weib sein," sagte das junge Mädchen
herzlich, „dein treues Weib für jetzt und immerdar, und
will dich lieben und dir gehorchen, wie ich meinem Vater
gehorcht habe alle Zeiten. Ich will auch zu deinem Gott
beten, wenn du mich lehren kannst, ihn zu lieben, und
dir vertrauen, daß du mich den rechten Weg führst."
Dann komme, was da wolle!" rief M artin jubelnd
aus. " „Deine schöne Insel trägt Früchte genug, und
Fische füllen die Binnenwasser und Seen mit ihren,
munteren Schwärm. Arbeiten kann ich und will ich;
der Boden ist fruchtbar und gibt tausendfältig; derne
Eltern werden mich ebenfalls lieben, und meine Freunde
müssen den Entschluß, wenn sie ihn auch vielleicht nicht
billigen, doch jedenfalls achten. Sie haben aber kerne
—
321
—
Macht über mich, um mir Zwang aufzuerlegen, daß ich
unglücklich würde mein ganzes Leben lang. Und nun
komm zu deinem Vater, Herz, daß er Freude an seinen
Kindern hat. Komm, laß uns zu ihm und unsere Pläne
für die Zukunft bauen." Und feinen Arm um sie schlin
gend, in seligem Vergessen seiner eigenen, eigentüm
lichen Stellung auf den Inseln, nur von der Liebe er
füllt, die ihm das holde Wesen an seiner Seite einge
flößt, schritt er mit ihr dem sonnenhellen See zu, und
der Himmel lachte dazu in reiner, durch nichts getrübter
Bläue auf das glückliche P aar hernieder.
Tamoruva, der alte heidnische Häuptling, runzelte
allerdings finster die S tirn , als ihm der junge Missionar
offen erzählte, daß „seine Brüder" mit seiner beabsich
tigten Heirat nicht einverstanden wären und sie ihm
wehren wollten, er aber fest entschlossen sei, bei ihm und
den Seinen auszuhalten und ihr Schicksal mit ihnen
zu teilen. Doch zog dann auch wieder ein grimmeS
Lächeln über seine Züge, als er sagte:
„Ist ihnen Tamoruvas Hütte nicht vornehm genug?
Bei dem Gott von Bolutu! sie fänden keine edlere auf
der Insel, selbst nicht die Ram ara Toas, dessen Vor
fahren nur wie Räuber in unser Land brachen und den
Boden wie das Land unterjochten. Aber laß sie, Matina.
wir brauchen sie nicht. Sie tragen auch den Gott, den
sie fortwährend auf der Zunge haben, nicht im Herzen:
sie sind stolz und hochmütig und wollen u n s nur unter
das dicke Buch beugen. Schmach über sie! Wäre nur
Matingi Ao meinem Rate gefolgt, so hätte er nicht
geduldet, daß Taori die Schande ertragen mußte, die er
setzt trägt, sondern — doch es ist gut," brach er plötzlich
ab, „er hat es selber gewollt: aber du, M atina, bist
sicherer hier im Hupai-Tal, als die bleichen, finsteren
Männer dort drunten an ihrer Bai."
„Sie wollen mich nach Afaru schicken," sagte M artin,
„ich soll nie hierher zurückkehren."
„Und gehst du?" fragte ihn der Häuptling ruhig.
F r. GerstLcker, Die Missionare.
21
322
,Nein, bei dem Himmel da droben, ich gehe n ic h t!"
rief der junge Missionar heftig. „Sie mögen jetzt mit
mir tun, was sie wollen; mich k ö n n e n und s o l l e n
sie nicht zwingen. Ich bleibe bei euch, bei Tama, und
will einer eures Volkes werden; vielleicht lernt ihr
auch dadurch unsere heilige Lehre liebgewinnen."
„Ich will dir etwas sagen, M atina," bemerkte der
Häuptling trocken. „Wenn du gedenkst hier in Frieden
zu leben, so laß uns unseren Glauben. Erzähle uns,
soviel du willst, von den Einrichtungen und Sitten
deines Stammes, und finden wir etwas Gutes darin,
was auch für uns passend wäre, so können wir immer
Nutzen daraus ziehen; aber so ohne weiteres alles, was
unsere Väter geglaubt, über den Haufen werfen, das
geht nicht und darf nicht sein. Weshalb sollen wir glau
ben, daß dein Gott die ganze Welt mit einem einzigen
Wort erschaffen habe, wenn du uns nicht einmal glauben
willst, daß einer u n s e r e r Götter diese kleine Insel
mit einer Angel aus dem Meere gezogen habe? Woher
wißt ihr überhaupt, daß es nicht wahr ist, da es vor
langen, langen Jahren geschah, und ihr erst jetzt hierher
gekommen seid? I h r sagt, der Gott von Bolutu habe
gar keine Kraft, und doch kennt ihr ihn gar nicht, ja
wißt nicht einmal, wo seine Insel liegt. Geht mir mit
euren Erzählungen! Ic h soll glauben, daß ein Fisch
einen Menschen verschlungen und ihn nach drei Tagen
lebendig wieder ausgespien habe, und ein Mann auf
einem feurigen Wagen nach dem Himmel gefahren fei,
und ihr behauptet, unsere Erzählungen von der Ent
stehung Motuas seien Lügen, wo du noch deutlich den
Platz sehen kannst, in welchem der Haken eingegriffen
hat.*) Geh, du träumst. — Aber was sollen die M än
ner bei dir, die du mit herübergebracht?"
') Diese S a g e findet sich auf verschiedenen Inseln, und eine
Höhle in irgend einem Felsen wird dann gewöhnlich als der Platz
bezeichnet, in welchem dam als der Haken gefaßt habe.
—
323
—
„Sie sind mir mitgegeben/' sagte M artin, „um
meine Sachen an die Küste zu schaffen, damit ich sie dort
einschiffen kann."
„Also du gehst n ic h t mit ihnen?"
„Nein!"
„Gut, so schicke sie wieder fort. Sie gehören zu
dem Weißen Mann. S ie mögen bei ihm bleiben. Sie
können sich hier mit Speise und Trank erfrischen und
ausruhen, dann sende sie heim; wir brauchen sie hier
nicht."
Damit wickelte sich der Häuptling in seinen Gnatumantel und schritt hinaus in den Wald. Alle Gespräche
über Religion waren ihm verhaßt. Er mochte nichts
weiter davon hören.
M artin, jetzt fest entschlossen, seinem Vorsatz treu zu
bleiben und auf seiner Heirat mit Tam a fest zu be
stehen, mochten die Missionare darüber sagen, was sie
wollten, kehrte ohne Besinnen zu den Laua-Jnsulanern
zurück und meldete ihnen, daß sie leer nach Motua-Bai
zurückkehren müßten. Er würde hier oben bleiben und
später selber M r. Löwe Bericht erstatten.
Einer der Leute erwiderte ihm nun allerdings, sie
hätten strengen Befehl, alles mitzubringen, was noch
hier oben Eigentum der Mission sei, er bedeutete sie je
doch, sich darum nicht weiter zu kümmern, und da diese
glücklichen Menschen eigentlich nichts weiter verlangen,
als daß sie sich um nichts zu kümmern b r a u c h e n ,
so hatten sie auch nicht das geringste mehr dagegen. Auch
an den Heimweg dachten sie nicht so rasch. Wäre Paya
bei ihnen gewesen, so würde er sie Wohl dazu getrieben
haben, denn Löwe konnte sich keinen folgsameren Diener
wünschen; so aber blieben sie ruhig im Schatten der
Palmen liegen, oder fuhren auch vielleicht einmal auf
den See hinaus, um zu fischen. Zeit! Was war ihnen
Zeit? S o trieben sie sich ein paar Tage dort müßig herum,
bis sie doch selber fühlen mochten, daß sie an die Rückkehr
21'
—
324
denken mußten, um dem Mitonare Bericht abzustatten.
Das aber war kurz vor Ausbruch des Sturm es, und
als dieser herannahte und auch im Hupai-Tal viel Ver
wüstung anrichtete, krochen sie natürlich wieder in die
nächste Hütte, um das Wetter abzuwarten. Bei einem
solchen Orkan durften sie nicht daran denken, durch den
Wald zu gehen, beschlossen aber, am nächsten Morgen
jedenfalls aufzubrechen. An, nächsten Morgen mußten
sie aber natürlich erst ihre Brotfrucht backen und nach
her auch noch selbstverständlich helfen, das durch den
Sturm beschädigte Dach der Hütte auszubessern, in der
sie die Nacht verbracht. So rückte der Nachmittag her
an, und sie brauchten jetzt nur die Abendkühle abzu
warten, um ihren Marsch wirklich anzutreten. Vorher
aber kam der Bote von der Motua-Bai, der die plötz
liche Krankheit Taoris meldete und augenblicklich den
allein in der Chirurgie erfahrenen Bruder M artin an
sein Lager rief.
M artin selber wäre allerdings jetzt lieber nicht so
rasch zu Bruder Löwe zurückgekehrt. Er hatte sich vor
genommen gehabt, ihm erst zu schreiben und ihm die
Gründe seines Verfahrens in einem Briefe auseinanderzufetzen. Er hätte sich dann dieselben noch einmal mit
Fremar ruhig überlegen können, und daß ihn Fremars
junge Frau, so viel in i h r e n Kräften stand, dabei
unterstützen würde, davon war er fest überzeugt. Jetzt
ging das nicht mehr, denn er hatte den jungen Taori,
der sich gegen ihn immer so offen und herzlich gezeigt,
selber zu lieb, um ihn lange ohne Hilfe zu lassen. Er
d u r f t e da nicht fäumen, und was er deshalb an
Medizin besaß, die er für diesen Fall als passend hielt,
raffte er zusammen und überraschte seine Leute jetzt
selber mit dem plötzlichen Befehl zum Aufbruch.
Tamoruva aber war außer sich, als er die Nach
richt von Taoris Krankheit bekam, denn er liebte den
jungen. Häuptling wie seinen eigenen Sohn. Er wäre
auch gleich selber mit einem Schwärm seiner Anhänger
326
nach der Küste hinabgeeilt, aber M artin bot alle seine
Beredsamkeit auf, ihn daran zu verhindern; fürchtete
er doch nicht mit Unrecht, daß es in dem Fall leicht, ja
wahrscheinlich zu offenen Feindseligkeiten kommen könne,
die jedenfalls unter den Eingeborenen verschiedenen
Glaubens vermieden werden mußten. Er versprach ihm
aber, augenblicklich einen Boten zurückzusenden, oder viel
mehr einen von seinen eigenen Leuten mitzunehmen, der
ihm ohne Aufenthalt Nachricht bringen konnte, wie es
nnt dem Sohn des Königs stand, und war irgend welche
Gefahr vorhanden, dann wollte er ihn selber gleich her
auf in das mildere Klima von Hupai schaffen lassen,
um ihn hier unter steter Pflege zu behalten.
Noch an dem Abend erreichte er die Motua-Bai,
wenn auch schon in tiefer Nacht, und schlief in Ramara
Toas eigenem Hause, der aber den Sohn nicht wieder
wollte wecken lassen. Er war an dem Abend sehr schwach
gewesen, und M artin glaubte selber, daß Ruhe die beste
Kur für ihn sei; hielt er doch sein Leiden für nicht so
schwer. Auch M r. Löwe vermied er noch zu sprechen,
obgleich diesem die von ihm mitgegebenen Leute jeden
falls Meldung gemacht. S ie hatten sich zu lange im
Hupai-Tal aufgehalten, um damit zu zögern, da sie ein
mal an O rt und Stelle waren.
Heute wäre es aber doch zu spät gewesen, um noch
etwas weiteres zu bereden, wenn selbst M r. Löwe gewollt
hätte. Nur Mr. Fremar suchte er noch auf und hatte
mit diesem eine lange Besprechung, dann zogen sich die
beiden Missionare wieder zu ihren verschiedenen Schlaf
stellen zurück, und der Friede Gottes ruhte auf der
stillen Bai.
326
22.
Zurück nach Hup-ri.
Am nächsten Morgen war der Missionar M artin
mit dem ersten Tagesgrauen auf und an Taoris Lager.
Der junge Häuptling streckte ihm freundlich die Hand
entgegen, als er ihn sah; aber es wurde ihm selbst
schwer, sich auf seinem Ellbogen emporzurichten. Er hatte
einen Schmerz in der Seite, und M artin erkannte bald,
daß es sich hier um mehr als ein vorübergehendes Un
wohlsein handle.
Dabei klagte der Kranke über Beängstigung, und
viel mochte dazu die ewige Unruhe am Strande, dicht
vor seinem Lager, beitragen, da die Eingeborenen ge
rade emsig beschäftigt waren, alles, was das verunglückte
Fahrzeug enthielt, zu bergen und in der unmittelbaren
Nähe von Ramara Toas Wohnung aufzuspeichern. J a
selbst dicht neben dessen Haus errichteten sie ein anderes,
um die Güter vor Regen zu schützen, und das war mit
beginnendem Tag ein Klopfen und Hämmern, ein
Schreien und Toben, Lachen und Zanken, daß einem ge
sunden Menschen der Kopf Wirbeln konnte, wie viel mehr
dem der Ruhe bedürftigen Kranken.
Einua, seine M utter, bewachte ängstlich sein Lager,
M artin sagte ihr aber ohne weiteres, daß Taori von
hier fort und in sein stilles T al geschafft werden müsse;
sie könne ihn lieber begleiten. Dort solle er auch treue
Pflege finden, und in der kühleren Luft von Hupai würde
er sich hoffentlich bald wieder erholen.
Ram ara Toa war nicht recht damit einverstanden,
und zu jeder anderen Zeit würde er sich einem solchen
Vorschlag auch vielleicht entschieden widersetzt haben; jetzt
aber bewog ihn manches, Taoris Abwesenheit gerade zu
wünschen, denn wichtige Pläne trug er im Kopf herum,
mit denen Taori, wie er recht gut wußte, nie im Leben
einverstanden gewesen wäre. Es blieb also immer besser,
327
den Sohn zu entfernen, dem gegenüber er sich noch dazu
einer Schuld bewußt war. Daß die Krankheit lebensgefährlich fein könnte, dachte er keinen Augenblick.
Allerdings würde es ihm viel lieber gewesen sein,
wenn Taori seinen nächsten Aufenthalt irgendwo an der
Küste genommen hätte, denn er kannte zu gut den
„bösen Geist", der im Hupai-Tal herrschte; dagegen pro
testierte aber M artin auf das entschiedenste, denn gerade
die kühle Luft in den Bergen sollte ja wohltätig auf ihn
einwirken, und außerdem sehnte sich der Kranke selber
nach seiner Heimat, in die er zurückzukehren wünschte.
Er wollte in die Hütte am stillen See, wo er das ewige
Brausen der Brandung nicht mehr hörte, denn diese
erinnerte ihn, wie er sagte, an die fröhliche Zeit, die
sie sonst dort verlebt, und — an das Elend, das jetzt über
sie hereingebrochen wäre.
Freiwillige Träger erboten sich augenblicklich im
Überfluß, wie der Umzug des Königssohnes nur bekannt
wurde, um ihn leicht und bequem über den rauhen Weg
zu schaffen. Er war ja seit seiner frühesten Jugend der
Abgott des Volkes gewesen, und besonders alle die da
mals aus Afaru Verurteilten, mit denen er zusammen
gearbeitet, drängten sich herzu und umlagerten die Woh
nung des Königs, nur um die ersten zu sein, die ihn
auf ihre Schultern nehmen durften.
S o rasch ging das freilich nicht. Vor allen Dingen
mußte eine gute und bequeme Trage hergerichtet wer
den, auf welcher der Kranke ausgestreckt liegen konnte,
da ihm selbst das Sitzen Schmerzen verursachte, und dann
war es außerdem nötig, nicht allein das Frühstück zu
bereiten, sondern auch noch Lebensmittel herzurichten,
von welchen die kleine Karawane unterwegs zehren
konnte. M artin benutzte diese Zeit, um zu Fremars
Wohnung hinaufzusteigen, denn Bruder Löwe war na
türlich von seiner Ankunft unterrichtet und hatte ihn
schon ersuchen lassen, dorthin zu kommen, da sie ihn
oben zu sprechen wünschten,
328
Er wußte, was thu da erwartete, war aber auch
fest entschlossen, keine Linie breit von seinem einmal
gefaßten Vorsatz abzuweichen. Deshalb fest die Zähne
aufeinander gebissen, schritt er am Strand entlang und
Fremars Wohnung zu.
Unterwegs sah er das gestrandete Schiff und erfuhr
die Einzelheiten, wenigstens in flüchtigen Umrissen, von
ihm begegnenden Insulanern; aber er trug andere Dinge
im Herzen, als solche Neuigkeiten, die für ihn doch nicht
von Interesse sein konnten. Was kümmerten ihn die
Fremden, denen er doch nicht mehr helfen konnte, was
die Beutestücke, die der König jetzt daheim aufhäufte!
Tama, das war der einzige Gedanke, der sein Herz er
füllte, Tama, seine liebe, holde Blume des Tales, das
Ideal dessen, was er in seinen schönsten Träumen er
strebt, was ihm das Herz bewegte, als es ihn herüberzog
zu den stillen, friedlichen Inseln dieser See. Das Glück
und Heil wollte er ihnen bringen, so wie es ihm vor
schwebte in voller und klarer Reinheit. Aus der Pracht
ihrer Heimat wollte er die Furcht vor blutigen Götzen
bildern scheuchen, nicht Haß und Eifersucht, Neid und
wütende Glaubensverfolgung in ihre Hütten, unter ihre
Palmen tragen. Und was hatte er jetzt getan, daß eben
diese Missionare, die sich die Diener des alleinigen Gottes
nannten, über ihn zu Gericht sitzen konnten? Was hatte
er verbrochen, daß er ihren Zorn zu fürchten brauchte?
Ni c h t s ! Er war sich keiner Schuld bewußt. Daß
er das Mädchen, die Tochter des Häuptlings, liebte und
sie zum Weibe begehrte, konnte keine Sünde sein, denn
i h r e Religion verbot ja nicht dem Geistlichen die Ehe.
Und was sonst? Daß ihre Haut braun war und ihr
Herz unter einem Gnatumantel schlug? O, es klopfte da
wärmer, als unter dem schwarzen, heißen Rock dieser
Priester eins schlagen konnte. Aber er wußte Wohl,
w e l c h e s Ziel sie dabei verfolgten: nur diese ewige,
rastlose Herrschsucht, die sie weiter und weiter trieb und
sich besonders auf alles ausdehnte, wps nur mit ihnen
329
—
i» der geringsten Verbindung stand. Keiner der vo»
ihnen Abhängigen sollte auch nur den geringsten Grad
von Freiheit erreichen, in der er sich ihnen vielleicht ein
mal entziehen konnte-, ja nicht einmal ein freier Wille
wurde dem einzelnen gestattet, und gegen das empörte
sich sein Herz.
M it ähnlichen Träumen wie Berchta war er her
über auf die Inseln gekommen, mit ähnlichen Vorsätzen,
das Glück der Eingeborenen zu begründen. Jetzt fing
er an einzusehen, daß alles nur auf eine leere Form
hinauslief, in welcher man den Erfolg suchte und fand.
Nur wenn sich die Insulaner dieser fügten, betrachtete
man sie als neugewonnene Christen-, was sonst aus ihnen
wurde, blieb sich gleich.
Armer Taori! Auch dieses junge, lebensfrohe Herz
hatten sie gebrochen, indem sie das Unmögliche von ihm
verlangten. Mitten in seiner schönsten Jugendzeit sollte
er plötzlich all dem entsagen, was früher in harmlosen
Spielen sein Glück, seine Freude gewesen. Ernst und mit
dem Leben abgeschlossen, wie sie selber ihre trübe Bahn
gingen, sollte er mit einem Schlage vergessen, daß er
jung und glücklich, daß er ein Königssohn sei, und sich
nur d e m fügen, was s ie ihm als von Gott selber
eingesetzt brachten, und Gott selber hatte ihm doch das
fröhliche Herz und die lachende N atur umher gegeben,
um sich ihrer zu freuen und darin zu schwelgen.
Und das nämliche waren sie jetzt im Begriff, mit
ih m zu tun; aber trotzig blitzte sein Auge, denn da
hörte ihre Macht auf. Sie konnten an die Gesellschaft
daheim berichten, daß er sich ihren Befehlen nicht mchr
gefügt, ja, und dann im allerschlimmsten Fall bestimmen,
daß er nicht mehr als von ihnen angestellter Missionar
betrachtet werden solle — weiter nichts. Daß war das
Äußerste, er selber aber war fest entschlossen, das zu
erwarten, und wie er sich damit nur im reinen fühlte,
verfolgte er seinen jetzt nur noch kurzen Weg auch viel
entschiedener upd rascher,
330
Er fand die beiden Missionare oben in Fremars
Haus gerade beim Frühstückstisch, Berchta saß mit daran
und stand freundlich auf, um ihn zu begrüßen, wie er
nur die Schwelle betrat. M r. Löwe und Fremar blieben
sitzen und sahen beide sehr ernst aus. Berchta aber, ohne
das selber zu beachten, obgleich sie nur zu gut wußte,
welche Szene folgen würde, lud den jungen Gast ein, an
ihrem frugalen Mahle teilzunehmen, und M artin, der
nicht wollte merken lassen, wie unbehaglich ihm doch jetzt
zumute sei, und wie ihm das Herz klopfte, grüßte die
Herren achtungsvoll und folgte dann ohne weiteres der
Einladung.
„Und wie geht es dem armen Taori?" fragte Berchta,
als keiner der beiden anderen Herren Lust zu haben
schien, eine Unterhaltung zu eröffnen, „sein Zustand hat
doch hoffentlich nichts Bedenkliches? Der Gedanke
würde mich zu unglücklich machen."
„Ich fürchte das Schlimmste für ihn," sagte M ar
tin leise.
„Es wäre entsetzlich!"
„Er muß sich, vielleicht beim Heben irgend eines
schweren Gegenstandes, etwas im In n ern verletzt, viel
leicht ein Blutgefäß gesprengt haben, und ist das der
Fall, so vermag menschliche Kunst nichts, um ihn wieder
herzustellen. Nur die N atur hilft ihm vielleicht noch
darüber hin."
„Oder Gott," sagte Mr. Löwe ernst. „Sie scheinen
übrigens die Sache zu schwarz zu sehen, Bruder M artin,
denn diese Insulaner sind von der geringsten Anstren
gung sehr leicht geworfen, erholen sich aber auch ebenso
rasch wieder, und ich habe überhaupt in diesem Fall
einen nicht ganz unbegründeten Verdacht, daß sich der
junge Herr nur krank s t e l l t , um der weiteren, ihm
unbequem gewordenen Arbeit damit enthoben zu wer
den, was ihm auch vollständig gelungen ist. Ramara
Aoa hat in einem sehr unrecht am Platz gewesenen Ge-
331
fühl von Schwäche sämtlichen Verbrechern die weitere
S trafe erlassen."
„Ver brecher n,
M r. Löwe?" sagte Berchta
weich. „Können wir das, wessen sie sich schuldig gemacht,
wohl ein Verbrechen nennen?"
„Allerdings, Schwester Berta," sagte der Missionar
ernst, ja scharf, „und es tut mir wirklich in innerster
Seele weh, daß S i e das nicht zu fühlen scheinen."
„Ich kann es nicht begreifen."
„Das ist schlimm, sehr schlimm, denn wie k ö n n e n
wir erwarten, daß sich die Eingeborenen mit ganzer
Seele dem wahren Glauben zuwenden sollen, wenn ihnen
dabei gestattet bleibt, ihren heidnischen Gebräuchen nach
wie vor zu folgen? Doch das ist ein Kapitel, worüber
wir schon zu viel und, wie ich zu meinem Bedauern sehe,
noch selbst bei Ihnen vergeblich gesprochen haben. Lassen
Sie uns, zu wenn nicht ernsteren, doch für den Augenblick
wichtigeren Dingen übergehen, denn wie ich sehe, hat
Bruder M artin sein Frühstück beendet."
Bruder M artin hatte allerdings kaum angefangen,
aber auch wahrlich in seiner jetzigen Stimmung keinen
Appetit zum Essen. Die Bissen blieben ihm im Munde
stecken, denn an der ganzen Art und Weise des sonst
wohl strengen, aber auch nicht unfreundlichen Missionars
sah er, daß er gereizt und jedenfalls über ihn entrüstet
war. Aber es half jetzt nichts; er hatte das alles vor
her gewußt, ehe er nur herkam, und es galt nun dem,
was wider ihn vorgebracht werden konnte, ruhig zu
begegnen.
Fremar selber hatte noch keine zehn Worte ge
sprochen. Er kannte M artin von Laua her und war
immer freundschaftlich, ja brüderlich mit ihm gewesen.
Der vorliegende Gegenstand mochte ihm deshalb selber
peinlich, selbst schmerzlich sein. Löwe war aber auch
s e i n Vorgesetzter, deshalb stand ihm das Wort nicht
zu, und er überließ es diesem gern, die ganze böse Sach?
zu erörtern,
332
„Bruder M artin," begann jetzt Löwe nach einer kleinen
Pause, in der er seinen Teller zurückschob und den jun
gen M ann über seine Brille fest und ernst ansah, „wollen
Sie vielleicht die Güte haben, mir zu erklären, weshalb
S ie der direkt und vollkommen deutlich Ihnen zugegan
genen Order nicht genügt und unverweilt Ih re Sachen
aus dem Hupai-Tal herübergeschafft haben, um Ih re
neue Stellung in Afaru einzunehmen? Ich hatte Ihnen
selbst meine Träger zu dem Zweck mitgegeben. Sie
k ö n n e n mich doch nicht mißverstanden haben?"
„Nein, M r. Löwe," sagte der junge Mann, der aber
vor innerer Aufregung so blaß geworden war, daß
Berchtas Blick mitleidig auf ihm haftete, „das habe ich
auch nicht. Ich verstand vollkommen, w a s S ie mit
der Order meinten, und bin aus dem ganzen Weg, bis
in das Hupai-Tal, ernstlich mit mir zurate gegangen,
wie ich in diesem Falle vor Gott und meinem Gewissen
handeln solle."
„ S i e sind mit sich zu Rate gegangen?" rief der
Missionar erstaunt. „Und hatten Sie etwas anderes zu
tun, als dem Ihnen gewordenen Befehl zu g e h o r c h e n?"
„Allerdings," erwiderte M artin, der jetzt seine volle
Ruhe wiedererlangt hatte, „es galt hier das Glück und
den Frieden meines ganzen Lebens, und nicht allein
mein Verstand, nein, auch mein Herz beanspruchte eine
Stimme in diesem Falle."
„Und wissen Sie, daß die Gesellschaft — " fuhr
Löwe auf. M artin ließ ihn aber nicht ausreden.
„Ich weiß alles," erwiderte er fest. „Berichten Sie
an die Gesellschaft, M r. Löwe, daß ich dieses einemal
Ihrem Befehl nicht gehorcht habe, weil ich fest entschlossen
sei, Tama, die Tochter Tamoruvas, als mein Weib
heimzuführen und treu und ehrlich bei ihr auszuhalten
mein ganzes Leben lang."
„Das ist offene Empörung!" rief M r. Löwe, von
seinem S tuhl emporfahrend, denn auf diesen Widerstand
333
war er bei dem sonst so schüchternen jungen Mann nicht
gefaßt gewesen.
„Und doch so friedlicher, harmloser Art," lächelte
M artin. „Überlegen S ie sich die Sache, Mr. Löwe,
ruhig und leidenschaftslos, selbst nicht einmal in me i n e m Interesse und m e i n Glück nicht berücksichtigend,
sondern nur im Interesse der Mission selber. Bedenken
Sie, welchen Nutzen ich bei so genauer Verbindung mit
einem der einflußreichsten Häuptlinge des Landes der
guten Sache bringen kann, und urteilen Sie dann mild
und freundlich über mich."
„Mir steht kein Urteil darüber zu," sagte M r. Löwe
mit finster zusammengezogenen Brauen. „Alles, was
ich tun kann, ist, den ungewöhnlichen und traurigen
Fall ungesäumt und mit nächster Gelegenheit an die Ge
sellschaft zu berichten; d e r e n Urteil müssen Sie er
warten, und ich bedauere außerdem, I h r unchristliches
Gesuch dabei nicht einmal befürworten zu können. Sie
aber haben sich jetzt, bis die Antwort von daheim ein
trifft, ungesäumt auf Ih ren Posten nach Afaru zu be
geben und dort das weitere abzuwarten, und ich hoffe,
daß Sie d e m augenblicklich Folge leisten werden."
„Das geht aus zwei Gründen nicht," sagte M artin
ruhig; „erstlich habe ich den ungesäumten Transport des
jungen Prinzen Taori nach dem Hupai-Tal verfügt, um
ihn in die kühlere Luft der Berge zu schaffen —"
„ S i e haben darüber verfügt?" rief Löwe, fast
außer sich vor Erstaunen.
„Ja, als sein Arzt," sagte M artin kalt, denn er
selber fühlte sich jetzt durch die wegwerfende Behandlung
verletzt, „und dann bin ich fest entschlossen, die Ent
scheidung der ehrwürdigen Missionsgesellschaft n ic h t
abzuwarten, sondern gleich nach meiner Rückkehr in das
Hupai-Tal Lama als mein Weib heimzuführen."
Löwe hatte aufbrausen wollen, und Berchta schon
einö schlimme, unheilvolle Szene gefürchtet, aber gerade
das Ungeheure, das dem Manne hier in so entschiedener,
—
334
—
wie er meinte, fre c h ausgesprochener Weise entgegen
trat, gab ihm seine Ruhe, sein kaltes Blut wieder, und
mit säst ironischer Stimme sagte er:
„Und ist das I h r letzter Entschluß, H e r r M artin?"
„Das ist mein letzter, fester Entschluß," erwiderte
der junge Mann feierlich, „so wahr mir Gott helfe!"
„Sehr Wohl, Herr M artin," erwiderte der Mis
sionar. „So weit es den Treubruch gegen die Gesellschaft
betrifft, mögen Sie das mit Ihrem eigenen Gewissen
abmachen, mir steht in diesem Falle keine weitere Gewalt
über Sie zu, denn mit dem Schritt sind S ie selber und
freiwillig aus dem Missionsverbande getreten."
„Aber ich bin mir keines Treubruches gegen die
Mission bewußt," rief M artin heftig, ich will nach wie
vor in ihrem S inn und Geiste wirken, ja nur noch mit
um so größerer Freudigkeit."
„Was S ie aus eigener Überzeugung tun mögen,"
erwiderte M r. Löwe abwehrend, „geht die Gesellschaft
nichts mehr an; nur der Anspruch bleibt ihr vorbehalten,
den sie an Sie wegen Überfahrt und sonstiger Auslagen
zu machen hat. Sie selber sind aus dem Verbände aus
geschieden, und ich ersuche S ie auch deshalb, ungesäumt
und so rasch es Ihnen möglich ist, alles an mich oder
Bruder Fremar auszuliefern, was sich noch an Missions
eigentum in Ih ren Händen findet. Nur eine Bibel
mögen S ie behalten, um in deren Studium vielleicht
dereinst den Fehltritt zu bereuen, dessen Sie sich jetzt
schuldig gemacht. Wir wollen S ie nicht j e d e r Hilfe,
nicht j e d e s Trostes berauben."
„Und nennen Sie d a s eine Religion der L ie b e,,
M r. Löwe,"
„Du sollst nicht andere Götter haben neben mir,"
sagte Mr. Löwe streng, „so lautet das erste Gebot des
Herrn, und ich bin ein eifriger Gott, der über die, so
mich hassen, die Sünde der Väter heimsuchet an den Kin
dern bis ins dritte und vierte Glied."
—
335
„Bis ins dritte und vierte Glied," nickte M artin
leise vor sich hin mit dem Kopfe, „an dem unschuldigen
Nachwuchs der Sünder; aber es hilft hier nichts, mit
Worten zu streiten," raffte er sich wieder empor. „Ich
fürchte fast, Sie haben das l e t z te gesprochen, und ich
muß mich deshalb begnügen, aus einem Vereine auszutreten, dem ich gehofft hatte, mein ganzes Leben in
treuem Eifer zu weihen. Sie werden mir wenigstens
gestatten, mich in einem Brief an die Mifsionsgesellschaft
selber zu rechtfertigen."
„Das steht Ihnen frei," sagte M r. Löwe ruhig;
„jeder Sünder hat das Recht, sich zu verteidigen oder sein
Vergehen wenigstens zu entschuldigen; ich wäre der letzte,
der S ie dessen berauben möchte. S ie sollen nie sagen
können, daß S ie ungerecht behandelt worden sind."
„Ich danke Ihnen dafür," und nun bleibt mir
nur noch eine Bitte an Sie, lieber Fremar, nämlich die:
sobald S ie irgend können, und wenn Sie mir freundlich
gesinnt sind, in den nächsten Tagen die Trauungs
zeremonie nach dem Brauche unserer Kirche im HupaiT al an mir und meiner Braut zu vollziehen."
Fremar zögerte mit der Antwort und sah scheu nach
seinem Vorgesetzten hinüber; dieser aber erwiderte ruhig :
„Davon werden Sie absehen müssen, Herr M artin.
Sie können uns nicht zumuten, das zu heiligen, was wir
verdammen, denn das hieße S ie nur in Ihrem gottlosen
Bestreben unterstützen."
„ I n meinem g o t t l o s e n Bestreben, mir einen
eigenen Herd zu gründen und dabei alle christlichen For
men zu beobachten?"
„Die christlichen Formen würden bei der Verbin
dung mit einer Heidin nur zum Spott herabgewürdigt
werden."
„Aber S ie d ü r f e n mir die Trauung nicht ver
sagen!" rief M artin angstvoll aus.
„Wir dürfen es nicht nur, wir m ü s s e n es," er
widerte Löwe kalt; aber jetzt hielt sich auch Berchta nicht
336
—
langer, die bis dahin in peinlicher Spannung dem Ver
folg des Gespräches gelauscht hatte.
„Nein, M r. Löwe," sagte sie bewegt, „das dürfen
S ie in der T at n i c h t . Ich will Herrn M artin nicht
verteidigen; ich weiß nicht, ob er eines Vergehens schuldig
ist oder nicht, denn in einer Sache, die das Herz betrifft,
hat eine Frau vielleicht nicht so strenge Rechtsbegriffe
wie ein Mann, aber ich weiß in der T at nicht, wie Sie
eine so lc h e Strenge selbst vor dem Richterstuhl der
Mission verantworten könnten."
„Ei, sieh da," sagte M r. Löwe mit einem unheim
lichen Lächeln um die Lippen, „Schwester Berta tritt
selber für eine heidnische Verbindung unter Missions
gliedern ein?"
„Mein liebes Kind," sagte aber auch jetzt M r. Fremar, der bis dahin schweigend zugehört und nur manch
mal durch leises Kopfnicken seine Zustimmung zu dem
gegeben hatte, was Bruder Löwe sagte, „ich muß dich
ernstlich bitten, unserem Vorgesetzten keine eigene Mei
nung und noch dazu in einer Sache entgegenstellen zu
wollen, deren Umfang und Folgen du nicht imstande bist
zu übersehen."
„Aber wenn M r. M artin aus der Verbindung der
Missionare tritt," rief Berchta, nicht im mindesten da
durch eingeschüchtert, „und sich auf gleiche Läufe mit
den Eingeborenen stellen will, so k a n n ihm die christ
liche Trauung nicht verweigert werden. Weshalb sonst
sind wir denn alle hier und haben die Heimat ver
lassen?"
„Aber Berta!"
„Bruder Fremar," sagte Löwe mild, „ich sehe zu
meinem innigen Bedauern, daß sogar in Ihrem eigenen
Hause irrige Ansichten über die Wirksamkeit und Pflich
ten des Missionswefens herrschen. Ich überlasse es
Ihnen, dieselben zu berichtigen. Sie, Herr M artin,
haben mein letztes Wort. Weder ich noch Bruder Fre
mar können in eine solche unnatürliche Verbindung
337
willigen, noch viel weniger den Segen darüber sprechen.
Es wäre Wahnsinn, auch nur an so etwas zu denkeu.
Wollen Sie also Ih re r unseligen Verblendung die Krone
aufsetzen, so bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als sich
auch noch, als christlicher Missionar, einem heidnischen
R itus zu unterziehen und sich auf diese Art in den Besitz
Ih re r Frau zu setzen. Aber ich hoffe doch, daß gerade
diese letzte Alternative S ie davon abhalten wird, einen
Schritt zu tun, der S ie in den Augen der ganzen Christen
heit herabwürdigen und entehren müßte, denn o h n e
diesen R itus gibt Ihnen der stolze, freche Tamoruva
seine Tochter n ich t."
„Dann möge mir Gott den Schritt verzeihen!" rief
M artin leidenschaftlich aus, „aber so wahr ich hier stehe,
so wahr bin ich fest entschlossen, ihn zu tun, und er, der
Herz und Nieren prüft, wird wissen, daß ich ihn dabei
nicht verleugnet habe!"
„Du sollst den Namen deines Gottes nicht miß
brauchen, spricht der Herr," sagte Löwe mit eisiger Kälte.
„Sie scheinen nach der Reihe zu gehen, Herr M artin, uni
alle seine Gebote zu übertreten. Aber unter solchen Um
ständen bleibt u n s nichts anderes übrig, als fortan
j e d e n Verkehr niit Ihnen abzubrechen. Die Mission
hat eine Schlange an ihrem Busen genährt und eine
bittere Erfahrung mehr in ihrem dornenvollen Wirken
gemacht. Ziehen S ie in Frieden, aber die Folgen auf
I h r eigenes Haupt. W i r sind für immer geschieden."
„Und ist das auch I h r letztes Wort, Fremar?"
sagte M artin herzlich.
Fremar zuckte die Achseln. „Sie haben alles ge
hört," erwiderte er, „was sich über die traurige Sache
sagen läßt. M i r bleibt nichts hinzuzufügen."
„Dann ist hier nur noch ein Wesen," flüsterte
M artin, „dem ich wagen darf, die Hand zu reichem Leben
Sie wohl, M rs. Fremar. Nehmen Sie den aus vollem
Herzen kommenden Dank eines Unglücklichen, dein Sie
Fr. Gcrstäcker, Die Missionare.
22
338
—
gerade den einzigen Trost gebracht; denn wenn S i e
mich nicht in Ihrem Gebet vergessen, so weiß ich, daß
es zu dem Thron des Höchsten dringt. Leben S ie Wohl,
und seien Sie überzeugt, daß ich, wohin mich auch mein
Schicksal treibt, ein guter Mensch bleiben und Gottes
Geboten folgen werde."
Er reichte ihr dabei die Hand, die sie bewegt er
griff. Es war einmal, als ob Mr. Fremar selber da
zwischentreten wollte, da aber Mr. Löwe noch kalt und
ruhig daneben stand, unterließ er es. M artin setzte
auch seine Geduld nicht zu lange auf die Probe, und
sich noch einmal zu den beiden Missionaren wendend,
sagte er ernst:
„Wie S i e das Urteil, das Sie jetzt gesprochen,
dereinst verantworten wollen, weiß ich nicht; m ich
treiben S ie damit zum Äußersten. Möge Gott es Ihnen
vergeben!" Und sich abwendend, verließ er das Haus
und stieg rasch den Hang hinab, Ramara Toas Hause zu,
wo indessen alle nötigen Vorbereitungen getroffen waren,
um den kranken Königssohn hinauf in seine kühle, schöne
Heimat zu schassen.
Ehe die kleine Karawane aufbrechen konnte, kam
allerdings noch der Missionar herunter und hatte eins
lange und lebhafte Unterredung mit Ramara Toa. Er
suchte ihm auszureden, Taori gerade jetzt nach dem
Hupai-Tal zu schaffen, wo seine Krankheit die überdies
nicht ganz zuverlässigen Eingeborenen erbittern und zu
Ungehörigkeiten führen könne. Ramara Toa aber blieb
taub gegen alles, was er ihm sagen konnte, denn er
hatte es Taori fest versprochen und — das wichtigste
dabei — fühlte sich im Unrecht gegen den Kranken.
Der Missionar erzählte ihm jetzt auch den traurigen
Fall, der sich mit einem der Ihrigen ereignet hatte, daß
Mitonare M atina nämlich die Tochter Tamoruvas hei
raten wolle und durch keine Vernunftlehren davon ab
zubringen sei; aber selbst das machte nur einen sehr
339
mäßigen Eindruck auf Ramara Toa, der gar nicht das
furchtbare Unglück darin finden konnte, welches der Mitonare darin sah. Daß der neue Glaube damit bedroht
wurde? — Er trug andere Gedanken im Kopfe, als den
Glauben der Christen; denn den eigenen Glauben hat
ten früher eigentlich nur seine Priester bewacht, und
er selber hatte sich sehr wenig darum gekümmert. Er
war der K ö n i g des Volkes, für das übrige mußten
eben seine Priester und Zauberer sorgen, was sollte e r
sich den Kopf damit zerbrechen? Er machte das nicht
anders als verschiedene Oberhäupter heidnischer und
vielleicht sogar christlicher Staaten. Er betrachtete die
Religion als seinem Z w ecke dienlich, nicht etwa als
eigenes notwendiges Bedürfnis, und so streng er dar
auf hielt, daß die Untertanen jede vorgeschriebene
Zeremonie befolgten, so nachsichtig war er damit gegen
sich selber.
Jetzt wurde die Tragbahre herangebracht, auf welche
Taori gelegt werden sollte, und rührend war es, die
Teilnahme zu sehen, die ihm das Volk dabei bezeigte.
Die Träger hatten dieselbe nicht allein so weich und
bequem als irgend möglich für ihn hergerichtet, sondern
sie auch noch in ihrer einfachen Art geschmückt.
Die ganze Bahre bestand natürlich aus leichtem
Bambus, war aber zuerst mit Pandanuslaub und dann
mit breiten Bananenblättern, auf welchen wiederum
feine Matten lagen, überdeckt. Die oberen Pfosten der
selben schmückten kleine Büschel von Arrowroot-Fasern
und wohlriechendem, buntfarbigem Fern, und einen
Kranz von prachtvollen Waldblumen hatte man darum
hergewuuden. Es war ihnen allerdings verboten wor
den, dieselben als Schmuck in den Haaren zu tragen, aber
um das Lager des geliebten Fürsten konnten sie sie
flechten. Es stand wenigstens noch keine Strafe von
Straßenarbeit darauf, wenn man sich auch nicht sicher
fühlte, ob die Mitonares nicht später selbst dies verbieten
würden.
22'
340
Sechs Eingeborene trugen ihn, und Hunderte gin
gen nebenher, um die Träger, falls sie müde werde«
sollten, augenblicklich abzulösen. Auch Einua, seine
M utter, begleitete ihn. S ie ging in ihrer einfachen insulanischen Tracht, und die Angstträne um den Sohn
verschönte dabei ihr Wohl etwas breites, aber gutmütiges
Gesicht. M artin aber schritt neben der Tragbahre her,
um zu beobachten, ob selbst die leise Bewegung den
Kranken nicht angreifen würde, und dann augenblick
lich den Zug anzuhalten, wie es denn überhaupt gar
nicht nötig war, daß sie zu rasch vorrückten. S ie konn
ten sich hinlänglich Zeit nehmen, um ihn gut und sicher
seiner Heimat — vielleicht seinem Grabe entgegenzutragen.
Das war kein fröhlicher Zug, wie er sonst Wohl
nach dem befreundeten Tale stattgefunden. Die In su
laner, wenn sie auch nicht geradezu wußten, was ihm
fehle, fühlten doch recht gut, daß die Gefahr für den
geliebten Kranken größer sei, als man ihnen sagen wolle,
und schritten schweigend und niedergeschlagen neben
seiner Bahre her, während Einua selber nur fortwährend
Gebete murmelte, als ob sie mit diesen das Unheil ab
wenden könne, das über dem Haupte des geliebten Kin
des drohte.
Taori lag still und freundlich aus seinem Lager;
die frische Waldesluft tat ihm Wohl; er schaute zu den
Palmenwipfeln und dem dunklen, flüsternden Laub der
Blattbäume träumend empor und vergaß in der sanft
schaukelnden Bewegung fast seine Schmerzen. So schritten
sie weiter und weiter, bis sie einen Rastpunkt erreichten
und hier nun, im Schatten von ein paar mächtigen
Kastanien, die Trage niedersetzten. Aber sie rasteten nicht
lange, denn Einua drängte dazu, den Sohn in seine
eigene Hütte und in volle Ruhe zu bringen, obgleich
er selber sie bat, noch kurze Zeit hier zu verweilen. Es
war so schön, so wunderschön in dem schattigen Wald
und an der murmelnden Quelle.
341
S o erreichten sie das Hupai-Tal, wohin Boten schon
lange vorausgeeilt waren, um die Ankunft des geliebten
Fürsten zu melden, und dort hatte sich die ganze Ein
wohnerschaft o h n e Ausnahme, Christen und Heiden,
gemeinschaftlich versammelt, um ihn zu begrüßen und
ihm ihre Teilnahme zu bezeigen. Taori aber war durch
die schaukelnde Bewegung, und vielleicht von Schwäche
übermannt, eingeschlafen, ehe sie zum See hinabkamen,
und als das Volk das erfuhr, unterbrach kein Laut die
fast totenähnliche Stille. Schweigend schritten die T rä
ger mit der Bahre dahin, und um sie her scharten sich
Männer, Frauen und Kinder, um nur wenigstens einen
Blick auf den jungen Häuptling zu werfen. Aber nicht
einmal im Flüstern wagten sie miteinander zu Verkehren;
schweigend wie ein Grabgeleite bewegte sich der Zug
vorwärts, und als sie endlich die Wohnung Taoris er
reichten, fanden sie diese schon mit grünen Reisern und
Palmenzweigen festlich geschmückt.
Taori erwachte, als man ihn niedersetzte, da es nicht
möglich war, das so bewegungslos zu tun; aber er fühlte
sich zu schwach, um mit irgend jemand zu sprechen. Dem
alten Tamoruva, der an seiner Seite stand und mit
tiefem Schmerz in den Zügen auf die Leidensgestalt
des lieben Kranken blickte, drückte er die Hand; dann
winkte er, ihn ruhen zu lassen, und da er so bequem
und weich auf der Bahre lag, so versuchte man auch
gar nicht, ihn herunterzuheben. Er konnte sie gleich als
Bett benutzen, und leise und geräuschlos zog sich der
Menschenschwarm zurück, um den geliebten Führer nicht
zu stören.
—
3 4 2
23.
Der Sabdar.
Es war Sabbat in Motua-Bai — eigentlich der ver
kehrte Tag, denn die ersten Missionare hatten, diese
Inseln auf ihrer Reise um das Kap der guten Hoffnung
her erreichend, nur ihre Journale zu Rate gezogen, und
nicht den Tag dazu gerechnet, den sie gewannen, als sie
den 180. Längengrad passierten. Der Sam stag war des
halb für den Sonntag eingetreten, und als man später
den Irrtu m entdeckte, fand man es zu schwierig, die
Sache wieder abzuändern. Es blieb sich ja auch gleich.
Die Insulaner arbeiteten in den sechs vorhergehenden
Tagen wenig oder gar nichts und ruhten sich am sieben
ten vollständig aus, und der Missionar sprach dann zu
ihnen in der großen Kirche und hielt ihnen ihre Sünden
vor. Nachher legten sie sich in den Schatten der Pandanusbäume und Palmen an den Strand und blickten
auf die Brandung hinaus. Fischen oder rudern durften
sie nicht, keine Netze stricken oder selbst nur kochen.
Manche der Intelligenten hatten dort auch Wohl eine
Bibelübersetzung in ihrer Sprache vor sich liegen und
buchstabierten darin: den S inn verstanden sie natürlich
nicht, aber es war ihnen doch eine Unterhaltung, heraus
zubekommen, was die einzelnen Worte bedeuten sollten,
und wenn einer von ihnen ein paar derselben entziffert,
las er sie den übrigen vor, und die ganze Nachbarschaft
freute sich darüber.
Heute hatte Bruder Löwe, der morgen mit dem
frühesten wieder nach Tuia aufbrechen wollte, die Predigt
übernommen gehabt und zu den Eingeborenen von der
Liebe und dem Zorn Gottes gesprochen. Er nahm dabei
bezug auf den furchtbaren Orkan, der an der Küste
gewütet, und suchte sie zu überzeugen, daß der Allmäch
tige ihnen nur deshalb die S trafe gesendet, weil so
343
viele unter ihnen wären, die nicht den wahren Glauben
hätten und noch heimlich sündigten, wenn sie nur hoff
ten, daß es unentdeckt geschehen könne. Irdische s tra fe
folge ihnen allerdings auch hier, wie sie erst neulich
gesehen hätten, daß vor einem gerechten Richter alles
gleich sei, hoch oder niedrig; aber selbst die, deren Ver
gehen bis jetzt noch nicht zum Licht des Tages gedrungen,
möchten sich versichert halten, daß unsichtbare Mächte sie
überwachten, daß Gottes Auge überall sei, und das Ver
derben sie früher oder später sicher, o, nur zu sicher
erreichen würde. Dann schilderte er ihnen die Strafen,
die ihrer warteten, und viele, besonders die Frauen,
schauderten vor dem entsetzlichen Bild, das er ihnen
entrollte.
> Wie glücklich hatten sie sonst gelebt, als noch die Hoff
nung sie bewegte, daß sie nach dem Tode zu dem freund
lichen Bolutu übergehen und dort die ihnen Vorangegan
genen finden würden — und jetzt? Was war aus denen
geworden, wenn alles das Lügen gewesen, was ihnen
die bisherigen Priester der Götzen nur erzählt?
E i n e Frau besonders schien von den Worten furcht
bar ergriffen; sie stöhnte und faltete die Hände, wollte
aufstehen, sank auf ihren Sitz zurück und blieb in steter
Unruhe, bis der Gesang wieder begann.
Berchta hatte neben Fremar ihren Platz gehabt.
Jetzt, als die Predigt beendigt war, der sie mit recht
schwerem Herzen gelauscht, trat sie mit ihrem Gatten
ins Freie, um dort Mr. Löwe zu erwarten und mit
diesem nach Hause zurückzukehren. Als er sich endlich
anschloß, da er noch mit einigen der Insulaner gesprochen
hatte, drängte sich jene Frau, die Berchta schon in der
Kirche beobachtet, zu ihm durch.
Löwe selber hatte sie nicht gleich beachtet, aber sie
erfaßte seinen Rock, und sich angstvoll und fest an ihn
klammernd, sagte sie mit heiserer, zitternder Stimme:
„O Mitonare! O Mitonars!"
344
,—
„Ja, liebe Frau," erwiderte freundlich der Mis
sionar, „was wollt I h r von mir? Kann ich Euch in etwas
helfen?"
„Ja," stöhnte die Frau, „ja, eine Angst von mir
nehmen, die mir den ganzen Körper füllt — eine furcht
bare Angst!"
„Und welche? Weshalb? Habt I h r etwas ver
brochen?"
„Nein — ich weiß es wenigstens nicht," fuhr die
Frau fort, „doch es kann sein — I h r habt ja gesagt, daß
wir a l l e Sünder wären. Ich habe nichts anderes
getan als die übrigen — doch meine Eltern — mein
kleines Mädchen, mein liebes Kind von zwölf Jahren,
wie eine Blume des Waldes so zart und lieblich, das
mir vor drei Jahren durch den Tod entrissen wurde —
ist es wahr, daß sie ewig verdammt sein soll, weil sie
den wahren Glauben nicht gehabt? O, ist es wahr,
Mitonare, daß sie dafür im ewigen Feuer duldeu muß,
das zarte Wesen, das ich hier auf Händen getragen^
und für das ich willig mein eigenes Leben gelassen
hätte?"
I h r Auge hing, während sie sprach, mit namenloser
Angst an den ernsten Zügen des Geistlichen, der m it
leidig auf sie niederschaute, aber er sprach kein Wort, ein
schwerer Seufzer nur hob seine Brust, und er suchte sich
von der Frau loszumachen.
„Liebe Frau," sagte er endlich, „es ist das einer
der schmerzlichsten Gedanken, die auch m e i n e Brust
erfüllen. Nur den einen Trost kann ich Euch geben,
daß die früher Gestorbenen wenigstens nicht auch dafür
gestraft werden, daß sie die ihnen gebotene Bibel zurück
gewiesen haben. Furchtbar aber wird die S trafe derer
sein, denen das Heil geboten wurde, und die es ver
weigerten." *)
*) D es Missionars Eflis „kssoarobss" II, B d. S eite 4 2 9 —431.
346
Er wendete sich langsam von ihr und schritt mit
Bruder Fremar am Strande entlang; Berchta aber stand
daneben, hielt ihr Herz mit beiden Händen und murmelte
mit zitternden Lippen:
„O mein Gott! Ist d a s der Glaube, den wir
diesen Inseln bringen sollten, um sie glücklich zu machen?
Is t das die wahre Religion, die Angst und Entsetzen
in die Herzen dieser unglücklichen Menschen pflanzt?"
Die Frau stand noch und sah dem Missionar mit
stierem Blick nach; es war ihr, als ob sie das Furchtbare
nicht gleich fassen und begreifen könne. Aber die Worte
ließen ihr kaum noch einen Zweifel übrig. I h r Haupt
mit dem Gnatutuch verhüllend, sank sie auf den heißen
Korallensand nieder, und ihre S tirn gegen denselben
pressend, wimmerte sie laut.
„Nein, nein, nein!" rief da Berchta, indem sie sich,
aufgelöst in Schmerz und Mitleiden, neben der Frau
auf den Boden niederwarf und sie aufzurichten suchte.
„Glaub' es ihnen nicht, unglückliche M utter, glaub' es
ihnen nicht! Es ist Täuschung, gräßlicher Wahn, der
sie befangen hält. Der Gott da oben ist voller Liebe
und Huld, das Urbild aller Gnade und Barmherzigkeit.
Glaub' ihnen nicht, wenn sie dir sagen, daß er so streng
und unerbittlich richtet. Deine Tochter, du arme M ut
ter, weilt bei ihnen da oben in den seligen Gefilden,
und du wirst zu ihr gehen, weiln er dich ruft. Du
wirst sie wiederfinden — glaube nur an ihn und hoffe!"
Die F rau richtete sich auf, ihre Lippen und Augen
geöffnet, Staunen, ungläubiges Staunen in den Zügen.
M it beiden Händen faßte sie dabei die Arme der jungen
Frau.
„Was sagst du?" rief sie jetzt mit vor Freude zit
ternder Stimme, „was sagst du? Sind deine Worte
Wahrheit, oder willst du mich nur täuschen, daß ich den
Schmerz hier vergessen — nicht um mein verlorenes
Kind trauern soll?"
346
„Ich künde dir Wahrheit," flüsterte ihr Berchta
freundlich zu, „Wahrheit, wie sie mir selber das ganze
Herz erfüllt und mich herübergetrieben hat aus der
Heimat, fort von den Freunden, an denen meine Seele
hing, fort von meinem Vater, von meinen Verwandten,
zu euch hier, ihr guten Menschen, um euch den wahren
Glauben zu bringen und in Leid und Trübsal zu trösten,
aber nicht zu Boden zu drücken. O, glaube mir, arme,
treue M utter: dein Kind ist zu ewiger F r e u d e ein
gegangen, nicht zu ewigem Leid, denn ebensowenig wie
ein Vater hier seine Kinder eines Irrtu m s wegen für
Lebenszeit mit grausamen Strafen belegen würde, eben
sowenig und noch viel weniger ist der Gott, zu dem i ch
bete, ein Gott des Zornes und der Rachgier. Nur glück
lich und gut will er uns, seine Kinder, wissen, und er
straft Wohl, wo Sünde geschieht, denn er ist auch gerecht,
aber er verzeiht auch wieder, und nur seine Liebe und
Gnade währet ewiglich."
„Und ist d a s dein Glaube, du liebes, holdes
Wesen?" rief die Frau, die mit gefalteten Händen und
einer Fülle von Seligkeit im Blick zu ihr aufschaute.
„Ist das der Glaube, den dein Gott dich gelehrt?"
„Das ist mein Glaube," sagte Berchta zuversichtlich,
„so wahr sich dort der blaue Himmel über unseren Häup
tern wölbt, so wahr ich einst selber selig zu werden
hoffe!"
Da hielt sich die Frau nicht länger; in wilder Leiden
schaftlichkeit umklammerte sie die neben' ihr Kniende
und preßte sie fest, fest an sich. Tränen strömten dabei
aus ihren Augen, aber es waren Freudentränen, Tränen
der höchsten Seligkeit, denn die guten Worte gaben ihr
ja das schon verloren geglaubte Kind, ihre Maja, wieder.
Bruder Löwe hatte sich umgedreht und die Gruppe
bemerkt. Einmal war es fast, als ob er umkehren
wolle, um die Ursache dieser Szene zu erfragen; aber
er mochte sich doch wohl eines anderen besinnen. Wich
tigere Dinge gingen ihm sogar im Kopf herum, und
347
er hatte manches mit Bruder Fremar zu besprechen,
wozu er die Gegenwart von dessen Frau nicht einmal
wünschte.
Ih m zehrte es nämlich am Herzen, daß sich das
Christentum auf der Insel, nach dem glorreichen Anfang,
den es gleich in den ersten Monaten genommen, jetzt so
langsam, so auffallend langsam weiter Bahn ins Innere
brach, ja daß noch unter seinen Augen, im Hupai-Tal
sowohl wie in Tuia, widerwärtige Götzenbilder auf
gestellt blieben und sogar von dem blinden Volk verehrt
wurden, ohne daß er imstande gewesen wäre, es zu ver
hindern. Das konnte nicht länger geduldet werden;
denn nicht allein, daß es die Heiden in ihrem Irrglauben
befestigte, nein, es machte auch die schon bekehrten Christen
wankend, wenn sie sahen, daß sich die falschen Götter
solange neben dem „wahren Gott" halten konnten. Ein
zelne Insulaner hatten auch wirklich schon den Missionar
gefragt, ob denn sein Gott so mächtig wäre, als er ihn
geschildert, und wenn so, weshalb er da nicht die aus
Holz geschnitzten Bilder mit seinem Blitz zertrümmere?
Sie konnten es sich nicht denken, daß er falsche Götzen
neben sich bestehen ließe, und diese Zweifel allein schon
säeten Unkraut unter den Weizen.
Aber es war trotzdem für den Augenblick nichts zu
machen, da Ramara Toa, mit der Angst um den Sohn
auf der Seele, kaum einen anderen Gedanken fassen
mochte. Er wäre auch jetzt unter keinen Umständen zu
bewegen gewesen, das Götzenbild selbst im Hupai-Tal zu
stürzen, schon um dort keine Unruhe zu verbreiten und
Taori nicht noch kränker zu machen. Erst mußte dieser
wieder gesund werden, dann ließ sich ein Wort mit dem
Volke droben reden, und er hatte jetzt die M a c h t in
Händen, sie seinem Willen zu z w i n g e n , wenn sie
sich nicht gutwillig fügen wollten.
Berchta hatte die arme Frau getröstet und geleitete
sie zu ihrer nicht fernen Hütte am S trand; gerade als
sie zurückkehren wollte, kam Klaus aus dem Walde, die
348
Flinte umgehängt und einen alten Strohhut, den er
sich selber geflochten, tief in die Augen gezogen. Er sah
Berchta anfangs gar nicht und wollte eben mürrisch auf
dem offenen Boden am Ufer der See hinausschreiten
als diese ihn selber anredete.
Klans," sagte sie freundlich, „ Ih r wißt doch,
daß ^ h r den Sabbat heiligen und an diesem Tage nicht
jagen sollt."
„Aber ich habe nicht gejagt, gnädige Frau," brummte
der alte ^äger in eben nicht besonderer Laune, „son
dern nur — gerade während des Sabbats — mein
Tabaksfeld ein wenig im Auge behalten, da unsere
allerchristlichen Insulaner, trotz des tabu, das der König
auf das Feld gelegt, wie die Raben stehlen."
„Auch gnädige Frau sollt I h r mich nicht nennen
Klaus," lächelte Berchta, „wie oft habe ich Euch das
nrcht schon gesagt! Ich bin einfach Frau Fremar, und
crn anderer Titel gebührt mir nicht."
Der alte Jäger wollte etwas erwidern, aber er
würgte es ordentlich wieder hinunter, so schwer wurde
es ihm, dazu still zu schweigen. Doch er wußte recht
gut, daß er mit dem, was er so gern gesagt, der Tochter
semes alten Herrn wehe getan haben würde, und eher
hatte er sich die Zunge abgebissen.
„Wollt I h r die Flinte nicht lieber hier in irgend
em Haus stellen, Klaus?" fuhr Berchta freundlich fort.
„Dre Leute kommen noch aus der Kirche am Strand
herunter, und I h r vor allen anderen solltet gerade kein
böses Beispiel geben."
„Die Flinte in ein Haus hier?" rief Klaus mürrisch
„Das habe ich e i n m a l getan und wahrhaftig nicht
wieder, denn die Kinder hatten sie mir bis obenhin
so voll mit Stücken von Kokoskernen und Pandanusknopfen gestopft, daß ich wenigstens zwei Stunden a r
beiten mußte, um sie nur wieder freizubekommen Das
ist Lumpenpack vor lauter Mutwillen —"
„Aber sie sind nicht böse, Klaus."
—
348
—
„Nein, die Heiden sind lange gut," brummte der
Alte, „aber die Christen soll der — na, was geht's
mich an!" Dabei warf er die Flinte höher auf die
Schulter hinauf, als ob er fort wollte.
„Am Strand ist es so heiß," sagte Berchta, die nur
wünschte, ihn mit dem Gewehr von dort wegzubringen,
denn sie wußte, daß es ihrem Gatten fatal gewesen
Wäre. „Läuft hier nicht ein Waldpfad durch die Büsche
bis nach unserem Hause hinauf?"
„Ja, allerdings: aber er ist ein bißchen schmal, und
es liegt noch vom letzten S tu rm viel heruntergebrochenes
Holz darin."
„Laßt ihn uns gehen!"
Klaus sah sie von der Seite an. Er wußte, weshalb
sie ihn vom S trand weg haben wollte, aber es wäre ihm
auch nicht im Traum eingefallen, nur etwas zu tun,
was sie kränken konnte. So, ohne ein Wort zu erwidern,
bog er direkt in die Büsche ein, und Berchta folgte ihm
dahin. Beide schritten fetzt im Schatten der Palmen und
anderer Bäume ihren Weg entlang. Die Sonne brannte
hier wohl nicht, aber die Seebrife konnte dafür nicht in
das Dickicht, und die Luft war deshalb eher heißer und
schwüler als draußen an dem ihren Strahlen ausgesetzten
Strande.
Klaus aber achtete nicht darauf, denn andere Ge
danken gingen ihm im Kopfe herum: seine arme gnädige
Frau, die ruhig und so voller Entsagung jetzt vor ihm
Hinschritt. Und was war das für ein Leben, das sie hier
führte, im Vergleich mit dem, was sie hätte auf dem
Schölfenstein oder an der Seite eines ihrer würdigen
Gatten führen können? I h r Mann war gut mit ihr,
ja, immer freundlich und liebevoll und tat alles, was er
glaubte, daß es ihr Freude machen könne, aber „das
dank' ihm der Teufel," brummte Klaus vor sich hin, „für
so eine Frau konnte man auch durchs Feuer gehen, und
dann, was hatte s ie hier? S ie war nichts als die
Frau eines armen Geistlichen aus einer wüsten Insel,
350
der bloß hierher kam, um das rote Gesinde! zu taufen
und
damit fertig — wieder weiterzog. Paßte d a s
für eine Tochter des alten Baron von Schölfenstein?"
. . ^
°^er nichts mehr an der Sache ändern;
war geschehen; sie saßen hier mitten im
Salzwasser, Tausende von Meilen von der Heimat ent
fernt, und wie sie wieder einmal von hier wegkommen
„Und wie gefällt es Euch hier, Klaus?" sagte da
Berchta die auf dem schmalen Pfad eine Weile vor den,
alten treuen Diener hergeschritten war, „wir haben
uns lange nicht darüber ausgesprochen. I h r führt hier
eigentlich ein einsames Leben."
^
E in te Klaus, „das könnte ich
gerade Nich sagen, denn allein ist man eben nicht viel.
Kaum bricht der Tag an, so ist zehn gegen eins zu wetten,
daß irgend so eine Braunhaut zu einem in die Hütte
sich auf den Koffer oder die eine Kiste setzt —
Stuhle habe ich weiter nicht — und dort zwei oder
red en ^ ""^ "
bleibt, ohne eine Sterbenssilbe zu
„Es sind komische Menschen" lächelte Berchta.
nickte der Alte, „und merkwürdig,
was sie daheim für Mordgeschichten erzählt haben, von
Menschenfressern und Opfern und Abschlachten und all'
,E g e n , von denen sie hier so wenig wissen,
spielerei — "
^ Rothenkirchen — lauter Komödien„Was?"
«
^
E
Klappern gehört zum
n c h " m ° L 7 ? i? 7 b " ! ,7 r > - '°
„Klaus!"
.^ a u ," rief der Alte, dem die
Galle überlief „Sie wissen, daß ich mein Lebtag ein
He.de gewesen bin, das heißt, wie unser Herr Diakonus
—
361
—
sagte, denn ich habe mich selber immer für einen Christen
gehalten, und der Herr Baron meinte es auch und hat
mich oft deshalb — ohne besonderen Nutzen — vorgekriegt; aber mir dreht sich das Herz im Leibe manchmal
um, wenn ich sehe, wie sie den armen Braunfellen mit
spielen, und was sie ihnen all für schreckliche Dinge
erzählen. Und was richten sie damit aus?
Wissen
Sie, was mir gestern einer der Burschen sagte, den
ich mir schon ganz hübsch auf deutsch dressiert habe, denn
d i e Sprache soll der — wollt' ich sagen, soll ein an
derer verstehen!"
„Nun, was sagte er?"
„Na, weiter nichts," meinte Klaus, „als daß ihn
die Mitonares versichert hätten, sein Vater und seine
Großväter wären sicher und fest in der Hölle, und nun
wollte er auch hin, denn denen müßte er nachgehen. Was
hüls' ihm der Himmel, wenn er seine Freunde nicht
darin fände und am Ende zwischen lauter Mitonares her
umlaufen müßte? Ich ineinte nun zwar, das hätte keine
besonders große Gefahr, denn die Mitonares — "
„Klaus!" rief Berchta vorwurfsvoll.
„O, ich wollte ihm nur sagen," erwiderte Klaus ver
legen, „daß die Mitonares ihm schon das alles besorgen
würden; aber er blieb verstockt, schwur Stein und Bein,
daß er's schon dahinbringen werde, um zu seinem Vater
und Großvater zu kommen, und ist setzt der liederlichste
Strick, den man sich auf der Welt nur denken kann."
„Und hat nicht gerade die christliche Religion diese
armen, verblendeten Eingeborenen zu guten Menschen
umgewandelt?" sagte Berchta. „Herrscht nicht jetzt Frie
den auf der Insel, und breitet sich die wahre Lehre
nicht, wenn auch langsam, doch stetig, nach allen Seiten
aus?"
„Wir wollen's abwarten," erwiderte Klaus ruhig,
„der alte König rüstet wenigstens, trotz seines Christen
tums, heidenmäßig; erst hab' ich ihm seine Musketen
ordentlich instand setzen müssen, und jetzt hat er den
—
352
englischen Matrosen, der von dem Schiffe übrig
geblieben ist, ganz regelmäßig in Kost und Logis ge
nommen, um die letztgekommenen auch bereit zu machen."
„Ramara Toa hat sich vollkommen zu unserer Lehre
bekehrt," sagte Berchta; „ e r wird gewiß keinen Krieg
anfangen."
„Wir wollen's abwarten," meinte Klaus, „und was
seine Christlichkeit betrifft, so reicht die etwa ebensoweit,
wie er es selber für gut findet, und nicht einen Zollbreit
darüber."
„ Ih r tut ihm unrecht, Klaus."
„Ich? — Na, dann fragen S ie einmal den Alten,
den sie drüben mit vom Wrack geholt haben. Hat der
auch nur ein Stück von den Sachen, die früher ihm ge
hörten, und die das Volk hier geborgen hat, von dein
alten Schlaukopf herausbekommen können? Gott be
wahre! Das hat alles Zeit; er soll nur warten; die
Güter müssen erst untersucht und geordnet werden; er
soll nächste Woche einmal wieder Vorfragen. Es ist
genau so hier wie bei uns daheim auf dem Amt; Lauferei
hat er genug davon, weiter aber auch nichts, und das
Stück Ware, was dem der alte christliche König hier
wieder herausgibt, fress' ich! — Wir wollen uns wieder
sprechen."
„Mr. Fremar wird mit Ramara Toa reden, und
der dann gewiß alles tun, was recht ist."
„Bah, M r. Fremar h a t schon mit ihm gesprochen
— ich war selber dabei — und was hat's geholfen? Gar
nichts. Er hält eben, was er hat, und das soll ihni
per — na, irgendwer wieder aus den Zähnen reißen!"
Berchta schwieg, denn alles, was Klaus da in seiner
offenen, derben Weise hinplauderte, bestätigte ja nur
zu sehr, was sie selber schon beobachtet, ja gefürchtet
hatte. Ramara Toa war ein Christ geworden, aber
wahrlich nicht aus eigener, innerer Überzeugung, sondern
weil er eben seinen persönlichen Nutzen darin zu finden
glaubte. Und wenn Klaus recht gehabt hätte? O wie
353
weh, wie furchtbar weh es ihr das Herz bei dem Ge
danken zusammenzog!
S o schritten sie schweigend ihre Bahn weiter und
jetzt den Höhenzug hinauf, der nach dem Meere zu in
jene Felsenklippe auslief. Die Szenerie war wunder
voll, und in jeder Baumgruppe fast zeigte sich die groß
artige Pracht der tropischen Vegetation. Früchte lagen
am Boden, an denen kein Tropfen sauren Schweißes
haftete, und der Duft der Orangenblüten erfüllte die
Luft; aber sie achtete es nicht. Wie durch eine Wüste
stieg sie den schmalen Pfad dahin, der ihrer eigenen
Wohnung zuführte, und vor ihrem inneren Geiste hob
sich der Schölfenstein wieder empor, und sie dachte sich
in ihre Mädchenträume zurück, in denen dieses Leben
gerade als Id ea l aller Wünsche geglänzt und seinen Zau
ber ausgebreitet hatte.
Arme Berchta! Der Dust war von den Blüten
gestreift, die Wirklichkeit umgab sie, und ein kalter, eisiger
Reif lag auf ihr, der sie bis in das innerste Mark er
beben machte.
Während in der Motua-Bai die frommen Christen
zum Gottesdienste gingen, spielte oben im Hupai-Tal
eine von diesem sehr verschiedene Szene, denn heute war
der festgesetzte Tag, an welchem Tamoruva dem jungen
Weißen seine Tochter gab, und alle nötigen Feierlich
keiten mußten, da die Mitonares ihre Hilfe verweigert
hatten, streng beobachtet werden, um das Band zu hei
ligen, das von nun an die beiden Gatten umschlingen
sollte.
Der alte Häuptling hatte allerdings anfangs ge
wollt, daß die Festlichkeit auch mit all den ländlichen
Gebräuchen eingeleitet werde, und dazu gehörte natür
lich am Abend vorher der wilde Tanz. Auf M artins
Bitten war das aber unterblieben, denn er wollte den
F r. Gerstticker, Die Missionare.
23
354
Missionaren nicht gegründete Ursache zu der Klage geben,
alle ihre Verbote keck und rücksichtslos übertreten zu
haben. Tamoruva selber bestand auch nicht sehr fest
darauf, denn ih m war es schon eine grimme Genug
tuung, einen der w e i ß e n Priester so weit i h r e r
Sache gewonnen zu haben, daß er sich ihren Zeremomen
fügte und eine Tochter des Landes in derselben Weise
nahm, wie sie von alten Zeiten her in Gegenwart der
Götter vergeben wurden. Der Tanz unterblieb deshalb,
wenigstens für d i e s e n Abend, sehr zum Verdruß des
jungen Volkes natürlich, das, durch Taoris Mißhand
lung gereizt, den Fremden am liebsten klar und offen
gezeigt hätte, wie wenig es sich aus ihren Verboten
mache. Alles übrige war aber sorgfältig dem alten
Brauche angepaßt, und fchon am Tage vorher hatten
die Verwandten der Braut eine Menge von Geschenken,
besonders feingewebte Matten, Stücke von Gnatu, Kala
bassen und anderes Hausgerät herbeigeschafft, das in
dem M arai, einem für solche Feierlichkeiten besonders
angepflanzten Haine, aufgeschichtet lag.
I n der Mitte desselben hatte man einen kleinen
Altar errichtet und rechts und links davon zwei kleine
Hütten aus Bambusstäben, und mit Bananenblättern
flüchtig gedeckt, gebaut, in deren einer der Bräutigam,
in der anderen die Braut warten mußten, bis sie gerufen
wurden.
Alle Verwandten und Freunde des Mädchens sam
melten sich in dem M arai, und auf ein Zeichen der Trom
mel rafften die jungen Mädchen und nächsten Verwandteir
der Braut jedes eine feine Matte auf und hielten sie
auseinander und in die Höhe, so daß man sie genau
sehen konnte. Damit schritten sie im Zug auf das Haus
des Bräutigams zu, der jetzt in dessen T ür treten mußte
und vor dem sie die Geschenke ausbreiteten, aber auch
augenblicklich wieder zurückliefen, um neue zu holen.
Die jungen Mädchen waren festlich geschmückt, und
zwar nicht mehr mit ihrem Gnatuzeug, sondern mit
355
buntem Kattun bekleidet, den sie von den Fremden er
handelt oder eingetauscht. Hatte doch dies neuere Zeug
lebendigere Farben als das ihrige und war haltbar im
Regen — ein doppelter Vorteil, der ihm in ihren Augen
großen Wert verlieh. Aber das nicht allein; auch ihre
Locken waren, trotz des Verbotes der Missionare, von
Blumen durchflochten, und bunte Glasperlen schmückten
Arme und Nacken.
M artins Geschenke an seine Braut fielen dürftiger
aus, denn allerdings besaß er noch Waren der Mission,
war aber zu gewissenhaft, diese für sich zu benutzen, und
behielt sich nur ein Stück rotes Zeug, dessen Wert in
Landesprodukten er kannte, und das er also imstande
war, den Missionaren in der nächsten Zeit zu dem von
ihnen selber angesetzten und allerdings sehr hohen Preise
zu bezahlen. Aber er hatte doch auch sonst manches als
persönliches Eigentum, was ein junges Mädchen dieser
Stämme erfreuen konnte, besonders große, buntseidene
Taschentücher, Glaskorallen, die er noch selber von
Europa mitgebracht, und dann etwas, was besonders
hohen Wert in ihren Augen hatte — zwei goldene Ringe,
der eine mit bunten Steinen — ein Andenken seiner
M utter — die nachher von Hand zu Hand gingen und
allgemein bewundert wurden.
Eigentümlicherweise wußten diese Eingeborenen
nämlich recht gut das echte vom unechten oder nachge
machten Gold zu unterscheiden, und zwar durch den Ge
ruchssinn sowohl als durch das Auge. Jedenfalls rochen
alle zuerst auf die Ringe und riefen dann bewundernd
aus: „Gut, sehr gut! ?eru! keru!"
Diese Zeremonie dauerte etwa eine halbe Stunde,
dann wurden Braut und Bräutigam in den eigentlichen
M arai eingeführt.
Sechs im Kreise gepflanzte Kokospalmen, die mit
ihren gefiederten Wipfeln über die anderen Fruchtbäume
hoch emporragten, bildeten den Mittelpunkt und um
gaben den inneren Raum. An diese schloß sich, dicht ge-
23*
—
386
stellt, ein wahrer Hain von Brotfruchtbäumen an, unter
deren dichtem Laub ewig kühler Schatten herrschte.
Der unmittelbar unter den Palmen liegende Raum
galt als heilig, wenn ihn auch kein Götzenbild entstellte.
Hier wurden ebenfalls die öffentlichen Gerichtssitzungen
abgehalten, und hier begann jetzt auch die öffentliche
Feier des Tages, die unter diesem Volk übliche Zere
monie, wonach man Braut und Bräutigam als Gatten
betrachtete.
I m ganzen M arai waren Matten gelegt, auf denen
sich vorn und zunächst den Brautleuten die jungen Mäd
chen niederkauerten und einen ganz reizenden Kreis
von lieben Gesichtern bildeten. Es war in der T at ein
wahrer Kranz von Blumen, während dahinter die jun
gen Leute Platz nahmen und hinter diesen erst die
Älteren stehen blieben und das Ganze dadurch abschlössen.
Nur ein schmaler Gang blieb frei, durch welchen der
Bräutigam jetzt zum Altar geführt wurde, und neben
ihm stand, ein Zuckerrohr in die heiligen Zweige des
Miro gehüllt, der alte Tamoruva und gab nun das
Zeichen, daß die Zeremonie beginnen könne.
M artin stützte sich mit der Hand aus Tamoruvas
Arm — er sah totenbleich aus. Er hier, den Inseln
als christlicher Missionar gesendet, der versprochen hatte,
dem Heidentum und dessen Gebräuchen mit allen Kräften
und seinem ganzen Einflüsse entgegenzutreten, er trat
jetzt, der Mittelpunkt eines solchen R itus, vor einen
nicht s e i n e m Gott geweihten Altar, und wilde, pei
nigende Gedanken durchzuckten sein Hirn.
Es war ihm, als ob er Hinausbrechen müsse, fort
aus der Menge, weit, weit in den Wald, in die Berge
hinein, um diesem heidnischen Spuk ein Ende zu machen.
Es konnte ja auch nicht Wirklichkeit sein. Wieder sah
er sich im Kreise der ernsten, schwarzen M änner stehen,
die ihn ermähnten und freundlich zu ihm sprachen. Wieder
legte er im Geist seine Hand in die des Vorsitzenden, und
heilige, treue Vorsätze erfüllten sein Herz. Zwölf junge
357
Männer schieden damals zu gleicher Zeit und zu dem
selben Zweck aus der kleinen S tadt. S ie waren von
einem der Geistlichen mit den Aposteln verglichen wor
den, die in alle Welt ausgingen, um die Heiden zu lehren.
I n der T at hatten sie sich nach allen Himmelsrichtungen
zerstreut, denn einige waren nach China, einige nach
Afrika, andere zu den nordwestlichen Stämmen Amerikas
und einige wieder für die Südsee bestimmt gewesen,
und als sie gemeinschaftlich und in Prozession auszogen,
hatten die Glocken geläutet und die Menge hatte ihnen
mit den Tüchern zugewinkt, da durch alle die nach
einander gehaltenen Missionsreden der O rt in eine wirk
lich fieberhafte Aufregung geraten war. Hielt man doch
sämtliche heidnische Stämme, den gehörten Beschreibun
gen nach, für gräßliche Menschenfresser, und betrachtete
deshalb die kleine Schar junger Leute, die unbewaffnet
und nur mit ihrem Vertrauen auf Gott zwischen sie
zogen, als einfache M ärtyrer des Glaubens, von denen
Wohl keiner die heimische Erde wiedersehen würde.
Noch tönte ihm das Läuten der Glocken in den
Ohren, noch hörte er die nachgerufenen Segenswünsche
— und jetzt?
Da gab Tamoruva, der Wohl keine Ahnung von dem
hatte, was in der Seele des jungen, neben ihm stehenden
Mannes vorging, das bestimmte Zeichen, und jetzt nahte
die Braut, von ihren nächsten weiblichen Verwandten
und Freundinnen geführt. I m Nu waren auch überall
aus dem Wege, den sie zu betreten hatte, Matten aus
gebreitet, da ihr Fuß nicht die bloße Erde berühren
durfte.
Voran schritt Tama, züchtig und lieb, das holde
Antlitz in Glück und Freude glühend; um ihren Gürtel
fielen feine, außerordentlich kunstvoll und weich gear
beitete Matten, die ihr vorn bis auf die Füße nieder
reichten und hinter ihr Wohl eine fünf bis sechs Fuß
lange Schleppe bildeten. Der Oberkörper war mit einem
Gewand vom feinsten und köstlich gefärbten Gnatu be-
358
deckt, und um den Hals und die Arme trug sie Korallenschnüre abwechselnd mit den goldgelben Knöpfen der
Pandanussrucht, ja mit den ähnlichen duftenden Aus
wüchsen der Ananas, während das seidenweiche, dunkel
lockige, aber mit Kokosnußöl reichlich gesalbte Haar em
wahrer Blumenflor, mit buntem Fern gemischt, schmückte.
Hinter ihr ging wieder ein Zug junger Mädchen, die
ebenfalls kostbare Matten trugen und sie, als sie den
M arai erreichten, um denselben auf dem Boden aus
breiteten.
Der eigentliche Moment der heiligen Handlung war
gekommen. Die Braut trat scheu und schüchtern dem
Bräutigam gegenüber, so daß ihr Vater zwischen ihnen,
wenn auch etwas zurück, zu stehen kam.
M artin mußte jetzt seiner Braut die Hand reichen,
was er wie in einem Halbtraum tat, und Tamoruva
legte nun, ohne ein Wort dabei zu sprechen, das geweihte
Stück Zuckerrohr auf das Haupt des Bräutigams, wo es
eine Weile blieb und dann zwischen den beiden jungen
Gatten seinen Platz auf der Matte bekam.
Jetzt brachten einige der nächsten Verwandten ein
großes, ebenfalls mit befonderer Feierlichkeit gearbeitetes
Stück Gnatu, das sie über B raut und Bräutigam deck
ten?) Damit, und sobald das Tuch wieder weggenommen
worden, war die Feierlichkeit beendet, und M artin und
Tama Mann und Frau.
Als aber jetzt die im Kreise umhersitzenden Freun
dinnen aufsprangen, um die beiden jungen Gatten zum
Haus zurückzuführen, da hielt sich M artin nicht länger.
Die Hand der Braut loslassend, fiel er auf die Kniee
nieder, und in lautem, brünstigem Gebet, der Gegenwart
der Insulaner nicht achtend, ja vielleicht ganz vergessend,
') Sonderbarerweise besteht in Kalifornien unter den katholi
schen Christen ein ganz ähnlicher Brauch, wo Braut und BräMigam
vor dem Altar zusammengebunden und dann gemeinschaftlich mit
einem großen Tuch bedeckt werden, bis die Zeremonie vorüber ist.
359
bat er Gott, ihm diesen Schritt, w e n n es eine Sünde
wäre, zu verzeihen. Alles aber, was ihn dazu getrieben,
war die Liebe, die reine, treue Liebe, die er seinem
Weibe bewahren wolle bis in den Tod, und wenn er in
der F o r m gefehlt, die dieses Bündnis heiligte, so möge
er da oben in der blauen Ferne Gnade haben mit dem
schwachen Menschenkind, das hier auf Erden irre und nur
durch seine Barmherzigkeit eingehen könne zu einem
ewigen Leben.
Totenstille herrschte, während er sprach, in dem
Kreise der noch vor wenigen Momenten laut jubelnden
Schar. Die Menge wußte, daß er mit s e i n e m Gott
sprach, wenn sie auch die Worte nicht verstanden, und ein
leiser Schauer flog über die Versammlung und scheuchte
das Lächeln von aller Lippen. Selbst der alte Tamoruva,
der den neuen Gott vom Grunde seines Herzens haßte,
weil er in dessen Lehre nur endloses Verderben für die
Seinen sah, rührte sich nicht, ja blickte ernst und teil
nehmend auf den nieder, in dessen Hände er das Glück
seines Kindes gelegt.
M artin hatte geendet, und das bleiche Antlitz in
den Händen bergend, lag er noch im stillen, brünstigen
Gebet. Da legte Tama leise ihre rechte Hand auf sein
Haupt, und als er die Augen zu ihr hob und in die
lieben, treuen Züge der Gattin schaute, da fühlte er, daß
Angst und Zweifel von ihm wichen. Sein Herz hatte
er vor Gott ausgeschüttet, es war ihm leicht geworden,
und aufstehend und die errötende junge Frau in seine
Arme ziehend, sagte er herzlich:
„Tama, mein liebes, liebes Weib, von jetzt an soll
uns nichts mehr trennen als der Tod. Du bist mein,
und wir wollen zueinander stehen unser ganzes Leben
lang!" Und wie er sie so umfaßt hielt, da brach lauter
Jubel aus unter den Umstehenden.- Auch Tamoruva
drückte sein zitterndes Kind fest an sich, und nun begann
der Zug nach dem Hause des alten Häuptlings, wo in
dessen das Mahl schon hergerichtet und zahllose Öfen
360
seit Stunden die saftigen Speisen brieten, mit denen
die Gäste gespeist werden sollten.
Sabbat! Das furchtbare Unglück, das den Königs
sohn betroffen, hatte die Gemüter erbittert. Die Weißen
Mitonares sollten es nur wagen, sie hier in ihren Ber
gen mit Strafen zu bedrohen, und Ramara Toa? Ei,
er hatte keine Macht über sie, sobald er die alten Gesetze
beiseite warf, durch die allein er selber nur regierte.
Es war ein böser, rebellischer Geist in die Leute
gefahren, und die vereinzelten Anhänger der neuen
Lehre, die sich unter ihnen fanden, wagten nicht, dem
selben entgegenzutreten. Was hätte es auch genützt? Die
Mehrzahl stand doch auf feiten Tamoruvas, des alten
Häuptlings, und was sie noch mehr stutzig dabei machte,
war, daß sogar einer der Weißen Mitonares, wenn auch
nicht gerade zu ihrem Glauben übertrat, doch ihre sonst
mit schweren Strafen belegten Zeremonien duldete und
sogar über sich ergehen ließ. S ie fürchteten jetzt nur,
was der älteste Missionar sagen, und wie er böse wer
den würde, wenn er das hier Geschehene erfuhr, denn
ein Geheimnis konnte und durfte es ihm doch nicht
bleiben.
Aber die Anhänger des alten Glaubens kümmerten
sich nicht darum. Der Zauber, der sie bis jetzt in Angst
und Bangen gehalten, war gebrochen, und h e u t e
mußte auch, nach alter, guter Sitte, ein fröhlicher Tanz
das Fest beschließen. Das junge Volk hatte ihn gestern
entbehren müssen und v e r l a n g t e jetzt seine Ent
schädigung.
Die Missionare hatten ihr Ziel überschössen, und da
durch gerade, daß sie selbst den Königssohn der entehren
den S trafe für ein solches „Verbrechen" überließen, ge
glaubt, die übrigen auf immer einzuschüchtern, — aber
es schlug in das Gegenteil um. Während diese den
361
Grund für eine so harte, rücksichtslose S trafe nicht be
griffen, sahen sie nur die Wirkung in der Krankheit
des geliebten Häuptlings, und von ihren Führern dabei
unterstützt, wuchs in ihren Herzen ein Gefühl des Zornes
und Widerstandes gegen den sonst so gefürchtcten Ramara Toa, den sie als den Urheber alles dieses Leidens
ansahen.
24.
Zrvischenfälle.
Und Wieder, seit langer Zeit zum erstenmal, rief
an dem Abend der muntere Schlag der Trommel das
junge Volk unter die Palmen am See zum Tanz, zum
fröhlichen Tanz, und was das plötzlich für ein Leben
in dem noch vor kurzer Zeit so stillen T al geworden!
Allerdings verlegte man den eigentlichen Tanzplatz, der
in früheren Jahren vor den dicht nebeneinander stehenden
Gehöften von Tamoruva und Taori stattgefunden, heute
ans andere Ende des Sees, damit der Kranke nicht zu
sehr durch den Lärm gestört werden sollte; aber dort
wurde auch die Lust so viel lauter und wilder gebüßt,
und das lang entbehrte Fest dauerte bis in die späte
Nacht hinein.
M artin hatte allerdings seinen Schwiegervater, den
alten, wilden Häuptling, gebeten, seinetwegen auch an
dem heutigen Tage von dem durch die Missionare ver
botenen Tanz abzusehen. Tamoruva aber beharrte fest
aus seinem einmal ausgesprochenen Willen. Ramara Toa
s o l l t e erfahren, daß die Macht seiner Weißen Männer
nicht bis hierher reichte; nur so war es möglich, seinen
von Stunde zu Stunde unerträglicher werdenden Hoch
mut zu brechen oder doch zu demütigen. Er mußte
fühlen lernen, daß er nur mit dem guten Willen seiner
Häuptlinge regieren konnte, nie aber ohne diesen. Der
362
alte Wilde besaß aber doch Zartgefühl genug, daß er
seiner Tochter erlaubte, dem Tanze fernzubleiben, wie
es auch von dem „Mitonare" nicht erwartet wurde, daß
er selbst nur Zeuge desselben sein sollte. Es war eben
ein einfaches Fest für das Volk, wie es wohl in zivilisier
ten Ländern ein Herrscher an seinem Geburtstag einem
bestimmten Kreise seiner Untertanen gibt, nur daß hier,
in dem kleinen Orte, alle eingeladen waren, die Lust
hatten zu kommen, und alle sich beteiligen durften, vom
Häuptlinge bis zum ärmsten Eingeborenen hinab.
Und selbst Taori freute sich der Lust des Volkes,
denn mit diesem entschiedenen Schritt, den frechen Ge
setzen der Weißen die trotzige S tirn zu bieten, sah er
schon im Geist das alte glückliche Leben wieder auf den
Inseln erstehen. Die weißen Mitonares mochten ihre
Lehre predigen, niemand hinderte sie daran; aber sie
sollten nicht in die alten, guten S itten und Gebräuche
des Volkes eingreifen, das nicht dazu gemacht war, den
ganzen Tag weiter nichts zu tun, als um feine Sünden
zu jammern und Gott um Verzeihung derselben zu
bitten. J a , als er den fröhlichen und so lieben Trom
melschlag, wenn auch in weiter Ferne, hörte, ließ er
sich von den ihm umgebenden Dienern hinaus an das
Ufer des Sees tragen und genoß in der milden, balsa
mischen Luft das wahrhaft entzückende Schauspiel, das
sich ihm hier bot, ohne daß es ihn doch durch feinen Lärm
und Getöse, wie in unmittelbarer Nähe, hätte belästigen
können. Selbst Einuas dringende Bitten konnten rhn
nicht davon abhalten, und die arme Frau, das Herz von
banger Sorge erfüllt, daß ihr geliebtes Kind dadurch dem
ewigen Verderben entgegenginge, lag indessen in der
Hütte auf den Knieen und betete für den Sohn.
Aber Taoris Brust hob sich freier, und seine Blicke
leuchteten. Über ihm wölbten sich die hochstämmigen
prachtvollen Kokospalmen, deren Wipfel nach dem See
hinausreichten und sich darin spiegelten; zu seinen
Füßen plätscherte, von einer leichten Brise bewegt, die
363
Flut, und über die Biegung des Sees herüber blitzte,
in dem Wasser sowohl als darüber hin, der Feuerschein
zahlloser Fackeln, die das Fest dort drüben erhellten.
Die Entfernung zwischen ihm und den Tanzenden betrug
reichlich vierhundert Schritt, so daß man die Bewegung
der einzelnen Figuren wohl deutlich erkennen konnte;
diese selber aber sahen klein und zierlich aus, wie Bilder
aus einer Puppenwelt, doch in der reinen, feinen Luft
mit deutlich abgezeichneten Umrissen. Und dazwischen
tönten, immer im Takt, die monotonen Schläge der
Trommel, nach der sie sich regelmäßig hin und her be
wegten.
Es war das auch kein heidnisches Fest; es hatte
nichts mit ihren alten Gebräuchen und S itten zu tun,
bei denen die Götter angerufen wurden, um entweder
ihren Schutz zu erflehen oder Rache auf eine feindliche
Ortschaft Herabzurufen. Es war der reine, ungetrübte
Ausbruch leichtherziger Fröhlichkeit, wie wir ihm ja auch
bei allen zivilisierten und streng christlichen Völkern der
Erde begegnen, und wahrlich nicht so obszön und wild,
wie er in P a ris zu den Alltäglichkeiten gehört. Das
Volk gab sich eben seiner natürlichen Ungezwungenheit,
die aber durch die Gegenwart der Häuptlinge in stren
gen Grenzen gehalten wurde, hin, und wenn die Schul
tertücher der Mädchen zuletzt zur Erde flogen, und die
in die Locken geflochtenen Blumen über den Boden zer
streut wurden: die Landessitte brachte es so mit sich,
und die Zuschauer fanden nichts Außergewöhnliches dar
in, ja sie würden es für eine ungehörige Zurückhaltung,
für eine kalte Beteiligung am Fest aufgenommen haben,
wenn es eben anders gewesen wäre.
Taori hielt bis spät in die Nacht hinein aus und
konnte nicht müde werden, seine Augen an dem reizenden
Bild zu erfreuen. Endlich aber fiel der Tau doch zu
stark, und er mußte wieder in seine Wohnung geschafft
werden, Wo er bald in einen ruhigen und festen Schlaf
sank, der ziemlich bis zum nächsten Morgen anhielt.
364
Aber der Zustand des Kranken besserte sich nicht;
anl nächsten Tage war er so schwach, daß er, als er sich
von seinem Lager erheben wollte, ohnmächtig wurde und
stundenlang still und regungslos liegen blieb. M artin,
der augenblicklich herbeigerufen wurde, beruhigte aber
die Freunde des jungen Häuptlings. Es war noch nicht
der Tod, der an die Pforten seines Lebens pochte, son
dern nur eine natürliche Ermattung, die der gestrigen,
vielleicht übermäßigen Aufregung folgte, und als er
sich endlich wieder erholte, jubelte das Volk und glaubte
nun alle Gefahr beseitigt.
Am Strande von Motua spielte sich indessen eine
andere Szene ab, und zwar mit dem alten Fremden, der
sich von dem Wrack noch gerettet und jetzt von Ramara
Toa sein Eigentum zurückverlangte. Ramara Toa fand
sich aber nicht in der Stimmung, ihm darin so gutwillig
nachzugeben. Er behauptete, und vielleicht nicht ganz
ohne Grund, nach einem solchen Unglück könne jeder kom
men und möglicherweise auch behaupten, die ganze
Schiffsladung wäre sein gewesen. Wie er es denn eigent
lich beweisen wolle?
Ein solcher Beweis bot allerdings insofern einige
Schwierigkeit, als Ramara Toa die ganze Kajüte des
Kapitäns geplündert und die Bücher desselben hatte über
Bord werfen lassen, weil man nicht wissen konnte, ob
sie nicht vielleicht dem Lande schädliche Zauberformeln
enthielten. Der alte König war allerdings dem Namen
nach ein Christ geworden, aber die früheren Vorurteile
klebten ihm doch noch zu fest an, um sie so mit einem
Male abzuschütteln.
Durch die Zudringlichkeit des Alten wurde er aber
ärgerlich gemacht; der beste Mensch wird zuletzt böse,
wenn man ihn fortwährend drängt. Wie er deshalb
wieder und wieder zu ihm kam, lief ihm endlich die
365
—
Galle Über, und er schickte ihn mit ziemlich derben Wor
ten fort.
Der mit ihm zugleich gerettete Matrose, der das
Jnstandsetzen der Gewehre übernommen hatte, mochte
Wohl eine sehr tüchtige Foremasthand sein, aber mit
Feuerwaffen wußte er doch wahrscheinlich nicht weiter
umzugehen, als daß er sie zu laden und abzufeuern ver
stand. Wo irgend eine Reparatur nötig wurde, fehlte
es ihm an der technischen Fertigkeit dazu, und es blieb
Ram ara Toa zuletzt nichts anderes übrig, als Klaus eben
falls herzurufen und ihm die ganze Angelegenheit zu
übergeben.
Klaus war deshalb auch heute in des Königs Woh
nung gerufen worden und eben emsig beschäftigt, die
Nuß des einen Schlosses, die einen Schaden erlitten
hatte, auszubessern, als ein Bote hereinkam, um dem
neben Klaus kauernden und ihm aufmerksam zuschauen
den König die Vorgänge jener Trauungsseierlichkeit und
des danach folgenden Tanzes zu melden.
Nun konnte sich Klaus, trotzdem er sich schon
mehrere Jah re auf der Insel aufhielt, allerdings noch
nicht in der wirklichen Sprache der Eingeborenen ver
ständlich machen, aber er verstand doch so ziemlich alles,
was er hörte, und merkte denn auch gar bald, daß Ra
m ara Toa sehr böse über die Nachricht wurde. Er er
klärte auch, er würde in den nächsten Tagen die Häupt
linge zusammenrufen und die Missetäter exemplarisch
bestrafen, jetzt hätte er aber mehr zu tun, denn er müsse
notwendigerweise erst die Gewehre instand haben. Nach
her solle der Mitonare einmal zu ihm herüberkommen,
mit dem wolle er reden.
„Und dann, Ramara Toa," sagte der Eingeborene,
„steht auch der alte M ann mit den Weißen Haaren wie
der vor deiner Hütte und will dich sprechen."
„Der alte Mann mit den Weißen Haaren?" brummte
Ramara Toa, „was will er?"
366
„Ich weiß es nicht; aber die beiden Mitonares sind
bei ihm. S ie gehen am Strande auf und ab und reden
viel miteinander."
„So? — wirklich?" nickte der König, und ein eigen
tümliches Lächeln zuckte um seine Lippen, „so, hat er
die beiden auch mit hineingezogen? Nun, wir wollen
sehen, was sie zu sagen haben — schicke sie herein, Fura,
und du bleibst dann hier! Hast du mich verstanden?
Wenn sie wieder fort sind, muß ich dir noch einen Auf
trag geben."
Der Eingeborene nickte und verließ gleich darauf
das Haus, und Klaus selber mußte fort, um etwas am
Gewehr in der Schmiede drüben zu verbessern, weil er
Feuer dazu brauchte. Er begegnete in der T ür den bei
den Geistlichen und dem geretteten Passagier, bekümmerte
sich aber nicht weiter um sie, sondern verrichtete die nötige
Arbeit, mit der er nach etwa einer Stunde zurückkehrte
und die Mitonares noch bei dem König fand. S ie
schienen aber ziemlich heftig aneinander geraten zu sein,
denn Mr. Löwe sagte noch dem König, ehe er das Haus
verließ, daß das wahre Christentum nicht bloß in from
men Worten und Gebräuchen bestände, sondern daß man
auch danach handeln müsse, und Gott würde zürnen,
wenn er die gerechte Forderung des fremden Mannes,
der dann mit dem nächsten Schiffe die Insel verlassen
wolle, nicht erfülle.
Ramara Toa mußte auch die Sache sehr unange
nehm sein; er kratzte sich fortwährend den Kopf und
sagte endlich:
„Gut! Es mag sein — er soll die Sachen haben
— aber es ist alles zusammengepackt."
„Ich kenne sie — ich weiß, wo sie liegen!" rief der
Alte.
„Gut — komm morgen — heute kann ich nicht
heute habe ich mit den Gewehren zu tun — da ist
Ka-lau-sa wieder. Wir müssen jetzt viel arbeiten —
367
komm morgen wieder — du sollst deine Sachen haben!
Bist du nun zufrieden? Wenn du morgen in mein
Haus kommst, gebe ich sie dir."
Der Alte hätte ihm gern erwidert, daß er das mit
der nämlichen Leichtigkeit in dieser Stunde tun könne,
Fremar winkte ihm aber zu, nicht weiter in ihn zu
dringen, wenn er einmal sein letztes Wort gesprochen.
Sein Wort mußte er aber halten, denn er hatte es ja
vor den Missionaren gegeben, und es kam nun auch auf
den einen Tag nicht an.
Ramara Toa war schon in nicht ganz besonderer
Laune gewesen, ehe die drei seine Wohnung betreten hat
ten; jetzt, als sie dieselbe wieder verließen, kauerte er
dumpf brütend auf dem Boden auf einer der Matten und
starrte finster, mit zusammengezogenen Brauen, vor sich
nieder. M it den neugewonnenen Schätzen war aber auch
sein Geiz, seine Habgier erwacht, und daß er jetzt einen
Teil derselben wieder herausgeben sollte, fraß ihm am
Herzen, wie er sich vielleicht auch darüber erbittert fühlte,
hier auf seiner eigenen Insel von den Fremden zu etwas
gezwungen zu werden, das ihm nicht behagte.
Fura, der Eingeborene, hockte neben Klaus. Er war
einer von denen, die am raschesten und leichtesten gelernt
hatten, mit einem Gewehr umzugehen und auch ziemlich
sicher damit zu schießen, und beobachtete jetzt auf das
genaueste, wie Klaus, der sich natürlich nicht um tue
Unterredung gekümmert hatte, die Schlösser der Waffen
behandelte. Übrigens war er ein nichtsnutziger, bös
williger Gesell und eben nicht besonders beliebt aus der
Insel. Er gehörte auch mit zu den Konstablern, dre über
all umhersuchten und dann die verschiedenen Anklagen
in Gang brachten. Da man ihn aber, und wohl mit
Recht, für ziemlich gewissenlos in solchen Dingen hielt,
so war er zu gleicher Zeit auch gefürchtet, denn wem
er nicht wohlwollte, den konnte er durch ein Wort m
die größten Unannehmlichkeiten und Strafen bringen.
368
„Fura," sagte Ramara Toa plötzlich und rief den
Burschen mit dem Wort an seine Seite, „kann ich mich
auf dich verlassen?"
- „Was willst du von mir haben, Ramara Toa? Sage
es nur, ich tue es."
„Gut — so schaff' mir den Lump, den Mann mit
dem Weißen Bart aus dem Wege. Ach was," fuhr er
aber fort, als er bemerkte, daß Fura einen scheuen Blick
nach Klaus hinüberwarf, „der versteht kein Wort von
dem, was wir reden. Er lernt unsere Sprache nicht und
wenn er fünfzig Jahre unter uns lebte."
„Er versteht viel," flüsterte Fura.
„Na, dann rück' näher her zu mir."
Klaus hatte indessen seine Arbeit auch keinen Mo
ment unterbrochen, aber trotzdem die ersten Worte genau
verstanden, und das jetzige Miteinanderflüstern der bei
den bestärkte ihn nur in dem einmal gefaßten Verdacht.
Und d a s war ein christlicher König, der um ein PaarStück Kattun willen einen Fremden ohne weiteres wollte
umbringen lassen? Und das waren die Früchte, die
ihre weite Reise hierher getragen, um d i e s e Menschen
zu einem anderen Glauben zu bringen?
„Das war der Mühe Wert," brummte er leise vor
sich hin, „und wer weiß, ob er das als guter Heide getan
hätte, was er jetzt, wo er alle Sonntage ein paar S tu n
den in der Kirche sitzt, als schlechter Christ fertig bringt!
Halunkenbande! Und deshalb hat mein armes gnädiges
Fräulein den Schölfenstein verlassen und den alten
Baron, der sich jetzt daheim allein langweilen und Trüb
sal blasen kann."
Er hatte das letzte Gewehr zusammengeschraubt und
eingeölt, und schnappte nur noch das Feuerschloß ein
paarmal, ob es gut Feuer schlug und leicht ging. Dann
stellte er es zu den übrigen an die Wand und stand auf.
Der König flüsterte noch immer mit seinem getreuen
Diener und schien diesem ganz bestimmte Instruktionen
zu erteilen, die Fura jedenfalls billigte, denn er nickte
369
—
fortwährend mit dem Kopfe. Als er aber bemerkte, daß
Klaus zu ihm kam, winkte er jenem mit der Hand, wo
nach Fura, ohne weiter einen Gruß für nötig zu halten,
geräuschlos aus der T ür glitt.
„Nun?" sagte Ramara Toa, indem er selber auf
stand und zu den Gewehren hinüberging, „alles in O rd
nung?"
„Jawohl, du alter Schwerenöter," erwiderte Klaus,
aber natürlich in deutscher Sprache.
„Du glaubst
übrigens wohl, ich hätte nichts gemerkt, du Lumpenkerl
du? Du bist mir ein nobler Heiliger, und wenn ich
hier etwas zu befehlen hätte, ließ ich dir einmal vor
allen Dingen fünfundzwanzig hinten aufzählen."
Ramara Toa nickte gutmütig zu der Rede. Er bezog
sie natürlich auf das, was der Fremde mit den Gewehren
gemacht hatte, und zu diesen hintretend, prüfte er die
Schlösser selber und fand, daß sie in der T at nichts zu
wünschen übrigließen.
Klaus verstand darin seine
Sache aus dem Grunde, denn er hatte früher einmal
ein paar Jahre bei einem Büchsenmacher gearbeitet und
kannte deshalb die Behandlung der Waffen vollständig.
Ein Gespräch mit ihm war aber nicht möglich, denn
Ramara Toa hatte sich noch nie die Mühe gegeben, selbst
nur einzelne jener vollständig fremd klingenden Worte
zu erlernen. Was er dem Alten sagen wollte, geschah
deshalb nur durch Zeichen, und da für den Augenblick
nichts vorlag, und der König auch den Kopf voll anderer
Dinge hatte, winkte er ihm nur mit der Hand, daß er
gehen könne. Das befolgte Klaus denn auch mit einem
gemütlichen „Hol' dich der Henker!", aber einer ehrfurchtsvollen Verbeugung dabei.
Als er am Strande hinschlenderte, bemerkte er den
alten Mann mit dem Weißen Bart, der unter einer kleinen
Gruppe von Pandanusbäumen lag und, still vor sich
hinbrütend, über das Binnenwasser nach der Brandung
hinausstarrte. Auf der Flut draußen schaukelten noch
ein paar Kanoes, sonst war niemand weiter mehr am
F r. Ger siL-k-r
Die Missionare.
—
370
Strande zu sehen, und langsam auf den Fremden zu
haltend, sagte er in entsetzlich gebrochenem Englisch, von
dem er etwas unterwegs und dann in seinem Umgang
mit M r. Fremar aufgelesen:
„He, Freund, wollt I h r einen guten Rat von einem
Fremden annehmen?"
„ In Englisch?" lächelte der Alte gutmütig.
„Ja," brummte Klaus verlegen, „es will wohl nicht
so recht heraus, aber mit dem Jnsulanischen geht's noch
schlechter."
„Und waruni sprechen wir da nicht Deutsch?" lachte
der Alte in dieser Sprache, „das versteht I h r doch?"
„Seid I h r ein Deutscher?" rief Klaus in höchstem
Erstaunen aus, „das hab' ich ja gar nicht gewußt."
„Ein Deutscher bin ich auch eigentlich nicht," meinte
der Alte, „wenigstens nur ein halber. Ich stamme aus
dem Elsaß, wo aber noch viel Deutsch gesprochen wird,
und daß I h r ein ganzer seid, merkt man Euch auf den
ersten Blick an."
„Gott sei Dank!" nickte Klaus, „dann kann ich auch
von der Leber weg reden. Und nun seid so gut und kommt
einmal mit mir einen Augenblick in den Busch hier hin
ein, denn es braucht niemand weiter zu wissen, daß wir
beide etwas miteinander zu verhandeln haben."
„Und ist es ein Geheimnis?"
„ J a — und was Euch noch dazu sehr nah' angeht."
„Wäre neugierig," sagte der Alte, stand aber doch
aus und folgte dem schon Voranschreitenden ein paar
Schritte in das Dickicht, wo sie wenigstens nicht mehr
vom Strande aus gesehen werden konnten, und hier be
gann denn auch Klaus ohne weiteres:
„ Ih r wollt Eure Waren von Ramara Toa wieder
haben?"
„Will ich sie und werd' ich sie," sagte der Alte, „die
Missionare selber haben es mir versprochen."
„Wollt I h r einen guten Rat annehmen?"
371
„Wie heißt ein guter Rat?" sagte der Händler, „muß
ich ihn doch erst selber hören, bis ich weiß, ob es ist
ein guter."
„Schön, dann macht, daß I h r hier fortkommt, zu
Wasser oder zu Land, auf einem Kanoe um die Insel
herum oder über die Berge nach Tuia hin. Dort leben
freilich noch blanke Heiden, aber besser, unter denen
sicher sein, als hier von den Christen den Schädel einge
schlagen kriegen."
Der alte Mann lächelte. „Wenn ich meine Waren
habe, will ich gehen."
„Die gibt der grobknochige Insulaner, den sie hier
den König nennen, im Leben nicht heraus."
„Aber er hat's versprochen. Auf morgen hat er's
versprochen."
„Gut, dann wartet's meinetwegen ab," brummte
Klaus, „aber so viel sag' ich Euch, I h r erlebt den mor
gigen Tag nicht, denn Ramara Toa hat es mit einem
der nichtsnutzigen Wilden, die hier Sonntags in die
Kirche gehen und in der Woche allerlei Schlechtigkeiten
verüben, abgemacht. Ich hab's mit meinen eigenen
Ohren gehört."
„Mit demselben Insulaner, der vorhin bei dem
König war?"
„M it demselben."
Der alte Mann schüttelte ungläubig mit dem Kopf.
„Lieber Freund," sagte er, „ich glaube fest, daß I h r es
gut mit mir meint, aber in diesem Falle irrt I h r Euch.
Der Bursche ist gut genug und wahrlich nicht imstande,
etwas derartiges zu verüben."
„Und I h r wollt n ic h t fort?"
„Nein; gewiß nicht eher, als bis ich meine Sachen
habe."
„Na, denn nicht!" sagte Klaus störrisch. „Ich
hab's gut gemeint, und wenn I h r das nicht glaubt, dürft
I h r Euch nachher auch nicht beklagen."
24 *
372
„Daß J h r's wirklich gut mit mir meint, lieber
Freund," sagte der Alte freundlich, „glaub' ich Euch von
Herzen gern, aber I h r habt Euch nur in der Sache selber
geirrt. Ramara Toa ist ein Eingeborener durch und
durch, aber nicht falsch und heimtückisch, nur habsüchtig,
wie alle sind. Er wird die Sachen herausgeben, weil er
muß, denn die Missionare haben ihn in der Tasche —
kluge Menschen überall. Nachher werd' ich gehen; gefällt
es mir hier doch nicht so besonders."
„Gut," nickte Klaus, mit allem einverstanden. „Ich
habe Euch nun gesagt, was ich über die Geschichte weiß;
wenn ich mich geirrt habe, desto besser; aber wem nicht
zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen. Also haltet
wenigstens die Augen offen, das ist das wichtigste, waS
man von einem Menschen mit noch gesunder Hirnschale
erwarten kann." Und dem Alten zunickend, schritt er
quer durch den Busch hinüber, seiner eigenen Heimat
wieder zu.
An dem nächsten Abend hatte M r. Löwe beschlossen,
nach Tuia über das Hupai-Tal zurückzukehren, vorher
aber hielt er noch eine lange Unterredung mit Ramara
Toa, für welchen er auch einen Brief, eine Botschaft
für Matangi Ao schreiben mußte. M atangi Ao wurde
darin aufgefordert, den Unglauben abzuschwören und
zum Zeichen seiner friedlichen und christlichen Gesinnung
einen bestimmten Tribut zu entrichten, der halbjährlich
durch drei seiner ersten Häuptlinge nach der Motua-Bai
gesendet werden solle. Sobald die erste Sendung, als
Zeichen seiner geänderten Gesinnung, dann eintraf,
wollte Ramara selber ihm mit seinen Häuptlingen einen
Besuch in Tuai, das heißt, eine Rundreise durch seine
Besitzungen machen, und Löwe erhielt dabei den speziellen
Auftrag, dem jungen Häuptling zu erklären, daß er
ihm dann reiche Geschenke für sich und Nalata, Namaras
Tochter, mitbringen würde.
Noch schrieb M r. Löwe den Brief in Fremars Hause
oben, und der König stand neben ihm, sah ihm über
373
die Schulter und wunderte sich, daß es so rasch ging —
denn wenn er ein Wort niederschreiben wollte, so mußte
er jeden Buchstaben mit der größten Mllhe einzeln nach
malen, — als ein Bewohner des Hupai-Tales in die
Hütte trat und augenscheinlich erschrak, als er Ramara
Toa dort, wo er ihn gar nicht erwartet haben mochte,
entdeckte.
„Hoho, mein Bursche!" rief dieser aber, der ihn
augenblicklich erkannte, „wer sendet dich, und weshalb
zitterst du so? Gehörst du auch mit zu dem Gesindel,
das neulich wieder dort oben seinen heidnischen Gräuel
gefeiert hat? Aber ich werde über euch kommen, ver
laßt euch darauf, und das, ehe ihr es euch verseht! Über
dies ist schon der Befehl hinausgegangen, alle die herunterzusenden, die sich gegen das Gesetz vergangen haben,
denn wo ich meinen eigenen Sohn nicht schone, könnt ihr
euch Wohl denken, daß ich mit euch keine Umstände machen
werde. Wer war dabei?"
„Ich weiß nicht, Ramara Toa," sagte der Einge
borene demütig, „kann sie nicht alle nennen. Aber ich
— ich weiß keinen, der n ic h t dabei gewesen wäre."
„Also du auch?" rief Ramara Toa rasch.
„Nein," sagte der junge Bursche scheu, „unser acht
mußten bei Taori bleiben, um ihn an das Ufer des Sees
und wieder zurückzutragen und nachher bei ihm zu
wachen."
„Taori!" rief Ramara Toa, dessen Gedanken wieder
rasch auf den Krankheitszustand des Sohnes über
sprangen. „Wie geht es ihm? Is t er besser?"
„Nein, Toa," sagte der Hupai-Jnsulaner, „viel
schlechter. Er ist heute recht schwach und hat mich herübergeschickt, um die Weiße Frau zu bitten, zu ihm zu
kommen."
„ M e i n e Frau?" sagte Mr. Löwe aufhorchend.
„Nein, Mitonare — die junge Frau, die hier auf
dem Felsen wohnt. S ie soll mit ihm beten."
374
„O mein Gott," seufzte Berchta, „ist er so krank
geworden?"
„Es wird besser sein, Schwester Berta," sagte Löwe
ruhig, „daß Bruder Fremar zu ihm geht, denn er bedarf
wahrscheinlich mehr als nur eines Gebetes."
„Nein, die F r a u soll kommen, hat Taori gesagt,"
beharrte aber der Insulaner, „nicht der Mann; er will
keinen Mitonare."
Löwe sah nach Ramara Toa hinüber, und dieser biß
sich die Lippen; aber er wagte doch nicht, etwas dagegen
zu sagen. Es war noch der alte Trotz des Sohnes, das
Erbteil von ihm selber, und selbst die Krankheit schien
ihn nicht gebrochen zu haben.
„Lassen Sie mich gehen," bat Berchta, „wer weiß
denn, ob nicht auch ich ihm Trost bringen und sein Herz,
wenn auch im letzten Augenblick, zu Gott wenden kann."
„Im letzten Augenblick?" rief aber Ramara Toa
heftig aus. „So krank ist Taori gar nicht. Was fehlt
ihm denn? Fragt den Mitonare — nichts als E r
schöpfung ist sein Zustand. Müdigkeit, die sich von selber
geben wird, wenn er sich nur ordentlich ausruht."
„Und wenn es m e h r wäre, Ramara Toa?" sagte
Berchta leise.
„Nein, nein! Es ist nicht mehr!" rief der König.
„Aber die Frau soll zu ihm gehen. Taori hat es gewollt.
S ie soll gleich zu ihm gehen. Da drüben steht der
Handkarren; meine Leute sollen sie hinüberfahren, da
mit ihr der Weg nicht zu schwer wird."
„Ich danke dir, Ramara Toa," sagte Berchta freund
lich; „aber der Weg wird mir nicht beschwerlich; er ist
so wunderbar schön, und das herrliche T al selber — ich
sehne mich fast danach, es wiederzusehen, denn mein Fuß
hat es seit Jahren nicht betreten."
„Und gehst du bald?"
„Gleich, wenn es sein muß; je eher, je besser, wenn
ich einem Kranken Trost und Hilfe bringen kann."
L76
„Dann werde ich Sie begleiten, Schwester Berta!"
sagte Mr. Löwe; „es ist doch so manches noch, was ich
mit Ihnen besprechen möchte, und der lange Weg bietet
dazu die passendste Gelegenheit. Ihren alten Klaus
können S ie ja ebenfalls mitnehmen, — er ist doch zu
weiter nichts zu gebrauchen — um ihn auf dem Rückweg
als Schutz zu haben."
Berchta fühlte sich durch die kalten Worte verletzt,
denn sie hatte den alten Mann, der ihretwegen die Hei
mat verlassen, lieb; aber sie wollte auch kein unfreund
liches Wort erwidern, und schwieg deshalb lieber ganz.
Der Vorbereitungen bedurfte es nicht viele; einige
Lebensmittel, die unterwegs gebraucht wurden, konnte
einer der Diener tragen, von denen Fremar sechs in
feinem Hause hatte. Ebenso das wenige an Wäsche,
was Berchta mitnahm, da sie sich doch nur einige Tage
dort aufzuhalten gedachte. Nach Klaus wurde ebenfalls
geschickt; er kam gerade aus dem Walde, und die kleine
Karawane beschloß, erst gegen Abend aufzubrechen, um
die frischeste Kühle zum Marsche zu haben. Überraschte
sie dann die Nacht, gut, so lagerten sie unter ein paar
rasch aufgeschlagenen Palmendächern und setzten dann
in der Morgenfrische ihren Weg fort.
Löwe hatte indessen den Brief an den Häuptling
Matangi Ao beendet und geschlossen, bedurfte aber selber
noch einiger Vorbereitungen, ehe er gehen konnte. Paya
hatte sich wieder so weit erholt, um wenigstens marschieren
zu können, wenn auch noch mit einiger Schwierigkeit,
und die übrigen Träger wurden endlich ebenfalls her
beigeschafft, denn M r. Löwe reifte immer mit sehr viel
Gepäck und hatte dementsprechende Bedürfnisse.
Mr. Fremar hätte sich allerdings gern dem kleinen
Zuge angeschlossen, aber nach den Besprechungen, welche
die Missionare zuletzt mit Ramara Toa gehabt, war so
manches hier zu tun und zu ordnen, daß seine Gegenwart
nicht gut entbehrt werden konnte. Ramara Toa selber
wünschte, daß er blieb, um bei der Hand zu sein, wenn
376
die Rückantwort von Tuia eintraf, denn danach galt es,
rasche und bestimmte Maßregeln zu nehmen. Auch in
seiner Gesetzgebung fühlte er sich zu abhängig von den
Missionaren, um ihre Hilfe und ihren Rat ganz entbehren
zu können. Wozu sollten sie auch beide nach dem HupaiT al laufen! Einer genügte vollkommen, denn Taori
war ja doch nicht so krank, daß er ernstliche Hilfe ge
braucht hätte.
25.
Taoris Tod.
Mehrere Stunden mochten mit diesen Vorbereitun
gen vergangen sein, bis die kleine Karawane gerüstet
zum Abmarsch bereit stand. M r. Löwe suchte dabei die
„Schwester Berta" noch immer zu bereden, daß sie sich
des Handkarrens bedienen sollte, um von Eingeborenen
gezogen zu werden, und als sie ihm darauf erwiderte,
es sei ihr ein unangenehmes Gefühl, M e n s c h e n durch
eine solche Dienstleistung zu entwürdigen, schien er sich
beleidigt zu fühlen, und erklärte ihr, daß nicht M rs.
Löwe allein, sondern alle Missionarfrauen auf den Sandwichs-Jnseln von ebensolchen Handkarren Gebrauch mach
ten, und doch auch Wohl ein Urteil beanspruchen dürften,
zu wissen, was sich schicke oder was nicht. Berchta aber
beharrte auf dem einmal gefaßten Entschluß. Sie hatte
schon zu viel von dem ganzen Treiben der Missionare
gesehen, um eben, wie im Anfang, alles zu billigen,
was sie taten. Sie meinten es gewiß gut und hatten
den besten Willen, die Eingeborenen glücklich zu machen;
aber zu großer Eifer in der Sache trieb sie auch manchmal
zu weit, und gerade die übergroße Rücksicht, die sie be
sonders auf ihre eigene Bequemlichkeit nahmen, stimmte
nicht mit dem überein, wie sie sich sonst das Leben dieser
„Pioniere des Christentums" gedacht, — oder sie würde
377
wohl schwerlich je die Heimat verlassen haben, um es
zu teilen.
Dieses kaum erst iu ihrem Herzen erwachende Be
wußtsein fing schon an sie zu beuuruhigen. Sie f ü h l t e
es in sich aufsteigen, aber sie bekämpfte es auch mit aller
Macht, denn sie war sich bewußt, daß es sie namenlos
elend gemacht hätte, sobald es weitere Gewalt über sie
gewann. Sie redete sich ein, daß sie manches zu schwarz
sähe, — manches nicht beurteilen könne, was eben nicht
mit i h r e n Ansichten harmonierte, und suchte nun
selber alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um das
schöne Ziel zu erreichen, das sie sich gesteckt. Eine wirk
liche Lehrerin und Trösterin dieser armen, verblendeten
Menschen wolle sie werden, und sich selber keiner T äu
schung hingeben, wenn mit einzelnen schon ein Erfolg
gesichert scheine; nein, weiter und weiter arbeiten, bis
sie die Überzeugung erlange, daß diese Heiden nicht bloß
durch die Taufe und die äußere Form, sondern auch in
ihren Herzen Christen geworden wären.
Neben diesem Entschlüsse keimte aber auch der an
dere: den. Vorgesetzten ihres Gatten keine Rechte zuzu
gestehen, die ihr eigenes Handeln und das, was sie für
gut und nützlich hielt, beeinflussen konnten. Es war eine
Art von erwachendem Trotz vielleicht gegen das zu
strenge Regiment und das Gefühl der Unfehlbarkeit, das
einige dieser Herren zu leiten schien. Den Ge s e t z e n
der Mission hatte sie sich natürlich auf das strengste zu
fügen. Alles aber, was außer deren Bereich lag und
ihrem eigenen Gefühl anheimgegeben werden mußte,
sollte, wie sie sich fest vornahm, auch nur durch ihr eigenes
Gefühl geleitet werden.
M r. Löwe selber schien zu fühlen, daß ein Keim der
Unabhängigkeit in dem Herzen der jungen Frau auf
schoß, den er lieber unterdrückt gesehen hätte, und unter
wegs dachte er auch herüber und hinüber, wie dem am
besten noch in Zeiten begegnet werden könne. Einer
aus ihrer eigenen Mitte, der junge Missionar M artin,
378
hatte schon ein genügend böses Beispiel gegeben, und sie
konnten nicht dulden, daß das Übel weitergriff, wenn
sie nicht die ganze Mission gefährden wollten.
Selbst der kleine Umstand, daß M rs. Fremar nicht
den Handkarren benutzen wollte, wie es doch seine eigene
Frau getan, verletzte ihn, weil er darin, und Wohl nicht
mit Unrecht, einen Tadel des eigenen Verfahrens sah.
Schweigend und ziemlich mürrisch schritt er so dem
Zuge voran, der gleich von der Höhe ab einen durch
Klaus ausgeschlagenen Pfad verfolgte, dadurch das
Niedersteigen zum Strande vermied und die HupaiStraße weiter oben traf. Da raschelte etwas hinter
ihnen in den Büschen, und als sich Klaus danach umsah,
erkannte er den Mann mit dem weißen Bart, der in
nicht zu verkennender Aufregung auf ihn zusprang und
seine Hand ergriff.
„Hallo!" rief Klaus überrascht, „was gibt's, Ka
merad — was ist vorgefallen?"
„Rettet mich!" stöhnte der Alte, dem das Entsetzen
in den Zügen nur zu deutlich ausgeprägt stand, „rettet
mich — I h r hattet recht — furchtbar recht, und ohne
Eure Warnung wäre ich schon jetzt ihr Opfer geworden."
„Was gibt es da? Was will der Fremde?" fragte
Mr. Löwe, der stehen geblieben war und sich nach ihm
umgewendet hatte.
„Schutz gegen die Mörder, die der König nach mir
ausgesandt," rief der alte Mann in englischer Sprache,
damit ihn die eingeborenen Träger nicht verstehen
sollten.
„Unsinn, Mann!" rief aber M r. Löwe ärgerlich,
„der König denkt nicht daran, Euch zu schädigen, und
hat mir noch fest versprochen, daß er Euch sogar Euer
Eigentum zurückgeben will. I h r seid hier nicht unter
Heiden, sondern unter Christen."
„Gott der Gerechte," rief der Alte, „wollt' ich doch,
ich wär' erst unter den Heiden. Aber da kommt er —
beim ewigen Gott, da kommt er!"
379
Der Ausruf bezog sich auf den mit der größten
Ruhe heranschleuderuden Fura, der jedenfalls schon die
Truppe bemerkt hatte und sich jetzt Wohl hütete, irgend
eine Eile zu verraten.
Ich begreife das alles nicht," sagte M r. Löwe kopf
schüttelnd, „weshalb fürchtet I h r Euch? Hat Euch je
mand was zuleide getan?"
„Was zuleide getan? Nein, dem Himmel sei Dank;
aber sie hätten's, wenn mir der Mann da nicht einen
Wink gegeben, auf meiner Hut zu sein, da der König
mich aus dem Wege schaffen wolle."
„ Ih r träumt!"
„Will ich leben und gesund bleiben, daß es ein deut
licher Traum war, als der Bursche mit seiner kurzen
Keule von hinten nach mir ausholte. J e t z t tut er
unschuldig genug; aber ich hatte ihn im Auge, und die
Hand an dem kleinen Pistol hier, wo aber ist kein Pulver
drin, und als ich mich rasch wendete und das ihm vor
hielt, erschrak er ärger, als ich erschrocken war, und ließ
die Keule fallen."
M r. Löwe sah den jetzt unbefangen nahenden Ein
geborenen, der, wie er recht gut wußte, zu seiner Ge
meinde gehörte, streng an und sagte:
„Was ist das, Fura, dessen dich der Weiße da an
klagt? Hast du einen Schlag nach ihm führen wollen?"
Der Eingeborene lachte laut auf. „Aber, Mitonare," rief er, „weshalb soll ich ihn schlagen wollen?
Ramara Toa hat mich nach ihm geschickt. Will ihm
Sachen je tz t geben, weil er auch nach Hupai-Tal geht
— soll ihn mitbringen zu Toa, aber nicht schlagen. Wer
schlägt alten M ann?"
„ Ih r hört, Freund," sagte der Missionar ruhig,
„daß es ein Mißverständnis war — weiter nichts. Fura
hat Euch nur zum König führen wollen, der Euch schon
heute Eure Sachen zu überliefern gedenkt."
„Und wenn er mitgeht, ist er ein Esel," sagte Klaus.
380
„Verlaßt ihr alle die Bai?" fragte der Fremde,
ohne auf eine der beiden Bemerkungen zu antworten.
„Allerdings! Wir müssen nach dem Hupai-Tal hinüber."
„Dann begleite ich euch," sagte der alte Mann ent
schlossen. „Will mir Ramara Toa meine Sachen wirk
lich wiedergeben, so kann er das ebensogut tun, wenn ich
zurückkomme. Lieber das Leben behalten, als es um die
paar Stücke Kattun riskieren."
„Aber I h r hört ja, daß Euer Leben gar nicht be
droht ist," sagte M r. Löwe, dem die Gesellschaft des
Alten nicht besonders angenehm schien, „und in unserer
Kolonie auch nicht bedroht sein k a n n . Geht mit Fura
zurück, I h r habt nichts zu befürchten. Ic h stehe Euch
dafür."
„ S i e stehen mir dafür, wenn ich eins auf den Kopf
bekomme und drin im Walde verscharrt oder zu den
Haifischen hinausgerudert werde?" sagte der alte Mann
— „wie haißt! Wie können S i e mir dafür stehen?
Werden S i e nachher dem König Vorwürfe machen, und
e r wird sagen, was geht mich der Fremde an, wie Kam
zum Herrn gesagt hat, war ich zu seinem Hüter be
stellt? Und der alte Aaron liegt dann irgendwo weggesteckt. S i e stehen mir gut dafür? Nein, d e r
Mann da meint es gut mit mir, der hat mir gesagt,
daß er gehört hat, wie Ramara Toa dem Burschen dort
Auftrag gegeben, mich aus dem Wege zu schaffen. Wenn
e r fort von hier geht, geh' ich auch fort. Wenn e r
bleiben will, bleib' ich auch."
„Ja, ich kann nicht, mein Alterchen," sagte Klaus,
„ich muß die gnädige Frau begleiten, und drei, VierTage werden wir immer ausbleiben."
„Dann geh' ich auch mit," rief der Alte entschlossen.
„Ruiniert bin ich noch lange nicht, denn mein Geld trag'
ich bei mir, und lieber die paar hundert Taler im Stiche
gelassen, als von den Schurken heimtückisch erschlagen
werden."
381
Löwe schwieg und sah dabei Fura fest an. Unmög
lich war die Sache keineswegs, und der Bursche schien
auch kein besonders reines Gewissen zu haben, denn er
ertrug den Blick des Missionars nicht, sondern wendete
sich, verlegen lächelnd, an einzelne seiner Kameraden.
Es blieb ihm aber nichts übrig, als den Fremden ge
währen zu lassen, denn zurückweisen konnte er ihn nicht:
sich deshalb an Fura wendend, rief er diesem zu:
„Sage an Ram ara Toa, daß es der Fremde vorzieht,
in unserer Gesellschaft nach dem Hupai-Tal zu gehen, um
eine passendere Gelegenheit abzuwarten, sein Eigentum
zu fordern. Du hast mich doch verstanden?"
„Jawohl, Mitonare," erwiderte Fura, eben nicht
besonders davon erbaut, „aber Ramara Toa wartet; er
wirb böse werden."
„Wirklich schade darum," sagte Aaron. M r. Löwe
schien aber eine weitere Unterhaltung vermeiden zu
wollen, denn er winkte F ura nur mit der Hand, drehte
sich dann ab und verfolgte seinen Weg, natürlich ein
Zeichen für die übrigen, die Unterhaltung ebenfalls als
abgebrochen zu betrachten.
Der kleine Zug bekümmerte sich auch nicht mehr um
den Abgesandten des Königs, der mißvergnügt genug
zurückblieb, sondern folgte dem Wege, der im Schatten
des Waldes und jetzt in der Abendkühle nach dem HupaiT al hinüberführte, bis sie eben die Nacht überraschte
und dann schnell ein flüchtiges Lager aufgeschlagen war,
das wenigstens den Tau von den Schläfern abhielt. I n
der warmen und reinen Luft bedurften sie keines wei
teren Schutzes.
Am nächsten Morgen waren sie wieder mit Tages
grauen auf, da sie zubereitete Lebensrnittel genug bei
sich führten, um nicht dadurch aufgehalten zu werden.
Der alte Aaron hielt sich indessen auf dem Marsche immer
dicht zu Klaus, von dem er näheres über die Insel zu
erfahren wünschte, und trotzdem dieser die Sprache
der Eingeborenen eigentlich nur sehr mittelmäßig ver-
382
stand, hatte er sich doch im Laufe der Jahre, und mit dem
nötigen Mutterwitz versehen, ein ziemlich richtiges Bild
von den hier herrschenden Zuständen entworfen.
Demnach war Ramara Toa „ein Lump, wie er im
Buche stand", der die Missionare nur begünstigte, weil er
mit diesen seinen Zweck zu erreichen, d. h. ein großer
König zu werden und einst, wie Kamehameha auf den
Sandwjchs-Jnseln, die Insel, auf der er wohnte, und
nachher die Nachbarinseln zu unterjochen hoffte. Von
Kamehameha sprach er wenigstens in einem fort und
hatte sogar schon einmal M r. Löwe den Vorschlag ge
macht, dessen Namen anzunehmen. Davon riet ihm aber
der Missionar stets ab, da er nicht ohne Grund fürchtete,
daß ein solcher Beiname seinen Ehrgeiz nur noch mehr
anstacheln und reizen würde.
Einua, seine Frau, war, Klaus' Beschreibung nach,
eine Gans, die mit einem Strohdach herumlief, mit dem
man sie, wenn sie sich s o einmal in Deutschland zeigen
sollte, augenblicklich einstecken würde. Taori, der Thron
erbe, war ein braver, junger Mensch — aber leider ein
Vollblutheide und jetzt krank, und im Hupai-Tal die
ganze Geschichte faul, weil es zwischen Tuia und der
Motua-Bai lag, und im Falle eines Krieges jedenfalls
von beiden Parteien angegriffen wurde. Das HupaiTal gehörte aber mit seiner Bai nach Motua, mit seinen
Gesinnungen dagegen nach Tuia, und Ramara Toa sollte
eine ganz besondere Wut auf den kleinen O rt haben.
Aaron hörte ihm, ohne ihn auch nur ein einziges
M al zu unterbrechen, aufmerksam zu und überlegte sich
dabei in aller Ruhe, wie er selber handeln solle. Nur
als der Deutsche geendet hatte, fragte er ihn, wie es
in Tuia stünde, über welchen O rt aber Klaus nichts
wußte, als was er dann und wann von den Missionaren
gehört. Die Lage der Tuia-Bai sollte wunderbar schön
und das Volk kräftig und gut fein; der Häuptling des
selben aber, obgleich M r. Löwe seinen Wohnsitz dort auf
geschlagen und eine-Druckerei und Schmiede hergestellt
383
hatte, wollte nichts vom Christentum wissen. Er lernte
lesen und das Eisen schmieden, ja, und alles, was ihm
M r. Löwe sonst zeigte, hörte auch aufmerksam zu, wenn
der Geistliche predigte, setzte aber allen Bekehrungsver
suchen nur eiu entschuldigendes Achselzucken entgegen.
Es ging eben nicht — vielleicht später einmal.
Aaron nickte leise vor sich hin. Der Mann gefiel
ihm, zu dem wollte er gehen, noch dazu, da M r. Löwe
ebenfalls dort wohnte, und wenn dieser dann einmal
wieder nach der Motua-Bai zurückkehrte, konnte e r ihn
ja immer begleiten, um noch einen Versuch zu machen,
das ihm gehörende Eigentum zu reklamieren; aber er
traute Ramara Toa jetzt nicht mehr iiber den Weg, und
war fest entschlossen, ihn unter keiner Bedingung allein
wieder aufzusuchen.
Jetzt hatten sie den Punkt erreicht, von dem aus
man zuerst das Hupai-Tal überschaut. Aber nicht mehr
wie früher tönte ihnen das fröhliche Pochen der Gnatuklöppel entgegen — die Eingeborenen hatten diese Ar
beit lange eingestellt, denn das viele Zeug, das die Frem
den mitgebracht, machte die Beschäftigung unnötig. Auch
das friedliche Stilleben des kleinen freundlichen Ortes
war gewichen. Auf dem See schaukelte kein Kanoe, die
Kinder spielten nicht am Strande, wie sie es sonst getan.
Nur zerstreut unter den Palmen standen Gruppen von
Männern in ernstem Gespräch, und vor der einen Hütte,
es war die Taoris, hatte sich eine größere Menschen
menge angesammelt, die dort irgend etwas zu erwarten
schien. War der junge Häuptling schon seinem Leiden
erlegen? Nein; die ersten, die ihnen begegneten, be
ruhigten sie darüber. Er lebte, war aber so schwach,
daß er nur wenig mehr sprach, und hatte nur ungeduldig
mehrmals an dem Morgen gefragt, ob die fremde Frau
noch nicht eingetroffen sei. Jetzt wollte er hinauf in den
Wald getragen werden. Es wurde ihm in der Hütte zu
schwül und eng, und er sehnte sich hinaus unter die
Wipfel der Palmen und in den kühlen Waldesschatten,
384
wo ihn die über den See wehende Brise treffen konnte.
Einige der Leute hatten eben die Trage aufgenommen,
und die übrigen standen vor dem Hause, um den jungen,
geliebten Häuptling zu erwarten und zu begrüßen.
Noch ehe die Wanderer das eigentliche Dorf er
reichten, begegnete ihnen der Zug. Voran trugen sechs
Eingeborene den jungen Königssohn, neben welchem
Einua einherschritt, und ein Schwärm von Trägern
folgte, um die ersteren, wenn sie müde werden sollten,
abzulösen. Aber auch eine Zahl von Häuptlingen hatte
sich ihm angeschlossen. Manche davon waren sogar von
Tuia herübergekommen, und selbst an ihn begleitenden
Frauen und Kindern fehlte es nicht.
Taori lag matt und erschöpft auf den für ihn aus
gebreiteten Matten, aber im Schatten eines leichten, mit
grünen Bananenblättern gedeckten Daches, das die S on
nenstrahlen von ihm abhielt, jedoch überall der freien
Luft Durchzug gewährte. Nur erst, als er der ihm Be
gegnenden ansichtig wurde und unter ihnen M rs. Fremar erkannte, glitt ein Lächeln über seine bleichen Züge,
und als sie herankamen, ließ er halten, streckte ihr die
Hand entgegen und sagte freundlich:
„O, das ist lieb von dir, daß du kommst, du fremde
Frau, ich habe mich so danach gesehnt, noch mit dir zn
sprechen. Willst du uns begleiten? Wir gehen nicht
weit, nur zu jener Höhe, wo wir den See noch über
schauen können."
„Gewiß gehe ich mit dir, Taori," sagte Berchta
freundlich, „ich bin herübergekommen, um dir Trost und
Hilfe zu bringen, wenn es irgend in meinen Kräften
steht. Sei guten Mutes. Du bist jung, dein Körper
wird die Krankheit bewältigen und du selber wieder die
Hoffnung deines Stammes werden."
„Es ist gut, Bereta!" winkte ihr Taori leise mit
der Hand, „du willst mir Hoffnung geben, laß uns Weiter
gehen; die Sonne brennt hier so schwül, und das Atmen
wird mir schwer. Die übrigen mögen ihren Weg ver-
388
—
folgen — geh du allein mit uns. Was will der schwarze
Mann an deiner Seite?"
„Zu dir sprechen, Taori," sagte M r. Löwe freund
lich, „und dein Herz zu Gott wenden."
„Mein Herz ist bei Gott," sagte der junge Jnsu-»
lauer, während sich seine Brauen finster zusammenzogen,
„du nennst ihn nur anders, weiter nichts, — kommt!"
und seinen Trägern ein Zeichen gebend, hoben ihn diese
wieder auf und trugen ihn etwas seitab von dem Wege.
einen: erhöhten Punkt zu, den er ihnen schon vorher be
stimmt.
Von dort aus murmelte eine klare Quelle, von den
höheren Bergen niederkommend, zwischen einem wahren
Blumengarten hin ins Freie. Hochstämmige Palmen
standen dort oben, breitwipselige Mangobäume und
wilde Bananen in Menge, und dicht am Quell, wo die
Sturzflut der zuzeiten von starkem Regen nieder
geschwemmten Wasser eine Menge von Sand ange
schwemmt hatte, schienen sich die Waldbäume von diesem
Boden ferngehalten zu haben, so daß sich dadurch eine
kleine offene Wiese bildete, die fast wie ein künstlich
angepflanzter M arai von hohen Bäumen dicht umgeben
war. Nur nach dem Tale und dem See zu öffnete sie
sich und gestattete einen freien Blick über das liebliche
Bild.
Das war von jeher Taoris Lieblingsausenthalt ge
wesen, und er hatte sich dort sogar, aber im dichten Laub
versteckt, eine kleine Hütte gebaut, in der er manchmal
bei plötzlich eintretenden Gewittern Schutz finden konnte.
Er bezeichnete auch genau diese Stelle, wo er mit seinem
tragbaren Bett niedergesetzt werden wollte, und blickte
dann eine Weile still und schweigend auf die reizende
Szenerie hinaus, die sich hier seinem Blick öffnete — ja,
schien in diesem Anschauen seine Umgebung ganz zu ver
gessen. So lag er lange, und keiner der ihn Umstehenden
wagte ihn in seinen Gedanken zu stören oder zu nnterF r . G erstäck er, Die Missionare.
25
—
386
—
brechen, bis Einua endlich, welcher der Anblick des kran
ken Kindes das Herz zusammenschnürte, freundlich sagte:
„Wie ist dir, Taori, fühlst du dich hier besser?"
„ Ja, Mutter," nickte der Kranke leise, „viel besser.
Die Luft weht hier so kühl und mild — es ist alles so
frisch und grün und kein Lärm, kein Streit. Nur der
Frieden Gottes liegt auf der Erde."
„O, daß er auch in deiner Seele läge, junger Mann!"
sagte da Mr. Löwe mit von Schmerz bewegter Stimme,
„siehe, die Zeit rückt heran, in der du vor dem Thron des
Höchsten erscheinen wirst, und wenn er sein Antlitz von
dir wendet — wenn er in dein Herz schaut und dort
umsonst den wahren Glauben sucht —"
Taori winkte ihm mit der Hand.
„Laß es gut sein," sagte er freundlich, „sorge dich
nicht um mich — mir ist Wohl, und ich fürchte nichts."
„Ach, Taori," bat da auch seine Mutter, „wenn du
nur hören wolltest, wojs er dir sagt. Er meint es so
gut, und noch ist es ja Zeit."
„Ich glaube, daß er es gut meint, Mutter," lächelte
der junge Häuptling freundlich, „aber sorge auch du
dich nicht um mich und laß mir das eine nur, weshalb
ich diesen stillen Platz im Walde gesucht habe: Ruhe.
M it der Weißen Frau will ich jetzt sprechen. Tretet ihr
anderen alle zurück und — bereitet euch vor, daß wir die
Nacht hier verbringen. Die Luft ist viel kühler hier —
ich will hier — ich will hier bleiben. Geh mit ihnen,
Mutter, ich möchte gern mit der fremden Frau sprechen."
Einua seufzte tief auf, und selbst M r. Löwe schien
nicht so recht mit dieser Anordnung einverstanden; aber
der Wille des Kranken mußte nichtsdestoweniger befolgt
werden, man durfte ihn nicht erzürnen, und alle zogen
sich von der Lagerstatt zurück, während Berchta allein
neben ihm stehen blieb und mit tiefem Mitleid in den
Zügen den Leidenden betrachtete, der eine kleine Weile
mit geschlossenen Augen auf seiner Matte lag und in
387
—
dem eingefallenen Antlitz nur zu deutlich die Spuren
des nahenden Todes zeigte.
Endlich öffnete Taori die Augen wieder, und als
sein Blick auf Berchta fiel, legte sich ein leises, freund
liches Lächeln um seine Lippen.
„Das ist gut," flüsterte er, „das habe ich lange ge
wünscht, denn du bist anders als die schwarzen Männer
— auch anders als die alte, strenge Frau in Tuia, die
manchmal herüberkam und uns mit ihren Erzählungen
Furcht einjagen wollte. Sage du mir jetzt, Bereta, und
beantworte mir die eine Frage nur offen und wahr:
glaubst auch d u , daß dein Gott so rachsüchtig ist, um
das, was die Eltern gesündigt, an den Kindern bis ins
dritte und vierte Glied zu strafen?"
„Die Schrift sagt es," erwiderte freundlich Berchta,
„aber ich glaube fest, daß sie dem Worte eine falsche Deu
tung gegeben haben. Die Sünde der Väter straft sich
an den Kindern, aber nur durch die Erziehung, die diese
erhalten, und wie s i e wieder ihre Kinder erziehen —
nicht durch Gott. Er ist barmherzig — er ist unser
Vater, und wie es undenkbar, daß wir selber ein Kind
schlagen könnten, weil dessen Eltern einen Fehler be
gangen, so kann das noch viel weniger Gott tun. Nein,
unsere Religion ist eine Religion der Liebe, und nur in
Liebe will Gott, daß wir zu ihm beten sollen — nicht
in Furcht."
Taori nickte leise lächelnd vor sich hin. Dann fuhr
er fort:
„Und alle jene Länder, die deinen Gott gar nicht
kennen oder ihn vielleicht nur unter einem falschen
Namen verehrten — geschieht mit ihnen, wie der schwarze
Mann sagt?"
„Ich weiß es nicht, Taori," flüsterte Berchta bewegt,
„ich weiß nicht; aber sieh um dich — sieh diese Palmen,
sieh dort den freundlichen See, sieh den blauen Himmel
und die sonnige Erde, die fruchtbedeckten Bäume und
grünenden M atten: kannst du dir denken, daß Gott
25*
388
einem Volke zürnt, dem er eine so lc h e Heimat ge
geben?"
Ein glückliches Lächeln flog über Taoris Züge. Er
streckte der jungen Frau die Hand entgegen und hielt
die ihrige lange darin, ohne zu sprechen. Sein Blick
haftete dabei an ihrem Antlitz und flog dann wieder
in das Freie hinaus über das schöne Land.
„Willst du nicht mit mir beten, Taori?" sagte da
Berchta leise, „beten zu dem Gott, den wir beide ver
ehren?"
„Bete du für mich, Bereta," sagte Taori freund
lich, „aber bete laut. Laß mich hören, wie du mit deinem
Gotte sprichst."
Und Berchta kniete an seinem Lager nieder, das
Herz war ihr von Wehmut, das Auge von Tränen ge
füllt; aber in voller Begeisterung quollen ihr die Worte
von den Lippen, als sie, in kindlicher Demut gebeugt,
ihren Glauben, ihre Zuversicht und die feste Hoffnung
auf Gnade und Erlösung aussprach, und dabei brünstig
zu ihm betete, seine endlose Huld auf alle — alle auszugießen, die seine Liebe, wenn auch unbewußt, im Her
zen trügen.
Taori hörte ihr aufmerksam zu — nicht e i n Wort
entging ihm — keine Silbe, die sie sprach, und auf sein
Lager zurückgelehnt, horchte er den nicht lauten, aber
beredten Klängen. Eine unendliche Freudigkeit hatte
sich über sein Antlitz gebreitet — eine ruhige Zufrieden
heit, die dem Kommenden getrost entgegensah. Jetzt,
als sie geendet, schloß er langsam die Augen, aber das
Lächeln wich nicht aus seinen Zügen, und still träumend
lag er eine ganze Weile ruhig da.
Berchta rührte sich nicht, bis er von selber wieder
die Augen aufschlug. Dann aber sagte er:
„Ich danke dir, Bereta — ich danke dir — es ist
gut — recht gut — alles. Nun laß meine M utter her
beikommen."
389
Die übrigen traten jetzt wieder heran, und Löwe
hielt den Moment, in welchem er ihn weich gestimmt
fand, für günstig, zn ihm zu reden. Taori hörte ihn
auch freundlich an; wie er aber nur davon begann, das;
der Kranke seine Seele zu Gott wenden und seine I r r
tümer bekennen und bereuen solle, winkte ihm Taori
wieder lächelnd mit der Hand und flüsterte:
„Laß es gut sein, Mitonare. Du kommst zu spät
— das ist alles schon abgemacht. Habe auch keine Sorge
um mich; ich habe selber keine."
„O," rief Löwe schmerzbewegt ans. „Du stehst an
der Schwelle des Heils; willst du denn nicht einmal den
Fuß heben, um sie zu betreten?"
„Wie wunderbar schön die Sonne auf dem T al jetzt
liegt!" sagte Taori. „Sieh nur, M utter, wie jene Palmenwipfel den sonderbaren Streifen über die Wiese
werfen — und jetzt fliegt der leichte Schatten über das
Tal, — da — jetzt färbt er den See schwarz und zieht
darüber hin; aber da tauchen schon wieder die goldenen
Ufer auf. S o ist der Tod — nur ein Schatten, der über
das Leben zieht, und kaum so lang, als er den Teich
bedeckt, und drüben auf Bolutu — oder wie anders der
Platz auch heißen mag, glänzt die Sonne schon wieder
neu und hell empor."
„O, sprich nicht von Bolutu," bat Löwe, „hebe deine
Seele zu —"
„Ruhe!" herrschte ihn der Kranke an. „ Ih r habt mir
das Leben verbittert; laßt mich wenigstens ruhig sterben.
Wo nur der Vater bleibt! Er wollte doch heute noch
kommen. Weine nicht, M utter, ich habe es nicht böse
mit dem schwarzen M ann gemeint; aber sie glauben nur
immer, daß s i e allein das Heil in den Händen hätten.
Das ist nicht wahr, das Heil ist überall, und wer es
haben will, kann es nehmen. Laß ihn gehen, M utter;
mir bleibt vielleicht nur noch kurze Zeit, und ich bin jetzt
so froh, so glücklich!"
390
Taori schaute hinab auf den Bach, der dicht zu seinen
Füßen vorübermurmelte, und dann wieder hinauf zu
den Bäumen, unter deren Wipfeln er Schutz gegen die
Sonne fand. Dann flog fein Blick zu den Umstehenden
— heiter und glücklich, bis er zu der finsteren Gestalt
Lowes kam, der mit gehobenen Händen wie in stillem,
brünstigem Gebet stand.
Seine Brauen zogen sich dabei zusammen; aber es
war nur ein Moment, denn neben ihm stand Berchta,
seiner Mutter Einua Trost zusprechend, mit ihren guten,
lieben Zügen.
So rückte der Abend heran. Seine Begleiter hatten
sich im Wald gelagert, um ihr Mahl einzunehmen, als
ein Läufer Ramara Toas Ankunft meldete.
Berchta wendete sich wieder zu Taori, der in eine
Art Halbschlummer gefallen war; aber sie erschrak über
die Veränderung, die wenige Stunden in seinen! Antlitz
hervorgerufen. Die Augen lagen ihm tief in den
Höhlen, selbst der Mund hatte sich verzogen, und die
Nase trat scharf hervor.
Er hatte seines Vaters Namen gehört und schlug
die Augen auf — sein Blick durchslog unstet den Kreis,
haftete am Himmel, an den Baumwipseln, am See —
„O, wie schön ist es hier!" flüsterte er, „wie wun
derschön — und daß ich das alles verlassen muß!"
„Wie ist dir, Taori?" sagte Berchta, die an seine
Seite trat. „Fühlst du dich krank?"
„Nein," sagte der Sterbende mit einem glücklichen
Lächeln, o, so leicht, so Wohl! Lebe Wohl, Bereta —
habe Dank — lebe Wohl, M utter — grüßt mir die
Schwester — ich komme — ich komme —"
Noch einmal hob sich seine Brust wie von einem
schweren Seufzer, dann sank sein Kopf zurück, und als
Ramara Toa, der von dem bedenklichen Zustand des
Sohnes schon Kunde erhalten, den Hang herausstürmte,
schloß er die Augen, und der Vater stand erschüttert, ge
brochen neben der Leiche des Kindes.
391
„Er ist tot!" rief Berchta, „o Gott, nimm seine
Seele gnädig auf! Sei barmherzig mit ihm!" und wie
ein Lauffeuer zuckte der Ruf von Lippe zu Lippe: „Er
ist tot!"
„Taori! Wehe!" Und wie die Mutter, ganz die
neue Lehre vergessend, die ihr Geduld und Fügung in
den Willen des Unerforschlichen vorschrieb, nur ihrem
Mutterherzen folgend, in laute Wehklagen ausbrach,
stimmte das Volk mit ein, warf sich auf die Kniee, schlug
die Stirnen gegen den Boden und jammerte und schrie,
daß sich der Ruf im Nu bis hinunter an den See fort
pflanzte und dort ebensorasch sein Echo fand.
Ramara Toa stand neben der Leiche des Sohnes,
dessen Hand er gefaßt hielt, während er mit der Linken
seine Augen bedeckte. Aber seine S tirn war in finstere
Falten gezogen, und Schmerz und Ingrim m rangen m it
einander in ferner Brust.
Aus dem Tale herauf eilte M artin. Er war drüben
in seiner neuen Wohnung im Walde dicht am Ufer eines
anderen kleinen Sees gewesen, als die Wehklagen an
fein Ohr, drangen und er nur zu rasch die schmerzliche
Ursache derselben erriet. Als er den Platz erreichte, fand
er den Missionar neben der Leiche knien und beten, und
Berchta mit der M utter des Geschiedenen beschäftigt,
die sie zu trösten versuchte. M r. Löwe hob sich jetzt
empor, und M artin ging auf ihn zu, um ihm die Hand
zu reichen, aber der Missionar nahm die noch immer ge
falteten Hände nicht auseinander. Er maß den jungen
Mann mit einem ernsten, strengen Blick von oben bis
unten, und sich dann kalt von ihm abdrehend, wendete
er sich an Ram ara Toa, dessen Arm er ergriff und ihn
mit sich ein Stück seitab führte, um mit ihm zu sprechen.
M artin blieb allein, und als sein Blick auf die
Leiche des Jünglings fiel, tropften große, helle Tränen
langsam von seinen Wimpern nieder.
392
26.
I n Tuia-Bai.
Mr. Löwe hielt es für seine Pflicht, das am näch
sten Tag stattfindende Begräbnis des Königssohnes zu
leiten oder ihm wenigstens beizuwohnen, obgleich es die
Bewohner des Hupai-Tales lieber gesehen hätten, wenn
er sich fern davon gehalten. Aber Ramara Toa war
gegenwärtig, und schon um den Schmerz des Vaters zu
schonen, ließ selbst der sonst ziemlich eigenmächtige Tamornva alles geschehen, was der „schwarze Priester" an
ordnete.
Taori hatte noch kurz vor seinem Tode den Wunsch
ausgesprochen, dort oben an seiner Lieblingsstelle auch
beigesetzt zu werden, und noch an dem nämlichen Abend
gingen die Insulaner daran, eine Art von Gewölbe auszugraben, das sie mit Steinen und Balken unterstützten.
M artin selber schaffte, was er an Kisten besaß, herbei,
um notdürftig einen S arg damit herzustellen, an dem
er aber sorgfältig alle früher den Kisten eigenen Zeichen
und Worte unkenntlich machen mußte, weil die Einge
borenen darin eine Art Zauber gesehen haben würden.
Die Frauen des Hupai-Tales hatten indessen ein
großes Stück gelben Gnatus herbeigeholt, dessen R än
der sie noch in der Nacht schwarz färbten. Das wurde
über den S arg gehangen und dieser dann, in Gegen
wart des ganzen Stammes, da niemand zurückbleiben
wollte, wo es galt, dem geliebten Fürsten das letzte Ge
leite zu geben, zu der Höhle getragen und dort, nach
einer längeren Rede des ehrwürdigen M r. Löwe, bei
gesetzt.
Ram ara Toa stand kalt und finster daneben; Einua
aber zerfloß fast in Tränen, und zu dem Schmerz über
den Tod des geliebten Sohnes kam noch die Angst, daß
er sich nicht-bekehrt habe und nun den ewigen, furcht
baren Strafen entgegengehe. Berchta hatte sie, soviel
393
nur in ihren Kräften stand, getröstet und ihr Mut und
Zuversicht eingesprochen; aber dunkle Andeutungen des
Missionars machten immer neue Zweifel in ihrer Brust
aufsteigen, und ihr Mutterherz zagte und fürchtete für
den Geschiedenen.
Der alte Aaron, der in Begleitung des Missionars
hier heraufgekommen war, hatte übrigens, Klaus' Rat
folgend, die Ankunft Namara Toas gar nicht abgewartet.
Den Eingeborenen ist — wie er auch selber aus E r
fahrung wußte — in solchen Perioden plötzlichen Schmer
zes nie recht zu trauen; ihre Leidenschaft, und wohin
sie sich wendet, ist unberechenbar, und der Alte traute
dem Insulaner nach dem, was er zuletzt von ihm ge
sehen, nicht im geringsteil mehr. Dabei zweifelte er
keinen Augenblick, daß er in Tuia freundlich aufgenom
men werden würde, denn die größte Gastlichkeit herrscht
sa auf allen diesen Inseln; und war es dann nicht mög
lich, sein Eigentum dem habgierigen Häuptling von
Motua wieder aus den Fingern zu reißen — nun was
tat's? Er besaß M ittel genug noch in einem breiten,
um den Leib geschnürten und unter seinen Kleidern ver
borgenen Gurt, um mit einem anderen Fahrzeug eine
neue Reise zu beginnen, und da er auch schon von an
deren Eingeborenen gehört, daß gar nicht so selten be
sonders Walfischfänger in der Tuia-Bai anlegten, gab
es auch schon einmal eine Gelegenheit, um wieder fort
zukommen.
Am nächsten Tage in aller Frühe setzte M r. Löwe,
und zwar noch vor Tagesanbruch, ebenfalls seine Reise
nach Tuia fort, denn harte Worte waren noch an dem
nämlichen Abend, an welchem das Begräbnis stattge
funden, zwischen Ramara Toa und dem alten Tamoruva
gewechselt worden. Der erstere hatte nämlich die Aus
lieferung aller derer verlangt, welche neulich an dern
Tanze teilgenommen, um sie vor ein Gericht der Häupt
linge zu stellen, und der letztere ihm diese Forderung
rund abgeschlagen. Ramara Toa solle, wie er ihm sagte,
—
394
mit seinen nenbekehrten Christen machen, was er wolle;
denen aber, die noch am alten Glauben festhielten hät
ten die Mitonares nichts zu befehlen, oder er könne
selber in die Gefahr kommen, daß er am Sabbat —
einem Tage, der i h n gar nichts anginge — in seinen!
^amfelde arbeitete und dann ebenfalls zu Straßenbau
verurteilt würde, und dafür danke er ganz entschieden.
Ramara Toa war wütend geworden, hatte ihn einen
Rebellen genannt, und Mr. Löwe es deshalb für ge
raten gehalten, diesem S treit aus dem Wege zu gehen
denn im Fall eines plötzlichen Ausbruches wären die An
hänger ^am oruvas der schwachen Begleitung des Königs
weit überlegen gewesen. Überhaupt hatte sich schon seit
waoris Verurteilung ein Geist in der Bevölkerung ge
zeigt, der dem Missionar gar nicht gefiel und ihn nur
mehr Ramara woas Behauptung zustimmen machte,
daß es hohe Zeit wäre, mit Ernst und Entschiedenheit
gegen die immer frecher auftretenden Götzenanbeter
einzuschreiten. Am ganzen Strande fast, an der MotuaBai m Asaru und einigen anderen Plätzen der Süd- und
Ostseite der Insel hatten die Eingeborenen ihre Götzcnbilder hinabgerissen und verbrannt oder zu Ramara Toa
gebracht, damit er darüber verfügen möge; nicht so im
Hupai-Tal und in Tina selber; ja unter den Augen des
ehrwürdigen Mr. Löwe und seiner Gattin feierten sie,
noch von ihrem Häuptling dabei unterstützt, frech und
schamlos ihre heidnischen Feste, tanzten des Abends im
Mondenlicht am S trand des Meeres und besuchten Wohl
^ ^ . ^ ^ t e n des Missionars, aber nicht, wie man einen
so heiligen O rt betritt, mit Ehrfurcht und Scheu, son
dern eher, als ob es eine Art von Theater gewesen wäre,
m das man eben hineinging, um sich eine kurze Heil
darin zu unterhalten.
Die Frauen trieben es fast noch ärger als die M än
ner, und M rs. Löwe, die ein paarmal energisch gegen
sie auftreten wollte und dadurch vielleicht eher glaubte,
sich Respekt zu verschaffen, wurde offen verhöhnt.
396
Daß dadurch die überhaupt etwas reizbare Dame
nicht freundlicher gegen den Platz gestimmt wurde, läßt
sich denken, und selbst mit der jungen Frau des Häupt
lings Matangi Ao, Nalata, der Schwester Taoris und
einem lieben, sanften Wesen, die immer freundlich und
gut mit ihr war, stand sie auf keinem freundschaftlichen
Fuße, da sich diese, ebenso wie die übrigen Frauen, auf
das entschiedenste weigerte, die Blumen, die sie in den
Locken trug, gegen die vorgeschriebene unkleidsame
Tracht einzutauschen. N alata nahm aber all' ihre Vor
würfe und Ermahnungen gutmütig lächelnd hin, litt
auch nie, daß die Frau von irgend jemandem in ihrer
Nähe verspottet wurde, ja hörte ihr gern zu, wenn sie ihr
von der Geschichte des Christentums erzählte — aber
freilich nicht mit gläubigen Herzen, sondern eher nur,
wie man einem Märchen lauscht und sich dessen bnnten
Träumen eine Zeitlang hingibt.
AIs M r. Löwe nach Tuia zurückkehrte — wohin
ihm aber die Kunde von dem Tode Taoris schon vorangeeilt war, und besonders Nalatas Herz mit tiefem
Weh erfüllt hatte — war es sein erstes, den Brief Ramara Toas an M atangi Ao abzugeben, und dieser hielt
ihn eine Weile ernst und staunend in der Hand, denn
es war der erste Brief, den er in seinem ganzen Leben
bekam, und er wußte nicht gleich, was er damit an
fangen solle.
„Und was soll das, Mitonare?" sagte er endlich,
„weshalb sendet mir Ram ara Toa nicht, wie er es sonst
getan, einen Boten, wenn er mir irgend eine Meldung
machen will? — Weshalb dieses Weiße Blatt, das ich
sehr viel Mühe haben werde zu verstehen, und doch nur
wieder durch ein fremdes Ohr hören muß? Weißt du,
was es enthält?":
„ Ja, M atangi Ao," sagte Löwe freundlich, „ich weiß
es, und gebe Gott, daß die Worte, die darin enthalten
sind, Eingang in dein Herz finden und es erleuchten."
M atangi Ao zog seine Brauen finster zusammen.
—
396
„Und du hast ihm den Brief vorgesagt, nicht wahr'-"'
»weshalb richtest du denn nicht gleich seine
Botschaft aus? Ramara Toa hat den Brief nicht allein
geschrieben."
„Du irrst, Mataugi Ao," erwiderte freundlich Mr.
^owe, „nicht Raniara Toa hat den Brief geschrieben und
^ ° ^ e vorgesagt, sondern gerade umgekehrt,
^ch habe ihn geschrieben, und der König diktierte inir
die Worte, die ich niederschreiben sollte. Es sind also
s e i n e Gedanken, die darin stehen, nicht die meinigeu
und niedergeschrieben sind sie, damit sie nicht wie ein'
gesprochenes Wort Verhallen, sondern in deinem Herzen
widerklingen sollen, sobald du das B latt in die Hand
nimmst. Das eben ist der Zweck eines Briefes und eines
Buches. Es sind Worte, die ewig bleiben wie eine E r
innerung aus deni eigenen Leben."
„So lies du mir, was darin steht," sagte Matangi
rst betrübt über den Tod Taoris. Vielleicht schreibt er mir, wie es mit demselben zugegangen,
denn ich habe Rechenschaft zu fordern. Was also will
Ramara Toa von mir?"
M r. Löwe faltete ruhig den Brief auscinauder
und las:
^ /'M eine Liebe und freundlichsten Wünsche für Dich
Matangi Ao. Dies ist meine Botschaft für Dich Zu
meiner tiefen Betrübnis habe ich gehört, daß Du drüben
m Tuia-Bar noch immer hartnäckig im alten Unglauben
bcharrst, wahrend auf uns in Motua-Bai die Sonne
des wahren Glaubens niederscheint. Mein Herz ist voll
schwerer Sorge um Dich und meine Tochter Nalata,
um ich Wunsche, daß Gott Dich erleuchten möge. Auch
die a ten Götzenbilder aus Holz geschnitzt - nichts wei
ter als leblose Klötze — sind noch bei Euch aufgerichtet
und werden angebetet. Das darf nicht länger sein denn
der wahre Gott ist ein mächtiger Gott und zürnt, wenn
man andere Götter neben ihm hat. Ich bin besorgt um
meine Tochter, daß sie den ewigen Strafen verfällt.
397
Wirf Deine Götzenbilder nieder und sende sie mir nach
Motua-Bai — auch Kavawurzel, Yams und 3 «Schweine
sende mir als ein Zeichen, daß ich sehe, Du seiest mir
freundlich und wollest meinen Befehlen gehorchen; auch
zwei Ballen Gnatu magst Du dabei legen und sechs feine
Matten, damit wir Freunde bleiben immerdar. Hast
Du das gesendet, dann werde ich mit meinen Häupt
lingen und grüne Zweige in der Hand nach Tuia kom
men und D ir viele schöne Sachen mitbringen, für Dich
und meine Tochter. Ich bin reich. Ein ganzes Schiff
mit Gütern hat mir der Himmel im S turm gesendet,
während er Euch nur die Palmen niederbrach und die
Bananenstämmen knickte. Gott zürnt mit Tuia. Ich
will beten, daß er seinen Zorn von Euch wende. Dies
ist meine Botschaft an Dich, M atangi Ao und an Nalata,
meine Tochter.
Ramara Toa."
M atangi Ao hatte ihm schweigend zugehört und da
bei kein Auge von seinen Lippen verwandt. Er verzog
auch keine Miene, nur ein leichtes, fast spöttisches Lächeln
zuckte um seine Mundwinkel, als er, sobald der Mis
sionar geendet, ruhig sagte:
„Ist Ram ara Toa durch den Tod seines Sohnes un
Geist verwirrt geworden, daß er mir schreibt, er wäre
reich geworden, und zugleich von mir verlangt, ich soll
ihm zwei Ballen Gnatu, sechs seine Matten und Aams
und Schweine senden, oder glaubt er etwa, daß M atangi
Ao ihm Tribut zahlen würde?"
„Die Hauptsache, w a s er verlangt," sagte Mr.
Löwe, „ist jedenfalls die, daß die alten Götzenbilder
hier aus den Hainen entfernt werden, um nicht das
Volk noch immer in dem Glauben zu bestärken, ein roh
zugehauener Holzklotz könne es vor Leid bewahren und
ihm Glück und Frieden schenken. Nur der wahre und
alleinige Gott ist imstande, das zu verleihen."
„Und betest du wirklich zu dein wahren Gott?"
—
3S8 —
sagte der junge Häuptling, ihn fest und forschend an
sehend.
„Und fragst du das noch, Matangi Ao?" rief Löwe
wirklich erstaunt aus, „glaubst du, daß wir so weit über
das Meer herübergekommen wären und unsere Heimat
verlassen hätten, nur um euch das Glück und ewige Heil
zu bringen, wenn auch nur noch ein Zweifel in unseren
Herzen lebte, ob unser Glaube der wahre sei? J a ,
haben wir nicht die Offenbarung dafür und das heilige
Buch, das a l l e s bestätigt, was wir euch hier lehren?"
„Es ist gut — wir wollen später darüber sprechen,"
sagte der junge Häuptling, ihm mit der Hand wehrend,
„nicht jetzt werde ich mit dir streiten — "
„Und welche Botschaft willst du Ramara Toa
senden?"
„Soll ich ihm einen Brief zurückschicken?" lächelte
Matangi Ao.
„Es wird sicher das Beste sein," erwiderte der Mis
sionar, „denn du brauchst dann die Worte keinem Boten
anzuvertrauen."
„Gut! es sei so," nickte der Insulaner, „aber vorher
muß ich die Häuptlinge zusammenrufen, um die Ant
wort gemeinschaftlich mit ihnen zu beraten."
„Und bist du nicht der oberste und mächtigste Häupt
ling des Distrikts?"
„Und dennoch hat Ramara Toa gewagt, Tribut von
mir zu fordern?" sagte M atangi Ao; „aber du verstehst
unsere S itte nicht — laß mich gewähren."
„Wenn du m e i n e m Rat folgen wolltest, M a
tangi Ao — " sagte M r. Löwe freundlich.
„Ich weiß, wie der ausfallen würde," nickte der
Häuptling; „aber ich brauche deinen Rat nicht, Mitonare. Dafür haben wir die Versammlung der Edlen
unseres Volkes, um zu wissen, welchen Weg wir zum
Besten des Landes einzuschlagen haben — nicht den Rat
von Fremden, die heimatlos auf unserer Insel sind und
sie verlassen, wenn es ihnen nicht länger hier gefällt."
—
399
„Aber wenn der Rat aus wohlwollendem Herzen
kommt," sagte Löwe, „und nur dazu dienen soll, um
Krieg und Blutvergießen von eurer schönen Insel fern
zuhalten?"
„Ha!" rief Matangi Ao, aufmerksam werdend, „ist
das etwa Ram ara Toas Absicht, und denkt er daran,
mit Gewalt das zu erzwingen, was er mit glatten Wor
ten nicht erreichen kann?"
„Ich spreche nur von der M ö g l i c h k e i t eines
solchen Falles," sagte Löwe ausweichend, „Ramara Toa
ist mächtig. Er hat auf dem neulich gestrandeten Schiff
viele Gewehre gefunden."
„Und viele habt I h r ihm selber mit der Bibel ge
bracht," sagte Matangi finster; „rede mir nicht, ich
weiß es."
„Einzelne ja," erwiderte Löwe, aber nicht, um da
mit Krieg zu führen und Menschen zu töten — was
Gott verhüten wolle — sondern nur um die Tiere des
Waldes zu erlegen und reiche Beute von der Jagd heim
zubringen."
„Es ist gut," winkte der Häuptling noch einmal mit
der Hand, „ich werde dich rufen lassen, wenn ich wieder
mit dir reden will, und du magst dann meine Antwort
an Ramara Toa schreiben. Geh! ich sehe, wie es ist
— eure Religion soll den Frieden bringen, und sie säet
Feindschaft und Haß in unsere Herzen und treibt B ru
der gegen Bruder im unnatürlichen Kampf. Geh! ich
will zu m e i n e n Göttern beten, daß sie das Unheil
von diesem Lande abwenden oder, wenn es sein muß,
unseren Arm stärken, um ihm zu begegnen. Geh, Mitonare — ich werde die Häuptlinge zusammenrufen - ich weiß, daß sie es gut mit dem Lande meinen."
M r. Löwe konnte nicht weiter in ihn dringen, derm
er wußte Wohl, daß irgend eine Widerrede den jungen
hitzköpfigen Wilden nur erbittert, aber ihn nie seinem
Ziel geneigt gemacht hätte. Aber er kannte viele der
—
46Ü
—
Häuptlinge, von denen einige schon seiner Lehre zu
neigten. Allerdings wußte er, daß diese gerade zu den
„Unzufriedenen" in Tuia gehörten, von denen es ja in
jedem Lande gibt, und weit eher aus politischen als
wirklich religiösen Gründen eine Opposition gegen M a
tangi Ao zu bilden wünschten; aber er tröstete sich leicht
damit, daß Gott die verschiedensten Werkzeuge brauchte,
um alles zu einem guten Ende zu führen, und gerade
die Herzen der schlimmsten Heiden oft gewendet habe,
daß sie seine eifrigsten und treuesten Anhänger und
Verbreiter seiner Lehre wurden.
Matangi Ao aber, rasch im Handeln wie im Den
ken, säumte nicht, die von Ramara Toa erhaltene Bot
schaft seinem Volke, und zwar in dessen Führern, mit
zuteilen und ihre Meinung darüber zu hören. Es war
das allerdings Wohl eigentlich nur eine Form, und sein
eigener Entschluß schon vom ersten Moment an, wo er
die entwürdigende Zumutung erfuhr, gefaßt. Aber
selbst dieser Form mußte genügt werden, und es zer
streute bei ihm auch in etwas den bitteren Schmerz um
den verlorenen Freund, dem sich Nalata indessen mit
aller jener Heftigkeit hingab, deren diese südlichen Völker
fähig sind.
Arme Schwester! Sie hatte Taori so heiß geliebt;
er war so gut, so brav gewesen, und wie glücklich fühlte
sie sich immer, wenn er sie einmal auf eine kurze Zeit
in Tuia besuchte. Jetzt war er geschieden — für immer,
und das Herz hätte ihr brechen mögen, wenn sie daran
dachte, daß sie sein treues Antlitz nimmer schauen, nie
wieder den warmen Druck seiner Hand fühlen solle.
M atangi Ao störte sie nicht in ihrem Kummer. An
einem der entfernteren Teile der Bai, damit sie nicht
einmal durch das Zusammenkommen vieler Menschen be
unruhigt werden konnte, bestimmte er den O rt der Zu
sammenkunft für den Abend, und Boten wurden nach
allen Seiten ausgeschickt, um die verschiedenen ihm unter
geordneten Häuptlinge herbeizurufen.
401
—
Diese folgten auch, so rasch sie möglicherweise konn
ten, der Einladung, denn gleichzeitig drang zu ihnen ja
auch die Kunde von Taoris Tod und erfüllte ihre Herzen,
da sie die Ursache desselben kannten, mit Bitterkeit. J a
drohende Worte wurden dann und wann, als sie Mr.
Lowes Wohnung passierten, gegen ihn wie gegen alle
Mitonares ausgestoßen, und M rs. Löwe besonders geriet
in nicht geringe Angst.
Löwe selber aber, der sich
unter dem Schutz Matangi Aos sicher wußte, sprach
freundlich zu ihnen, und als einer, ein wilder Bursche,
von dem man erzählte, daß er schon in früherer Zeit
zwei Weiße erschlagen habe, mit erhobener Keule auf
ihn zutrat und ihm bis auf die Schwelle seiner Wohnung
folgte, lud er ihn ein, hereinzukommen und mit teil
au ihrem Mahl zu nehmen, was den Eingeborenen der
maßen verblüffte, daß er sich scheu zurückzog und sagte,
er habe nur einen Scherz gemacht, er wolle ihm nichts
zuleide tun.
Wild und stürmisch ging es aber bald darauf in der
Versammlung der Häuptlinge zu; denn kaum erfuhren
diese, um was es sich handle, als sie auch zornig emporfuhren und M atangi Ao zuriefen, eine solche Beleidi
gung nicht zu dulden, sondern sie..selber nach Motua zu
führen, damit sie sich Tribut von Ramara Toa holen
konnten.
„Er ist reich geworden," schrien sie, „aber ein Schiff,
das an der Küste scheitert, gehört dem ganzen Volke, und
er muß wenigstens seine Beute mit uns teilen."
Andere dagegen mahnten zum Frieden. Ramara
Toa sei, wie schon sein Beiname Toa bezeichne, König
der Insel und als solcher Wohl befugt, einen kleinen
Tribut zu fordern. Aber jetzt brach der S turm los, und
ein solcher Lärm entstand, daß M atangi Ao selber emporspringen und Frieden gebieten mußte. Als sich das
Toben endlich beruhigt, sagte er mit lauter, aber voll
kommen leidenschaftsloser Stimme:
Kr. Gerstiicker, Die Missionare.
26
402
„Ich habe zu meinem Erstaunen gehört, daß einzelne
in unserer Mitte der Ansicht sind, daß Ramara Toa ein
Recht zustehe, über unseren Glauben und unser Eigen
tum zu verfügen. Es wird gut sein, d i e genau ken
nen zu lernen, welche wirklich solche Gedanken hegen.
Wir müssen wissen, wie wir hier zusammenstehen, damit
ich Ramara Toa bald Kunde von unserer Gesinnung
geben kann, denn der R at der Häuptlinge hat darüber
zu bestimmen. Wer also dafür stimmt, daß wir an Ra
mara Toa den verlangten Tribut senden und ihm dabei
zugleich — gehorsam seinem Befehle — die bisher ver
ehrten „Götzenbilder" senden, damit er sie dort ins
Feuer wirft und uns erlaubt, seinen Glauben anzu
nehmen, der trete dort zur rechten Seite, hinüber. Die
anderen aber," fuhr er mit erhöhter Stimme fort, „die
gewillt sind, einem so frechen Begehr auch die darauf
passende Antwort zu geben, kommen hier herüber zu
mir. Teilt euch, ihr Häuptlinge; wir wollen jetzt sehen,
wer für und wer gegen uns ist."
Ein unbeschreiblicher Tum ult folgte; denn alles
sprang empor und stürmte zu M atangi Aos linker Seite.
J a , selbst die einzelnen, die es vielleicht gern gesehen hät
ten, wenn ihr Führer etwas gedemütigt wäre, wag
ten es doch nicht, dem so entschieden ausgesprochenen
Entschluß der überwiegenden Mehrzahl entgegenzutreten.
Sie zögerten Wohl einen Moment, aber aus die rechte
Seite traten sie doch nicht hinüber, sondern folgten, wenn
auch langsamer, den übrigen, bis sie alle o h n e Aus
nahme an Matangi Aos linker Seite standen. Ein
trotziges Lächeln flog aber über die Züge des jungen
Häuptlings, als er das Resultat dieser wunderlichen
Abstimmung überschaute.
„Also nicht einer von uns allen will unsere Götter
ausgeben oder Bote sein, um den Tribut in das Lager
des Toa zu bringen. Gut, Freunde — ich hatte es auch
nicht anders erwartet, und überlaßt mir nun die Ant
wort, die ich Ramara Toa senden werde."
403
„Aber wir wollen keinen Krieg mit Namara Toa,"
riefen doch jetzt einzelne der Gegenpartei, „wir wollen
in Frieden auf der Insel leben, damit kein Blut zwischen
Brudern vergossen werde."
„Und darin stimm' ich mit euch übereiu," erwiderte
M atangi Ao freundlich, „kein Blut soll zwischen uns ver
gossen werden, so lange ich es hindern kann. Wir wollen
friedlich nebeneinander wohnen, und hat Ramara Toa
den neuen Glauben angenommen und sich von unseren
Göttern gewendet, gut, wir Wollen ihm deshalb nicht
zürnen. Wir wollen sehen, ob sich das Volk glücklich
darin fühlt, ob ihr Gott stärker und mächtiger ist, als
es die unseren sind, und haben wir das erfahren, dann
bleibt uns noch immer Zeit, uns ebenfalls der neuen
Lehre zuzuwenden."
„Wenn er keinen Krieg beginnt," sagte Tona Os,
ein alter Häuptling, „so soll er vor uns Ruhe haben,
wir wollen nichts von ihm, aber er soll uns auch nicht
zwingen, seine Mitonares anzunehmen. Schicke sie aus
dem Land, M atangi Ao. Was tun sie zwischen uns?
Wir brauchen ihren Zauber nicht, und sehen sie lieber
gehen als kommen."
„Solange sie harmlos zwischen uns leben," erwiderte
der junge Häuptling, „weshalb sie fortschicken? S ie sind
klug und geschickt und verstehen manches, was wir von
ihnen lernen können. Wer hat uns gelehrt, Fischhaken
und Hacken machen, und wer hat uns scharfe Beile ge
bracht, um unser Holz damit zu fällen? Sie sind unsere
Gäste, und das Land bringt Brotfrucht und Z)ams genug
hervor, um auch sie zu ernähren. S ie mögen zwischen
uns wohnen, und ich will nicht, daß einer von ihnen ge
schädigt werde."
„Und die Waffen, die sie Ramara Toa gebracht?"
„Noch hat er sie nicht gegen uns gewendet und wird
es auch hoffentlich nie. Wir sind ein friedliches Volk,
das sich nicht um den Nachbar bekümmert, sondern ruhig
seiner eigenen Beschäftigung obliegt. Braucht Namara
26'
404
Toa die Feuerwaffen, um den wilden S tier in den Ber
gen zu erlegen, gut — wir vermögen dasselbe mit Bogen
und Pfeilen und unserer Lanze, und wollten sie uns
wirklich z w i n g e n , ihrem Willen zu folgen — ei,
unsere Keulen sind schwerer als ihre Kugeln, wenn auch
vielleicht nicht so schnell. Aber Ramara Toa denkt an
nichts derartiges," setzte er freundlich hinzu, „er wird
nicht das Land, in dem seine einzige Tochter lebt, feind
selig angreifen. Ich werde ihm Botschaft schicken, daß
wir seiner freundlich gedenken und mit ihm trauern,
weil er den einzigen Sohn verloren hat. Is t das die
Meinung der Häuptlinge, wie sie hier versammelt sind?"
„ Ja, ja!" rief es fast einstimmig aus der Schar
der Männer. „Er soll uns in Frieden lassen, denn wir
wollen in Frieden mit ihm leben. Keinen Krieg mit
Ramara Toa!"
„Gut," sagte M atangi Ao freundlich, „in dieseni
Sinne werde ich ihm die Botschaft senden. Ramara Toa
ist ein braver Häuptling und der Vater meines Weibes.
Ich selber will keinen S treit mit ihm. Wir sind einig,
ihr Häuptlinge von Tuia, und wie wir auch vereint
stehen würden, um einen Angriff aus unsere Freiheiten
zurückzuweisen, so sind wir auch der einen Meinung, daß
wir in dem schönen Lande — unserer Heimat — in
Frieden nebeneinander wohnen wollen."
Die Versammlung war beendet, und die Häuptlinge
zerstreuten sich, nm — da sie doch einmal nach der Bai
herübergekommen waren — noch Bekannte und Freunde
aufzusuchen und mit diesen den Tag zu verbringen.
M atangi Ao aber, der seinen Schwiegervater Wohl ge
nauer kannte als irgend einer der übrigen, trotzdem je
doch fest entschlossen war, ihm keinen fußbreit Boden auf
dem Grund zu räumen, den er für sein eigenes Recht
hielt, schritt, finster und seinen eigenen Gedanken nach
hängend, geradeswegs zu der Wohnung des M r. Löwe
hinüber, wo der Bote von Ramara Toa wartete, um
seine Antwort mit nach Motua-Bai hinüberzunehmen.
406
„Und was haben die Häuptlinge beschlossen, Matangi Ao?" fragte der Missionar, als er das Haus er
reichte.
„Setze dich hin, Mitonare, und schreibe den Brief,"
sagte der junge Häuptling ruhig, „wir wollen Frieden
mit Ramara Toa."
„O, wie mich das freut, Matangi," rief Löwe rasch,
„so seid ihr zu einem guten Entschluß gekommen?"
„Setze dich hin und schreibe den Brief. Du wirst
alles hören, aber der Bote braucht es nicht zu wissen.
Bist du bereit?"
„ Im Augenblick: es liegt alles fertig. T ritt herein
und sage mir jetzt, was ich schreiben soll."
Noch während er sprach, hatte Löwe den schon auf
dem Tisch liegenden Bogen zurechtgeschoben und sah er
wartungsvoll zu dem Häuptling auf.
„Freundschaft und Liebe Dir, Ramara Toa," diktierte jetzt Matangi, indem er gedankenvoll hinaus ius
Freie sah, „Freundschaft und Liebe — dies ist meine
Botschaft für Dich. Wir trauern mit Dir, daß Du den
Sohn verloren. Er war mein Freund — ich liebte ihn
mehr als mich selbst. Er ist tot. Eure Gesetze haben
ihn totgemacht."
„Aber, Matangi — die Gesetze des Stammes —"
„Schreibe, was ich dir sage — ich kann nicht selber
so viel schreiben, aber ich kann lesen, und ein anderer ist
hier, der lesen und mir sagen wird, ob du recht ge
schrieben."
„Ein anderer?"
„Schreibe nur!"
„Sprich weiter. Ich habe alles."
„Gut. Eure Gesetze haben ihn totgemacht — aber
es ist geschehen. Wir wollen in Frieden nebeneinander
wohnen. Du in Motua-Bai, ich m Tuia. Du hast
d e i n e n Gott, laß uns die unsrigen!"
„Du willst bei deinen Götzen verharren?"
406
„Schreibe!" sagte Matangi Ao finster. „Nicht um
dir Rechenschaft zu geben, bin ich hierher gekommen, son
dern um meine und der Häuptlinge Botschaft an Ramara
Toa zu senden. — Last uns die unsrigen. Wir senden
sie D ir nicht; sie sind unser Heiligtum, und wäre Dein
Gott so mächtig, so hätte er sie lange zerstört."
Mr. Löwe hätte gern wieder einen Einwurf gewagt,
aber er getraute es sich nicht; der junge Häuptling sah
gar so ernst und finster aus, und er schrieb deshalb
ruhig weiter.
„Was den Tribut betrifft, den Du von uns ver
langst," fuhr endlich M atangi Ao nach einer kleinen
Pause fort, „so habe ich heute eine Versammlung der
Häuptlinge einberufen und ihnen die Frage vorgelegt.
S ie sagen N e i n . Du bist reich. Du brauchst unsere
Matten nicht und unser Gnatu — wir nicht Deine Waren
der Fremden. Komme zu uns mit Deinen Häuptlingen,
und Du sollst uns ein lieber Gast sein. Wir haben Brot
frucht und Fische, Bananen und Kokosnüsse, und die
weichsten Matten liegen für Dich bereit. Latz uns in
Frieden nebeneinander wohnen. Dies ist meine Bot
schaft für Dich, Ramara Toa.
M atangi Ao."
.„Und den Brief willst du fortschicken?"
„Gib ihn mir. Hast du alles geschrieben, wie ich
es dir gesagt? Jedes Wort?"
„Jedes Wort, M atangi Ao."
„Gut — ich glaube dir," nickte der Häuptling, in
dem er mit seinem Blick das Schreiben überflog. „Falsch
heit würde dir auch nichts nützen, sondern nur schaden.
Lies mir den Brief vor."
M r. Löwe las, und der junge Häuptling nickte da
bei zufrieden mit dem Kopse.
„Es ist gut," sagte er, „jetzt gib dem Boten den
Bries und laß ihn eilen, daß er Ram ara Toa noch im
Hupai-Tal antrifft. Wir wollen Frieden mit ihm haben,
keinen S treit, Er soll in Motua-Bai bleiben, wir blei-
407
den in Tuia, und wenn er freundlich kommt, uns zu
besuchen, so soll ihm zu Ehren ein großes Fest gefeiert
werden. Sage das dem Boten, damit er es weiter erzählt
und die Völker wissen, Ramara Toa und Matangi Ao
sind Freunde. Ich habe keinen Groll gegen ihn."
„Und wenn er der Botschaft zürnt?"
„Fürchtest du das?" fragte der Häuptling finster,
füllst",^ rechnet fest darauf, daß du seinen Wunsch er„Er irrt sich dann, das ist alles," sagte Matangi
Ao. „Geh, tue, was ich dir gesagt. Laß den Boten
Speise mitnehmen, daß er unterwegs nicht zu kochen
braucht. Hast du nicht gehört, was ich mit dir ge
sprochen?"
M r. Löwe seufzte tief auf, aber er wußte auch recht
gut, daß e r durch alles, was er imstande gewesen wäre
zu erwidern, nichts an der einmal beschlossenen Sache
geändert haben würde. Die heidnischen Insulaner
schienen fest gewillt, in keiner Weise nachzugeben, und
der Erfolg mußte jetzt zeigen, ob Ramara Toa oder
M atangi Äo mächtiger sei.
Der Bote wurde herbeigerufen und ihm der Brief
übergeben, und kaum eine Viertelstunde später eilte er
so rasch ihn seine Füße trugen, den Pfad entlang, der
hinüber nach dem Hnpai-Tal führte.
27.
Ein Heide.
Vier oder fünf Tage vergingen, ohne daß auch
das geringste den Frieden in der Tuia-Bai gestört hätte.
So sehr aber auch M r. Löwe in dieser Zeit wünschte,
eine längere Unterredung mit M atangi Ao zu haben,
und so viel Mühe er sich zu dem Zweck gab, der Häupt
ling wich ihm stets aus, ja verkehrte sogar, ohne daß
408
es der Missionar hätte verhindern können, jetzt sehr viel
mit dem alten Manne, der in seiner eigenen Begleitung
bis zum Hupai-Tal gekommen, wie mit einem der hier
schon längere Zeit ansässigen Weißen, einem Franzosen,
der sich als Tischler entwickelt hatte und dem Häuptling
unentbehrlich geworden war.
Natürlich behagte diese Gesellschaft dem protestan
tischen Geistlichen keineswegs, denn wenn er auch nickt
gerade befürchtete, daß M atangi Ao mit diesen Leuten
viel über Religion sprach, so konnte und durfte er doch
auch von ihnen keine Unterstützung in seinen Bestre
bungen erwarten. Alle Versuche aber, die er gemacht,
um den jungen Häuptling zu bewegen, die hier ihm
gefährlich dünkenden Fremden fortzuschicken, blieben ver
geblich. M atangi Ao lächelte nur immer, wenn er etwas
derartiges erwähnte, und meinte, sie wären seine Gäste
— so gut wie er selber.
M rs. Löwe hatte indessen das „Geschäft" in die
Hand genommen und besorgte, während der Missionar
rastlos tätig von einer Ansiedelung zur anderen wan
derte, um nur hier und da wenigstens seine Lehren mit
Erfolg gekrönt zu sehen, den eigentlichen Handel mit den
Eingeborenen.
Der Missionsschoner hatte ihnen nämlich vor kurzer
Zeit wieder eine Anzahl von Waren gebracht: der Erfolg
einer neuen Sammlung aus Deutschland, aus der die
„Heidenkinder in der Wildnis" gekleidet werden sollten.
Wenn diese Sachen aber auch zu Geschenken bestimmt
gewesen, so konnte man sie doch nicht so ohne weiteres
an die Wilden austeilen, denn die Mission hätte sonst
nachher am Ende selber Mangel gelitten. Sie mußten
also dazu dienen und helfen, weitere Bedürfnisse her
beizuschaffen, und da eigentliche Lebensmittel in ge
nügender Menge vorhanden waren, so vertauschte M rs.
Löwe die verschiedenen, oft sehr wunderlichen Gegen
stände gegen Kokosnußöl, Psrlmutterschalen, Gnatu und
andere Dinge, die später wieder auf die Hauptstation
409
geschafft und verwertet werden konnten. Auch Perlen
nahm sie in Tausch, und zwar am liebsten vor allen an
deren Artikeln, da gerade diese auf den Inseln, die noch
wenig mit Weißen in Berührung gekommen waren, nur
einen geringen Wert hatten. So erreichte sie dadurch
manchmal ganz hübsche Preise.
Für die Abendstunden hatte sie eine kleine Schule
eingerichtet, in welcher sie Kinder und Erwachsene be
lehrte, wie sie zu ihr kamen. Der Besuch derselben war
aber freilich nur ein sehr geringer, denn anfangs trieb
das sorglose Volk allerdings die Neugier hinein, und sie
folgten dem Unterricht mit der gespanntesten Aufmerk
samkeit. Sobald es aber galt, daß sie ernstlich selber
lernen und Fleiß und Mühe darauf verwenden sollten,
ließen sie nach, und M atangi Ao konnte nicht bewogen
werden, Strafen auf das Nichtbesuchen der Schulen zu
setzen, wie es Ramara Toa in der Motua-Bai getan.
J a sogar das ihm vorgehaltene Beispiel Kamehamehas
und Pomares half nichts bei ihm, denn er wollte nicht
glauben, daß deren Völker glücklicher durch das Lernen
geworden wären, auf keinen Fall aber einen Zwang
dulden.
Selbst Nalata, M atangi Aos junges Weib, zeigte
sehr wenig Lust zu einer Kunst, deren Zweck sie noch
nicht einsehen konnte. I h r milder, liebevoller Charakter
ließ sie natürlich immer freundlich gegen M rs. Löwe
sein, und sie horchte auch gern ihren Erzählungen aus
der biblischen Geschichte, aber dachte nicht daran, einen
ernsten S inn darin zu suchen.
I n dieser letzten Zeit freilich verlor sie auch selber
dazu die Lust, denn der Tod des geliebten Bruders er
füllte sie mit so tiefer Trauer, daß sie keinen anderen
Gedanken fassen konnte, als immer nur ihn, und sich
deshalb auch nur ganz allein diesem Schmerz hingab.
Die Frau des Missionars hielt nun allerdings einen sol
chen Zeitpunkt für passend und geeignet, um sie in dem
wahren Glauben an Gott Trost suchen zu lassen, und gab
410
sich die größte Mühe, zu ihr zu gelangen, aber umsonst.
Nalata hatte sich fest in ihrer Wohnung abgeschlossen
und verließ Liese nur morgens in aller Frühe auf viel
leicht eine Stunde, um zu baden, wo aber ihre Frauen
ebenfalls M rs. Löwe nicht heranließen.
Vor wenigen Wochen war ein Walfischfahrer dort
angelaufen, mit welchem die Insulaner Handel getrieben,
und auf welchem auch Mr. Löwe einen Teil seines
Kokosnußöls abgesetzt hatte. Heute kam wieder ein
Segel in Sicht, das sich, als es näher rückte, als den
kleinen Missionskutter erkennen ließ, der abek, wie sich
bald herausstellte, die Bai nicht freiwillig anlief.
Er war auf dem Wege nach einer der westlich ge
legenen Inseln und in der letzten Nacht von einer plötz
lichen Bö getroffen worden, die ihm seine Stenge knickte,
so daß das kleine Fahrzeug fast gekentert wäre. Die
Leute behaupteten, daß eine Wasserhose dicht an ihnen
vorübergegangen wäre und den Schaden verursacht
hätte. Was aber auch immer die Ursache gewesen, sie
sahen sich genötigt, den nächsten Hafenplatz anzulaufen,
um ihre Stenge wieder zu reparieren, und hielten des
halb auf das gerade in Sicht kommende Tuia zu, das
sie etwa um zehn Uhr morgens erreichten.
Matangi Ao versprach ihnen freundlich, jede Hilfe
zu leisten, die sie etwa brauchen sollten, um ihren Schaden
rasch wieder auszubessern, und sandte einige von seinen
Leuten mit in den Wald, damit sie sich dort das Nötige
an Holzwerk selber suchen konnten. Einige Tage muß
ten sie freilich auf die Ausbesserung rechnen, und für
M r. Löwe traf es sich besonders glücklich, daß sich zwei
Missionare an Bord befanden, die ihren Bestimmungs
ort auf Majui, einer jener Inseln, finden sollten. Na
türlich nahm er sie gleich an Land in feine eigene Woh
nung, damit sie sich dort die Zeit, welche der Kutter zur
Reparatur gebrauchte, aushielten. Matangi Ao selber
sandte ihnen auf das gastlichste Geschenke an Lebens
mitteln, wenn auch einige der Häuptlinge schon fürch-
411
teten, daß sie nun noch mehr „schwarze Männer" be
kommen würden, deren Treiben sie, da sie es nicht derstanden, nur mißtrauisch beobachteten.
M atangi Ao sah weiter; er wußte gut genug, daß
ihnen die Weißen diele Dinge brachten und sie manches
lehren konnten, was ihnen selbst in ihren einfachen Ver
hältnissen don der größten Wichtigkeit war. Weshalb
das törichterweise verhindern? Daß sie ihm keine S tö
rung in sein kleines Reich brachten, sollte dann s e i n e
Sorge sein. Er wußte genau, wie weit er sie gehen
lassen durfte, und wo er sie einzügeln mußte, und solange
sie sich in d e n Schranken hielten, waren sie willkommen.
Überschritten sie dieselben, so brauchte er sie nur ganz
einfach fortzuschicken.
I n dieser Zeit, und zwar unmittelbar nachdem der
Kutter eingelaufen war, hatte M atangi Ao einen Boren
an Tamoruva gesandt, um ihn zu bitten, nach Tuia zu
kommen. Er hatte manches mit ihm zu reden, und wollte
besonders näheres über den Tod Taoris hören, um sein
Weib, seine arme Nalata, darüber zu beruhigen.
Durch den nämlichen Boten hatte aber auch M artin
erfahren, daß fremde Missionare auf der Insel einge
troffen wären, und von dem Wunsch erfüllt, sich nicht
allein von der Missionsgesellschaft in dein, was er getan,
zu rechtfertigen, sondern auch diesen fremden Brüdern
sein Handeln wahr und aufrichtig vorzulegen und eine
mildere Beurteilung des Schrittes von ihren Lippen zn
hören, beschloß er ohne weiteres, mit Tamoruva nach
Tuia Hinüberzugehen und sie aufzusuchen. Wohl fühlte
er sich glücklich in dem Besitz seines holden Weibes, und
seine Vernunft sprach ihn von jeder Schuld frei; aber
er fürchtete nicht mit Unrecht, daß M r. Löwe, der ernste
und strenge Geistliche, seine dem gerade entgegengesetzte
Meinung der Missionsgesellschaft unterbreiten werde,
und konnte sich auch nicht verhehlen, gegen d i e s e jeden
falls gefehlt zu haben, da er sich nun einmal verbindlich
gemacht, ihren Befehlen zu gehorchen. Wohl wußte er
412
selber viele und triftige Entschuldigungen für den
Schritt, den er getan, aber trotzdem w ar'es ihm nicht
gleichgültig, was andere über ihn dachten. Er wollte
diese Entschuldigung auch von anderen Lippen hören, er
hoffte Fürsprecher in den fremden Missionaren zu finden,
wenn er ihnen einfach und klar den ganzen Tatbestand
vorlegte. Sein schlimmstes und vielleicht einziges Ver
gehen war ja überhaupt nur, daß er sich einer heidnischen
Trauung unterziehen mußte, weil sich die auf der Insel
befindlichen Geistlichen geweigert hatten, die christliche
Trauung an ihm zu vollziehen. Was anders blieb ihni
da übrig? Er hatte Tama sein Wort gegeben, und
konnte er nicht ebensogut, zu der Familie eines der an
gesehensten Häuptlinge gehörend, für das Christentum
und dessen Ausbreitung wirken? Und doch wieder stiegen
bange Zweifel in ihm auf, als er sich endlich dem Platze
näherte, auf dem sich sein Schicksal entscheiden sollte, und
Tamoruva suchte unterwegs vergebens ihn aufzuheitern
und gesprächig zu machen.
M r. Löwe hatte indessen einen Oppositionsplan ent
worfen, um M atangi Ao endlich einmal für ihre gute
Sache zu gewinnen. Ih n als einzelnen konnte er nämlich
leicht abweisen, und tat das such gewöhnlich, wenn er
seine Bekehrungsversuche begann, in so geschickter Weise,
daß er das Gespräch ewig von dem eigentlichen Ziel ab
zulenken wußte, und bald da-, bald dorthin übersprang,
ohne auch nur ein einziges M al einzugestehen, daß er
von der christlichen Lehre überhaupt nichts wissen wolle.
Jetzt waren hier drei Männer dieses Glaubens zusam
men, und alle weit über die See herübergekommen, um
die heilige Lehre zu verbreiten. Sie hatten ihre Heimat,
ihre Familien verlassen — und M atangi Ao wußte das
— nur um eine heilige Pflicht zu erfüllen, und der Mis
sionar richtete deshalb die Bitte an ihn, sie wenigstens
zu hören, und dann alle Einwendungen gegen ihre Lehre
zu machen, die er noch im Herzen trage. Sie wären
bereit und gerüstet, dieselben zu widerlegen.
413
Allerdings hatte nun Mr. Löwe gefürchtet, daß er
einem solchen förmlichen Ansturm würde auszuweichen
suchen, da er doch nie hoffen konnte, mit Gründen gegen
sie zu streiten; ganz wider Erwarten aber sandte ihm
der Häuptling die Antwort, daß er bereit sei, sie heute
abend vor seiner Hütte an der Bai zu empfangen und
zu höreu, was sie ihm zu sagen hätten. Er werde sie
rufen lassen, wenn er bereit wäre. Löwe atmete tief und
freudig auf, denn endlich, endlich hatte er das erreicht,
wonach er solange umsonst gestrebt, das Ohr Matangi
Aos sich geneigt zu finden. Mehr verlangte er nicht,
denn daß nun eine freundlichere Zukunft für ihren G lau
ben auf den Inseln blühe, daran zweifelte er keinen
Augenblick mehr. Er beschloß auch noch heute abend,
gleich nach der Zusammenkunft und sobald er nur ihren
Erfolg übersehen könne, einen Boten mit einem Brief
an Ramara Toa abzusenden und diesen zu bitten, noch
geduldig einige Zeit mit seinen Plänen zu warten, da
jetzt alle Hoffnung vorhanden sei, alles in Güte und
Liebe zu ordnen und zu einem schönen Ziel zu führen.
Das Mahl nahm M r. Löwe mit seinen Gästen in
der Nachmittagsstunde gemeinschaftlich ein und besprach
dabei die Angelegenheit der Insel. Dort erzählte er
schien auch den schmerzlichen Fall mit dem abtrünnig
gewordenen Bruder M artin, dessen Fehltritt M rs. Löwe
mit den schwärzesten Farben schilderte. S ie hatte auch
vielleicht von ihrem Standpunkt aus recht, denn was
konnte eigentlich ein christlicher Missionar schlimmeres
tun, als daß er sich unter heidnischem Ritus mit einer
Heidin trauen ließ?
Darüber, daß ihm beide Geistliche die christliche
Trauung verweigert hatten, wurde allerdings nicht ge
sprochen, aber das verstand sich doch auch von selbst; wie
hätten sie es je vor ihren eigenen Vorgesetzten verant
worten wollen, da sie sich durch eine solche Handlung ja
zu Mitschuldigen gemacht haben würden?
Noch sprachen sie darüber, und M rs. Löwe betonte
414
eben, daß die Mission in diesem Menschen eine giftige
Natter an ihrem Bnsen genährt, als es leise an die T ür
klopfte, und auf Lowes erstauntes „Herein" diese sich
öffnete und der frühere Missionar M artin totenbleich,
fast wie ein Geist, auf der Schwelle stand.
„Mr. M artin — Gott soll mir gnädig sein!" rief
M rs. Löwe, wirklich erschreckt von ihrem S tuhl emporfahrend.
„Bruder M artin!" riefen aber auch die beiden
fremden Missionare erstaunt aus, denn sie wußten in
der T at nicht, was der Besuch bedeuten solle. Mr. Löwe
aber hatte sich zuerst wieder gefaßt. Er konnte sich etwa
denken, was den früheren Genossen hierher geführt, und
ernst und streng ihn ansehend, sagte er kalt:
„Was wünschen Sie, Herr M artin, daß S ie hier den
Frieden meines Hauses stören? S ie wissen doch, daß
jede früher zwischen uns bestandene Verbindung auf
immer abgebrochen ist? Was können Sie wollen, daß
Sie wieder zu mir kommen?"
„Nicht zu Ihnen, M r. Löwe," sagte M artin bitter,
„Wohl kenne ich Ih ren unversöhnlichen Sinn, aber zwei
fremde Brüder sind angekommen, und denen möchte
ich —"
„Wir müssen bitten," unterbrach ihn Bruder Barter,
einer der fremden Missionare, und wie es schien der
älteste, „uns hier mit allen Auseinandersetzungen zu ver
schonen. Bruder Löwe hat uns schon den vollen T a t
bestand mitgeteilt, und jede weitere Erklärung ist des
halb unnötig. Sie können doch nicht erwarten, S ir,
daß wir anders über I h r Vergehen denken werden, als
Bruder Löwe hier, einer der ältesten und würdigsten
Missionare der Inseln?"
„Und nicht einmal h ö r e n wollen Sie mich?"
„Was k ö n n e n Sie sagen? — Is t es wahr, daß
Sie die Tochter jenes alten heidnischen Häuptlings zur
Frau genommen haben?"
o . '- ,
//
416
„Gegen den direkt ausgesprochenen Willen Ih re r
Vorgesetzten?"
„Ja, aber —"
„Ist es wahr, daß bei Ih re r Verheiratung heidnische
Zeremonien benutzt worden sind?"
„Nur die Gebräuche des Landes, die unumgänglich
nötig waren, um die Einwilligung der Eltern zu er
langen."
„Und d a s sagen Sie uns hier?" rief M rs. Löwe
„es ist empörend!"
„Hat mir nicht M r. Löwe die kirchliche Trauung
verweigert?"
„Und mit Recht," sagte der Missionar streng, „was
^
^
^ " ' ^« "^n wir nicht heiligen. Gehen
—ue, ^Nr. M artin
wir haben keine Gemeinschaft mehr
nnt Ihnen — gehen Sie. Ih re n Weg haben S ie sich
telber vorgezeichnet; solange Sie nicht davon abweichen
darf er den unseren nicht mehr kreuzen."
„Und ist das auch Ih re Meinung, die S ie hierher
gekommen sind, um die Liebe Gottes zu lehren?"
„Die Liebe Gottes, ja," rief M r. Barter, „aber
nicht die sündhafte Liebe der Menschen. Gehen Sie wir
haben keinen Teil an Ihnen."
vergebe Ihnen Gott," stöhnte M artin erichurierl; „ich mag gefehlt haben, aber ich bin mir keiner
Sünde bewußt, und wie S ie mich jetzt von sich stoßen
treiben Sie mich in Nacht und Verzweiflung." Damit
wendete er sich ab und schritt gesenkten Hauptes den
Pfad entlang, der wieder hinauf in die Berge führte.
Unterwegs traf er M atangi Ao und Tamoruva, der ihn
anredete und ihn fragte, was er habe. Er erzählte
den beiden Häuptlingen mit kurzen Worten sein Begeg
nen mit den Landslenten. M atangi Ao wollte ihn be
reden dazubleiben, da er die Missionare zu einem Ge
spräch zusammenrufen werde; M artin schüttelte trübe
den Kopf. Es war zn spät — alles vorbei, und allein
416
wanderte er die Bahn zurück in den Wald, die ihn seiner
selbstgewählten Heimat wieder zuführte.
M atangi Ao sah dem Davonschreitenden kopfschüt
telnd nach. Er hatte alles, was sich auf ihn bezog,
schon von Tamoruva selber gehört, und sagte jetzt ernst:
„Wunderliches Volk, diese Fremden — wenige nur
von ihnen kommen in ein ihrer Heimat ferngelegenes
Land, und diese wenigen halten nicht Frieden mitein
ander und hassen und verfolgen sich; ja, der Mitonare
h i e r hat schon von mir verlangt, den Mitonare M atina
von der Insel fortzuschicken. Und das nennen sie eine
Religion der Liebe? Aber komm, Tamoruva, wir wollen
die Weißen zusammenrufen und hören, was sie mir zu
sagen haben."
„Und weißt du das noch nicht, M atangi Ao?"
lachte der alte Häuptling, „ich kenne jeden Satz, den sie
vorbringen. Im m er das alte, nur neu durchgesprochen.
Glauben sollst du, glauben jede einzelne von ihren Wun
dergeschichten, und wenn du nur eine bezweifelst, schreien
sie über Unglauben und drohen mit ewigen Feuerqualen
an einem Platz, vor dem sie sich entsetzlich fürchten müssen,
denn Fremar konnte ihn uns nicht schrecklich genug
schildern."
„Und trotzdem komm," lächelte der junge Häuptling,
„ich habe noch andere Weiße hier, die ihnen antworten
mögen. Wir wollen sehen, wer den Sieg davonträgt."
„Ramara Toa steht mit ihnen im Bunde. Unsere
Götter wollen sie ausgeliefert haben."
„Toren," lachte M atangi Ao verächtlich, „blinde
Toren. Ich will keinen Krieg auf Motua — nicht mit
Ram ara Toa, schon Nalatas wegen, denn ihre Seele ist
weich und durch den Tod des Bruders tiefgebeugt, aber
ich bin nicht so schwach, als mich Ramara glaubt. Er soll
sich hüten. Doch komm — ich glaube, er hat nur den
Versuch gemacht, um mich einzuschüchtern. Er wird sich
zweimal besinnen, ehe er offene Feindseligkeiten gegen
mich wagt."
—
417
„Und Tribut sollst du ihm soliden?"
„Bah — er ist übermütig geworden! Latz ihn. Er
wird einsehen, datz er von M atangi Ao keinen Tribut
sordern kann."
„Und wenn er es n ic h t einsieht?"
„Er w i r d ! Komm, Tamoruva," sagte der Häupt
ling lächelnd, „daß ich meinen Boten an die Mitonares
sende, sie könnten mir sonst ungeduldig werden," und
dem Freund vorangehend, schritt er seiner eigenen Woh
nung und dem Strand zu, wo bald einer seiner Diener
beordert wurde, die Mitonares herbeizurufen, während
die anderen Matten vor dem Hause, im Schatten der
Bäume, ausbreiteten und alles zu der Versammlung vor
bereiteten.
M atangi Ao schien auch nicht gesonnen, seine Zu
sammenkunft mit den Missionaren heimlich zu halten.
Allen in der Nähe befindlichen Häuptlingen war eben
falls Wort gesandt, damit sie dem Gespräch beiwohnen
konnten, wenn sie sonst irgend Verlangen danach fühlten,
und als M r. Löwe mit seinen Begleitern endlich eintraf,
hatten sich vielleicht zehn oder zwölf von jenen schon ver
sammelt, und andere langten noch an, um ihren Sitz
in dem Kreise einzunehmen.
Man soll nicht glauben, daß nur in zivilisierten
Ländern irgend welche Etikette beobachtet wird, denn
an keinem Hofe selbst kann strenger bei Tafel oder sonst
einer Zeremonie auf die Rangordnung gesehen werden,
als bei diesen Versammlungen wilder Völker. Jeder
Sitz ist auf das genaueste bestimmt, und ein Häuptling
dritten Ranges, wenn er sich über einen zweiten Ranges
setzen wollte, würde rasch und zornig in die ihm gebüh
renden Schranken zurückgewiesen werden.
M atangi Ao nahm denn auch den Platz in der Mitte,
auf etwas erhöhtem Rasen, unmittelbar vor seinem
Hause, und mit dem Antlitz nach der Brandung der Riffe
zu. An seiner Rechten saß Tamoruva, als ältester und
edelster Häuptling, zu seiner Linken sein jüngerer BrnF r . Gerstiicker, Tie Missionare.
27
—
418
—
der, ein junger Bursche von vielleicht zwanzig Jahren,
^arum hin reihten sich die übrigen Häuptlinge, je nach
dem Rang, den sie besaßen, und M atangi Ao gegenüber,
an der andern Seite des Ringes, waren die Plätze für
die Missionare hergerichtet.
Allerdings hatte sich M rs. Löwe ebenfalls eingefunden, um teil an der Verhandlung zu nehmen, aber
einer der Eingeborenen bedeutete sie rundweg, daß sie da
gar nichts zu suchen habe, weil Frauen zu den Besprechun
gen von Männern nicht zugelassen würden. S ie könne
wieder nach Hause gehen, was sie denn auch, eben nicht
in bester Laune, tat.
r- Die Szenerie war wunderbar schön. Unmittelbar
hinter -Matangi Aos Hütte erhob sich ein ziemlich steiler
Felsen, an dem hin der Weg in das Innere des Landes
führte, und dichte Büsche mit breitblätterigen Bananen
dazwischen bedeckten ihn bis zur höchsten Kuppe. Vor
der Wohnung standen hohe Mangobäume, die mit ihren
breiten Wipfeln auch den geringsten Sonnenstrahl fern^
Davor hoben sich, der See zu, etwa zehn oder
zwölf Kokospalmen, und während nach rechts und links
noch niedrige Brotfruchtbäume und Fruchtbllsche des
tappo tappo (custarcl apple) standen, war der Platz
nach der See zu vollständig offen, um von dort her die
Brise zu fangen.
Und wie reizend lag dabei das Ufer der Bai selber
die emen ziemlichen Flächenraum umschloß! Nach rechts
und links dehnten sich, bis in die letzte Spitze mit Kokos
palmen bewachsen, kurze Landzungen aus, die aber nicht
bis zu den weiter draußen liegenden Riffen und der darubei.' stürzenden Brandung reichten. Die Einfahrt in
diese war nur zum Teil sichtbar, mit einem dunkelblauen
Streifen See dahinter, denn rechts davon lag eine kleine
reizende Insel, Tuia-iti, dicht mit Buschwerk und P a l
men bewachsen, und bildete dadurch einen wahrhast
prachtvollen Mittelgrund. Und über alledem der reine,
blaue Himmel, die klare, sonnige Luft — ein wirkliches
—
419
Paradies das Ganze, geschaffen, nm Menschen glücklich
und gegen Gott dankbar zu machen.
Auch die Eingeborenen in ihrer lichten, buntfarbigen Tracht, die uncherstehenden Frauen und Mädchen
nnt Blumen in den reichgeölten Locken, die M änner mit
der bronzefarbigen Haut, den dunkelblitzenden Augen
und den edlen Gesichtern, und das fröhliche Lachen der
halb und ganz nackten Kinder, die sich am Strande herumtummelten. Nur wie n ic h t dahin gehörend sahen
die fremden Missionare in ihren schwarzen Tuchröcken,
hohen Hüten und Weißen Halsbinden aus, die noch steif
und ernst m dem bunten Schwärm fröhlicher leicht
herziger Menschen standen und mit Wehmut im Herzen
^
A la rm e n Seelen um sich her betrachteten.
Unglücklichen gleich, die an einem Abgrund tanzen und
iin nächsten Augenblick von ihm verschlungen werden
tonnen.
Matangi Ao ließ ihnen /aber keine lange Zeit zu
laichen Betrachtungen. Er winkte seinem Ausrufer, der
das Zeichen zum Beginn der Sitzung gab. Dann zog er
sich in das Haus zurück, von wo er bald darauf mit drei
anderen Weißen zum Borschein kam, denen er zuwinkte
sich auf schon bereite Matten hinter ihn zu setzen, und
zwar einer etwas zur Linken, die anderen beiden etwas
zur Rechten. Mr. Löwe erkannte zu seiner eben nicht
angenehmen Überraschung in dem einen von diesen den
alten, aus dein Schissbruch geretteten Juden, in dem an
deren aber den hier als Tischler arbeitenden Franzosen
wie fernen Kameraden, den Matrosen. Was wollte M a
tangi Ao mit diesen? Ehe er selbst jedoch nur Zeit
behielt, den beiden Freunden seine Bemerkung mitzu
teilen, rief ihn der Häuptling an und sagte:
„Nehmt eure Plätze ein, Mitonares, die Stunden
vergehen, und wir werden nicht sogleich fertig werden.
Nehmt eure Sitze, ^du in der Mitte, Loa, und die anderen
beiden zu deiner Seite, und nun sprich! Was hast du
unv zu sagen? Unsere Ohren sind offen. Künde deinen
27*
420
Glauben treu und wahr, und ist er besser und reiner als
der unsere, so wollen wir das Volk zusammenrufen, und
du magst auch zu ihnen von deinem Gott reden. Wir
haben hier sechs Weiße — laß sehen, ob du uns bekehren
kannst."
M r. Löwe wäre gern aufgestanden, um zu reden, er
war nicht gewohnt, im Sitzen zu sprechen, aber die
Etikette verbot das dem Häuptling gegenüber, und er be
gann jetzt deshalb in der Stellung, in der er sich gerade
befand, den christlichen Glauben einfach darzulegen. Aber
er beschränkte sich dabei nicht auf das Neue Testament,
auf die klare und reine Lehre des Heilands, sondern er
begann von der Erschaffung der Welt, von Adam und
Eva und dem Sündenfall, dem Zürnen Gottes, von all
den damals geschehenen Wundern; dann erst von Christi
Erscheinen, seiner Lehre und Wundern, seinem Tode,
und daß er für die sündigen Menschen gestorben, und
zuletzt von der Lehre, die seine Jünger eingesetzt.
Er sprach fließend und mit gehobener Stimme, ja
mit Begeisterung Wohl zwei Stunden lang. Die Sonne
neigte sich schon dem Horizont, als er endete, und mit
keinem Laut hatten ihn die Versammelten unterbrochen.
Aufmerksam lauschten sie seinen Worten; sie fingen ihm,
wie es schien, fast jede Silbe von den Lippen, und wie
er endlich schloß, daß nur in diesem Glauben die Men
schen selig werden könnten und nur in dem unmittel
baren Verkehr mit Gott die einzige Rettung liege, wäh
rend die Ungläubigen „von Ewigkeit zu Ewigkeit" ver
dammt und den höllischen Strafen preisgegeben würden,
regte sich noch keine Lippe. Es war fast, als ob die Ein
geborenen erwarteten, er würde noch einmal beginnen.
Da sagte Matangi Ao, als er wirklich geendet, mit
ruhiger, ja fast freundlicher Stimme:
„Du hast viel gesprochen, Mitonare! Viel und M an
nigfaltiges, und es wird nicht möglich sein, das alles
so im Kopfe zu behalten, außerdem man läse dein dickes
Buch wieder und wieder durch, und das kostet viel Zeit.
421
Doch eins beantworte mir. Du sagst, das; durch Adam
uud Eva, unsere Voreltern, die Sünde in die Welt ge
kommen und auf uns verpflanzt ist. Nicht wahr?"
„Allerdings."
„Würden sie aber je gesündigt haben, wenn Gott
ihnen nicht verboten hätte, von der Frucht zu essen?"
„Wenn Gott nicht das als Prüfstein für sie aufge
stellt hätte," erwiderte der Missionar, „so würde S atan
sicherlich etwas anderes gefunden haben, um sie zu ver
führen." *)
„Aber wie kann S atan solche Macht über die Men
schen haben, wenn Gott allmächtig ist?" fragte der Häupt
ling.
„Das; dem so ist, steht in dem guten Buch," er
widerte Löwe fest, „und jeder Mensch trägt den Keim
dazu in sich. P rüft eure Herzen! Steigen nicht oft
Gedanken darin auf, die wir nur einem teuflischen Ein
flüsse zuschreiben können? W e s h a l b G o t t es dul
det, wir wissen es nicht; aber wir sind auch nur gekom
men, um euch den In h a lt des guten Buches zu erklären."
M atangi Ao nickte langsam vor sich hin; endlich
fuhr er fort:
„Wie lange ist es her, daß Adam und Eva lebten?"
„O, mehr als tausend Jahre, solange als die Welt
steht."
„Das muß dann sehr lange sein. Und glaubst du
wohl, Mitonare, daß — wenn Adam und Eva vor so
langer Zeit eine so kleine Sünde getan und sie nachher
bereut haben — der Gott, den du allbarmherzig nennst,
ihnen jetzt verziehen hat?"
„Wir müssen Wohl glauben," sagte Löwe, „daß sie
jetzt Verzeihung erhalten haben und im Himmel sind."
„Dann verstehe ich deine ganze Lehre nicht," sagte
M atangi Ao kopfschüttelnd. „Zuerst sagst du uns, daß
wir nur die Sünde unserer Voreltern büßen, und dann,
*) Ellis' „Lolz-llssi-m ro8eg,roti68." Bd. II, Seite 42tz.
422
datz diesen verziehen ist-, weshalb denn nicht uns, die wir
so viele Jahre nach ihnen lebten?*) Dann sagst du,
daß Christus sür die Sünden der Menschen gestorben
sei — also doch auch für uns. Du versicherst uns außer
dem, wir könnten nur unmittelbar zu Gott beten; hier
sind zwei andere Christen, die das Gegenteil behaupten
Wer hat nun recht? Was sagst du, Freund, zu dem
Glauben dieser Männer?"
^
„Hm, erwiderte der Franzose, „sie haben Wohl einen
Teil des Glaubens, aber nicht den wahren, wie ihn die
Apostel gelehrt. S ie sind davon abgefallen und soge
nannte Protestanten, das heißt, o-mste, die eigenmächtig
einen Teil der Satzungen umgestoßen haben."
„Und was sagst du, Freund?" wendete sich Matangi
Ao an den alten Aaron, der lächelnd dabeisaß und dem
Streite zuhörte.
„Gott der Gerechte, was soll ich sagen?" erwiderte
der alte Mann. „Es sind gewiß brave Menschen, die gut
und ehrlich meinen, was sie sagen, und es selber glau
ben aber — sie haben beide unrecht."
„Beide?" rief der junge Häuptling.
„Beide," nickte der Jude. „Sie verehren denselben
Gott, aber mit so viel darum herum, daß mau den ein
fachen Glauben nicht herausfindet. Alles, was Christus
gelehrt hat —- einfach und wahr -—- ist in den zehn Ge
boten enthalten, die Moses Hunderte von Jahren vor
her dem Volke durch Gott gab. Ich und wir alle, duwir zu dem Glauben halten, verehren einen einzigen
Gott und beten zu ihm in bestimmter Weise.
Die
Christeu haben uns deshalb verfolgt und viele totge
schlagen — aber uns nicht allein, denn unter sich selber
haben sie ebenfalls blutige Schlachten geschlagen, nur
dafür, wer das oder wer das glauben sollte."
„Ist das wahr, Mitonare?" sagte Matangi Ao.
') Ellis' „lloch-riesiM rsssru-ollss."
Bd. II, Seite 427.
423
. »Zch kann nicht leugnen," erwiderte der Missionar
„daß heftige Menschen, rücksichtslos einen falschen Weg
m der Verfolgung eines guten Zweckes einschlagend,
blutige Kriege des wahren Glaubens wegen geführt."
„Und wollt ihr setzt auch meinen — u n s e r e n
Glauben hören?" sagte der junge Häuptling ruhig.
„Es wäre unrecht, wenn wir dir nicht ebenso ge
duldig zuhören wollten," erwiderte Löwe, „als du mei
nen Worten gefolgt bist."
„So höret denn," sagte M atangi Ao?) „Wir glau
ben nicht an künftige Belohnungen oder Strafen aber
wir glauben daß eine höhere Macht lebt (mehr und
besser begabt als die Menschen), die unsere Handlungen
leitet und unsere innersten Gedanken erkennen kann Aus
wie viel Teilen diese Macht besteht, wissen wir nicht —
wir verehren viele Götter, aber wir glauben, daß sich
diese freuen, wenn wir tugendhaft leben, und daß sie zür
nen, wenn wir eine Sünde begehen. Jeder Mensch hat
seinen Schutzgeist, der ihn behütet, solange er brav und
gut ist und der von ihm weicht und ihn dem Unglück,
Krankheiten und dem Tode überläßt, sobald er schlecht
Wird oder schlechte Taten begeht. Entweicht die Seele
so lebt sie m der Form des Körpers weiter, aber mit
größerem und schärferem Geiste. Sie kann dann Gutes
vom Bösen, Wahrheit von Lüge, Recht von Unrecht klar
nnterscheiden, und während sie glücklich in jenem fernen
geheimnisvollen Lande lebt, besitzt sie doch die Macht, zu
uns zurückzukehren, und uns zu begeistern oder in T rä u
men sichtbar zu erscheinen —"
„Aber das ist blinder, törichter Aberglaube!" rief
Löwe bewegt aus.
«Halt, Mitonare," donnerte ihn da M atangi Ao,
sich vom Boden emporschnellend, an,, „kein Wort habe
ich dir erwidert, als du sprachst, mit keiner Silbe deine
,4 0
140 und 130.
Auflage. Bd. II, S ü 'e
Glaube der Tonga-Insulaner.
424
Rede bezweifelt oder die Wunder, die du mir erzählt,
belächelt. Ich verlange von dir dieselbe Achtung für
m e i n e n Glauben, die ich dem deinigen gezeigt. Aber
so spricht Matangi Ao — du bist zu uns gekommen,
um uns den wahren Glauben der Weißen zu bringen, und
hier stehen drei verschiedene Parteien, die alle drei be
haupten, daß sie den richtigen haben, und daß der andere
falsch ist. Tretet setzt zusammen und überzeugt einre
den anderen, und wenn ihr dann einig seid, dann kommt
Wieder zu mir und sagt: d a s mußt du glauben, d a s
ist wahr und gut, und ich will meinen Göttern entsagen
und eurem gemeinschaftlichen Gott dienen."
Löwe wollte etwas darauf erwidern, als plötzlich ein
wilder Schrei von dem einen Ende Tuias herübertöntc.
I n demselben Moment fielen einzelne Schüsse, und in
Hast fuhren die Häuptlinge von ihren Matten empor.
„Was ist das?" rief M atangi Ao, die Hand krampf
haft in der Luft schließend, als ob er eine Kriegskeule
fassen wollte, „was geht da vor?"
Die Frauen, die in scheuer Entfernung den Rat der
Männer von weitem beobachtet, aber nicht gewagt Hat
ten, ihnen so nahezutreten, daß sie die Worte verstehen
tonnten, flüchteten den Häusern zu, um die Kinder zu
sammeln und bei sich zu behalten, und die Krieger stan
den wie aus dem Sprung, nur noch nicht recht wissend,
wohin sie sich wenden sollten.
Da wieder das Geheul — wieder ein Schuß und
noch einer, und durch die nächsten Büsche brach es und
prasselte es nieder, und atemlos, Angst und Entsetzen in
den Zügen, sprang ein junger Bursche den Bergabhang
herab auf die Versammelten
„Was ist es, Latogi?"
„Sie haben den Gott geraubt," schrie dieser, zu dem
Häuptling flüchtend und flehend die Hand zu ihm er
hoben, „Männer von Ramara Toa sind herübergebrochen.
Der M arai liegt in Trümmern, und Häuser und Felder
plünderten die Räuber."
Matangi Ao stand wie erstarrt. Seine hohe,
schlanke Gestalt hob sich, sein Ange sprühte Jener, seine
Hände ballten sich krampfhaft, nnd „Krieg!" rief er,
„Krieg! Zu den Waffe», ihr Männer von Tnia! Zu
den Waffen!" Und als ob das den Zauber gebrochen
hätte, der auf allen zu liegen schien, dröhnte Plötzlich ein
gellendes Geheul durch die Luft — die Gestalten gewan
nen Leben, und in wilder Hast stoben sie auseinander,
ihren verschiedenen Hütten zu. Wo ihr Ziel lag, wußte
vielleicht keiner in dem Augenblick — aber Waffen muß
ten sie haben — ihre Kriegskeulen und Speere, ihre
Schleudern und Bogen, und „Krieg!" gellte der Angstrnf
auch von den Lippen der Weiber und Kinder wieder,
denn wohl kannten sie das Entsetzen solcher Zeit, und
flüchteten schreiend in ihre eigenen Hütten.
28.
Vorbereitungen zum Rumpfe.
Dicht gedrängt hatten die Menschen noch vor we
nigen Minuten am Strande gestanden nnd in einem
weiten Bogen den Versammlungsort der Häuptlinge um
geben: jetzt, wie der Habicht ein Volk Tauben scheucht
— in einem Moment fast waren sie verschwunden, als ob
sie der Boden verschlungen hätte, und die Misionare stan
den mit den drei anderen Weißen, mit denen sie aber
keinen Verkehr hielten, allein am Strande.
„Was bedeutet das?" riefen die beiden Fremden er
schreckt, die sich das plötzliche Verschwinden der Massen
kaum erklären konnten. „Was ist nur geschehen? Was
kann vorgefallen sein?"
„Nichts weiter," sagte in ziemlich ärgerlicher S tim
mung Mr. Löwe, „als daß dieser tollköpfige Namara
426
Toa ui übergroßem und jetzt sehr unzeitigem Eifer
einen Raubzug nach Tina gemacht und wahrscheinlich
das Götzenbild entführt hat, das draußen auf der Höhe
stand."
„Und gerade j e t z t ! " rief Bruder Barter besorgt
„das kam allerdings sehr ungelegen. Wenn sie u n s das
nur nicht entgelten lassen. Ich Lenke, das beste wird
sein, wir fahren einfach an Bord des Kutters hinüber
uno halten in See hinaus. Wollen Sie nicht Ih re
Frau Gemahlin holen, Bruder Löwe, und uns begleiten?"
...
mir nicht denken, daß wir etwas zu
furchten haben," entgegnete Löwe, „keinesfalls, solange
Matangr Ao selber hier ist, denn er gab mir sein Wort
daß wir hier vollkommen sicher wohnen könnten."
„Aber er ist ein Heide."
„Was sie einmal versprochen haben, halten sie, dar
auf kann mau sich fest verlassen," sagte der Missionar.
„Es wurde unter ihnen für einen Schimpf gelten treu
los zu sein."
Merkwürdig!" sagte Mr. Barter, „ich muß Ihnen
aber doch gestehen, Bruder Löwe, daß ich mich jetzt lieber
an Bord des Kutters als hier an Land befände. Kanoes
liegen auch genügend am Strande, aber kein einziger
Eingeborener ist da, der uns hinausruderu könnte."
„Ich glaube, Sie tun am besten, mit in meine Woh
nung zu gehen," sagte Bruder Löwe; „was auch immer
kommen mag, meine Frau können wir doch nicht allein
zurücklassen, übrigens ist es auch vielleicht nur ein
blinder Lärm, und wir müssen jedenfalls erst bestimmte
Nachricht abwarten."
„Und wenn es dann zu spät wäre?"
„Nein," sagte Löwe fest, „wir stehen in Gottes Hand,
und wie wir anderen das Vertrauen zu ihm lebren
müssen wir es jetzt auch selber zeigen. Kommen Sie —
oie Insulaner kehren zurück. Wenigstens in diesem ersten
Moment der Aufregung wird es besser sein, ihnen aus
dem Weg zu gehen, denn rohes Volk gibt es bei ihnen
427
sowohl wie bei zivilisierten Nationen — wenn auch viel
leicht im Verhältnis weniger. Nachher erfahren wir
dann das weitere von M atangi Ao. Wir stehen unter
seinem Schutz."
Die beiden anderen Missionare trauten dem Frie
den nicht recht und wären viel lieber an Bord gefahren;
aber es war die Frage, ob der Kutter überhaupt schon
segeln tonnte, und dann hätten sie von den Eingeborenen
in ihren Kanoes ebensorasch' dort draußen wie hier am
Land erreicht werden können. Unter M r. Lowes Dach
waren sie doch am Ende noch sicherer als dort, und in
dem sie ini Herzen den tollen Häuptling verwünschten,
daß er „gerade setzt" einen solchen Überfall gewagt, um
die heidnischen Götzenbilder zu zerstören, folgten sie
dem schon voranschreitenden Bruder zu der eigenen
Wohnung,
Die Insulaner hatten jetzt aber weder Zeit noch
Lust, sich mit ihnen aufzuhalten, denn Bote nach Bote
bestätigte die zuerst gehörte Kunde von dem Überfall
einer starken Partei M otua-Bai-Jnsulaner, die, wie es
schien, nur zu dem alleinigen Zweck herübergekommen
waren, das in Tuia heilig gehaltene Götzenbild zu zer
stören oder zu rauben. Der Überfall war auch, da sich
die Insulaner gerade alle zufällig am Strande versam
melt hatten, vollständig geglückt, und sie hätten sich viel
leicht sogar unbemerkt zurückziehen können, wäre ihnen
nicht auch noch ein anderer Auftrag geworden, den sie
erledigen mußten, und der bestand in nichts Geringerem,
als den von Matangi Ao verweigerten Tribut gewalt
sam beizutreiben.
I n M atangi Aos Eigentum, dicht am Strande,
durften sie allerdings nicht wagen einzubrechen, denn
dort würden sie den ganzen Stam m angetroffen unb
hartnäckigen Widerstand gefunden habem So begnügten
sie sich denn damit, die Wohnungen einzelner da draußen
lebender Häuptlinge zu überfallen und zu nehmen, was
sie brauchten — aber nicht mehr. Sie raubten die vor-
428
geschriebene Anzahl Matten und die Stücke Gnatn, ebenso
die Schweine, Uams und Adawnrzel aus dem Felde, wie
es ihnen Ramara Toa vorgeschrieben, und zogen sich
dann in geschlossener Kolonne wieder in derselben Zeit
auf dem Wege nach dem Hupai-Tal zurück, als die er
schreckten Eingeborenen, deren Hütten geplündert wor
den, nach dem Strande zu flohen, um dort die Meldung
zu machen und Hilfe zu erflehen.
Jetzt stürmten die Krieger herbei, nicht zum Kampf
geschmückt, wie es sonst Wohl bei ihnen S itte ist, sondern
in ihrer friedlichen Tracht, wie sie eben noch der Ver
sammlung beigewohnt, so daß sie nur die hindernden
Gnatumäntel abgeworfen und dann an Waffen aufge
griffen hatten, was ihnen gerade in die Hände fiel.
Keule und Speer, Wurflanze und Schleuder, Bogeu und
Pfeile, mit Haifischzähnen bewehrte Schwerter, die furcht
bare Wunden in die nackte Haut rissen, und steinerne
Bolzen, die sie mit tödlicher Sicherheit zu werfen ver
stehen.
Matangi Ao stand mitten zwischen ihnen, eine hohe,
königliche Gestalt, den -Oberkörper nackt, daß die blauen
Zeichnungen der Tätowierung auf Schultern, Arm und
Brust deutlich sichtbar waren; in der linken Hand ein
Bündel Wurfspeere, in der rechten die Keule haltend,
neben ihm der französische Matrose, eine Muskete in
der Hand und eine Patronentasche umgehängt, und von
allen Seiten strömten noch Eingeborene herzu, um sich
der Verfolgung der Räuber anzuschließen. Aber es war
keine Zeit, um nlle Mannen zu sammeln, denn dazu
wohnten sie zu weit zerstreut es konnte ja auch kaum
mehr als ein Strcifzug gewesen sein, wenn sie sich solcher
Art, wie Diebe in der Nacht, an die Bai heranschlichen.
„Vorwärts!" übertönte M atangi Aos Stimme den
Lärm, „vorwärts, daß wir die Schurken züchtigen!" Und
seine Keule schwingend, flog er mehr, als er ging, den
Pfad entlang, der nach der geheiligten Stelle hinauf
führte.
429
Das Götzenbild stand nämlich, ähnlich dem voin
Hupai-Tal, in einer Art Bambusgehäuse in einem im
Walde liegenden M arai, der als besonders heilig galt
und von dein Volke nur bei feierlichen Gelegenheiten
betreten werden durfte.
Keiner hielt auch nur einen Moment in seinem Lauf
inne, bis sie die „Wohnung des Gottes" selber erreich
ten, und hier, als sie die angerichtete Verwüstung be
merkten, erfüllte wildes, wütendes Geheul die Luft.
Es war ein kleiner Hain, der großenteils aus Licht
nußbäumen, Kastanien und Kasuarinen bestand. P a l
men wuchsen dort gar nicht, zwei hochstämmige Kokos
palmen ausgenommen, die man vor einer hohen und
sehr spitzen Bambushütte errichtet hatte, welche das
eigentliche Heiligtum umschloß. Die Hütte glich weit
eher einem riesigen Schilderhaus als einer menschlichen
Wohnung, und war mit einem spitzen Palmblattdach
versehen, auch bis jetzt der Aufbewahrungsort eines Wohl
grotesken, aber nichts weniger als künstlerisch schonen
Götzenbildes gewesen, das irgend ein Insulaner mit
einem Steinbeil aus dem Stamme eines der mächtigen
Waldbäume in einer e i n i g e r m a ß e n menschlichen
Form ausgeschlagen. Aber was kam auf die Form an?
Es entsprach dem Zwecke, und der Glaube der Menschen
umgab es mit einem ebensolchen Heiligenschein, als ob es
von dem größten Künstler in Marmor gemeißelt, oder
in Gold gegossen und mit Edelsteinen geschmückt gewesen
wäre. Dabei galt der ganze Platz als unnahbar; selbst
die beiden Kokospalmen standen unter dem strengsten
tabu, und keine Nuß von ihnen durfte berührt werden,
sondern wie sie abfiel, blieb sie dem „himmlischen Gott"
geweiht. Nur die Priester hatten das Recht, den Tempel
zu betreten und, wenn es sich nicht mehr vermeiden ließ,
nötig gewordene Reparaturen daran vorzunehmen.
Die beiden geheiligten Palmen hatten die Buben
gefällt, daß ihre königlichen Wipfel, durch den S turz
zertrümmert, im Staub und breitgedrückt am Boden
430
^
Hütte war auseinander gerissen und in Brand
Las Heiligenbild selber aber entführt, denn die
breite Fahrte dem Hauptweg nach dem Hupai-Tal zu,
? öie Fußspuren der Räuber, und dort sogar eine
^w Boden, in welcher ein schwerer Gegenworden, soweit es nämlich das hier
abfallende Land gestattete, ihn zu schleifen.
H E e n die Räuber aber wirklich -das schwere Bild
mitgefuhrt so mußte das natürlich ihre Flucht bedeu
tend aufhalten, und da sie kaum eine halbe Stunde Vo>-sprung haben konnten, so setzten die Verfolger jubelnd
nach. Gar nicht weit von dort wußten sie einen Felsenvorsprun^ von dem aus man das ganze untere Tal,
wie es sich in das Innere hineinzog, übersehen konnte.
Dorthin wendete sich M atangi Ao mit den Seinen, denn
sie schnitten, indem sie rechts von dem eigentlichen Pfad
zur Seite bogen, damit sogar noch ein Stück des
Weges ab.
mi ^ ie Sonne war gerade im Untergehen, als sie den
Platz endlich erreichten, und: „Dort sind sie! Fluch über
^ schurren!" hallte fast von jeder Lippe, als sie nur
einen Blick m das T al hinabwarfen. Deutlich aber er
barmten sie m gar nicht etwa großer Entfernung die
Femde dw letzt allem Anschein nach das Götzenbild aus
den Schultern trugen, und dadurch also auch um so viel
raicher über den Grund kamen.
Aber auch der Feind kannte das Terrain genau,
und gerade dieser leicht erkennbare Platz war Wohl von
ichii scharf uri Auge behalten worden. Kaum zeigten
sich wenigstens die ersten der Tina-Krieger oben auf der
offenen Kuppe, als der Trupp der Feinde hielt und
drohend die Waffen schwenkte. Dort oben hin fielen noch
die letzten Strahlen der Sonne, während unten im Tal
lchon die Dämmerung ihr Reich begann. Die Gestalten
von denen es dort wimmelte, ließen sich nur sehr undeutlich erkennen: aber desto deutlicher sprach etwas anderes
für ihre -^ahl, denn plötzlich zuckten allerorten und Enden
—
431
kurze Blitze auf, und gleich darauf schmetterte der Knall
erner Menge, in unregelmäßiger Folge abgefeuerter
Schusse nach, und suchte sein Echo in den Bergen.
Das war mehr als ein kleiner Raubzug, von einem
^crupp ungeordneter Krieger ausgeführt. Soviel siw
von dort oben aus erkennen ließ, befanden sich die Feinde
bedeutend in der Mehrzahl und mußten, den vielen
abgefeuerten Schüssen nach, auch mit einer großen Menge
von Feuerwaffen versehen sein. Dazu brach die Nacht
an, die m diesem Himmelsstrich fast unmittelbar der
Dämmerung folgt. Es wäre Wahnsinn gewesen, mit
oem kleinen, rnsch zusammengelesenen Schwärm einen so
zahlreichen und gut bewehrten Haufen von Kriegern
anzugreifen, und M atangi Ao, so wenig er selber Furcht
kannte, dachte doch nicht daran, das Leben seiner Leute
° u s / m so leichtsinniges Spiel zu stellen. Außerdem
durfte er sich nicht der Gefahr aussetzen, von einem un
geordneten Trupp Ram ara Toas geschlagen zu werden
noch dazu, da dieser jetzt gerade im Besitz des Götter
bildes war. Wer kann sagen, was er selber über dessen
Eigenschaften dachte, aber die Masse des Volkes würde
ein wlcher Schlag jedenfalls entmutigt haben, und da?'
mußte er als Führer verhüten. Selbst Tamoruva stimmte
ihm darin bei.
Andere Pläne gingen ihm auch jetzt im Kopf her
um, und vergebens wartete der kleine Trupp der Ver
folger auf den Befehl zum Nachrücken. An den Stamm
einer jungen Kasuarine gelehnt, stand er still und re«U"gslos neben dem alten Häuptling und schaute in
die Talschlucht hinab, bis die sich noch dort unten be
wegenden Gestalten mit dem sie umgebenden Gesträuch
in einen grauen Nebel zusammenschmolzen. Erst dann
gab er den Befehl zum Rückmarsch nach Tina, den einige
der lungeren Häuptlinge nur ungern hörten nnd gegen
den sie sogar protestieren wollten. M atangi Ao aber
wurdigte sie nicht einmal einer Antwort; er war mit
dem zu verfolgenden Plan im reinen, und finster und
432
in sich gekehrt schritt er dem Zuge wieder voran, der
jetzt die heimische Bai aufsuchte.
Noch in der nämlichen Nacht aber wurden Boten
nach allen befreundeten Distrikten abgesendet. Zwölf
Kanoes allein verließen den Strand, um die Bevölke
rung zu alarmieren und zur Kriegsbereitschaft heran
zurufen. Sie sollten künden, was Ramara Toa in
frechem Übermut gewagt, und die Häuptlinge der ver
schiedenen Klans auf nächsten M ittag nach Tuia-Bai
zusammenrufen, wobei es sich von selbst verstand, daß
sie sämtlich bewaffnet und vollständig gerüstet erschienen.
Vor Tagesanbruch war auch M atangi Ao schon
wieder auf und am Strande tätig, nachdem er noch die
halbe Nacht mit Tamoruva zusammengesessen und seinen
Schlachtplan entworfen hatte, denn ungeahndet durfte
dieser Überfall nicht hingehen. Ramara Toa mußte
fühlen lernen, daß er nicht Alleinherrscher der Insel sei
und keineswegs die Macht habe, dem Volke selbst seinen
Glauben vorzuschreiben. Aber es galt dabei auch, den
nächsten Schlag so rasch und geschickt zu führen, daß er
nicht leicht mißlingen k o n n t e , denn damit wäre viel
leicht alles verloren gewesen, und die beiden Häuptlinge
hätten zu einem solchen Rate nicht passender zusammen
gesucht werden können. Tamoruva war alt und kriegs
erfahren, M atangi Ao jung und stürmisch, und während
die Jugend alle unnötigen Bedenken beiseitewarf, zügelte
das Alter den allzu großen Eifer ein, um eines Sieges
desto sicherer zu sein.
Matangi Ao war dafür gewesen, gleich am nächsten
Tage mit allen ihm zu Gebote stehenden Streitkräften
aufzubrechen und mit der Gewalt der Waffen die erlitte
nen Beleidigungen zu sühnen. Damit wurde aber auch
alles auf einen Schlag gewagt, und einmal geworfen,
hätte der Feind dann augenblicklich seinen Sieg weiter
verfolgt, und vielleicht das gerade erreicht, was Ramara
Toa wollte: die Unterwerfung der ganzen Insel. Tamornva schlug einen anderen Plan vor, mit dem sich der
433
junge Häuptling zuletzt einverstanden erklärte, und nun
alles in seinen Kräften Stehende tat, uni ihn auch rasch
und energisch durchzuführen.
Das abergläubische Volk nämlich sah in dem Raube
seines Götterbildes und besonders in der Tatsache, daß
sich dasselbe jetzt in den Händen der Feinde befand ein
böses Omen. Es glaubte, daß die Götter mit ihm zürn
ten, und es galt jetzt vor allen Dingen, das Bild wiederzuerhalten. Wollte Ramara Toa nachher wirklich Krieg
m, so konnte er ihn haben. M atangi Ao war aber fest
entschlossen, sich nicht freiwillig zu unterwerfen, sondern
seine Unabhängigkeit und seinen Glauben auf das hart
näckigste zu verteidigen.
Am frühen Morgen schickten indessen die Missionare
schon ein Kanoe nach dem Kutter hinaus, um sich dort
zu erkundigen, bis zu welcher Stunde er sie an Bord
nehmen und zur Abfahrt bereit sein könne, und erhielten
unmittelbar die Antwort zurück, daß sie sich nur ein
schiffen möchten, da der Führer des Kutters so weit mit
seinen Arbeiten vorgerückt sei, um das noch Fehlende
an Bord zu beenden. Er könne augenblicklich in See
gehen. Mr. Barter und sein Begleiter säumten denn
auch keinen Augenblick, von der Gelegenheit Gebrauch
zu machen, denn der Aufenthalt an Land fing an ihnen
unheimlich zu werden. Wie sie aber, von M r. Löwe begleitet, an den Strand hinuntergingen, um sich dort ein
zuschiffen, und ein Verabschieden von M atangi Ao dabei
nicht für nötig hielten, fanden sie den jungen Häuptling
schon an der Landung und gerade beschäftigt, sämtliche
vorhandene Kanoes an der einen Stelle zu sammeln.
Größere wurden mit Zwischenbäumen aneinandergeschnürt, um sie tragfähiger zu machen, und alles deutete
auf eine Rüstung, die seewärts unternommen werden sollte.
„Hallo, M itonares!" rief sie Matangi Ao an, als
die Weißen wohl sahen, daß sie ihm nicht mehr aus
weichen konnten und auf ihn zuschritten, „wohin so eilig?
I h r wollt doch nicht an Bord?"
F r. Gersiiicker, Die Missionare.
28
434
-k-
ÄÄW
drangt, um das vorgesteckte Ziel zu erreichen und auch
bringen"^"
^ g e n der christlichen Religion zu
„Den Segen?" sagte Matangi Ao bitter
^br iebt
wo l jetzt selber, welcher Segen für u n s hier daraus
entsprossen ist. Deine C h r i s t e n sind mit bewaffneter
Hand m unser Land gebrochen, haben das, was w i r
sur heilig halten, ohne daß wir ihnen in i h r e ni Glauben das geringste in den Weg legten, geraubt und zerwelche Folgen dieser unselige Zwist haben
wird, ist noch nicht abzusehen."
„ Ih r Habt wenigstens, wie ich fest überzeugt bin,
keinen unmittelbaren Teil an diesein Überfall gehabt,"
"wenn ich es n ic h t wäre, würde icb
euch mcht gegen den Haß der Meinen schützen Aber
die erste Veranlassung dazu habt ihr doch durch euer
Hierherkommen gegeben. Hätten wir euch nie gesehen
wir lebten m Frieden und Freundschaft nebeneinander,'
wahrend wrr letzt unsere Waffen vorsuchen und vielleicht
namenloses Unheil über das schöne Land bringen. Aber
es ist emmal geschehen; die Götter haben es so gewollt
und unter ihren Schutz stellen wir uns."
wenn du dich unter den Schutz des w a h r e n
Gottes stellen wolltest, Matangi Ao!" sagte Löwe be
wegt. Aber des Häuptlings Brauen zogen sich finster
zusammen.
" '
„Genug!" rief er aus, „übergenug! Gestern haben
wir g e s p r o c h e n , heute müssen wir handeln. Gebt
zurück m eure Wohnung. Ich habe den Platz mit tabu
belegt, damit ihr nicht von meinen Leuten belästigt werE rlaß t ihn nicht, denn wenn das junge
Volt die Kriegskeule in die Hand gedrückt bekommt,
—
435
wird es wild und rauh, und ich könnte euch für eure
Sicherheit nicht mehr einstehen."
„Wir wollen dir nicht mehr im Wege sein, Matangi
M r. Barter freundlich. „Wir sind gerade
,m Begriff, uns wieder einzuschiffen und die Insel zu
verlassen, und vielleicht gestattest du uns sogar, eines
lener Kanoes zu benutzen, die eben vorn Lande stoßen
um unser Fahrzeug zu erreichen."
„Es darf niemand jetzt das Ufer verlassen," sagte
M atangi Ao ruhig, aber ernst und bestimmt. „ Ih r habt
in euren Schissen unseren Feinden Feuerwaffen gebracht
und ihnen dadurch ein furchtbares Übergewicht über uns
gegeben, ^ h r inüßt jetzt die Folgen tragen, denn den
Kutter brauchen wir heute selber, um damit die MotnaBai zu erreichen."
„Aber er ist nicht unser Eigentum!" rief M r
Barter erschreckt, und M r. Löwe setzte rasch hinzu: „Er
gehört den Papalangis (Engländern), und du wirst
ihren Zorn auf dich herabziehen, wenn du ein Fahrzeug
nimmst, bas unter ihrer Flagge segelt. S ie sind groß
und mächtig und haben zahllose Schiffe."
„ D r o h s t du schon mit deinen Freunden?" sagte
M atangi Ao kalt, „aber sorge dich nicht. Ich will dein
Fahrzeug nicht b e h a l t e n , sondern nur borgen, und
die Kanoes rudern eben hinaus, um es vorderhand in
Besitz zu nehmen. Nichts von eurem Eigentum darauf
soll euch geschädigt werden, oder das geringste fehlen
wenn ihr es wieder betretet; aber jetzt b r a u c h e ich es,'
und eine weitere Einrede würde nichts an der Sache
ändern. Die Häuptlinge haben beschlossen es zu be
nutzen — es muß geschehen."
„Und willst du selber den Krieg in ein friedliches
Land tragen?"
„Bist du töricht?^ rief der junge Häuptling unwillig
aus. „Habe i ch die Feindseligkeiten begonnen oder
sie? Aber nicht einmal rächen will ich mich an Ramara
Toa. Ich weiß,, daß ihr ein Haus am Strande gebaut
28*
436
habt, in welchem ihr euren Gott verehrt; meine jungen
Leute haben strengen Befehl, es nicht zu schädigen. Nur
unseren Gott will ich mir wieder holen und den gewalt
sam erpreßten Tribut, um ihn denen zurückzuerstatten,
denen er geraubt wurde. Tue ich darin unrecht?"
„Ich wage das nicht zu behaupten," rief Mr. Löwe
aus, „aber darin tust du gewiß unrecht, daß du anderen
Inseln durch Zurückhaltung des Fahrzeuges so lange die
Verkündigung des Christentums entziehst."
„Das will ich verantworten," lächelte Matangi Ao;
„aber scheint es nicht gerade, als ob die Götter zu u n
s e r e ni Nutzen dein Fahrzeug hier in die Bai geführt
hätten, wo es doch da draußen, unter dem Schutze
e u r e s Gottes, in offener See schwamm und leicht sein
bestimmtes Ziel hätte erreichen können?"
„Des Herrn Wege sind uuerforschlich!" seufzte M r.
Barter, wirklich in Verlegenheit, etwas darauf zu er
widern, denn deni S c h e i n nach hatte der Wilde recht.
M atangi Ao achtete aber schon gar nicht mehr auf sie;
sein Auge hing an den Insassen der Kanoes, die sich eben
dem kleinen Fahrzeug näherten und daran emporkletterten. Aber er hatte umsonst befürchtet, daß ihnen
dort irgend welcher Widerstand geleistet würde. Die
Bemannung war auch dafür zu schwach und bestand noch
außerdem fast nur aus Einheimischen von Laua, und
doch hatten sie Waffen genug an Bord. M atangi Ao
aber, von dem Erfolg seiner Sendung vollkommen be
friedigt, wandte sich wieder den Missionaren zu und
sagte:
„Geht in euer Haus — verlaßt es nicht, wenn ihr
sicher fern wollt. Laßt auch die Frau nicht hinausgehen
oder eure Laua-Leute. Sie dürfen keinen Verkehr mit
den Meinen halten und noch viel weniger eine Botschaft
nach Motua-Bai tragen. Wer von ihnen draußen im
Walde betroffen wird, verliert sein Leben. Sage ihnen
das, Mitonare. Ich will kein Blut vergießen, denn Ramara Toa ist der Vater meines Weibes und der Groß-
—
437
—
Vater meines Sohnes: aber ich will auch nicht verraten
werden, ohne den Verräter zu züchtigen. Geht! Dort
kommen die Häuptlinge, laßt sie euch nicht hier finden.
Tamoruva ist unter ihnen, und ihr habt nicht recht an
dem Gatten seiner Tochter gehandelt. Geh!"
Er winkte ihnen dabei gebieterisch mit der Hand;
Löwe selber aber, der ihn genau kannte, sah ein, daß
er es wirklich gut mit ihnen meine, aber auch eine Wider
rede in dem, was er einmal angeordnet, unter keinen
ltniständen gestatten würde. Es blieb ihnen nichts übrig,
als sich der Gewalt zu fügen; den wilden Häuptling
Tamoruva fürchtete er auch vor allen anderen, und die
Hände der beiden Missionare ergreifend, schritt er mit
ihnen rasch der eigenen Wohnung zu.
Indessen strömten von allen Seiten bewaffnete Ein
geborene heran. Das Binnenwasser der Riffe wimmelte
von ihren Kanoes, und Löwe selber, der die Bai von
seinem Fenster aus überschauen konnte, hatte nicht ge
glaubt, daß dieser Distrikt so dicht besiedelt sei, oder
er begriff nicht, woher so plötzlich alle die streitbaren
M änner kamen.
So waren bis M ittag ungefähr zwölfhundert von
ihnen versammelt, die M atangi Ao jetzt in zwei Heer
haufen teilte. Zu derselben Zeit sandte er die beiden
Franzosen an Bord des Kutters, um diesen instand zu
setzen und zu augenblicklicher Abfahrt bereitzuhalten.
Große Kriegskanoes lagen nahe an zwanzig in der Bai,
und die kleine Flotte rüstete sich augenscheinlich zur Ab
fahrt. Aber M atangi Aos Plan war nicht etwa, einen
offenen Angriff auf Motua-Bai zur See zu wagen, denn
er wußte, welche verderbliche Wirkung die Feuerwaffen
Ramara Toas in dem Fall auf die menschengedrängten
Kanoes ausüben würden, sondern er war Tamoruvas
Vorschlag gefolgt, der ihnen durch List einen leichteren
Sieg verschaffen sollte.
Ungefähr vierhundert Mann wurden für die Fahrzeuge bestimmt, die andere Hälfte aber unter Tamoruvas
438
Befehl gestellt, der schon am frühen Morgen Boten oder
vielmehr Kundschafter auf dem Weg nach dem HupaiT al ausgesendet hatte. Diese aber bekamen den ganz
bestimmten Befehl, nicht etwa versteckt zu bleiben, son
dern sich dreist zu zeigen und nur zu fliehen, wenn sie
von einer größeren Macht angegriffen würden. Sie
bekamen auch zwei Gewehre mit, die sich noch in Matangi
Aos Besitz befanden, ebenso Munition, und einige der
Leute wußten so ziemlich damit umzugehen. Nur in
Selbstverteidigung aber sollten sie Gebrauch davon
machen, denn Matangi Ao wollte Ramara Toa nicht
etwa gegen sich erbittern, sondern weiter nichts als sein
Recht wahren.
Erreichten sie unbelästigt und ungehindert das Hupai-Tal, so sollten sie offen erzählen, daß Matangi Ao
mit all seinen Leuten hinter ihnen herkäme und die
Motua-Bai angreifen würde. Sie konnten sich dann fest
darauf verlassen, daß augenblicklich von den dort woh
nenden Christen Boten an Ramara Toa abgeschickt wür
den, um ihn zu Hilfe zu rufen, und weiter verlangte
M atangi Ao nichts. Dann lief seine Flotte ungehindert
rn Motua-Bai ein, und er durfte hoffen, den Streifzug
auszuführen, ohne einen Speer zu schleudern oder eine
Keule zu heben.
Noch während dieser Plan entworfen wurde, ruderte
der französische Zimmermann in einem Kanoe an Land
und meldete Matangi Ao, daß sie au Bord des Kutters
einige zwanzig Gewehre und eine kleine Kanone mit
Munition gefunden hätten, von denen die Leute behaup
teten, daß sie die Waffen nur mit sich führten, um sich
zu verteidigen, wenn sie von irgend einer der verschiede
nen Inseln überfallen werden sollten.
M atangi Aos Augen leuchteten, als er die gute
Kunde hörte.
„Was tun die Mitonares mit den Gewehren?"
fragte er. „Sie haben oft und oft erklärt, daß sie nur
439
mit dem guten Buche kämpfen. Wollen sie die Waffen
an Ramara Toa bringen?"
„Matangi Ao," sagte der Franzose, „bei den Papalangis und Feranis (Franzosen), wie bei allen christ
lichen Völkern ist es Sitte, daß, wenn ein Volk mit dein
anderen in Krieg liegt, nicht einmal die Schiffe anderer
Nationen Waffen oder Munition dein Feinde zuführen
dürfen, und was sie solcher Art finden, nehmen sie ein
fach weg."
„Ist das S itte bei den Papalangis?" rief der Häupt
ling rasch.
„Gewiß; frage wen du willst darüber; die Mitouares selber müssen das bestätigen."
„Gut," nickte M atangi Ao vergnügt vor sich hin,
„sehr gut. Das ist recht. Die Papalangis können dann
nichts dagegen sagen, wenn ich es ebenso mache. Der
Kutter gehört nicht uns. Wir geben ihn den Mitonares
zurück, sobald unsere jungen Leute nach Tuia zurück
gekehrt sind, aber die Gewehre behalten wir. Die Mitonares brauchen keine Waffen. Wir führen keinen
Krieg mit ihnen. Nimm sie, und wenn das Fahrzeug der
Fremden hier nach Tuia zurückkommt, so mögen unsere
Kanoes sie gleich an Land schaffen."
Damit war die Sache erledigt, und Tamoruva, den
es auch drängte, seine Heimat zu erreichen, um zu sehen,
ob Ramara Toa gewagt habe, Hand an diese zu legeu,
brach jetzt mit seinen Mannen auf, da er zuerst au O rt
und Stelle eintreffen mußte, um eben den Feinden Gelegenheit und Zeit zu geben, ihm entgegenzugehen. Die
Flotte jedoch sollte erst nach Dunkelwerden aufbrechen,
denn mit der in der Nacht wehenden Landbrise konnten
sie den kleinen Kutter prächtig an die Ostspitze der Insel
führen, und von dort hatten sie nachher den Passat zu
ihren Gunsten und mochten die Einfahrt in die Riffe
der Motua-Bai mit Leichtigkeit erreichen, ehe die dor
tigen Bewohner gewarnt und gerüstet waren.
440
M atangi Ao begleitete Tamoruva, da ihm selber
noch Zeit genug blieb sich einzuschiffen, bis zu der näch
sten Höhe, wo jene Felsenkuppe lag, von der man das
T al überschauen konnte. Daß keine Feinde mehr in der
Nähe waren, wußte er schon von ausgesandten und zu
rückgekehrten Kundschaftern: aber dort der Punkt be
herrschte den einzigen Paß, der nach der Bai hinüber
fü h rt, und dort hatte der Häuptling beschlossen, eine
Verschanzung anzulegen. Wurden sie mit ihrem geteil
ten Heer von den weit stärkeren Feinden wirklich arg
bedrängt, so konnten sie bis zu diesem Punkt nicht allein
zurückfallen, sondern ihn hier auch aufhalten, bis die
Kanoes von ihrem Zuge heimkehrten, und dann — mochte
der Schlachtengott entscheiden, wer von ihnen siegreich
aus dem Kampf hervorgehen solle. Wollte Ramara Toa
unter jeder Bedingung Krieg, dann freilich konnte Matangi Ao es nicht vermeiden, sich ihm zu stellen, aber auf
des Königs Haupt fiel dann auch die alleinige Schuld
eines Bruderkrieges, dessen Ende entscheiden mußte, wer
von ihnen künftig M otua regieren solle.
Während sich Tamoruva gar nicht aufhielt und rasch
mit den Seinen in das sich hier öffnende T al hinabstieg
— blieben zwei Krieger zurück, alte Leute, die doch keine
schwere Keule mehr schwingen konnten, um die Schanz
arbeiten zu leiten, und darin besaßen die Insulaner,
noch von früheren Kämpfen her, keine unbedeutende
Geschrcklichkeit. Gerade vor dem Felsen befand sich ein
kleines Plateau, das vortrefflich zu dem Zweck paßte und
an zwei Seiten schon von der N atur unangreifbar ge
macht worden war. An den beiden anderen Seiten steckte
M atangi Ao selber einen vier Schritt breiten Graben
ab, der ausgeworfen werden mußte, und an diese Arbeit
gingen die Frauen, während die Knaben in den Wald
geschickt wurden, um teils Bambus herbeizuschaffen, teils
Palisaden abzuhauen, die dort nachher eingerammt wur
den und mit spitzen, ausgestoßenen Bambusstäben ein
Erklettern derselben unmöglich machten; Buschwerk sollte
441
ebenfalls herbeigeschleppt werden, nm den Weg, sobald
die Freunde zurückkehrten, vollständig zu verrammeln,
und es war damit alles geschehen, was für den Augen
blick nur möglich schien, um sich auch für den ungünstig
sten Fall den Rückzug gedeckt zu haben.
Als das geordnet, kehrte M atangi Ao nach der Bai
zurück, und jetzt begann das Bemannen der Kanoes, das
mit einer diesen sonst so lässigen Menschen gar nicht eige
nen Energie betrieben wurde. Wie alle in das Land
führenden Pfade besetzt waren, so hüteten auch hier zwei
Kanoes, das eine die Passage der Außenriffe, das andere
den Kanal, der in den Binnenriffen hinführte, so daß
die Bewohner der Motua-Bai von keiner Richtung her
Nachricht über den ihnen bevorstehenden Angriff erhalten
konnten. M it solchen Sicherheitsmaßregeln konnte M a
tangi Ao den Angriff getrost wagen, und es kam jetzt
nur alles darauf an, daß auch Tamoruva feine Pflicht
genau erfüllte und Ramara Toa glauben machte, der ganze
Heeresstoß von Tuia sei auf dem Landweg im Anrücken,
um die Schmach des Götterraubes zu rächen und das ent
wendete Bild wieder zurückzuerobern. Darin konnte sich
M atangi Ao aber auf den alten Häuptling verlassen.
Tamoruva war gerade der Mann dazu, das richtig und
geschickt auszuführen.
29.
Der Überfall in M otua-B ai.
I n Motua-Bai herrschte indessen wilder Jubel, denn
der ausgesandte Streifzug war sieg- oder wenigstens er
folgreich aus dem Innern zurückgekehrt. Und nicht
allein in Tuia hatten sie den Götzentempel zerstört, nein
auch im Hupai-Tal, als sie vorüberzogen, die dort auf
gestellte Karikatur eines Gottes, einen nichtswürdig ge-
412
schnitzten oder vielmehr verhauenen und mit Federn geschmückten Holzklotz, niedergeworfen und mitgeschleppt.
Wenn auch dort die Bewohner des Tales ihre Waffen
aufgriffen und sich zusammenscharten, fehlte ihnen doch
der Führer, ihr alter Häuptling Tamoruva, und der
Trupp der Feinde war zu stark und zu gut bewaffnet,
um ihnen auch nur die Möglichkeit eines Sieges zu
sichern.
So zog der Schwärm im Triumph nach der Bai
hinunter, und Mr. Fremar erschrak nicht wenig, als er
noch vor Tag von einer Bande heulender und jauchzen
der Wilder geweckt wurde, die ihm zuschrien, hinunter
zu Ramara Toas Hütte zu kommen und die Beute zu
betrachten, die sie mitgebracht hätten. Er säumte aller
dings nicht, dem Rufe Folge zu leisten,sorgte sich aber mehr
als er sich freute, da er die scheußlichen, an Bastseile ge
bundenen und hier heruntergeschleiften Götzenbilder er
kannte, denn wohl konnte er sich denken, daß diese nicht
freiwillig ausgeliefert seien, und was mußte dann einem
solchen Gewaltakt folgen?
Fremar war überhaupt seinem ganzen Wesen nach
ein ruhiger, leidenschaftsloser Mann, der allerdings aus
wirklicher Überzeugung das Christentum predigte, aber
auch nie seine Einwilligung zu einer Gewaltmaßregel
gegeben haben würde, die es dem Volke Wider dessen
Willen aufnötigte. Dabei konnte ihm nicht verborgen
bleiben, unter welchen Umständen die Bewohner dieses
Distriktes die geschnitzten Bilder erhalten hatten, denn
sie prahlten laut genug untereinander über ihren er
folgreichen Zug. Als er aber Ramara Toa Vorstellun
gen darüber machen wollte, lachte dieser nur und meinte,
die Mitonares hätten ihm ja lange genug in den Ohren
gelegen, die Götzenbilder zu entfernen — jetzt fei es
geschehen. Gutwillig hätten sie aber die „Heiden" nicht
herausgegeben, und da sei ihm denn nichts anderes übrig
geblieben, als sie eben mit Gewalt zu nehmen — was
e r sich nur darüber zu beklagen habe?
443
Fremar beruhigte sich übrigens, als er hörte, daß
kein Tropfen Blut dabei geflossen sei. J a , konnte das
nicht gerade den hartnäckigen Götzenanbetern als ein
Zeichen gelten, daß die Macht ihrer Götter vorüber sei
und sie sich nun dem wahren Glauben beugen niüßten?
Überdies war an der einmal geschehenen Sache
nichts zu ändern, und Fremar jetzt nur besorgt, daß der
rücksichtslose Einfall in das Tuia-Land dem dort gerade
anwesenden Mr. Löwe verderblich geworden sein könne.
Ram ara Toa schien seine Besorgnis aber nicht zu teilen
oder sie wenigstens entsetzlich leicht zu nehmen.
„Mitonare „Loa" hatte ja," wie er meinte, „seinen
Gott, der ihn beschützen konnte, da er stets behauptet, daß
er viel stärker und mächtiger wäre als alle Götzenbilder
der Insel. Der würde ihn schon bewahren. Und dann
wage auch M atangi Ao nichts gegen ihn zu unternehmen,
denn er habe jetzt an ihn, den König, Tribut bezahlt,
und wisse deshalb Wohl, daß er niemanden schädigen
dürfe, der unter s e i n e m Schutze stehe. Hätte er aber
den Mitonare wirklich erschlagen, dann müßte er wenig
stens zehn Ballen Gnatu und fünfzig feine Matten als
S trafe zahlen — Mitonare Fremar möge sich deshalb
vollkommen beruhigen; es fei alles in Ordnung."
Daß aber Ramara Toa diesem Frieden, von dem
er jetzt so fest überzeugt schien, selber nicht so ganz traute,
bewies schon die Vorsicht, mit welcher er die Kund
schafter bis nahe an das Hupai-Tal vorgeschoben, um
augenblicklich Nachricht zu erhalten, wenn sich irgend
eine verdächtige Bewegung unter den „Feinden" zeige.
Er kannte Tamoruvas Jähzorn — aber er fürchtete ihn
nicht mehr, denn er wußte, welches Übergewicht ihm
seine neuen Feuerwaffen gaben.
Das war nicht mehr der alte frühere Kampf, wo
Mann an Mann, die Keule in der Faust, sich im Streite
begegnete und zu vernichten suchte, und einzelne tapfere
oder starke Männer Tod und Verderben in die feind
lichen Reihen streuten. Jetzt hatte sich das geändert. Ein
444
einziges Stückchen Blei, aus sicherer Entfernung abge
schossen, machte einen solchen „Tapferen" völlig unschäd
lich, und es wäre nach Ramara Toas Meinung reiner
Wahnsinn gewesen, wenn die Tuianer je gewagt hätten,
ihn, der mit solchen Waffen versehen, anzugreifen. Matangi Ao war dazu viel zu gescheit, und fügte er sich gut
willig, so beschloß Ramara Toa auch, auf das huldvollste
mit ihm zu Verkehren, und ihn den langen Trotz, mit
dem er sich geweigert, seine Oberherrschaft anzuerkennen,
nicht entgelten zu lassen.
Der Tag verging in einem einzigen großen Fest
mahle, an dem alle versammelten Krieger teilnahmen. —
Die beiden Götzenbilder hatte man indessen unmittelbar
neben der Stelle, wo gewöhnlich die Beratungen ge
halten wurden, und dicht am Strande hingeworfen, um
dem Volke zu zeigen, wie verächtlich sie seien, und wie
wenig sie sich selber schützen könnten.
Bruder Fremar hielt allerdings die Gelegenheit für
passend, in einer kurzen Predigt zu ihnen zu sprechen
und ihnen dabei zu sagen, welchen großen Fortschritt sie
heute auf dem Wege des Heils durch völlige Unter
drückung des Götzendienstes gemacht hätten, aber er fand
doch weit weniger Aufmerksamkeit, als er erwartet, denn
die Leute waren noch zu aufgeregt von dem gestrigen
Zuge und fühlten sich nicht einmal ganz fest davon über
zeugt, ob sie wirklich nur in dem Sinne gehandelt hät
ten, den ihnen der Mitonare heute unterlegte. Sie
waren nur dem Befehl Ramara Toas gefolgt — den
Grund mußte dieser am besten wissen — was sollten sie
sich deshalb den Kopf zerbrechen.
Berchta hatte sich von dem lärmenden Mahl, dessen
Ursache sie tief betrauerte, weil sie böse Folgen davon
fürchtete, gänzlich zurückgehalten. Klaus aber interessierte
sich um so mehr für die riesigen Götzenbilder und konnte
nicht aufhören, sie zu betrachten. Als er aber erfuhr,
daß sie am nächsten Morgen — einem Sabbat — zur
Feier des Höchsten und unter allgemeinem Gebet der-
445
brannt werden sollten, nahm er einen Moment wahr,
wo sich das Volk nicht um die Klötze bekümmerte, holte
sein altes Taschenmesser hervor, an dem sich auch eine
kleine Säge befand, und sägte sich von dem Tuia-Gott
vorsichtig die Nase herunter, die er zum Andenken auf
zuheben beschloß. Er hatte doch im Herzen die Hoff
nung nicht ganz aufgegeben, noch einmal nach dem
Schölfenstein zurückzukehren, und wenn er dann unten
im Wirtshause von Rothenkirchen einen solchen Beleg
seiner Erzählungen beibringen konnte, so mußte das
jedenfalls einen sehr günstigen Eindruck machen.
Seine Operation gelang ihm auch vollständig, ohne
daß er von jemandem dabei beobachtet worden wäre.
Er steckte die erbeutete Nase ruhig in die Tasche und
schlenderte nach dem Berg zurück. Unterwegs aber über
legte er sich, daß er seiner jungen Herrin doch lieber
nichts davon sagen wolle; er wußte eben nicht, wie sie es
aufnehmen würde. War über die Sache erst einmal Gras
gewachsen, so ließ sich schon eher von seiner Beute reden.
So viel stand übrigens fest, das Gesicht des Götzen
war durch diese Mißhandlung nicht schöner geworden,
und da man an dem dunklen Holz den frischen Schnitt
kaum bemerkte, so bot das Antlitz jetzt eine breite, aus
druckslose Fläche, aus dem, ordentlich geisterhaft, ein
P aar Weiße Glasperlen hervorstierten, die man ihm
früher als Augen eingesetzt.
Das Gelage nahm indessen seinen Fortgang, und be
sonders hatten sich die Häuptlinge dem Genusse ihrer
Ava-Wurzel wieder hingegeben, dein sie, trotz allen Ein
reden der Missionare, unter keiner Bedingung entsagen
mochten. Es war das, wie Ram ara Toa, und vielleicht
mit Recht, behauptete, kein heidnischer Gebrauch, sondern
eine alte Landessitte, ohne jede abgöttische Bedeutung,
und hatte deshalb auch mit der neueil Religion gar nichts
zu tuii. I n der Bibel stand überhaupt nichts von AvaWurzel. Um die Götzenbilder draußen am Strand
kümmerte sich dabei niemand, und nur vor Ramara Toas
446
- -
Wohnung war der eingebrachte T r i b u t als stolzes
Siegeszeichen aufgehäuft. Galt er doch den Eingebore
nen als ein Beweis der Unterwerfung Matangi Aos,
da diesem, durch ein allerdings praktisches Beispiel, klar
gemacht worden, daß er künftig zu der vom König be
stimmten Zeit das Verlangte gutwillig zahlen müsse, wenn
er sich nicht dem wieder aussetzen wolle, daß es sich Ramara Toa jedesmal mit Gewalt hole.
Daß Matangi Ao wagen könne, Gewalt mit Gewalt
zu vertreiben, fiel ihnen nicht ein, denn sie wußten, daß
er nur höchstens eine oder zwei alte Musketen in Besitz
hatte; was also konnte er gegen sie ausrichten? Er
mußte sich eben in das Unvermeidliche fügen.
Ramara Toa schwelgte in dem Vollgenuß eines er
rungenen Sieges, denn die Ava-Wurzel, aus welcher ihr
Getränk heute bereitet worden, war aus dem einge
brachten „Tribut" genommen, und er besprach eben mit
seinen Häuptlingen den nächsten Zug, den er über die
ganze Insel nehmen wolle, als ein Bote eintraf, der
dem König meldete, daß Leute von Tuia bis nach der»
Hupai-Tal vorgedrungen wären und man dort behaup
ten wolle, M atangi Aos ganze Kriegsmacht wäre im
Anzug, um Rache zu nehmen.
Ramara Toa lachte; der Gedanke war zu absurd,
denn Matangi Ao würde jedenfalls eine Woche gebraucht
haben, um sich nur zu rüsten, vielmehr denn einen An
griff zu wagen. Mehr und mehr aber folgten, die das
nämliche bestätigten, und endlich — die Sonne war
schon lange untergegangen und Fackeln brannten rings
am Strande — kam Salo, ein auf der ganzen Insel
berühmter Läufer, der die größten Entfernungen in
einer kaum denkbar kurzen Zeit durchmaß, und von dem
die Eingeborenen auch behaupteten, daß er in der Nacht
im Walde ebensogut sehen könne wie am Tage.
Es ist überhaupt merkwürdig, wie rasch auf allen
diesen Inseln, und oft durch die unwegsamsten Strecken,
Botschaften ausgerichtet werden; und ist etwas Wichtiges
447
zu erfahren, so besteht, auf Anordnung des Häuptlings,
ein förmliches System, nach welchem Wechselboten aus
gestellt werden, die, so rasch ein Mensch überhaupt lau
fen kann, von einem zum anderen die Worte tragen
und dann den Posten behaupten, bis eine Rückantwort
erfolgt, die sie dann ebenfalls wieder in voller Flucht
weiterbringen.
Der Bursche war vollständig atemlos und meldete,
daß er vor dem Hupai-Tal im Hinterhalt gelegen habe,
als er drüben über dem See einen Menschenschwarm ent
deckte, der näher und näher kam. Er glitt jetzt nach
Hupai hinein, und da es schon dunkel wurde, mischte
er sich unter den Schwärm, wo er Tamoruva und viele
Häuptlinge von Tuia erkannte. Wie viel Krieger es
gewesen seien, konnte er nicht sagen — weit über tau
send gewiß, aber er hörte allerorten, daß sie direkt auf
die Motua-Bai marschieren wollten, um den Platz zu
erobern. Da habe er sich fortgeschlichen, aber er sei über
zeugt, daß sich die ganze Schar schon aus dem Weg hier
her befinde.
Diese Kunde ließ keinen Zweifel mehr, daß Matangi
Ao selber im ersten Zorn, oder vielleicht durch den toll
kühnen Tamoruva aufgehetzt, einen augenblicklichen
Rachezug beschlossen habe, um die Feinde bei ihrem
Siegesmahl zu überraschen. Das sollte ihnen aber übel
bekommen. War der Schwärm wirklich so stark, wie Salo,
einer der zuverlässigsten Boten, meldete, so brauchten
sie keine Gefahr von der Seeseite her zu befürchten und
konnten deshalb ihre Macht dem Lande zuwenden.
Übrigens glaubte Ram ara Toa selber nicht, daß er nur
die Hälfte seiner Leute nötig habe, um die rebellischen
Tuianer zu züchtigen. Sobald er nur ein einziges Mal
seine sämtlichen Gewehre gegen sie abschoß, war an ein
Standhalten von ihrer Seite gar nicht mehr zu denken,
Und es galt deshalb nur, ihnen noch womöglich heute
nacht zn begegnen und mit Tagesgrancn die Lust vor
weiterem Vordringen zu benehmen.
448
Das alles mußte so rasch wie irgend möglich abge
macht werden, denn morgen, als an einem Sabbat, wollte
er nicht gern eine Schlacht liefern — sobald er nicht
dazu gezwungen wurde, und überdies war ja auch gerade
auf morgen die große Feierlichkeit angesetzt, bei welcher
die Götzenbilder verbrannt werden sollten.
Die Muschelgongs riefen im Nu die am Strand hin
ab lagernden Krieger zusammen, die noch geladenen Ge
wehre standen in langer Reihe an einem besonders da
für aufgerichteten Gestell in Ramara Toas eigener Woh
nung, während daneben die kleine Kanone aufgefahren
worden war und ein Schutzdach bekommen hatte, da
mit ihr der Regen und Nachttau nicht schaden könne.
Ramara Toa war anfangs im Zweifel, ob er sie
mitnehmen solle; aber der gerade dorthin neu gemachte
Weg begünstigte das besonders, und wenn sie die Ka
none auf passendem Terrain aufstellten und sich rings
umher in den Hinterhalt legten, so mußten ihnen die
Tuianer gerade in die Fänge laufen. Dort nachher eine
einzige Salve in den Schwärm hineingefeuert, und der
Feind brach jedenfalls in wilder Flucht auseinander,
während sie zugleich nicht so weit vom Strand entfernt
blieben, um, falls sich über Tag feindliche Kanoes zeigen
sollten, augenblicklich bereit zu sein, einen Teil ihrer
Streitkräfte hierher zurückzuwerfen.
Ramara Toa entwickelte hierbei eine ganz unge
wohnte Tätigkeit, und als Fremar, der von dem Zuge
gehört hatte und herunterkam, Einspruch dagegen tun
wollte, daß die Krieger noch so spät am Sam stag abend
auszögen und dann sicher den Sabbat brechen müßten,
erwiderte er ihm ruhig, er solle sich nicht um Dinge
kümmern, die ihn gar nichts angingen. Er, der König,
habe für die Sicherheit seines Landes zu sorgen und es
hier mit Heiden zu tun, die sich den Henker um den
Sabbat sorgten. Es stände aber nirgends geschrieben
— er wisse wenigstens nichts davon — daß man sich am
Sabbat solle ruhig totschlagen lassen. Sie zögen auch
nicht in den Krieg, sondern wollten nur das T al besetzen,
das den Eingang zu ihrer Heimat bilde, und außerdem
hofften sie zur Zeit des Gottesdienstes die ganze Sache
schon abgemacht und beseitigt zu haben.
Nach dieser Erklärung traf Ramara Toa seine An
ordnungen, und kaum eine Stunde später brachen die
Krieger nach dem Hupai-Tal auf, während etwa dreißig
von ihnen am Strand zurückblieben, um diesen zu be
wachen und bei irgend einer drohenden Gefahr augen
blicklich Boten in die Berge senden zu können.
Um Mitternacht lag die Motua-Bai still und öde.
Nur vor der Wohnung Ramara Toas brannte noch eine
trübe Fackel, da dort das Mondlicht nicht unter den
dichten Schatten der Bäume drang. Es war die Wache,
die nach der letzten Abendmahlzeit wieder Hunger be
kommen und noch einmal ein Ferkel gebacken hatte, um
von neuem zu beginnen. Es gab Lebensmittel im
Überfluß, weshalb sollten sie es sich da nicht wohl sein
lassen?
So saßen sie und aßen und tranken bis Wohl um
zwei Uhr; zuweilen wurde auch einer von ihnen auf den
Felsenvorsprung gesandt, wo Fremars Wohnung stand,
um zu hören, ob der zwischen den Orangenbäumen auf
gestellte Posten nirgendwo ein Kanoe entdeckt hatte. So
weit aber das Auge in der hellen Mondennacht reichte,
lag alles still und tot, und nur der Schrei einer einzelnen
Möwe tönte dann und wann von der See herüber.
Die Wache droben war auch in der warmen Luft
und kühlen Brise und mit dem wunderbaren Duft der
Orangenwipfel angenehm genug. Ob aber das mono
tone Donnern der Brandung oder das leise Flüstern der
Palmenwipfel so einschläfernd wirkte — spät war es
auch geworden — der Posten oben lehnte sich mit dem
Rücken an den einen Palmenstamm, das Antlitz der
See zugekehrt, bis der Mann endlich so müde wurde, daß
er die Augen nicht mehr aufhalten konnte. Er fing an
F r. G -rstiick er, Die Missionare.
29
450
zu nicken — ermannte sich wieder, stand auf und ging
ein paarmal auf und ab, aber die kühle Morgenluft
wehte frisch auf der Höhe, den Posten fing es an in
seinem dünnen und taufeuchten Gnatumantel zu frösteln.
Er legte sich wieder auf seinen alten Platz nieder und
war kaum zehn Minuten später fest und süß einge
schlafen.
So mochte er etwa zwei Stunden gelegen haben —
am Strande herrschte Totenstille, und im Osten stieg
eben der Morgenstern über dem Horizont empor, wäh
rend im Süden, hoch am Himmel und gerade aufge
richtet, das südliche Kreuz im Zenit stand, als an dem
Felsen vorüber der Missionskutter, seine Segel in der
frischen Brise gebläht, vorüberglitt und hinter ihm und
zur Seite ein dunkler Schwärm von Kanoes mit hell
braunen Mattensegeln ihn begleitete. Jetzt hatten sie
die Einfahrt in die Riffe erreicht, die Hunderte auf den
Fahrzeugen genau kannten — jetzt schössen sie in die
Bai, hielten den Kanal und zogen gegen die Ebbe, aber
von der scharfen Brise getrieben, gegen das Land an.
Kein Laut wurde am Strand gehört — kein Auge
hatte den anrückenden Feind gesehen. I n vollkommener
Sicherheit und müde von der unruhigen Nacht und dem
langen Gelage schlummerten die Wachen.
Die Kanoes trauten aber dem Frieden doch nicht
recht, denn sie konnten sich nicht denken, daß man sie nach
dem Überfall in Tuia so sorglos heranlassen würde, ohne
Vorbereitungen zu hartnäckiger Verteidigung getroffen
zu haben. Vier oder fünf nur landeten geräuschlos ihre
Mannschaft, oder die Eingeborenen stiegen vielmehr noch
in ziemlich tiefem Wasser aus und blieben dort stehen,
bis die jetzt leeren Fahrzeuge zum Kutter hinüberge
fahren waren, um von dort Matangi Ao mit den beiden
Weißen und den übrigen, sämtlich mit Schießwaffen ver
sehenen Eingeborenen abzuholen. Jetzt mit diesen vor
an, unter deren Schutz sie sich vollkommen sicher fühlten,
schob sich die ganze Flotte dem Ufer zu, an dem sie sich
—
451
—
ausbreitete, bis sie die Landung vollständig in Anspruch
nahm. Und hier nun, während in jedem Kanoe ein
ältann, in den größeren zwei M ann zurückblieben, um sie
wenn gebraucht, rasch bei der Hand zu haben, sprangen
die Krieger in die seichte Flut und wateten an Land.
konnte natürlich nicht geräuschlos ge
schehen, denn das Plätschern im Wasser von Hunderten
wenn sie sich auch soviel als möglich in acht nahmen,'
mußte Lärm machen. Die Leute hatten auch auf den un
gleichen Korallen keinen sicheren Fußhalt, und bald da
bald dort stolperte einer von ihnen.
Unmittelbar am Strande, in ihre Gnatumäntel
gewickelt, lagen die Wachen in festem Schlaf, als der
eine von ihnen den Kopf hob und sich auch im nächsten
Moment überrascht, erschreckt emporrichtete. Er hatte
aber gerade so tolles Zeug geträumt, daß er Wachen und
üar nicht voneinander zu trennen wußte.
Der Mond war untergegangen; nur die Sterne gössen
ihr mattes Licht auf den Weißen Korallensand, und dort
wimmelte es von Gestalten. Wo kamen die her? Wer
war es? Ram ara Toa mit den Seinigen? Aber hatten
die sich nicht in das Hupai-Tal gewendet?
„Tschoih!" schrie der Wilde, emporspringend, als
die Wahrheit des Gesehenen dämmerte,
„Dschoih! und erschreckt fuhren die übrigen Wachen
empor, aber e i n gellender Aufschrei brach ihnen von
den Lippen der Feinde entgegen — der Schlachtschrei
der Tuianer, und im nächsten Augenblick verschwand der
weiße Korallensand, denn eine dunkle Wolke vorsprin
gender Krieger deckte ihn. Dem aber konnten die ver
einzelten Motua-Krieger natürlich nicht standhalten.
Sie waren hierher postiert, um beim Nahen der Feinde
den Alarm zu geben, nicht aber, um einer ganzen Armee
^ e n , und mit dem W arnungsruf: „Tschoih!
vl
' ^nchen sie, wie sie die Gefahr erkannten, rück
sichtslos selbst gegen ihre Gliedmaßen, zwischen die am
stran d e stehenden Pandanus' und Kasuarinen hinein,
7
^ * 7
482
-
um nur so rasch als irgend möglich den schützenden Wald
zu erreichen und dort ein sicheres Versteck zu finden.
Aber der Schrei pflanzte sich fort. Das Kriegsgeheul der Feinde war in die entferntesten Hütten ge
drungen, die Herzen der Hörer mit Angst und Entsetzen
füllend. Die Frauen rafften ihre Kinder auf und flohen
in das Dickicht, die alten Männer krochen scheu in irgend
ein Versteck, ihr ganzes Eigentum den Siegern preis
gebend, und nur um Einuas Wohnung scharten sich die
ihren Haushalt bildenden Mädchen, aber auch mehr, um
bei ihr Schutz zu suchen, als sie selber zu schützen.
Wie ein Bienenschwarm ergossen sich jetzt die Tuianer
über das Land, um nur vor allen Dingen ein paar Ge
fangene zu machen und von diesen zu erfahren, wohin
die Bilder ihrer Götter geschafft wären, als ein Teil
der Wilden auf die im Wege liegenden Holzklötze stieß
und den Fund mit einem Freudenschrei den übrigen
kündete.
Matangi Ao war ganz in der Nähe und gab augen
blicklich Befehl, die Bilder ohne Aufenthalt in zwei
Kanoes zu tragen und an Bord des Kutters zu schaffen,
um erst das in Sicherheit zu bringen, was sie vor allem
übrigen hierher geführt.
Jetzt galt es nur noch die Ehrensache, den durch
Zwang erhobenen Tribut wieder zurückzuholen, und von
den ausschwärmenden Tuianern, die aber strengen Be
fehl hatten, von ihren Waffen nur im äußersten Notfall Gebrauch zu machen, waren auch indessen drei Ge
fangene eingebracht worden, die so fest geschlafen haben
mußten, daß sie selbst das Kriegsgeheul der Feinde nicht
gehört.
Die armen Teufel zitterten vor Todesangst und
mußten ganz vergessen haben, daß sie Christen geworden
waren, denn sie beschworen die Sieger bei allen Göttern,
ihnen nur das Leben zu schenken, da s ie ja an dem
Raub nicht den geringsten Anteil gehabt. Sie trauten
auch noch gar nicht, als man sie zu beruhigen suchte und
463
ihnen sagte, sie sollten nur Auskunft geben, wo der ge
stohlene Tribut untergebracht wäre, und nachher wieder
m Frieden gehen. Waren denn nicht die Tuianer herübergekommen, um ihre Hütten wegzubrennen und ihre
Weiber in Gefangenschaft zu schleppen? Nur das Ge
raubte hätten sie wiederholen wollen? Das ließ sich nicht
denken, denn es verstieß gegn alle Regeln der insulanischen Kriegführung, die in ihrem gedankenlosen Dreiben gewöhnlich alles zerstörte, was in die Hände des
Feindes fiel, und davon nicht einmal die a l l e n Menschen^Segen bringenden Fruchtbäume ausschloß.
Sträuben hätte den Gefangenen aber doch nichts
geholfen; sie mußten Wohl tun, was die Sieger von
ihnen verlangten, denn wenn sie auch wußten, daß jetzt
Boten genug nach Ramara Toa unterwegs waren, um
ihm den Überfall der Bai zu künden, so half i h n e n
das nichts. Ehe der König mit den Seinen zurückkehren
konnte, war i h r Schicksal entschieden, und das Beste
jedenfalls, den Feind soviel als möglich bei guter Laune
zu erhalten. Sie berichteten daher ohne Zögern, daß
die von T uia mitgebrachten Matten und Stücke von
Gnatu am vorigen Abend bei ihrem Feste ausgelegt
gewesen, dann aber, als der Zug in die Berge aufbrach,
in das Haus des Königs geschafft worden wären, wo sie
sich jedenfalls noch befänden. Erst als man ihnen befahl
dieselben herbeizuholen, gerieten sie außer sich, denn die
Wohnung des Königs war unter den selbst von den
christlichen Missionaren geheiligten tabu gelegt, und sie
verfielen der strengsten Strafe, ja vielleicht dem Tode,
wenn sie diesen brachen.
M atangi Ao wußte gut genug, daß sie darin die
Wahrheit sprachen. Er selber aber, vielleicht der ein
zige von allen, stand als naher Verwandter des Königs
nicht unter dem gefurchtsten Tabu, der ebensowohl den
Zorn des Häuptlings als auch den der Götter auf das
Haupt des Übertreters Herabrufen würde. Matangi Ao
besann sich deshalb nicht lange. Es war überdies besser.
454
daß er Ramara Toas Gattin, die M utter seines eigenen
Weibes, sprach, um ihr zu sagen, er sei nicht in feind
licher Absicht, nicht um Rache zu nehmen, nach der MotuaBai gekommen, sondern nur, um sich sein Eigentum
zu holen, das man ihm widerrechtlich geraubt. Er werde
nicht mehr als dieses oder dessen Wert nehmen. Das
mußte sie beruhigen, und Ram ara Toa erfuhr dann
gleich bei seiner Rückkehr, wie er mit ihm stand.
Ohne sich lange zu besinnen, schritt er, von einigen
seiner Häuptlinge gefolgt, um nicht vielleicht schutzlos
in einen Hinterhalt zu fallen, auf des Königs Woh
nung zu, in welcher die Mägde jetzt eine Anzahl von den
dort üblichen Lampen entzündet hatten?) Die Königin
war auf und angezogen, und stand, von ihren Diene
rinnen umgeben, mitten in der Hütte, als Matangi Ao
die leichte T ür zurückschlug und den Raum betrat. Die
Mägde drängten sich allerdings scheu aneinander, die
alte, würdige Dame aber, nicht im geringsten einge
schüchtert, denn die Lehre der Missionare hatte ihr Mut
gemacht, erkannte auch augenblicklich den späten Gast,
und wußte, daß sie für sich keinesfalls etwas von ihm zu
fürchten hatte.
„Was sucht M atangi Ao hier bei Nacht in dem Hause
des Königs?" rief sie aus. „Hat er Ia m s draußen im
Felde stehlen wollen und ist nur aus Versehen an den
falschen O rt geraten?"
Matangi Ao lächelte. „Wenn das wäre," sagte er
freundlich, „so müßte Ram ara Toa besser darin geübt
sein als ich, denn er fand bei uns die Aarns- und AvaFelder rasch und nahm heimlich mit, was er brauchte.
Doch nicht um mit dir zu streiten, Einua, bin ich hierher
gekommen, sondern nur um zurückzuholen, was mir RaD ie Lampe dieser In sel liefert allein die Kokosnuß. Die
Schale derselben wird zu der eigentlichen Lampe benutzt, den Docht
drehen die Bewohner aus den Fasern der Nußhülle, und das aus dem
Kern gewonnene Ö l dient als Brennmaterial.
465
mara Toa gestohlen: unsere Bilder und die Matten und
Bündel Gnatu, die ich hier neben der T ür liegen sehe.
Was er an Proviant fortgeführt, werden seine Leute
schon verzehrt haben; den Wert derselben führe ich in
Kanoes zurück."
„Gestohlen?" rief Einua heftig. „Wagst du von
deinem König so zu sprechen, M atangi Ao? Nur den
schuldigen Tribut, den du ihm verweigert, hat er fort
geführt. Rühre ihn nicht an; er steht unter dem Tabu
des wahren Gottes."
„Wir wollen darüber nicht streiten, Einua," lächelte
der junge Häuptling, „aber ich fürchte weder den Tabu
deines Gottes noch den Schwärm eurer Krieger, und will
Namara Toa mutwillig Tod und Verderben über unser
schönes Land heraufbeschwören, so soll er uns gerüstet
finden. Aber ich erkenne die Macht nicht an, die ihn
berechtigen konnte, von mir, dem Gatten seiner Tochter,
Tribut zu fordern. Wäre er zu mir gekommen und
hätte gesagt: „Ich brauche Matten und Gnatu, ich
brauche Aarns für meine jungen Leute, denn sie sind
hungrig," ich würde seine Kanoes damit gefüllt haben;
aber hinterlistig hat er uns überfallen und dabei das
Heiligste geraubt, was wir besitzen: die Bilder unserer
Götter. Ich hätte Rache dafür nehmen, ich hätte die
Hütten von Motua-Bai niederbrennen, die Kanoes zer
schlagen, die Bewohner gefangen mit fortführen können
— ich tue nichts dergleichen. Ich will keine Feindschaft
zwischen mir und Ramara Toa, schon Nalatas wegen,
die sich daheim grämt und abhärmt. Friede soll zwischen
uns herrschen und Freundschaft, aber keiner sei auch den:
anderen dienstbar und untertänig, denn Ramara Toas
Vorfahren, als sie die Motua-Bai eroberten, wagten nie
bis Tina vorzudringen."
„Das lügst du, Matangi Ao!" rief Einua heftig.
Ramara Toa hat mir oft erzählt, daß gleich in den
ersten Tagen nach Eroberung der Motua-Bai ein gan
zer Zug von Kriegern in der Tma-Bai gelandet wäre."
466
„Allerdings," nickte Matangi Ao, „aber nicht einer
von allen denen lenkte sein Kanoe wieder aus der Bai
— nicht einer lebte noch am nächsten Tage, um das
Schicksal der übrigen zu erzählen. S ie sielen a l l e
unter den Keulenschlägen der Tuianer, und seit der Zeit
hüteten sie sich Wohl, den Fuß in feindlicher Absicht an
unsere Küste zu setzen. Doch genug des Redens. Du
weißt jetzt Matangi Aos Botschaft. Künde sie an Ramara Toa."
„Und wenn du so großen M ut hast, weshalb er
wartest du nicht seine Rückkehr?" höhnte ihn Einua.
„Noch ist es möglich," sagte der junge Häuptling
ernst, „den Krieg von diesem Lande abzuwenden; noch ist
kein Blut geflossen, und da ich selber für das Geschehene
nicht Rache nehme, so darf Ramara Toa friedlich unter
feinen Brotfruchtbäumen weilen, denn kein Schaden ist
ihm geschehen. Nichts werde ich von hier mitnehmen
als das Geraubte. Sind wir uns aber erst einmal im
blutigen Kampf begegnet, dann wehe dem schönen Eiland,
denn e i n Leben fordert das a n d e r e , bis einer in
dem Kampfe erliegt. Rede ihm ab, Einua, rede ihm ab,
deiner Tochter wegen."
„Dann gehe fort, Matangi Ao," rief die Frau
heftig, „rühre hier nichts an, und ich will mit Ramara
Toa reden, ich will ihn bitten, daß er deinen Überfall
verzeiht. Er ist ein Christ, er wird mir folgen — aber
gehe fort!"
„Das will ich," nickte der junge Häuptling, „und in
einer halben Stunde schaukeln unsere Kanoes wieder auf
der blauen Tiefe; aber den Tribut nehme ich zurück, denn
Ramara Toa soll nicht sagen können, daß er sich von
Tuia Tribut geholt habe."
„Du bist verloren, wenn du dich ihm widersetzest!"
„Du kennst unser Volk nicht, Einua," lächelte M a
tangi Ao, „Nalatas Vater kennt es aber, und er wird
sich hüten, zum zweitenmal über die Berge zu brechen.
Aber wir haben keine Zeit zu verlieren. Da, Freunde!"
457
rief er, ein Stück Gnatu aufgreifend, das neben ihm auf
der Erde lag, indem er es den draußen auf ihn Wartenden ins Freie warf, „und da und da — hier sind die
Matten. So! Und nun fort in eure Kanoes! Lebe
wohl, Einua! Du wirst morgen finden, daß noch nie
ein friedlicherer Einfall in ein Land unternommen wurde.
Laß Ramara Toa das bedenken. Lebe Wohl!" Und aus
der Hütte tretend, rief ein scharf ausgestoßener Schrei
die Seinen wieder rasch zusammen und an die Landung.
Das funge Volk von Tuia hätte sich nun gern an
den verhaßten Motua-Leuten gerächt, denn nur zu oft
waren sie von diesen mit Hohn behandelt worden; aber
des Führers Befehl lautete zu streng. S ie d u r f t e n
nichts mit sich fortnehmen, wenn sie auch fast alle Hütten
am Strande verlassen fanden.
Die Götterbilder w a r e n schon eingeschifft; jetzt
wurde das von M atangi Ao zurückerbeutete Eigentum
der Tuianer eingeladen, und es fehlte nur noch ein Ersatz
für die geraubte Ava-Wurzel und die Aams; aber auch
hierin zeigte der junge Häuptling große Mäßigung.
„Nehmt das kleinste und schlechteste. Kanoe, das
ihr finden könnt," lautete sein Befehl, „nur eins, nicht
mehr; draußen in See mag es gegen die Riffe treiben
und zerschellen. Fort! Der volle Tag muß uns schon
aus Sicht dieser Höhen finden! An Bord!"
Ein reges Leben begann. Von allen Seiten ström
ten die Eingeborenen heran, ihren Fahrzeugen wieder
zu, die zu erreichen es einige Schwierigkeiten hatte, da
indessen die Ebbe vollständig eingetreten und ein großer
Teil der Landung von bis zur Oberfläche des Wassers
ragenden Korallen erfüllt war. Aber diese Menschen
wußten damit umzugehen, und wie nur erst Matangi
Ao mit der Bemannung des Kutters zurück an dessen
Bord geschafft worden, bemannten sie im Nu die Kanoes,
machten sie flott und trieben dann mit der Ebbe hinaus
aus dem Binnenwasser in die offene See. Als die Sonne
endlich über dem Meeresspiegel emporstieg, war kein
458
Fahrzeug mehr von Motua-Bai oder den benachbarten
Höhen aus in Sicht. Blau und ruhig lag der Ozean,
und nur die Möwen zogen ihren Kreisflug über den
Fluten.
30.
Ramara Tons Rückkehr.
Ramara Toa war indessen, in der Erwartung einer
Schlacht, kühn dem Feind entgegengezogen; aber es er.
folgte kein Angriff, ja ausgesendete Spione brachten
sogar die Nachricht, daß die Tuianer im vollen Rück
zug begriffen wären.
Was sollte das heißen? Was k o n n t e sie bewogen
haben, in solcher Zahl gegen ihn auszuziehen, wenn
sie nicht einmal in Sicht seiner Streitmacht kommen
wollten? Feigheit doch wahrlich nicht, denn Tamoruvas
Tollkühnheit war bekannt und gefürchtet. Hinterlist?
Ramara war, wie ihm nur der Gedanke kam, schon im
Begriff gewesen, rasch nach der Bai zurückzufallen, um
diese vor einer Überrumpelung zu bewahren, während
eine verhältnismäßig kleine Macht hier in den Bergen
genügte, um den Feind in den Schluchten aufzuhalten,
als die Kunde eintraf, daß M atangi Ao in der MotuaBai gelandet sei „und alles verwüste", wie der Bote hin
zusetzte.
Ramara Toa war außer sich, denn jetzt merkte er,
weshalb ihn der Feind in die Berge gelockt hatte: nur
um dann desto ungestörter den Strand plündern zu
können, und der alte Häuptling knirschte die Zähne
vor Wut zusammen, daß er sich auf so plumpe Weise
hatte überlisten lassen. Aber nun galt ja auch kein
Säumen mehr. Wie die wilde Jagd stürmten die I n
sulaner den Berg hinab — doch nur um zu spät zu
kommen, denn als sie den Strand erreichten, waren die
469
Kanoes schon lange aus Sicht, und der Platz lag, zu
ihrer aller Erstaunen, so still und friedlich als nur je.
J a die Frauen, die bald gefunden hatten, daß sie von
M atangi Ao nichts fürchten durften, kamen in ihrem
Sonntagsstaat herbei und schienen nur auf den Mitonare
zu warten, um der Predigt beizuwohnen. Hatten doch
Einuas Frauen unter ihren Bekannten das verbreitet,
was der junge Häuptling gesagt, und sie alle kannten
M atangi Ao. Sie wußten, daß er nie eine Lüge sprach.
Und jetzt sollte Ramara Toa eine Predigt hören,
wo ihm das Herz vor Ingrim m kochte, in seinem eigenen, ja im eigenen Haus aufs bitterste verhöhnt, und
gerade von dem verhöhnt zu sein, den er hatte demütigen
wollen, und mit dessen Unterwerfung er schon laut und
keck geprahlt! Und was k o n n t e er jetzt tun? Der
Sabbat gönnte ihm wenigstens eine günstige Ausrede,
heute zu rasten und die weiteren Schritte zu überlegen,
am Sabbat durste er doch nichts unternehmen, da er ja
seiner Aussage nach gerade für den Sabbat kämpfte.
Morgen sollte dann der freche „Rebell" für seinen Über
mut gestraft werden.
Fremar hatte allerdings in der Nacht den Über
fall der Feinde gehört und den Grund desselben auch
vermutet, sich selber aber natürlich sehr ruhig Verhalten,
und auch Klaus, der nicht übel Lust zu haben schien,
nachzusehen, was es da unten gäbe, daran verhindert.
Sehr zu seiner Bestürzung erfuhr er aber am an
deren Morgen, daß die Heiden die schon sicher geglaubten
Götzenbilder wieder mit sich fortgeführt, und Klaus be
sonders erschrak, wenn er an die Nase dachte, die er von
dem einen derselben noch in seiner Tasche trug. Was
würde das braune Volk dazu sagen, wenn es die Ver
stümmelung merkte, und konnte das nicht am Ende Ur
sache zu einem neuen Krieg werden? Er hatte auch
anfangs nicht übel Lust, M r. Fremar von seinem Raub
in Kenntnis zu setzen und ihn zu fragen, ob es nicht viel
leicht besser wäre, den Heiden, da sie doch nun einmal
460
die Figuren wieder hatten, auch die Nase nachzusenden,
entschloß sich aber doch bei weiterer Überlegung, die
Sache lieber auf sich beruhen zu lassen. J e weniger
davon gesprochen wurde, desto besser, und hübsch war
die Gestalt nun einmal nicht — mit oder ohne Nase.
So zahlreich waren diesmal die Bewohner des süd
lichen Teiles von Motua versammelt, daß die Kirche
gar nicht alle Zuhörer faßte, und Hunderte lagen noch
draußen im Freien, um wenigstens in der unmittel
baren Nähe von Gottes Wort zu sein. Ramara Toas
Herz erfüllten aber keine christlichen Gedanken, denn
ohne auf die Predigt zu achten, brütete er nur fort
während darüber, wie er sich am besten für die erlittene
Unbill rächen könne.
Wohl hatte ihm Einua M atangi Aos Botschaft aus
gerichtet und ihm gesagt, daß der junge Häuptling keinen
Krieg mit ihm wolle; aber daß er es nur gewagt, ihm
auf solche Art Trotz zu bieten, empörte seinen Ehrgeiz
bis zum Äußersten. So, während der Geistliche aus
seiner Kanzel von Friede und Versöhnung redete und
die Hoffnung aussprach, daß trotz aller Hindernisse der
wahre Glaube doch schließlich siegen und die Herzen der
blinden Heiden erweichen werde, brütete Ram ara Toa
finster vor sich hin über die Art und Weise, wie er
eben diese hoffnungsvollen Heiden am besten packen
und demütigen, oder, wenn es sein müsse, selbst ver
nichten könne; denn nicht einmal seiner eigenen Tochter
dachte er dabei.
Nach der Predigt legten sich die Eingeborenen in
den Schatten und ruhten sich aus. Irgend eine Beschäf
tigung durften sie ja nicht mehr am Sabbat vornehmen,
und Lebensmittel, bei so vielen Menschen, waren eben
falls knapp geworden. Die in Kanoes von der Küste
Angekommenen hatten sich allerdings Ia m s und Brot
frucht mitgebracht, aber alle die aus dem inneren Lande
blieben aus das angewiesen, was hier an der Bai wuchs,
und brachten dadurch die Bewohner derselben in nicht
—
461
—
geringe Verlegenheit. Mc. Fremar redete allerdings
auch dem König zu, die vielen Krieger am nächsten M or
gen wieder in ihre Heimat zu entlassen, denn nicht mit
Feuer und Schwert, sondern nur durch das Wort Gottes
werde der wahre Glaube am besten verbreitet werden.
J a , er ermähnte ihn sogar, sich nicht zu tollkühn in einen
Kampf zu stürzen, denn Matangi Ao habe jetzt bewiesen,
daß er kriegsgewandt sei und es ihm auch nicht an
persönlichem M ut fehle. Wende sich also einmal das
Glück der Schlachten zu seinen Gunsten, dann sei nicht
abzusehen, welche traurige Folgen das für die Mifsion
selber haben werde.
Ram ara Toa gab nur ausweichende und ziemlich
einsilbige Antworten: heute sei Sabbat — er wolle mit
seinen Häuptlingen reden und ihre Meinung hören —
der Mitonare solle sich keine Sorgen machen, i h m werde
nichts geschehen. Damit war die Sache vorderhand ab
gemacht.
Noch an dem nämlichen Abend aber lagerte Ramara
Toa mit den Angesehensten seiner Schar etwas weiter
unten am Strande, wo sie nicht so leicht gestört werden
konnten, um mit ihnen zu besprechen, was jetzt am
besten zu tun sei. Die Meinungen darüber waren ge
teilt, denn die Eingeborenen beunruhigte es, daß M a
tangi Ao eines der fremden Fahrzeuge im Besitz gehabt,
auf dem er natürlich rascher vorwärts kommen und auch
mehr Krieger verschiffen konnte als in einem Kanoe.
Wie leicht waren sie deshalb hier an der Bai seinen An
griffen ausgesetzt! Und woher hatte er das? Eine
der Wachen am Strande wollte den Missionskutter er
kannt haben, und das schien insofern wahrscheinlich, als
ihn M atangi Ao, auf einen Kriegszug ausgehend, leicht
konnte mit Beschlag belegt haben. Ramara Toa hätte
in einem ähnlichen Falle ebenso gehandelt. Feuerwaffen
konnten sie aber nicht besitzen, denn es war kein Schuß
gefallen, und ohne die vermochten sie ihnen auch nicht
die S tirn zu bieten.
462
—
Allerdings gab es unter der Versammlung noch
manche Friedfertige, die am liebsten jeden Kampf ver
mieden hätten. I n einen solchen Krieg wäre ja auch das
Hupai-Tal hineingezogen worden, und fast in jeder Hütte
dort lebten Verwandte und Freunde der Motua-Bai.
Wozu da ein Blutvergießen beginnen, das nur Elend
über Tausende brachte? Die Mehrzahl stimmte aber
trotzdem für Krieg, denn die Bewohner von Tuia hatten,
wie sie sagten, dem wahren Gott Trotz geboten, und
wenn sie das duldeten, so zürne er ihnen und brächte
sie in ewiges Verderben.
Die Fanatiker trugen denn auch, wie das gewöhnlich
der Fall ist, den Sieg davon, und mit der ausgehenden
Ebbe kurz nach Mitternacht — also nicht mehr am
Sabbat — beschlossen die meisten Häuptlinge, in ihre
verschiedenen Distrikte zurückzukehren, ihre Kriegskanoes
herzurichten, ihre Waffen instand zu setzen und dann die
Tuia-Bai mit vereinten Kräften zu Wasser und zu Land
an ein und demselben Tage anzugreifen. Sie wußten
sich an Mannschaft und Waffen den Tuianern überlegen
und zweifelten, mit dem neuen Gott zu ihrem Schutz,
auch keinen Augenblick an dem Sieg.
Als M r. Fremar am nächsten Morgen mit Tages
anbruch erwachte, war er sehr erstaunt, ein geschäftiges
Hämmern in der benachbarten Schmiede zu hören. Aller
dings hatte er schon verschiedene Insulaner in dieser
für sie so wohltätigen Kunst, das Eisen zu bearbeiten,
unterrichtet, und selbst Namara Toa hielt es manchmal
nicht unter seiner Würde, eine Hacke zu schmieden
oder einem Angelhaken die nötige Form zu geben, zeigte
sich in der T at auch gar nicht ungeschickt darin. Der
Eifer, mit dem die Eingeborenen aber arbeiteten, nach
dem der erste Reiz der Neuheit vorüber war, ließ sehr
viel zu wünschen übrig, und desto unerklärlicher war
es dem Missionar, daß sie heute plötzlich einen solchen
Fleiß entwickelten. Nachdem er sich rasch angezogen,
ging er hinüber und bemerkte zu seinen, Erstaunen Ra-
463
mara Toa selber, der an der Spitze seiner Leute im
schweiße seines Angesichts arbeitete.
„Was machst du, Toa?" rief ihn Fremar an, „war
um hast du mich nicht gerufen, daß ich dir helfen
konnte?"
„Das ist keine Arbeit für dich, Mitonare!" fagte
der König finster, „du bist ein Mann des Friedens —
wrr hier schmieden Werkzeuge des Krieges!"
„Lungenspitzen!" rief Fremar, als er schon einige
von ihnen ziemlich roh gehämmert, aber doch brauch
bar, am Boden liegen sah.
„Ei gewiß, Lanzenspitzen," lachte der König, „um
M atangi Ao damit zu überzeugen, daß er nicht unge
straft den Tabu von Ramara Toas Hütte brechen darf."
„Aber Lanzenfpitzen in dieser Werkstätte des Frie
dens," rief Fremar vorwurfsvoll aus, „habe ich sie d e sh a l b für euch aufgerichtet?"
„Weißt du, Ferema," sagte der König düster, „wes
halb du sie aufgerichtet hast, bleibt sich ziemlich gleich
aber es äst gut, daß sie da ist, denn wir brauchen
sie jetzt, um deinen Gott zu schützen, da sonst Matangi Ao
bei seinem nächsten Einfall uns vielleicht einmal dessen
Haus über dem Kopf anzünden könnte."
„Du tust unrecht, Ramara Toa."
„Bah," sagte dieser, „einmal sprichst du so, einmal
du willst doch, daß alle im Lande Christen werden?"
„Das walte Gott."
„Nun schön, mit Redensarten ist aber dabei nichts
auszurichten, denn Mitonare Loa sitzt schon ein paar
^zahre da drüben in Tuia und hat gewiß gesprochen ge
nug — und seine Frau auch, und was haben sie fertig
gebracht? — Gar nichts. An der T uia ist kein einziger
Christ. Nicht einmal im Hupai-Tale haben sie ihr Götzen
bild niedergenommen, und als ich es mit Gewalt ab
brach, fallen sie mir ins Land und trotzen mir in meiner
eigenen Stadt. Dem, muß ein Ende gemacht werden.
464
Du sagst, daß dein Gott stark ist; er soll es setzt beweisen
und uns die Feinde zerstreuen helfen; dann wollen wir
ihm Tempel in allen Teilen der Insel errichten und ein
großes Volk werden. Rüstig, ihr Leute, wir haben nicht
so viel Zeit zu verlieren."
Fremar wollte ihn noch überzeugen, daß Matangi
Ao doch vielleicht keine Feindseligkeiten gegen ihn beab
sichtige, als Ramara Toa ärgerlich wurde und ausrief:
„So? Und sie sind Wohl nicht in der letzten Nacht
mit dem Missionskutter in der Bai gewesen? Glaubst
du, daß Mitonare Loa ihnen den gutwillig gelassen hat?
Sicher nicht — vielleicht ist er schon erschlagen und seine
Frau auch, und sollen wir dulden, daß sie sich ungestraft
an unserem Eigentum vergreifen?"
„Mr. Löwe erschlagen!" rief Fremar wirklich ent
setzt aus.
„Ich weiß es nicht," sagte Ramara Toa, eigentlich
fast ein wenig zu gleichgültig für eine so schreckliche Vor
aussetzung, „aber Wundern sollt' es mich gar nicht und
geschähe ihm eigentlich recht, denn anstatt seinen Kutter
augerrblicklich abzuschicken und uns zu warnen, wenn er
merkte, daß dort Unheil gebrütet wurde, läßt er ihn
sich albernerweise wegnehmen, und jetzt stellen sie ihin
das Götzenbild wieder vor der Nase auf. Orn ina non
— er ist ein großer Tor!"
Fremar wagte jetzt selber keine Einrede mehr gegen
das Schmieden von Lanzenspitzen, denn bedrohten die
Heiden wirklich in solcher Weise ihre eigene Sicherheit,
so war es sogar ihre Pflicht, sich bereitzuhalten, um sie
wenigstens abzuwehren. Sie konnten sich doch nicht ruhig
schlachten lassen.
Indessen wurden aber an der ganzen Bai die Vor
bereitungen zu einem neuen Angriff auf Feindesland
mit dem größten Eifer betrieben, Kriegskanoes hervor
geholt und ausgebessert, andere miteinander verbunden,
die Luvbäume oder Ausleger der kleineren nachgesehen
und aufs neue festgeschnürt, Keulen vorgesucht, Bogen
—
465
—
frisch gespannt und hölzerne Pfeilspitzen auf Steinen
geschliffen und zugespitzt.
Drei Tage vergingen unter diesen Zurüstungen, denn
der vierte war zum Sammeltag bestimmt. Am frühen
Morgen desselben flochten die Frauen und Mädchen schon
Körbe aus einen, einzigen Kokospalmen-Wedel und
trugen Früchte, und besonders Kokosnüsse, für die Kanoes herbei, weil das das einzige Getränk war, das sie
mitnehmen konnten. Eine Menge von Erdöfen waren
dabei in Tätigkeit, um noch Brotfrucht zu backen und
so viel Fleisch als möglich zu braten, und die Männer
rüsteten sich indessen zum Kampfe, indem sie wunderliche
Helmzierden herbeiholten und ihre Gesichter mit grellen
Farben, bald rot und schwarz, bald gelb, bald blau und
weiß anmalten, um beim Angriff dem Feind recht furcht
bar zu erscheinen. Außer ihren Gnatu- oder Topaüberwürfen schienen sie sich aber auch noch außerdem
zum Kampf besonders ausgeschmückt zu haben, denn
blaue und gelbe Bänder flatterten von den Schultern
der Häuptlinge, während sich die ärmeren Eingeborenen
damit begnügt hatten, die zu diesem Zweck besonders zu
gerichteten und buntgefärbten Blätter des Pandanus zu
solchem Schmuck zu benutzen. Ganz eigentümlich sah es
aus, wenn jetzt, wo die verschiedenen Bootsleute den
Befehl erhalten hatten, die Kanoes zur Stelle zu schassen,
diese schlanken, bronzefarbenen Gestalten, mit den be
malten Gesichtern, wehenden Bändern und auf den,
Kopse schwankenden Federn hinten in ihren, Kanoe stan
den, nnd dasselbe mit ihrem Nuder rasch und kräftig
über die Flut trieben.
M r. Fremar war hinunter zu Namara Toa ge
gangen, um ihn noch einmal zu bitten, womöglich B lut
vergießen zu vermeiden. Er kannte den rachsüchtigen
Charakter dieser Stämme und fühlte sich dabei gar nicht
so ganz sicher, daß Namara Toa den Tuianern so weit
au Kriegsgewandtheit überlegen wäre, um einen Erfolg
auch ganz bestimmt zu sichern. Siegten aber die Heiden,
Fr. Gerstiicker, Die Missionare.
30
466
—
so befanden sich die Missionare in größter Lebensgefahr.
Außerdem hielt er es auch für feine Pflicht, dem König
die Sicherheit des Bruder Löwe und dessen Gattin drin
gend ans Herz zu legen, die fa doch nur auf seine Insel
gekommen waren, um den Eingeborenen Glück und Frie
den und die wahre Lehre zu bringen. Er selber hatte
allerdings schon nacheinander drei Boten an ihn ab
gesandt, um ihm den Stand der Dinge hier zu melden
Keiner von allen war aber zurückgekehrt, so daß er gar
nicht wußte, ob sie ihn angetroffen oder nicht.
Ramara Toa hörte die Vorstellungen sehr ruhig,
aber auch ziemlich gleichgültig mit an. Er versprach
allerdings, für den Mitonare zu sorgen, und es solle
chm kein Leid geschehen, oder er werde das ganze Tuia
m eine Wüste verwandeln, aber — es schien ihm doch
kein besonderer Ernst damit zu sein, wenigstens hätte er
wohl kaum daran gedacht, irgend einen Vorteil dafür
aufzugeben. Außerdem hatte er eine viel zu gute Mei
nung von der Geschicklichkeit des Mitonare, sich aus
einer schwierigen Lage herauszuziehen, und beruhigte sich
vollkommen mit dem Trost, wenn der Gott, der die Mitonares hier herübergesendet, nicht einmal ihren Häupt
ling beschützen wolle oder könne, so würde er sich noch
viel weniger um die anderen Menschen bekümmern.
Jetzt kam der Ausbruch, und rührend war es zu
sehen, wie sich die Frauen und Kinder der Motua-Bai
noch an ihre Väter und Brüder schmiegten, um Abschied
von ihnen zu nehmen. Das kleine Volk besonders hatte
die Kniee der Verwandten umklammert und hielt sie
fest, ja wollte sie, als endlich die Muschelhörner zum
Aufbruch tönten, gar nicht wieder loslassen. Aber die
Pflicht rief; noch einmal umarmten sich die Gatten und
rieben — als Zeichen innigster Freundschaft — ihre
Nasen aneinander*), dann rissen sie sich los, und wie
') Der gebräuchliche Gruß und Abschied fast auf allen Inseln
der Sübsee.
Iie auf den Gesichtern der Frauen Spuren der aus'cksragenen Farben in Rot und Gelb und Blau zurückließen
so ließen sie auch freilich in ihrem Herzen Sorge und
Kummer. Auf welche Seite sich auch der Sieg neigte
wie vielen von ihnen kostete es doch den Vater, den
Gatten, den Bruder!
Und w o z u der Krieg? Was hatten ihnen die
Freunde rm Tm a-Tal je zuleide getan? Wie oft waren
sie von ihnen gastlich bewirtet worden, wenn sie hinüber
zum Besuch kamen! I n wie enger Verwandtschaft stan-'
den sie selber mit zahlreichen Familien des Hupainur seit langer Zeit nicht
eben der neue Glaube Haß und Zwietracht
zwischen den Familien ausgesäet. Aber deshalb brauchten sie doch nicht mit ihnen Krieg zu führen; — die
neue Religion sollte ja eine Religion der Liebe und des
Friedens sein, m u ß t e sie denn da mit dem Herzblut
rhnen teurer Menschen eingeweiht oder befestigt werden?
Sie begriffen es nicht, und das geht einem Volke, das
von seinem Konig m den Krieg geführt wird, gewöhnlich
so Die Komge aber w i s s e n , weshalb sie Krieg
fuhren — sollten es wenigstens — und das ganze Volk
muß dazu beisteuern — die Männer mit ihrem Blut
die Frauen mit ihren Tränen — und es trägt da wohl
ein woer gleich schwer.
I n Tuia war übrigens M atangi Ao die Zeit über
nicht müßig gewesen, denn er kannte den ehrgeizigen
Gharakter Ram ara Toas genau genug und wußte, daß
er ihm durch die Zurückeroberung der entführten Beute
eine empfindliche Wunde geschlagen. Außerdem erhielt
er auch durch heimliche Boten genaue Kunde über alles
^
Motua-Bai vorging, da viele der Insulaner,'
obwohl sie dort der Form nach Christen geworden, ja
oft dazu g e z w u n g e n waren, doch im Herzen noch
an ihrem alten Glauben hingen und deshalb auch d ie
begünstigten, die treu bei den alten Göttern aus
gehalten.
468
Dabei traute Matangt Ao den Missionaren ebenfalls
nicht; denn er wußte gut genug, Laß sie im Fall eines
wirklichen Angriffes alles tun würden, um Ramara
Toa den Sieg zu sichern. Er ließ ihre Wohnung des
halb auf das strengste überwachen, wodurch es ihm auch
gelang, die von Fremar abgesandten Boten aufzufangen,
die er ohne weiteres an Bord des Missionskutters als
Gefangene schickte. Nur erst, als er die Nachricht er
hielt, daß Ramara Toa wirklich einen Überfall seines
Distriktes beabsichtige und im Begriff sei, zu Land und
zur See sein Gebiet anzugreifen, die Entscheidung also
doch bald fallen würde, beschloß er, sich freie Hand zn
wahren und zu dem Zweck den Kutter mit den Fremden
aus der Bai zu senden. Alles aber, was er an Waffen
und Munition darin gefunden, und der französische M a
trose wußte genau, wo er danach suchen mußte, nahm er
an sich und ließ dabei auf des Fremden R at die kleine
Schiffskanone — übrigens eine vortreffliche Drehbasse
— auf dem Eiland Tuia-iti, das draußen in der Bai
lag und die Einfahrt vollkommen beherrschte, landen.
M it dieser allein konnte er das Einlaufen fremder
Kanoes leicht und vollständig verhindern; noch immer
hoffte er aber, daß es Ramara Toa zu keinem wirklichen
Kampf treiben, sondern nur versuchen würde, ihn durch
das Aufgebot eines Achtung einflößenden Heeres zu den
früher gestellten Bedingungen zu bringen — die er frei
lich fest entschlossen war, n ic h t anzunehmen.
Übrigens lag ihm gar nichts daran, mit den Papalangis, die sehr häufig ihre Schiffe hier herüberschickten,
in Zwistigkeiten zu geraten, und das konnte sehr leicht
geschehen, wenn ein unter seinem Schutze stehender Mis
sionar in seinem Orte erschlagen würde. Wie er also
nur die bestimmte Kunde erhielt, daß die Feinde noch
an diesem Tag aufbrechen und den Platz wahrscheinlich
in der Nacht überfallen würden, ging er selber zu M r.
Lowes Haus, wo er die Missionare gerade bei ihrem
Mahl versammelt fand, und sagte freundlich:
—
469
„Mitouares - euer Fahrzeug liegt für euch bereit;
ich habe dafür gesorgt, daß genügeud Brotfrucht und
-Waßer an Bord ist, um eure Reise damit fortzusetzen,
-ucnn ich euch raten soll, tut das heute noch, denn in der
Nacht könnte Ramara Toa mit seinen Kanoes hier sein,
und sobald Schüsse gefeuert werden, weiß kein Mensckp
Wohin die Kugeln fliegen. Und noch eins," setzte er
hmzu, als ihm die Missionare dafür danken wollten.
,,-^hr hattet eine Kanone und viele Gewehre an Bord
Wozu braucht ihr die Waffen?"
„Matangi Ao, sagte Löwe, „nicht um Krieg mit
euch zu führen. Aber unsere Fahrzeuge berühren im
Dienste der guten Sache viele fremde, noch unbekannte
^nseln. G o t t kennt die Herzen der Menschen, wir
kennen sie nicht, und wenn wir bei ihnen landen wollen
uiid werden plötzlich überfallen, was bleibt uns da an
deres übrig, als unser Leben zu verteidigen?"
M atangi Aos Brauen zogen sich finster zusammen.
„Aus euren Zungen," sagte er, „kündet ihr das Leben
und in euren Eisenrohren tragt ihr den Tod. Weshalb
geht ihr zu solchen Völkern, die euch nicht haben wollen
iind zufrieden und glücklich in ihrem Glauben leben?
Itni nachher, wenn sie von ihrem Rechte Gebrauch machen,
euch wieder fortzutreiben, zwischen sie zu schießen, nicht
wahr? Geht, ihr seid falsch und treulos; M atangi Ao
wird sich nie zu dem bekehren, was ihr ihm ratet —
aber die Gewehre und das große Gewehr sind mein. Die
Papalangis machen es genau so, wenn sie im Kriege
sind. Sie nehmen allen Schiffen, die dem feindlichen
Lande Waffen zuführen wollen, diese ab. Ich weiß es,
ich tue das nämliche, es ist recht, und Ramara Toa würde
es ebenfalls getan haben."
„Nein, Matangi Ao!" rief da Mr. Löwe. „Ramara
Toa nicht, denn er ist ein Christ, und er weiß, daß
es gegen Gottes Gebote ist, sich an fremdem Eigentum
zu vergreisen,"
470
„Weiß er das?" lachte der junge Häuptling. „Und
weshalb ist da der alte Mann mit dem Weißen B art zu
m i r , dem Heiden, geflohen? Weil ihm der C h r i s t
sein Eigentum nicht wieder herausgeben wollte, ja sogar
sein Leben bedrohte. Einer seiner Landsleute hatte es
gehört und ihn gewarnt. Doch genug! Durch Reden
änderst du nichts an der Sache. Geht! Aber du, Mitonare, kannst Hierbleiben; du hast dir hier ein Haus ge
baut und deine Sachen hergeschafft. Dein Haus steht
unter tabu. Du kannst sicher darin weilen."
„Und ist das gewiß, M atangi Ao," fragte Löwe,
„daß Ramara Toa im Anzug gegen Tuia ist?"
„Ich habe es gesagt."
„Zu Land und zu Wasser?"
„Seiue Kanoes sind gerüstet und wahrscheinlich jetzt
schon unterwegs."
„Dann erlaube, daß auch ich mit meiner Frau unser
Fahrzeug benutze," sagte der Missionar, „denn meine
Sendung ist eine Sendung des Friedens, nicht des Krie
ges, und ich möchte nicht zwischen die Streitenden ge
raten."
„Ich sage dir," erwiderte der Häuptling, „daß du
sicher in deinem Hause bist; verläßt du es, dann stehe ich
dir freilich für nichts."
„Willst du mir Kanoes gestatten, um mein Eigen
tum an Bord zu bringen?"
„So viel du brauchst; der Kutter mag näher heran
ankern, denn die Flut ist jetzt gestiegen. Und du willst
gehen?"
„Ich will sehen, daß ich das Unheil von diesem Land
abwende," erwiderte der Missionar. „Wir werden Ra
mara Toa entgegenfahren und ihn bitten, die schon mit
der Waffe erhobene Hand zu senken. Aber auch du,
M atangi Ao, gehe in dich! Richte die zurückeroberten
Götzenbilder nicht wieder auf, denn daß sie nur geraubt
werden k o n n t e n , mag dir ein Zeichen sein, wie wenig
diese Götter imstande sind, sich s e l b e r zu schützen ---
471
du, daß sie andere schützen werden? Deshalb
NMmL L
Schutz stellen willst, so geh - selbst zu unseren G ü ld en ich werde dich nicht halten; aber dann beeile üeiiien Wea'
dmn m-, I°>. birid. dir nichts « d ,iud
„Hier inl Hinterhause."
r « i? s L ,L " .° "
^ uud d->n„ ,ui!
deinen^Schutz.^
und Schmiede stelle ich unter
„Die Schmiede gewiß," nickte der Häuptling ich
werde gut acht darauf haben; aber Bücher drucken wir
nicht wenn du fort bist, und wo viele Krieger laaeru
E w
^ verteidigen, kann ich sie nicht während
d ^ ? ° ° ^ u i Regen schlafen lassen, wenn leere Hütten
erstehen, deren Dach ihnen Schutz und Obdach bietet
du bist^sfcher."^ ^
^
deinen Sachen, und
„Ich kann hier nicht bleiben," erwiderte Löwe der
auch noch durch die Rede des Häuptlings beunrubiat
wurde, da er daraus ersah, daß Fremar jedenfalls Boten
an ihn abgesandt habe, die von dem Häuptling ausgesangen worden sein mußten. „Darf ich meine Sachen in
d°lnm S c h u " ° ^ "
« E h r s t du mir d-„,
„Ich habe ihn dir schon zugesagt. Geh! Es wird
dich niemand hindern. Wir sind dir Dank schuldig Wenn
wir auch deine Lehre nicht gebrauchen konnten — was
schädigt ""st
war gut, Niemand soll dich
472
Und seinen Mantel um sich schlagend, schritt der
Häuptling, ohne die anderen Missionare eines Wortes
weiter zu würdigen, aus der Hütte. Aber er hielt sein
Versprechen. Unmittelbar danach glitt ein Kanoe über
die Bai, das den Missionskutter heranrief, und kaum
eine halbe Stunde später ankerte dieser etwa dreißig
Schritt vom Strand entfernt, während die Laua-Jnsulaner mit den jetzt freigegebenen Motua-Leuten in Lowes
kleinem Handwagen das verschiedene Eigentum des Mis
sionars mit den noch dort befindlichen Waren hinunter
zur Landung rollten und dort augenblicklich in Kanoes
überluden. Diese wurden dann ebenso rasch langseit des
Kutters gefahren, und in kaum zwei Stunden war die
Übersiedelung, bis aus die Druckerei, geschehen. Mr.
Löwe würde auch diese sehr gern mitgenommen haben,
aber M atangi Ao hatte recht gehabt, die Zeit drängte
in der Tat, denn schon eilten Boten heran, welche die
Meldung brachten, daß die Kanoeflotte in Sicht und
aus ihrem Wege hierher sei. Es war kein Augenblick
mehr zu verlieren, wenn sie noch vor dem Ansturm die
offene See erreichen wollten.
M rs. Löwe hatte indessen einen Versuch gemacht,
noch wenigstens bei N alata Abschied zu nehmen, war
aber nicht vorgelassen worden. — Die junge Frau
mochte einmal M rs. Löwe nicht leiden und konnte sich
auch nicht dem Glauben verschließen, daß ihr armer B ru
der durch d i e Gesetze seinen frühen Tod gesunden hätte,
die gerade von diesen Missionaren gegeben und — wie
s i e dachte — zum Unheil und Fluch des Landes gewor
den wären. M rs. Löwe fand sich allerdings durch diese
Abweisung verletzt, aber die Dienerinnen bekümmerten
sich gar nicht um sie, und eine zweite Meldung wurde
ihr auch durch den Ruf nach den Kanoes abgeschnitten.
Die letzten lagen bereit, um sie an Bord zu nehmen
und nach dem Kutter hinllberzuführen, all ihre Sachen
waren schon eingeschifft, die Insulaner selber drängten,
denn neue Boten trafen ein, und die bemalten wildep
473
Burschen schienen anderes vorzuhaben, als sich zu ein
fachem Passagierdienst herzugeben. Da wurde denn ein
Zögern zur Unmöglichkeit; M rs. Löwe, in ihrem höch
sten S taat, bestieg das Kanoe, ihr folgten die übrigen,
und kaum zehn Minuten später kam schon der Anker des
Kutters herauf, denn der Kapitän desselben hatte genug
von der hiesigen Kriegführung gesehen, um sich noch
einmal der Gefahr auszusetzen, den Wilden in die Hände
zu laufen.
Der Führer des Kutters war ein alter, ehrlicher
Schotte, der sich lange in diesen Gewässern herumge
trieben hatte, und ein Seemann, wie man ihn sich nicht
besser hätte wünschen tonnen, aber auch dafür dickköpfig,
wie eben nur ein Schotte sein kann, und auf sein kleines
Fahrzeug so stolz, als ob es ein Dreidecker gewesen wäre.
Er wußte mit demselben auch ganz vortrefflich umzu
gehen, und erst einmal den Anker in die Höhe, brachte
er es rasch durch die Einfahrt hinaus aus den Riffen
und in die offene See. Als sie aber dort in Sicht der
anrudernden Flotte kamen und M r. Löwe in seiner
ruhigen, befehlenden Weise kurzweg von ihm verlangte,
zwischen die Kanoes hineinzuhalten, damit er vor allen
Dingen eine Besprechung mit Ramara Toa haben könne,
erklärte ihm Mac Ango, wie der Kapitän hieß, ebenso
ruhig, daß er gar nicht daran dächte, sich noch einmal der
Gefahr auszusetzen, von den Eingeborenen der „ver
brannten Insel" gekapert zu werden. Er habe Befehl
von M r. Rosbane, die beiden Missionare nach Majui
zu bringen, aber sein Fahrzeug nicht zu Kriegszwecken
benutzen zu lassen, und wenn Mr. Löwe etwas Wich
tiges mit Ramara Toa zu besprechen habe, so wolle er
ihn in Motua-Bai absetzen. Das sei aber alles, was er
von ihm verlangen könne, und selbst in Motua-Bai ge
denke er unter diesen Umständen nicht in das Binnenwasser einzulaufen, sondern draußen zn kreuzen, bis die
Kanoes hinauskämen, nm ihre „Fracht" an Land zu
holen,
Mr. Löwe protestierte auf das heftigste dagegen und
erklärte, er würde ihn, den Kapitän, zur Anzeige brin
gen, wenn er nicht die Befehle ausführe, die ihm einer
der oberen Missionare erteile; Kapitän Mac Ango blieb
aber außerordentlich ruhig bei der Drohung. „Mr. Löwe
möge," wie er erklärte, „tun, was er nicht lassen könne;
er aber wisse genau, wie e r zu handeln habe," und
ohne sich weiter um irgend eine Einrede des Missionars
zu bekümmern, hielt er direkt in See hinaus, wohin er
recht gut wußte, daß ihm die Kanoes nicht folgen wür
den und bei d e r Brise auch nicht folgen konnten.
Von der Flotte aus wurde ihm allerdings ein Zei
chen gegeben, heranzukommen oder wenigstens anzu
halten, denn da der Kutter aus Tuia herauskam, hoffte
man doch etwas Bestimmtes von ihm zu hören. Kapitän
Mac Ango hielt sich aber nicht auf; er kreuzte direkt
gegen die Brise nach Nordost auf, und tat so, als ob
er die größte Eile hätte, nach irgend einem bestimmten
Punkt in der Richtung zu gelangen. Eins der Kanoes
suchte dann noch an ihn hinanzulaufen und trennte sich
von der Flotte, mußte aber, da der Kutter seinen Kurs
hielt, den Versuch bald wieder aufgeben und kehrte zu
den übrigen zurück.
Es war ein wundervoller Anblick, diese Kanoes zu
sehen, wie sie, Schwänen gleich, durch das Meer zogen.
Alle diese Insulaner besitzen große Fertigkeit in der
Herstellung solcher, sonst eigentlich sehr primitiver Fahr
zeuge, und nicht allein, daß sie dieselben so sicher als
irgend möglich bauen, nein, sie geben ihnen auch besonders
durch einen hohen Schwung des Buges, der noch außer
dem mit Schnitzwerk und Federn verziert wird, eine
elegante und kecke Form. Dazu die malerischen, wilden
Gestalten im Innern, mit ihren wehenden Mänteln und
federgeschmückten Köpfen, mit den langen Lanzen und
Bogen; der Mann am Ruder, wie er sich kräftig und ge
wandt gegen den langen Riemen (Ruder) preßt; der
Häuptling vorn, der auf der äußersten Spitze des Buges
476
steht und mit der laugen Lanze, ohne auch nur einmal
den Kops nach dem Steuernden zu wenden, die Richtung
andeutet, die das Fahrzeug zu nehmen hat — das alles
zusammen bietet einen wahrhaft prächtigen Anblick.
Und wie die schlanken Fahrzeuge dahinschießen! Vorn
am Bug schäumt die klare Flut, und hinterdrein zieht
ein silberner, funkelnder Streifen, der, wenn die Nacht
einbricht, in einem grünlich phosphoreszierenden Licht
leuchtet. So furchen sie die tiefe Flut in einem schein
bar dichtgeschlossenen Schwärm, ohne daß aber trotzdem
ein Ruder das des Nachbarkanoe trifft oder sich die
schlanken Fahrzeuge auch nur mit dem Ausleger be
rühren. So glitt auch die Flotte Ram ara Toas über
die stille See, aber der König befand sich nicht auf ihr.
Ganz ungleich Matangi Ao, hatte er nämlich mit
seinem Doppelangriff genau den entgegengesetzten Plan
verfolgt und die Flotte nur dazu bestimmt, die Macht
des Gegners zu teilen. Für die Flotte waren deshalb
auch weniger die größten als die am schnellsten segelnden
Kanoes ausgesucht, um sich, wenn sie einem zu starken
Widerstand begegnen sollten, leicht zurückziehen und eben
so rasch wieder angreifen zu können. Die Hauptmacht da
gegen führte Ram ara Toa selber durch das Land, direkt
nach dem Hupai-Tal hinauf, und da er unterwegs an
gar keinen Widerstand dachte, hoffte er ziemlich zugleich
mit der Flotte, oder doch bald nachher, Tuia zu er
reichen und es dann von beiden Seiten zugleich zu bcrenncn.
31.
Die Schlacht.
So sicher fühlte sich Ramara Toa seines Erfolges,
daß er den eigentlichen Kampf nur als eine Art Sieges
zug betrachtete und seine Boten zuversichtlich in das
Hupai-Tal vorausschickte, um den Bewohnern zu be-
476
schien, genügend Lebensrnittel für die Armee bereit zu
halten. Wollten sie doch dort ein paar Stunden rasten
und dann ihren Weg ungesäumt fortsetzen. Er sorgte sich
auch nicht, daß die Boten nicht zurückkehrten; weshalb
sollten sie, wenn auch nur einen Teil des beschwerlichen
Weges zweimal machen? Sein Ingrim m kannte aber
fast keine Grenzen, als er die obere Talschlucht erreichte,
in deren Nähe Taori beigesetzt worden, und dort nicht
allein den Weg durch gefällte Bäume verrammelt, son
dern auch von Kriegern besetzt fand, die hinter ihren
Wipfel-Barrikaden den andrängenden Scharen ein trotzi
ges Halt! entgegenriefen.
Ramara Toa forderte sie allerdings augenblicklich
zur Übergabe auf; aber hier befehligte der alte Tamoruva selber, der an etwas derartiges Wohl noch im Leben
nicht gedacht. Schießwasfen hatten die Bewohner des
Hupai-Tales allerdings nur zwei, eine dritte war ani
Schlosse beschädigt worden, und natürlich war niemand
vorhanden, der sie hätte reparieren können. Aber selbst
diese zwei waren so zweckmäßig postiert worden, daß
sie die anrückende Schar in der Flanke fassen konnten.
Übrigens hatte Tamoruva den Befehl gegeben, kein Ge
wehr abzufeuern, keinen Stein zu schleudern oder Pfeil
abzuschießen, bis nicht die Feinde zuerst offene Tätlich
keiten begonnen hätten, und ein Muschelgong sollte dann
das Zeichen zur Verteidigung geben.
Das war freilich nicht nötig; denn kaum fand R a
mara Toa, fast außer sich vor Wut, daß seine Befehle
schon hier in seinem eigenen und ihm unterworfenen
Territorium mißachtet wurden, als er den Befehl zum
Feuern gab und sechzehn oder achtzehn Musketen zu
gleich aus die Wohl sparrigen und schwer zu durchdrin
genden, aber doch überall durchsichtigen Barrikaden ab
gefeuert wurden, die Tod und Verderben in den dicht
gedrängten Schwärm der Feinde schleuderten.
Jetzt hielten sich aber auch die Bewohner des HupaiTales nicht mehr,
-
477
Pon rechts und links knallten die beiden Schüsse,
von denen die eine Kugel dicht an Rarnara Toa selber
vorüberging, daß sie ihm die Schulter streifte und einen
dicht neben ihm stehenden Häuptling tot zu Boden streckte.
Und nun flogen die Steinwürfe der Schleudern, zischten
die Pfeile und trafen die mit furchtbarer Sicherheit ge
worfenen Steinkeulen ihre aufheulenden Opfer. Aber
Tamoruva konnte den Platz nicht gegen den ihm an Zahl
Wohl vierfach überlegenen Ramara Toa halten. Rechts
und links brachen bewaffnete Schwärme, welche die B ar
rikaden umgangen hatten, durch die Büsche, um die Ver
teidiger derselben in der Flanke zu fassen, und Befehl
zum Rückzug mußte endlich gegeben werden. War
doch Gefahr vorhanden, daß sie abgeschnitten und um
zingelt und dann gänzlich vernichtet wurden, denn Gnade
wird in diesen Fuß an Fuß geführten Kämpfen nur
selten erbeten und noch seltener gewährt.
Tamoruva zog sich mit seiner Schar fechtend auf
den kleinen O rt felber zurück, und hier war schon eine
flüchtige Verschanzung aufgeworfen, hinter der man den
Feind erwarten und dadurch zwingen wollte, die an
dere Seite des Sees zu nehmen, um das Dorf von ihnen
freizuhalten. Tamoruva hatte aber dabei noch zu viel
seine früheren Kämpfe im Gedächtnis, wo allein persön
liche Tapferkeit und geschicktes Manövrieren entschied,
während jetzt die furchtbaren Feuerwaffen den Ausschlag
gaben.
Eine Zeitlang blieben sie noch trotzdem hinter ihren
spärlichen Verschanzungen unbelästigt, denn die Kanone
hatte nicht so rasch mit fortgezogen werden können, und
dann mußte, als die Leute endlich die indessen geräumten
Barrikaden damit erreichten, auch erst das Hindernis
fortgeschafft werden, um das schwere Geschützstück hin
durchzudringen.
Bei diesem befand sich Klaus. Fremar hatte an
fangs seine Einwilligung nicht dazu geben wollen, daß er
den Kriegszug begleite. Da er selber aber keinen Teil
"—
^78
—
daran nehmen durste, so schien es doch ratsam, dett
Weißen wenigstens bei der Schar zu haben. Man konnte
nicht wissen, welche Hilfe er imstande war, M r. Löwe
und dessen Frau zu leisten, falls sie wider Willen in den
Kampf gezogen werden sollten, und Fremar selber kannte
den alten Klaus dabei als einen vollkommen praktischen
Menschen.
Klaus selber war es freilich nicht recht gewesen,
Berchta in dieser unruhigen Zeit zu verlassen, denn wer
konnte sagen, wie sich das Schlachtenglück entschied, und
wurde Motua-Bai von den Wilden berannt, so steckte
er am Ende weit drinnen im Busch und konnte ihr nicht
zu Hilfe eilen. Die c h r i s t l i c h e n Insulaner erzähl
ten dabei entsetzliche Geschichten von den „Götzen
anbetern", wie grausam sie wären, und daß sie sogar noch
Menschenfleisch verzehrten, was sie — wie sie schüchtern
eingestanden — wohl früher auch manchmal nach einem
erbitterten Kampf getan.
Das fand nun allerdings in der Art und Weise, wie
sich M atangi Ao mit den Seinen bei dem letzten Über
fall benommen, keine Bestätigung; im Gegenteil hatten
sich diese wilden Scharen so rücksichtsvoll als möglich
gezeigt; aber wer durfte ihnen trauen? Besonders in
der Schlacht bricht die Wildheit und der Blutdurst sol
cher Völker gewöhnlich aus, und sie verüben Taten, an
die sie, in ruhigen und geregelten Verhältnissen, im
Leben nicht gedacht hätten.
Ramara Toa verlangte jedoch so dringend die Be
gleitung des Weißen, der mit den Gewehren so vor
trefflich umzugehen wußte und dabei auch ihren Pulvertransport bewachen sollte, und Klaus selber war neu
gierig geworden, einmal einen solchen „indianischen
Kriegszug" mit anzusehen, daß Fremar endlich seine
Einwilligung gab, und auch Klaus die größte Sicherheit
für die seinem Schutz befohlene junge Frau darin fand,
daß er sich der Sache der Christen entschieden anschloß
und den Heiden einen tüchtigen Denkzettel geben half.
Nachher hielten sie Ruhe, und sie tonnten in Frieden auf
der Insel wohnen.
Klaus war, wie schon früher erwähnt, kein beson
ders eifriger Christ und würde sich aller Wahrscheinlich
keit nach unter lauter Heiden vollkommen Wohl befunden
und sie aus eigenem Antriebe Wohl nie mit den Dogmen
der christlichen Kirche bekannt gemacht oder belästigt
haben. Aber er sah auch nicht den geringsten Grund ein,
weshalb sich ein Teil dieser hartschädeligen Wilden der
christlichen Religion so widerspenstig zeigen und sogar
einen Krieg anfangen sollte, um ein paar alberne Holzklotze, die s ie Götter nannten, wieder zu erobern. Mr.
Freniar war hier zu ihnen gekommen und battc sich,
was sich nicht leugnen ließ, die größte Mühe mit ihnen
gegeben, um sie alles möglich Nützliche zu lehren. Was
für ein Segen war nicht allein die Schmiede für sie ge
worden, nachdem sie besonders mit der gescheiterten
kleinen Brigg eine solche Menge von Eisenwerk bekommen
und nun mit leichter Mühe für ihren Ackerbau Werk
zeuge herstellen konnten, die ihnen die Arbeit um das
Zehnfache erleichterten. Geradeso hatte es M r. Löwe
auf der anderen Seite gemacht, und nun wollten diese
Sappermenter keinen Frieden und die Insel in ewiger
Aufregung halten?
Das ging nicht! Ruhe mußten sie haben, und er
war darin mit manchen unserer Staatsbürger vollkommen einerlei Meinung, daß ein gesunder Krieg viel besser
wäre als ein fauler Frieden. J e rascher dieser aber
abgemacht wurde, desto besser, denn desto weniger Blut
kostete er, desto weniger Unglück brachte er über ein
zelne unschuldige Familien, und deshalb war Klaus auch
fest überzeugt, daß nur ein paar mit guter Wirkung
abgefeuerte Kanonenschüsse die Sache am schnellsten er
ledigen würden. Diese halbnackten Wilden mußten nach
her wohl geschwind genug einsehen, daß sie gegen eine
derartige Waffe nicht imstande wären, mit ihren Bogen
und Pfeilen anzukämpfen. Ob es im S inn und Geist
— M
—
des S tifters unserer Religion gewesen sei, dieselbe aus
solche gewaltsame Weise zu verbreiten und den S täm
men a u f z u z w i n g e n , daran dachte er allerdings
nicht. Sie brauchten hier auf der Insel F r i e d e n ,
und der war seiner Meinung nach nur auf diese Art zu
beschaffen.
Ramara Toa indessen, nachdem er in Schußnähe an
die Verschanzungen von Hupai angerückt war und nicht
eher einen Angriff unternehmen wollte, weil er erst die
Kanone erwarten und deren Wirkung prüfen wolle, be
schloß, die Zwischenzeit zu einem Waffenstillstand zu be
nutzen, in welchem einzelne jeder P artei Abschied von den
Freunden und Bekannten im feindlichen Heere nehmen
konnten?) Ein Häuptling wurde deshalb allein und
unbewaffnet gegen die Verschanzung vorgesendet, um
denselben zu dem besagten Zwecke zu verlangen. Es
gab fast keine Faniilie im Hupai-Tal, die nicht Ver
wandte in der Motua-Bai gehabt hätte, und da Tamoruva bereitwillig dem alten Gebrauch folgte, so kletterte
plötzlich eine große Anzahl von unbewaffneten Kriegern
über die Verschanzung herüber und mischte sich ohne die
geringste Furcht unter den Schwärm der Feinde, denn
alle wußten, daß ein Verrat undenkbar sei.
Wunderbar war es jetzt zu sehen und ergreifend
zum Äußersten, wie die Krieger durch die Reihen liefen
und nach ihren Lieben riefen, und diese dann vorstürzten,
sie umfaßten, ihre Nasen aneinander rieben und sich
fest, fest in den Armen hielten. Es war vielleicht der
") Mariner in seiner Beschreibung der Tonga-Inseln, auf denen
er sich vier Jahre als Gefangener der Eingeborenen aufhielt, schildert
diesen Abschied auf das ergreifendste. E s fällt nämlich sehr oft
in diesen Bürgerkriegen vor, daß Bruder gegen Bruder, S ohn gegen
Vater zu kämpfen hat, da die Eingeborenen gezwungen sind, zu der
Partei zu halten, unter deren Häuptling sie leben. Vor Beginn einer
Schlacht wird ihnen eine kurze Zeit gegeben, von ihren Verwandten
Abschied zu nehmen. Dann, mit dem bestimmten Zeichen, kehren alle in
ihre Reihen zurück, und der mörderische Kampf beginnt.
—
481
letzte Gruß, den sie einander brachten, die letzte Um
armung, und Tränen standen allen in den Augen.
„Stürze dich nicht zu keck in den Schwärm!"
flüsterte ein Vater seinem Sohne zu, „unsere Leute sind
erbittert! Schone dein Leben — denk an deine alte
M utter!"
„Kämpfe zur Rechten!" bat ein Bruder den anderen;
„ich stehe dort drüben — laß uns nicht unsere Pfeile
gegeneinander absenden."
S o hatten sie sich innig umschlungen und standen
inmitten der bewaffneten Schar und des Rufs gewärtig,
der sie- auseinanderreißen und als grimmige Feinde
einander gegenüberstellen sollte. Ramara Toa selber
kürzte die Zeit auch nicht ab; es war ein alter, heiliger
Brauch, der beobachtet werden und seine Zeit haben
mußte, und Wohl eine Stunde verging in diesem fried
lichen, ja herzlichen Verkehr. Die Kanone war auch
schon lange eingetroffen und mit ihr der Handkarren
des Missionars, der jetzt als Munitionswagen benutzt
und von sechs Eingeborenen gezogen wurde, und noch
immer dauerte der Waffenstillstand.
Da wurde endlich der alte Tamoruva, dem die
Sache zu lauge währte, ungeduldig. Der Kampf mußte
entschieden Werden, und das Muschelhorn, das die S tre i
ter zurückrief, ertönte in der Schanze. Es half nichts,
es mußte geschieden sein. Noch einmal preßten sich
Freunde und Brüder in die Arme, dann rissen sie sich
los und eilten flüchtigen Laufes zu einer Stelle zurück,
wo man einen schmalen Raum für sie geöffnet hatte.
AIs sie dahinter Verschwunden, wurde derselbe wieder
ausgefüllt, und Ramara Toa wartete selber geduldig,
bis die Verteidiger wieder völlig gerüstet waren, damit
niemand sagen könne, er habe Vorteil von einem solchen
letzten Lebewohl nehmen wollen. Jetzt erst ertönten
seine Muschelgongs, die Scharen ordneten sich; in der
Mitte wurde ein Raum offen gelassen, in den die Kanone
einfuhr. Klaus schwenkte sie mit Hilfe der Eingeboreneil
Fr. GcrsliMer, Die Missionare.
3l
herum und lud und richtete sie, und nun erst sandtö
Ramara Toa nochmals einen Parlam entär an den Feind
ab, um diesen zur Übergabe aufzufordern, was aber
natürlich rund und trotzig abgeschlagen wurde. Sie soll
ten nur kommen.
Tamoruvas Krieger standen hinter einem leichten
Erdwerk gedeckt, wo sie sich vor den Kugeln der Feinde
vollkommen sicher glaubten, und was die Kanone betraf,
so fürchteten sie deren Wirkung gar nicht, weil sie die
gewaltige Kraft des Pulvers noch nicht kannten. Wag
ten es aber die Feinde, die Palisaden zir überklettern,
so wußten sie, daß sie eine wahre Batterie von Schleu
dern erwartete, die, wenn einmal gekostet, ihnen Wohl
die Lust benehmen sollte, einen solchen Angriff zu er
neuern.
Ramara Toa stand neben der Kanone, aber etwas
abseits, denn Klaus hatte ihn gewarnt, nicht dicht da
hinter zu treten.
„Nun, Kalausa," sagte er freundlich, „jetzt zeige
einmal, was du kannst, und halte gerade auf den Punkt
dort, wo du die vielen Lanzen über die Palisaden herüberragen siehst."
„Na, wollen 'mal sehen," nickte der Alte, dachte aber
gar nicht daran, gleich mit dem ersten Schusse so viele
Menschenleben zu zerstören. Wahrscheinlich blieb es, daß
die Eingeborenen, sobald sie erfuhren, welche gefährliche
Waffe ihnen gegenüberstand, kapitulieren würden, und
se weniger Schaden vorher angerichtet wurde, desto besser.
War er doch eben erst Zeuge gewesen, welch' rührenden
Abschied die armen Menschen voneinander genommen,
und es fing ihn schon an zu gereuen, daß er seine Hand
mit zu ihrer Vertilgung geboten hatte. Jetzt konnte
es aber nichts mehr helfen; er steckte einmal mitten drin,
und die Kanone deshalb auf einen Teil der Palisaden
richtend, wo er die wenigsten Menschen vermutete, zielte
er vorsichtig und feuerte sie dann ab.
488
Die Wirkung war, auf die kurze Entfernung voll
kaum achtzig Schritt, furchtbar. Die Kugel traf einen
-Querbalken, mit welchem sie eine Strecke von vielleicht
zwölf Fuß der Verschanzung in einem Nu dem Boden
gleich machte. Einer der Eingeborenen, der gerade dort
stand, wurde fast in zwei Hälften gerissen, viele andere
noch durch die S plitter verwundet, und dadurch noch nicht
geschwächt, war der Eisenball sogar weiter nach dem Dorf
gefahren, hatte dort ein Kanoe zersplittert, als ob es
von Glas gewesen wäre, und die Eckpfosten des einen
Hauses abgerissen, daß die Bewohner desselben, die ge
rade im Begriff standen, mit ihrem wenigen Eigentum
in den Wald zu flüchten, schreiend, was sie in Händen
hielten, fallen ließen und hinaus ins Freie flohen.
Die Motua-Bai-Jnsulaner, als sie die Verwüstung
sahen, die der eine Schuß in den Befestigungswerken
der Feinde angerichtet, stießen ein wildes Freudengeheul
aus, und als nun auch noch die Musketen dazwischen
knatterten und durch die Palisaden hin manchen der
Hupai-Krieger in den Sand streckten, da erfaßte ein
panischer Schrecken die Belagerten, und sie wären schon
jetzt geflohen, wenn sie nicht Tamoruvas Donnerstimme
gehalten hätte. Der alte Häuptling ergriff selber eine
Muskete und feuerte sie mitten in einen Haufen der
heranstürmenden Feinde mit böser Wirkung hinein; die
andere tat fast ebensovielen Schaden, und als die MotuaKrieger sich jetzt in die Bresche warfen und Ramara Toa
an der Spitze mit gehobener Muskete hineinsprang, em
pfing sie ein solcher Pfeil- und Steinhagel, daß viele
mit zerschmettertem Schädel an der Stelle zusammen
brachen.
Selbst der König erhielt einen aus einer Schleuder
geworfenen Stein an den Kopf, so daß er taumelte;
glücklicherweise aber hatte er ihn nur gestreift, und
wütend sich emporraffend, drang er auf die Feinde ein.
Mancher der M otua-Jnsulaner hätte aber Wohl noch
seine Kühnheit mit dem Leben büßen müssen, wenn nicht
31'
Klaus in diesem Augenblick, als sich alles dem einen
Punkt Andrängte, seine Kanone auf eine andere Stelle
gerichtet und wieder abgefeuert hätte. AIs dort die
S plitter umherflogen und sogar eine nicht fern davon
stehende Kokospalme, halb davon durchschnitten, mit dem
schweren Wipfel nach unten brach, da schraken die M än
ner von Hupai zusammen, denn sie wußten nicht, welche
Stelle zunächst das furchtbare Geschütz beschießen würde.
Diesen Moment benutzte Ram ara Toa. Gerade als
sich Tamoruva, der ihn erspäht, zu ihm durchdrängen
wollte, warf sich ein anderer Trupp der Motua-Krieger
in die zweite Bresche, und nun waren die Hupai-Jnsulaner nicht mehr zu halten. Nach allen Seiten stoben
sie heulend auseinander, ihre Toten und Verwundeten
zurücklassend, und hinter ihnen drein brachen die Ver
folger mit Keule und Speer, vernichtend, was sie nur
erreichen konten, bis sie der Muschelgong der Führer zu
rückrief, damit sie nicht im Wald einem möglichen Hinter
halt in die Hände fielen.
Ram ara Toa aber war außer sich vor Wut. Der
Steinwurf, den er selber an den Kopf bekommen und
der ihn halb betäubt, hatte ihn so erbittert, daß er sich
selber kaum mehr kannte. Seine Muskete schoß er unter
die Feinde ab, und ohne nur daran zu denken, wieder
zu laden, drehte er die Waffe um und schmetterte mit
dem Kolben hinter den jetzt fliehenden Feind drein.
Tamoruva zögerte. Er sah gerade den, den er im
Kampf gesucht und nicht erreichen konnte, auf sich zu
kommen. Aber es wäre Wahnsinn gewesen, ihn dort
zu erwarten, denn seine Leute flohen mit Windeseile um
ihn her dem Walde zu, während eine Menge von Krie
gern dem König auf den Fersen folgte. Später traf er
ihn vielleicht wieder — jetzt mußte er die eigene Tochter
warnen, aus dem Bereich der siegreichen Feinde zu
fliehen, und die Keule, die er in der Hand trug, deni
ihm nächsten M otua-Jnsulaner mit solcher Kraft gegeii
die S tirn schleudernd, daß der Unglückliche, wie vom Blitz
48L
erschlagen, Plötzlich zusammenbrach, floh er mit den
übrigen, oder wenigstens hinter ihnen her, dem Walde zu.
Und Ramara Toas Truppen wüteten in Hupai, da
sie der Widerstand, den sie gefunden, zur äußersten Wut
erbittert. Feuer wurde in die friedlichen Bambushütten
geworfen: was sich darin fand, entweder als Beute mit
geschleppt oder zerstört, und selbst damit begnügten sich
die Wahnsinnigen nicht und begingen den Frevel, der
fast allen Kriegern der Südsee-Jnseln eigen ist, auch
die Fruchtbäume der Besiegten, also fast ihre eigene
Nahrung, niederzuhauen. Die am See stehenden Kokos
palmen wurden gefällt und stürzten mit ihren Wipfeln
in die klare Flut, in der sie sonst ihr friedliches Bild
abgespiegelt. Die Brotfruchtbäume und Orangen fielen
unter den wütenden Beilhieben der Rasenden. Selbst
einige der starken Mangobäume suchten sie zu stürzen.
Da ihnen aber diese zu vielen Widerstand boten, be
gnügten sie sich damit, sie einzugürteln, d. h. die Rinde
ringsherum abzuschlagen und den Baum dadurch ab
sterben zu machen.
Ram ara Toa ließ sie gewähren. Es war die S itte
ihrer Kriege, und er selber zürnte dem Hupai-Tal gerade
mehr als einem anderen Platz, der sich gegen ihn empört
hätte, weil er diesen O rt als sich besonders zu eigen
gehalten. Aber er wußte auch, woher der Widerstand
hauptsächlich kam: von Tamoruva, und dessen Eigentum
mußte deshalb, auf seine eigene Anordnung, der Erde
gleichgemacht werden. Selbst nach dem stillen und ab
geschlossenen Aufenthalte von Tamoruvas Tochter Tama
schickte er einen Streifzug in den Wald, der allerdings
von den Bewohnern, der drohenden Kriegsgefahr wegen,
verlassen war. Aber wenigstens die Hütte stand doch
noch, in welcher der abtrünnige Missionar mit seiner
Frau gelebt, und der hineingeschleuderte Feuerbrand
legte auch diese in Asche, während die Beile der Wilden
unter seinen Fruchtbäumen wüteten und sein Feld zer
störten,
486
Durch diese rachsüchtigen Arbeiten aufgehalten, war
es natürlich zu spät geworden, heute den errungenen
Sieg zu verfolgen. Am nächsten Morgen wollte aber
Ramara Toa noch vor Tag aufbrechen und Tuia ohne
weiteres nehmen. Die Flotte half ihm dann jedenfalls,
nnd die Heiden kamen zwischen zwei Feuer.
Holz gab es in Masse; die Überreste der zerstörten
Gebäude, aus deren trockenen Bambusstäben man so
gleich eine Anzahl von Fackeln flocht, lieferten es in
solcher Menge, daß Wohl an zwanzig verschiedenen
Stellen riesige Flammen emporloderten und ihren un
heimlichen Schein auf den Spiegel des Sees warfen.
Ram ara Toa fühlte «aber auch, daß eine gewisse Feier
lichkeit nötig sei, um diesen Krieg, den er für den
„wahren Gott" zu führen glaubte, — oder wenigstens so
vorgab — in gebührender Weise zu heiligen. Er befahl
deshalb seinen Leuten, als die Sonne untergegangen
war, und der rote Schein der Feuer aus dem See zurückblitzte — einen der von dem Missionar gelernten Psalmen
anzustimmen, und das fromme Lied hob sich zwischen
den zerstörten Fruchtbäumen und Palmen und einge
äscherten Hütten genau so feierlich zu dem blauen, sternenbesäeten Himmel empor, wie ein Tedeum in einem
unserer christlichen Länder — nach einem erfochtenen
Sieg, während noch das Schlachtfeld von dem Blute
der Erschlagenen raucht und von dem Gewimmer der
Verwundeten widertönt.
Indessen aber die Krieger dort lagerten, die Häupt
linge die Avafelder Tamoruvas geplündert hatten und
ihr Getränk brauten, und das niedere Volk in Ia m s
und Brotfrucht und saftig gebackenen Schweinen schwelgte,
schritt eine dunkle Gestalt über das Schlachtfeld hin
über nnd an den Barrikaden hin, wo der blutigste
Kampf gewütet, und forschte nach Verwundeten, denen
er vielleicht noch Hilfe bringen konnte. Es war M artin,
der abtrünnige Missionar, der, als er sein Weib in
Sicherheit gebracht, das eigene Leben nicht achtend, zu
—
487
dem Schauplatz des Schreckens zurückeilte, um dem Gebot
der Menschlichkeit zu folgen.
Einzelne der Motua-Krieger, die noch nach Beute
herumgestrichen waren nnd besonders Waffen einsam
melten, fanden ihn dort, und der erste hob schon seine
Kenle, denn da M artin jetzt in die Tracht der Einge
borenen gekleidet ging, erkannte er ihn nicht gleich. Der
Missionar rief ihn aber an, ihn nicht zu stören, und als
dre Eingeborenen merkten, was ihn hierher geführt, hal
fen sie ihm selber noch Lebende unter den Toten hervorsuchen. Ein Obdach konnte man ihnen freilich nicht biete»,
denn auch das letzte Dach des kleinen, friedlichen Dorfes
war zerstört worden, sogar das von niemandem bewohnte
Gnatu-Haus am Ufer des murmelnden und sich in den
See ergießenden Baches. Aber der Himmel war barm
herziger als die Menschen, er hielt seine Wasser und
Stürm e zurück, und bald stand dicht am Rande der
Waldung ein kleines, soviel als möglich geschütztes Lager
hergerichtet, zu welchem sie die Verwundeten trugen, dann
dicht daneben ein paar tüchtige Feuer anzündeten und sie
nachher seiner Pflege überließen.
Ramara Toa erkundigte sich allerdings danach, was
dort vorginge, und runzelte finster die S tirn , als er
hörte, daß der Schwiegersohn Tamoruvas es gewagt
habe, ohne seine Erlaubnis in sein Lager einzudringen.
Aber der Fremde brachte ja doch nur den Verwundeten
Hilfe — und zwar den Verwundeten von Freund und
Feind — und dem durfte und wollte er nicht entgegen
treten. „Man soll ihn gewähren lassen/' sagte er, und
als es später wurde, schickte er sogar einen Boten an ihn
ab, der ihm Lebensmittel für die Kranken — wie auch
für ihn selber bringen mußte.
So verbrachte das Heer Ramara Toas die Nacht.
Lebensrnittel, besonders Früchte, gab es im Überfluß, denn
der Boden war mit den von den gefällten Bäumen abge
schüttelten wie überstreut, ja, es wurde noch viel mehr
zertreten als gegessen; aber lange vor Tag riefen die
488
Muschelhörner schon wieder die Schläfer von ihrem Lager
auf. Das Frühstück mußte bereitet werden, und kaum
war es verzehrt, als auch schon zum Aufbruch geblasen
wurde. Ramara Toa konnte die Zeit nicht erwarten,
wo er als Sieger in Tuia einzog, denn der erste Erfolg
im Hupai-Tal, der Schrecken, der die Eingeborenen er
faßte, als sie die erste Kanonenkugel zwischen sich ein
schlagen sahen, hatte ihn so mit neuem und frischen:
M ut erfüllt, daß er ein Mißlingen seines Zuges nicht
für möglich hielt. Die Insel Motua — wonach er so
lange gestrebt — war sein, und von da ab baute er
weitere Pläne, wie er sich irgend ein Fahrzeug gewinnen
und dann die sämtlichen benachbarten Inseln erwerben
wolle. Hatte es Kamehameha I. nicht ebenso gemacht?
M it seinen Schiffen zog er von Eiland zu Eiland, der
Schrecken seines Namens ging vor ihm her, und wie
er sich die verschiedenen Stäm m e unterwarf, breitete
sich sein Reich weiter und weiter aus.
Am wenigsten zufrieden mit dem Krieg waren d i e
Insulaner, die den Munitionskarren und die Kanone
ziehen mußten. S ie schimpften und fluchten in einem
fort und meinten endlich, wenn die Papalangis so klug
wären, daß sie ein solches furchtbares Gewehr erfinden
könnten, so müßte es doch Wohl auch ein leichtes gewesen
sein, Beine daran zu schaffen, mit denen es selber laufen
konnte. Da dies aber nicht der Fall gewesen, mußten
sie es ziehen, und sie taten das im Schweiße ihres An
gesichts.
Der Zug rückte jetzt weiter gegen Tuia vor. Er
hatte ein Paradies betreten, er ließ eine Wüste hinter
sich zurück; aber was kümmerte das die Krieger! I h r
Ziel lag weiter, lag in dem fruchtbaren und herrlichen
Tuia-Tal, und je rascher sie das erreichten, desto früher
konnten sie von den ganz ungewöhnlichen Strapazen aus
ruhen. Den Widerstand, den ihnen dabei die Bewohner
jenes Tales bieten konnten, achteten sie gering genug ; hat
ten sie doch in dem einzigen Ansturm den trotzigen und
489
überall, gesürchteten Häuptling Tamoruva geschlagen und
zur Flucht gezwungen; brauchten sie da den jungen und
im Kriege noch vollkommen unerfahrenen Matangi Ao
zu fürchten? Wahrlich nicht. Er hatte gewagt, sie in
ihrer eigenen Heimat zu verhöhnen, und er mußte jetzt
dafür büßen, das war alles, und Ram ara Toa war auch
ziemlich fest überzeugt, daß er nach diesem Sieg gar
keinen weiteren Widerstand mehr finden würde.. Jeden
falls flohen die Tuianer, von der See und vom Land aus
zugleich angegriffen, in die Berge, wo man dann mit
ihnen unterhandeln konnte. Es verstand sich von selbst,
daß sie nachher die Bedingungen annahmen, die ihnen
Ramara Toa stellte, und diese waren: völlige Unter
werfung unter die Regierung des Königs und Abschwörung des Götzendienstes gegen den wahren Glauben; er
wollte nicht grausam mit ihnen verfahren.
Ram ara Toas Heer rückte rasch genug vorwärts —
allerdings noch etwas vorsichtig, als sie zuerst wieder
den Wald betraten, da man dem alten Tamoruva Wohl
zutraute, daß er sich nicht so leicht für besiegt^erklären,
sondern noch den Versuch machen würde, im Schutz der
Bäume die Sieger wieder zu überfallen oder doch wenig
stens zu belästigen. Aber nichts dem Ähnliches geschah.
Kundschafter wurden nach rechts und links in die Büsche
hineingeschickt, doch ein Feind ließ sich nirgend blicken.
Der ganze Wald schien wie ausgestorben, und selbst an
einigen sehr engen Pässen, wo durch einen einzelnen ge
schickt hingeworfenen Baum das ganze Heer vielleicht
einen Tag hätte aufgehalten werden können, war nichts
derartiges geschehen. Die Krieger durften ungestört, unbelästigt, wie in einem Triumphzug, weiterrücken.
Nur noch e i n böser Platz blieb zu passieren, und
zwar das nämliche T al aufwärts, das sie eben herabgekommen waren, dann lag die gar nicht so ferne TmaBai zu ihren Füßen.
Salo, der Läufer, war vorausgeschickt worden, um
zu rekognoszieren;, aber er kehrte rascher, zurück, als
490
Ramara Toa selber vermutete, sah dabei bleich aus
uud blutete an der Stirn.
„Was ist, M ann?" rief ihn der König zornig an,
„was bringst du für Kunde? Bist du verwundet? Ha,
wagen die Schufte, aus dem Versteck heraus meine Boten
zu überfallen!"
„Nicht aus dem Versteck, Ramara Toa," sagte Salo,
„quer über den Pfad hinüber haben sie ein Fort gebaut,
und wir müssen es stürmen, wenn wir Tuia erreichen
wollen. Ein Schleuderstein streifte meinen Kopf, als
ich mich zu nahe hinanwagte, um ihre Schwäche auszu
kundschaften."
„Dann vorwärts!" rief Ram ara Toa trotzig. „Bis
jetzt war ich noch gewillt, Milde gegen sie auszuüben,
aber jetzt — " Er horchte hoch auf, denn über den Berg
und von der Bai herüber dröhnte der dumpfe Knall
eines Kanonenschusses. Was war das? Wo kam der
her? War ein fremdes Schiff in der Bai geankert?
Aber er mußte Gewißheit haben, und jetzt durch ein
Dickicht brechend, das ihnen noch die Aussicht benahm,
erreichte er jene kleine Hochebene, von deren Rand aus
damals Matangi Ao den Räubern des Götterbildes nach
geschaut. Er kani hier voll in Sicht des Felsens, der
den Weg überragte, und um den her der junge Häuptling
sein Fort errichtet hatte, was den Feinden den Weg zu
seiner Bai vollständig abschneiden sollte.
32.
Die Belagerung.
Ramara Toa, niit dem Terrain der ganzen Insel
genau bekannt, übersah ruhig den Platz, bis seine Leute
sämtlich herankamen und die Kanone wie der Munitionskarren auf dem sich etwas mehr fchlängelnden Pfad her
beigezogen werden konnten. Die Zeit genügte ihm voll-
491
kommen, um seinen Schlachtplan zu entwerfen, denn
von da aus, wo er stand, übersah er die ganze kleine
Hochebene, wie die sich gegenüberliegenden Hänge.
Gerade dort bestand die Hochebene — allerdings
mehr als vierhundert Schritt breit — aus ziemlich un
ebenem, von mächtigen Felsblöcken überstreutem Ter
rain; weiter nach oben aber verengte sie sich, und dem
Fort schräg gegenüber hob sich ein kleiner, freilich noch
immer sehr niedriger Hügel empor, von dem aus man
doch wenigstens hoffen konnte, die Kanone zur Verwen
dung zu bringen. Einige Bäume standen nur dort noch
im Wege; da man aber von der gestrandeten Brigg
auch mehrere Äxte gerettet hatte, so machte die Wegräumung derselben keine weitere Schwierigkeit, und
Klaus bekam alsbald Order, sein Geschlltzstück dort hin
ausschaffen zu lassen und von da aus das Fort zu be
schießen. Die Krieger sollten ürdessen unten bereit stehen
und, sowie sie die ähnliche Wirkung der Kugeln bemerk
ten wie im Hupai-Tal, augenblicklich einen Sturm wagen,
um den befestigten.Platz zu nehmen.
Die Befehle wurden rasch ausgeführt, das Terrain
war aber hier der überhaupt etwas plumpen Schiffs
kanone nicht günstig. Das Fort stand viel höher als der
Hügel, und Klaus brachte es nicht dahin, die Mündung
hoch genug zu richten, daß die Kugeln gegen das Bambuswerk der Umzäunung schlugen. Die Erdwerke traf
er mit zwei oder drei Kugeln, aber ohne den geringsten
merklichen Erfolg, denn nach jedem Schusse tönte das
Hohngelächter der Belagerten zu ihm nieder.
Ram ara Toa, der nicht mit Unrecht fürchtete, daß
er hier aus sehr nutzlose Weise seine ganze Munition
verschoß und besonders Kugeln zu der Kanone gar nicht
wieder erhalten konnte, befahl Klaus endlich, das Feuern
einzustellen und das Geschützstück auf den Weg herunter
zuschaffen. Vielleicht war es doch möglich, auf diesem
hin einen höher gelegenen Punkt zu erreichen, wo er
sich ganz sicher fühlte, die Belagerten rasch genug aus
492
ihrer kleinen Feste zu vertreiben. Vorher aber mußten
wieder einige Kundschafter abgesendet werden, um so
wohl einen passenden Platz auszuspähen, als auch nnt
ihren Musketen etwa dort lauernde und versteckte Feinde
in das Fort zurückzutreiben.
Ob nun die Belagerten glaubten, datz Ramara
Toa es nach Einstellen des Feuers aufgegeben habe, sie
anzugreifen, und sich zurückziehen wolle, und ob sie durch
diese anscheinende Furcht vor dem befestigten Platz keck
geworden waren, kurz, überall über die Festungswerke
herüber kletterten plötzlich die halbnackten Gestalten der
Wilden und deckten sich dort, so rasch sie konnten, zwischen
Felsen und Gestein, um nicht von etwa abgefeuerten Ku
geln getroffen zu werden. Ramara Toa verbot aber, auf
sie zu schießen, denn die Entfernung war noch zu groß, und
er wollte seine Munition nicht verschleudern. Der Feind
mutzte es auf einen Angriff abgesehen haben, und für
eine infulanifche Schlacht konnte kein besserer Kampfplatz
ausgesucht werden. Die Hochebene war fast frei von
Büschen, und die darin umhergestreuten Steinbrocken
begünstigten ein Einzelgefecht für beide Parteien.
Klaus übrigens, der recht gut wußte, daß er das
selbe Schicksal mit den anderen teilen mutzte, wenn die
Feinde Sieger blieben, das heißt, feinen Schädel einfach
eingeschlagen bekam, tat indes sein Bestes, um die Ka
none so zu stellen, daß sie ihre volle Wirkung ausüben
konnte, und erwartete, seine Büchse dabei ruhig auf die
Schulter hängend, geduldig mit den übrigen den Angriff.
Ramara Toa gab nun den Befehl, daß sich alle
niedersetzen*) sollten, denn die Feinde stiegen mehr und
mehr zu Tal, und man konnte schon sehen, datz einzelne
ihre Schleudern füllten, um damit den ersten Angriff
zu beginnen.
Klaus stand mit der Kanone ein wenig seitwärts,
und etwa fünfzehn der Tuianer kamen jetzt, den anderen
Allgemeine S itte hei den Kämpfen der Insulaner.
—
493
—
voran, herunter in die Ebene, während eine ziemlich
gleiche Zahl von Ramara Toas Leuten aufstand, um
ihnen zu begegnen. Es war das eine Art von Einzel
kampf, der gar nicht selten ihren größeren Schlachten
voranging und dann von beiden Teilen mit der gespann
testen Aufmerksamkeit beobachtet wurde. Die Niederlage
der einen P artei gab nachher gewöhnlich das Zeichen zum
allgemeinen Angriff, da man die Besiegten nicht ohne
Schutz lassen wollte.
Da trennte sich plötzlich von den Tuianern einer
von seiner Schar ab und sprang und tanzte, wie in
ausgelassener Fröhlichkeit, direkt auf die Mündung der
Kanone zu, hinter welcher der Deutsche mit brennender
Lunte stand.
„Na nu?" sagte Klaus erstaunt, indem er kopf
schüttelnd den Wilden betrachtete, „der glaubt Wohl am
Ende gar, ich habe ihm die Maschine hier zum Ver
gnügen hergesetzt? Na, komm du mir, dir will ich heim
leuchten!" Der Wilde kam indessen wirklich mit den
wunderlichsten Kapriolen heran, einen kurzen Wurfspeer
in der Hand haltend, den er fortwährend um den Kopf
schwang, und mit dem er nach der Kanone zielte. Klaus
hatte seine Büchse heruntergenommen und behielt ihn
scharf im Auge, denn er dachte, daß der kecke Bursche
jedenfalls einen anderen Plan verfolge, als nur hier
vor der Kanone herumzutanzen.
„Ei, zum Henker!" rief er endlich, „svenn du denn
glaubst, daß ich mich von dir zum besten haben lasse,
so bist du verwünscht im Irrtu m , mein Junge. Jetzt
wahr' dich!" Und wie der Insulaner, kaum acht Schritt
von der Kanone entfernt, vor dieser stand und alle mög
lichen verächtlichen Bewegungen machte, berührte er mit
der Lunte das Zündloch und feuerte. I n demselben
Moment warf sich aber auch der Wilde flach aus den
Boden nieder*), und die Kugel flog über ihn hin. M it
*) Daß die Insulaner der Südsee auf eine merkwürdige Art »er-
Blitzesschnelle sprang er aber wieder empor, lief bis fast
an die Kanone heran, tanzte und drehte sich, hob dann
seinen Speer und schleuderte ihn nach der Mündung des
eben abgeschossenen und noch rauchenden Geschützstückes.
Klaus war jetzt aber ärgerlich geworden; er be
merkte dabei, daß noch mehrere andere feindliche In su
laner auf ihn zueilten. So, um wenigstens dem Frech
sten von ihnen einen Denkzettel zu geben, hob er seine
Büchse und zielte ihm auf die Brust. I n demselben
Moment aber, wo er abdrückte, traf ein Pfeil den Lauf
der Büchse, und er fehlte sein Opfer. Der Tuia-Krieger
dagegen, der doch wohl fühlen mochte, daß er sich hier
lange genug aufgehalten, jubelte noch einmal über den
errungenen Erfolg laut auf, und zog sich dann zu dem
Haupttrupp seiner Freunde ungeschädigt zurück.
Diese Heldentat, die allerdings Wohl nur haupt
sächlich darin ihren Grund hatte, daß der Insulaner die
Gefahr nicht kannte, der er sich aussetzte — er würde
sonst wohl etwas schüchterner zu Werke gegangen sein —
schien aber auch die Tuianer ermutigt zu haben. Von
dem furchtbaren Knall der Kanone bestürzt gemacht, schra
ken sie einen Moment zurück; wie sie aber den Freund
dort unten unbeschädigt, ja tanzend und seinen S p e e r,
schwingepd sahen, faßten sie neuen M ut und rückten
nun, von Matangi Ao zum Angriff selber angefeuert,
bis unten in die Talsohle vor, wo sie sich noch einmal,
so gut das gehen wollte, hinter Felsen und anderen
Unebenheiten des Bodens deckten.
Wieder sprangen jetzt einige von beiden Parteien
vor und warfen ihre Speere nacheinander oder schössen
stehen sich unter einem Schutz w e g z u bücken, bestätigen a lle , die
über die Südsee geschrieben haben und Zeuge eines dortigen Kampfes
waren; so: Mariner über die Tonga-Inseln; Ellis' »Uolzmssirm
rö8earctlS8", Rüssels „8outL 8 ea isl-wcls", Turners »19
in
?ol^os8ia", Charles Wilkes »U nited 8 ta tss U xglorinA U xpsdition".
D ie obige Anekdote des Insulaners und der auf ihn abgefeuerten
Kanone beschreibt Mariner fast wörtlich so in seinen »?on xa islands^.
ihre langen Rohrpfeile ab, die aber von den Gegnetli
mit großer Geschicklichkeit abgewendet wurden und als
Ramara Toa jetzt neben Klans stand und sah, wie sich
E K n ^ . z u eurem geschlossenen Trupp sammelten, um
jedenfalls über sie hereinzubrechen, wurde dem Alten das
Blut ebenfalls warm. Es mochte auch sein, daß es ihn
ärgerte, von dem Wilden vorher so verhöhnt worden
Zu sein, und Kanone wie Büchse auf ihn abgeschossen
zu haben, ohne ihn zu treffen. I n seinen- halb gebroche
n e "N
Worten gemischten Jnsulanisch
öu und machte, was er wollte,
^ N
daß der König doch nur
e-nmal die Plankler einberufen solle, dann werde er den
-Verden einen Schuß hmübersenden, der sie wohl wieder
ur ihre Berge jagen würde.
...
^cht S"t, was er sagte, aber
er. schüttelte nnt dem Kopse.
„Nein," erwiderte e r'), „da sie uns in- offenen Felde
angreifen, so gehört es sich nicht, einen solchen Vorteil
gegen sie zw gebrauchen. Wir wollen wie Männer gegen
u^t
Waffen, die eher für die Kämpfe
mächtiger Geister als schwacher Menschen erfunden scheinen. Laß sie kommen, Kalausa. Wir sind stärker, als
u glaubst, und auch ohne den Donner und Blitz werden
wir ihnen zeigen, wer hier im Lande König ist."
Die Feinde waren indessen, noch während sie mit
einander sprachen, aus kaum sechzig Schritt Entfernung
herangekommen und warfen ihre Speere und Schleudersterne rn den Trupp. Jetzt aber hielt es auch Ramara
der Zerst vorzubrcchen und den Übermut
der Gegner zu züchtigen. Die Gongs ertönten, und von
allen Seiten zugleich schien es, als ob die Krieger gegen
einander vorbrechen wollten.
m
'1.
,,/kong-r iKauös« — 88«. sä Vol I Seite 183
Anspruch des heidnischen Häuptling« Finow.
' '
'
—
496
—
L as aber geschah noch nicht; denn, so nahe gekom
men, daß sie einander säst mit ihren Wurfspeeren er
reichen konnten, sprangen plötzlich zwei H äuptlings aus
den Reihen der Tuiancr vor, und anstatt einen Speer
zu werfen oder eine Keule zu schleudern, setzten sie sich
ruhig und angesichts der Feinde auf den Boden nieder
und verhöhnten diese in einer Art wilden Kriegsgesangs,
indem sie mit ihren eigenen Heldentaten prahlten. Kaum
aber hatten sie begonnen, als zwei andere von Ramara
Toas Partei vorsprangen, aber nicht etwa ihre unbeschützte Stellung benutzten, sondern ebenfalls fast un
mittelbar vor ihnen auf den Boden nicderkauerten und
ihnen in gleicher Weise antworteten.
Das dauerte Wohl eine Viertelstunde, und beide
Heere, wenn man die ungeordneten Trupps so nennen
kann, warteten indessen in lautlosem Schweigen das
Resultat dieses sonderbaren Wettkampfes ab, der aber,
wie sie recht gut wußten, nicht übermäßig lange dauern
konnte. Einer von Ram aras Kriegern sprang zuerst em
por und hob seinen Wurfspeer, schleuderte ihn aber nicht
eher, bis sich die Gegner ebenfalls erhoben hatten und
dagegen wehren konnten. Jetzt erst zischte er aus und
wurde in der geschicktesten Weise dicht vor der Brust des
Bedrohten durch eine leise Bewegung der eigenen Waffe
zur Seite geschlagen, daß er nicht weit davon entfernt m
den Rasen hineinfuhr und dort stecken blieb.
Jetzt aber begann der Vierkampf, und die Scharen
auf beiden Seiten packten ihre Waffen fester und stan
den wie zum Sprung bereit, denn sie wußten, daß schon
die nächste Minute den Entscheid geben konnte. Die
kurzen Speere waren von. beiden Teilen rasch verworfen,
ohne irgend einen verwundet zu haben, da sie so geschickt
pariert wurden. Aber das genügte ihnen nicht mehr.
Jetzt packten sie ihre Keulen in die rechte Hand, und
im nächsten Moment stürzten sie sich mit wahrhaft rasen
den Hieben gegeneinander. Alle vier trugen helmartige,
mit Perlmutterschal-Schmuck und Bändern verzierte
497
Gnatu-Mützen, die ihnen den Kopf wie ein fester Turban
deckten und wenigstens die Kraft eines solchen Keulenschlages auf den Schädel etwas brechen konnten.
Aber die kurzen, aus dem eisenharten Holz der Kasua
rine verfertigten Mordinstrumente fielen zu wuchtig
nieder.
Dem einen von Ramara Toas Kriegern wurde der
Schutz heruntergeworfen. Er hob Wohl den Arm, um
den zweiten, blitzschnell geführten Schlag aufzufangen,
aber d e m Hieb vermochte er nicht zu widerstehen. Tot
brach er, wo er stand, zusammen, und als der Sieger
einen Triumphschrei ausstieß und auch der zweite von
Ramaras Seite arg bedrängt wurde, hielt der König
seine Mannen nicht länger zurück. Dieser erste Sieg
auf feiten des Feindes war überhaupt schon unter dem
abergläubischen Volk ein böses Omen, und die Scharte
mutzte so rasch als irgend möglich wieder ausgewetzt
werden.
Die Gongs ertönten von neuem, jetzt dringender als
vorher, aber ihr greller, herausfordernder Ton wäre
kaum mehr nötig gewesen. M it einem wahren Wut
geheul stürzten sich die Krieger auf den Feind, und jetzt
begann ein Schlachten, wie man es sich kaum wilder,
kaum furchtbarer denken kann.
Futz an Fuß kämpften die Wütenden — Schleuder
und Wurfspeer waren schon unbrauchbar geworden. Selbst
die Pfeile wurden nur rasch hintereinander abgeschossen
und dann die Bogen weggeworfen, um der Hand freien
Raum für die kurze Kriegskeule und eine andere Waffe
zu geben, die, wenn auch nicht so unmittelbar tödlich wie
die letztere, doch furchtbare, entsetzliche Wunden zurück
ließ und nur zu oft den Tod zur Folge hatte.
Es waren das lange, dolchartige Instrumente aus
hartem Holz und in der Form den persischen Aatagans
nicht unähnlich, aber weder zu Stoß noch Hieb bestimmt.
An beiden Seiten hatte man, mit Sehnen festgeschnürt,
die kurzen, spitzen und haarscharfen Zähne des HaiF r. Ker stäc ker, Die Missionare.
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498
—
fisches daran befestigt, daß sie dadurch eine sägenartige
Schneide bildeten. Diese schauderhafte Waffe benutzten
die Eingeborenen, um damit womöglich dem Feinde den
Leib aufzureißen. Wer sie aber führte, durfte, wenn
besiegt, auf keine Gnade rechnen, und wenn er noch so
kläglich um Erbarmen schrie; unmittelbarer Tod war fein
Lohn.
Matangi Ao hatte nun allerdings geglaubt, daß Ramara Toa den größten Teil seiner Mannschaft in die
Kanoes geworfen habe, und hier zu Lande nicht stark ge
nug fein würde, ihm die Spitze zu bieten. Mehr und
mehr Krieger aber, die Ramara Toa geschickt in den
Büschen verteilt hatte, zogen nicht allein zum Kampf
heran, sondern fingen auch schon an, den Hügelrücken zu
erklimmen, wodurch sie, wenn ihnen das gelang, seiner
ganzen Schar den Rückzug in das Fort abgeschnitten
hätten. Das mußte vermieden werden, und feine
Muschelhörner gaben bald das schon vorher verabredete
Zeichen, nach dem sich die Belagerten, weil ihnen Gefahr
von der Seite drohe, rasch zusammenscharen und in ihre
Feste zurückwerfen sollten.
Viele lagen dort unten auf dem blutigen Felde, aber
auch viele von Ram ara Toas Leuten deckten den Plan,
als plötzlich die Tuianer zusammendrängten, und Ra
mara Toa schon vermutete, sie würden einen letzten und
verzweifelten Angriff auf sein Zentrum wagen, wohin
auch seine Hörner jetzt die Freunde riefen. Das aber
war alles, was M atangi Ao wollte. Noch einmal ertönte
der scharfe Laut, der dringend zum Rückzug rief, und
die Tuianer, alles von Waffen aufgreifend, was sie umhergestreut am Boden fanden, flohen nun, so rasch sie
konnten, den Hang wieder hinan, wo sie sich noch dazu
hinter den umhergestreuten Felsen decken konnten.
Allerdings stürmten die Christen, sobald sie die Ab
sicht des Feindes merkten, in wilder, jauchzender Lust
hinterdrein, denn sie glaubten sich jetzt des Sieges schon
gewiß und hofften das Fort noch zeitig genug mit den
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Flüchtigen zu erreichen, uni dann auch dieses Hindernis
rasch und mit einem Schlag zu nehmen; aber sie hatten
sich doch in der Art der Flucht getäuscht. Die Tuianer
waren noch nicht besiegt, sondern gaben nur den Aussall
auf und zogen sich in ihre sichere und feste Stellung
zurück. Sie f l o h e n deshalb nicht, und wo ihnen die
Feinde zu nahe auf den Fersen saßen, da hielten sie plötz
lich stand, schössen mit den wieder aufgegriffenen Bogen
Pfeile auf sie ab oder teilten wuchtige Keulenschläge
aus, wobei sie in ihrer erhöhten Stellung immer im Vor
teil blieben. Außerdem wurden sie durch eine Truppe
von Schleuderern unterstützt, die ihnen Matangi Ao aus
dem Fort zu Hilfe sendete und dadurch den Christen bald
zeigte, daß sie noch weit entfernt wären, die mutigen
Gegner schon bezwungen zu haben.
I n kaum einer halben Stunde hatten sie die Höhe
wieder erreicht, und da Ramara Toa Wohl einsah, daß
seine Leute nach einem solchen Kampf zu erschöpft sein
würden, ein so gutbefestigtes Fort zu nehmen, rief er sie
jetzt ebenfalls zurück. S ie sollten erst rasten, und am
nächsten Tage hoffte er mit leichter Mühe zu erreichen,
was heute nicht möglich oder doch jedenfalls sehr schwierig
gewesen wäre.
I n dieser Zwischenzeit durfte er auch auf Kunde
aus der Tuia-Bai rechnen, wie dort der Angriff seiner
Kanoes ausgefallen fei. Hatten seine Leute die Bai
genommen, so zog sich die Besatzung derselben ebenfalls
in das Fort und füllte dieses mit Menschen; dann aber
drängten seine Krieger natürlich nach, und die Belagerten
mußten sich selbst ohne Angriff ergeben, weil sie, zuletzt
überall abgeschnitten, keine Lebensmittel mehr herbei
schaffen konnten.
Aber es kam keine Nachricht, und Salo erhielt des
halb Auftrag, so rasch er könne, sich nach der Bai hinüberzuschleichen. Jetzt zum erstenmal fühlte Ramara
Toa auch den Nutzen, den es ihm brachte, daß er Wenig
stens notdürftig schreiben gelernt. Auf ein Bananen-
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500
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blatt mit einer unten etwas abgerundeten Pfeilspitze
schrieb der König seine Botschaft — die Buchstaben waren
dem Blatte rauh, aber deutlich ausgedrückt, denn wo es
der Griffel gepreßt hatte, nahm es eine bräunliche F ä r
bung an. Das B latt wurde dann sorgfältig zusammen
gerollt und in einen Bambus geschoben, nnd war so
gegen jede Beschädigung vollständig gesichert.
Allerdings sollte der Bote diesen etwas wunderlichen
Brief an Manuga abgeben, der die Flottendivision leitete
und ebenfalls zn lesen verstand, aber er wurde auch an
gewiesen, den Mitonare „Loa" auszusuchen und von
diesem weitere Kunde zu bringen.
Daß die Seinen die Bai noch nicht genommen haben
könnten, daran dachte Ramara Toa gar nicht. Salo
bekam noch die Weisung, so rasch als irgend möglich
wiederzukehren und sich nicht von den Tuianern fangen
zu lassen; dann winkte ihm Ramara Toa mit der Hand,
und der schnellfüßige Bursche glitt wie ein Wiesel über
die Ebene, bis er oben zwischen dem Gebüsch der Wal
dung verschwand.
Matangi Ao fürchtete indessen weit weniger die
Landmacht, die ihn in dem der Verteidigung außer
ordentlich günstigen Terrain seiner Berge angreifen
konnte, als die Flotte, die.allerdings, wenn sie erst die
Einfahrt in die Riffe passiert hatte, viel weiteren Boden
zu einem Angriff fand und sich dann am Strand so aus
breiten konnte, daß man gar nicht imstande war, all den
einzelnen Kanoes die S tirn zu bieten. Die Hauptsache
blieb also, die eigentliche Einfahrt nachdrücklich zu ver
teidigen, was gerade in T uia mit Hilfe der kleinen Insel
so vortrefflich geschehen konnte, wie kaum sonst ir
gendwo.
Er hatte deshalb auch mit Jacques, dem französischen
Matrosen und einem gewandten Burschen, den er aber
Jäko nannte, die nötigen Verabredungen getroffen und
501
rhm nicht allein die Kanone, sondern auch sämtliche dem
Kutter abgenommenen Gewehre zur Verfügung gestellt.
Die
Fait partie de Die Missionare